Kapitel 35
Ich folgte Lottis Blick und dann sah ich sie auch. Eine Frau mit Jeans, weißer Jacke und weißblonden Haaren, die vom Baum aus auf uns zukam. Ihr Blick, ihre Art wie sie ihren Kopf drehte, Lotti hatte Recht.
„Rutsch nach vorne.", flüsterte ich nach unten zu Amelie.
Sie nickte und krabbelte zwischen die Kisten unter der Platte, auf der sich sämtliche Sachen zum Verkauf stapelten. Ihr Blick huschte ängstlich von rechts nach links und sie kaute an ihren Fingernägeln. Die Frau kam jetzt direkt auf unseren Stand zu. Für meinen Geschmack ein bisschen zu direkt und ein bisschen zu schnell.
„Hallo.", meinte sie nur knapp, während sie die Sachen etwas desinteressiert betrachtete.
Ich brachte nur ein „Guten Tag." heraus. Ich hörte mein Herz in meinen Ohren klopfen. Was wollte sie von uns? Ich zwang mich, nicht zu Amelie nach unten zu schauen und hoffte inständig, dass Lotti das Gleiche tat. Der Blick der fremden Eule galt plötzlich eher den drei Tassen Punsch vor Lotti, als dem Selbstgebastelten auf der Holzplatte.
„Sag mal,", ihre Stimme hatte irgendwie einen kreischenden Unterton, der mir ziemlich in den Ohren weh tat, „seid ihr sonst nicht immer zu dritt?"
Ich blinzelte gespielt irritiert und hoffte, dass es wenigstens halbwegs echt wirkte. „Ähm. Heute nicht."
Ihr Blick streifte erneut kritisch die Tassen. „Und für wen ist die?" Sie deutete darauf. Mir fiel auf, wie lang und dünn ihre Finger waren.
„Für das Heinzelmännchen von nebenan.", knurrte Lotti.
„Sehen sie,", meinte ich lächelnd, „wenn einer von uns beiden seine Tasse leer hat, dann haben wir noch eine. Plätzchen?" Ich hielt ihr den Teller mit den Keksen zum Probieren über die Platte hin.
„Nein. Danke." Sie musterte uns ein letztes Mal und versuchte unübersehbar hinter, beziehungsweise unter die Platte zu schauen, bevor sie sich umdrehte und anscheinend versuchte, einen möglichst eleganten oder eindrucksvollen Abgang hinzulegen. Diesen Versuch vereitelte das Eis allerdings erstaunlich schnell und sie schlitterte mehr oder weniger davon.
Erst als sie in Richtung Bibliothek verschwunden war, reichte Lotti Amelie ihre Tasse mit Punsch unter die Platte und schüttelte den Kopf. „Mir macht das Angst. Meint ihr wirklich, dass wir keinem Lehrer davon erzählen sollten?"
„Und dann kassieren wir ordentlich Verweise, weil einer von uns in das Büro von nem Lehrer eingebrochen ist. Super Idee. Ich sag doch, Lehrer können ihre Klappe nicht halten. Wenn es einer weiß, weiß es die ganze Schule." Amelie umklammerte ihre Tasse fester. „Ich will nicht, dass irgendjemand außer euch drei davon weiß. Nicht mal Martin und Buchensturm wissen es. Haltet es einfach geheim, okay? Tut es für mich."
„Okay.", seufzte ich. Egal was, ich wollte nicht schon wieder Streit.
Amelie blieb die restliche Stunde zwischen den Kisten sitzen. Sicher war sicher. Die letzten Wochen waren wir vor dem Wochenende abends noch dageblieben und erst zusammen mit der letzten Schicht um zehn oder halb elf wieder zurück in die Schule gefahren, aber heute liefen wir so schnell wir konnten im Schutz der Dunkelheit zum Ende der Fußgängerzone, nachdem wir abgelöst wurden.
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