Kapitel 3
Sechs Wochen später saß ich mit einem großen Koffer und einem Rucksack im Auto auf dem Weg zu Black Forest Academy.
Die zwei Stunden Fahrt kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Unruhig rutschte ich auf meinem Sitz hin und her, zog mein Smartphone aus der Tasche und steckte es wieder ein und betrachtete die Landschaft, die am Fenster vorbeizog. Ein bisschen Angst hatte ich schon. Einerseits vor dem Unterricht. Die letzten sechs Wochen hatten für mich größtenteils aus Verwandlungsübungen bei zugezogenen Vorhängen in meinem Zimmer bestanden. Viel besser war ich nicht geworden. Die vollständigen Verwandlungen waren tatsächlich okay, wenn ich genug Zeit hatte und entspannt war. Andererseits fürchtete ich mich auch vor den anderen Schülern ein wenig. Normalerweise hatte ich einige Probleme damit, neue Kontakte zu knüpfen und ich hatte ja keine Ahnung, wie andere Wandler so tickten.
Mein Herz krampfte sich etwas zusammen bei dem Gedanken, was ich alles zurückließ. Alle meine Hobbys und Freunde. Judo, Bogenschießen. Naja. In den Ferien durfte ich ja heim. Vielleicht war „Kampf und Überleben", ein Fach von dem wir durch das Telefonat mit der Schulleiterin erfahren hatten, auch ein kleiner Ersatz für Judo.
Draußen wurden die Dörfer lichter und die Bäume dichter. Die asphaltierte Straße wurde schließlich zu einem holprigen Schotterweg, der sich leicht bergauf wand.
Endlich kamen wir an. Wir bremsten vor einer Art Bogen, an dem oben ein reich verziertes Schild mit der Aufschrift Black Forest Academy hing, das leicht im Wind schaukelte. Unter diesem Bogen stand eine kleine schlanke Frau mit freundlichen Gesichtszügen, großen Ohren und, wie ich später feststellte, großen Füßen. Sie winkte uns zu. Mein Vater und ich stiegen aus. Von meiner Mutter hatte ich mich schon zu Hause verabschiedet. Die Frau kam lächelnd auf uns zu.
„Hallo ich bin Frau Ackerpelz." Sie schüttelte uns beiden kurz die Hand. „Du bist Tilda, richtig?"
„Ja, bin ich. Freut mich Sie kennen zu lernen." Immerhin hatte ich vor Nervosität meine guten Manieren nicht vergessen.
Frau Ackerpelz blickte meinen Vater an. „Möchten Sie noch mit reinkommen und sich umsehen?"
Dankend winkte er ab. „Ist schon in Ordnung." Er umarmte mich fest. „Zu den Herbstferien hol ich dich dann aber wieder ab, gell..."
„Macht aber nicht so viel Blödsinn, während ich weg bin. Und du musst Tiger jeden Abend einmal ganz gut durchknuddeln." Er löste sich von mir und holte meinen Koffer aus dem Auto. Nachdem er ihn und meinen Rucksack vor mir auf den Boden gestellt hatte, umarmte er mich ein letztes Mal, stieg dann ins Auto und fuhr die holprige Bergstraße hinab davon. Jetzt war ich wirklich alleine. Ein kleiner Kloß formte sich in meinem Hals, den ich schnell herunterschluckte.
Ich hob meine Sachen vom Boden auf und blickte meine neue Schulleiterin an. Sie lächelte: „Na, dann komm mal mit rein." Wir gingen durch den Bogen und ich blickte mich neugierig um. Die Schule war ein Komplex aus vielen kleinen Hütten, die sowohl am Boden standen, als auch oben in den Bäumen hingen. Das Zentrum bildete eine riesige, alte Eiche, um die unten eine große Hütte mit zwei Türen gebaut worden war. Am selben Baum hing circa fünf Meter darüber eine etwas kleinere, aber trotzdem noch große Hütte, von der eine lange, breite Leiter und vier Stützpfeiler bis zum Boden führten. Auch spannten sich von der oberen Hütte Hängebrücken und Stege zu weiteren kleinen Hütten, die ebenfalls untereinander durch Brücken verbunden waren. In denen wohnten höchstwahrscheinlich die Schüler. Von unten könnte man meinen, es handle sich um ein gigantisches Spinnennetz. Um die meisten Bäume, um die oben eine Hütte hing, stand unten eine weitere. Vermutlich für Wandler, die das Leben am Boden bevorzugten.
Kurz überlegte ich, ob es unhöflich war so etwas zu fragen, dann tat ich es einfach.
„Was sind Sie eigentlich für ein Tier?", fragte ich vorsichtig. Sie schien nicht überrascht, dass ich so etwas fragte.
„Ich bin Hasenwandlerin, also in freier Wildbahn eigentlich ziemlich genau dein Beuteschema.", sie lächelte kurz und erklärte mir dann das Gelände. „Also, das da unten", sie deutete auf die große Hütte unten, „sind die Klassenzimmer. Zwei Stück. Im Moment haben wir hier um die 50 Schüler, verteilt auf drei Klassen. Das da oben ist der Aufenthaltsraum, da essen wir und bei schlechtem Wetter zweckentfremden wir ihn zum Klassenraum. Die drei Bäume da links sind Lehrerbäume und die untere Hütte, direkt hinter dem Mittelbaum, ist das Waschhaus. Links Jungs, rechts Mädchen. Direkt darüber ist die Küche. Gerade gibt's Abendessen. Ich glaube, du bist eine der Letzten, die noch kommt."
Mit zügigen Schritten lief sie zur Leiter und blieb an ihrem Fuß stehen. Schnell nahm ich mein Gepäck hoch und hastete hinterher. „Du lässt deinen Koffer am besten auf der Brüstung stehen", sie wies auf den Balkon, der die obere Hütte umgab. „Dann nimmst du ihn später einfach mit in deine Hütte. Soll ich deinen Koffer nehmen, oder..."
Ehe sie zu Ende geredet hatte, hatte ich schon meinen Koffer in der linken Hand und kletterte einhändig die Leiter nach oben. Wenn ich eins gut konnte, dann war es klettern. Schon als kleines Kind hatte ich Bäume geliebt. Oben angekommen, stellte ich meinen Koffer und meinen Rucksack neben einige andere, die schon dastanden und wartete dann geduldig bis auch Frau Ackerpelz das Ende der Leiter erreicht hatte. Gemeinsam betraten wir die Hütte.
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