Kapitel 28

Die beiden Nachmittagsstunden Kunst am nächsten Tag waren eine Qual für mich. In knapp zwei Wochen würde der Weihnachtsmarkt losgehen und Ms. Maywood ließ uns mit den Arbeiten anfangen, die unsere Schwächen stärken sollten.

Gemeinsam mit Benny saß ich an einem Tisch und knüpfte Armbänder. Insgeheim hätte ich Lotti gerne zu einem Waschlappen verarbeitet, dafür, dass sie Ms. Maywood auf die Idee gebracht hatte. Sie selber knüpfte gerne, viel und auch sehr komplizierte Sachen (und klaute sich dafür regelmäßig unsere Handys um nach Mustern zu suchen). Felix hatte sie inzwischen damit angesteckt. Auch er lieh sich jetzt öfters Amelies oder mein Handy, auf denen Lotti ihre Muster speicherte.

Und ich saß hier und verzweifelte schon an schrägen Streifen. Ich versuchte zwar, jeden Knoten ruhig und konzentriert zu machen, war aber trotzdem oft genug davor, dieses verdammte Ding einfach in Stücke zu reißen. Geduldsarbeit war wirklich nicht mein Fachgebiet. Bennys auch nicht.

Sonja tat sich schwer mit filigraner Arbeit und sollte kleine Glasperlen auf eine Kette fädeln. Die Perlen waren gefühlt überall auf ihrem Tisch, nur nicht auf der Schnur.

Amelie hatte die Aufgabe bekommen, Postkarten zu gestalten. Und wenn meine Freundin eines nicht war, dann war es kreativ. Mit ratlosem Blick starrte sie auf das rechteckige Stück Papier vor ihr und matschte planlos mit dem Pinsel in den Wasserfarben herum.

Felix und Buchensturm sägten mit Laubsägen krüppelige Astscheiben von größeren Zweigen ab, aus denen Lotti und Nina verschiedene Tierköpfe schnitzten. Beziehungsweise schnitzen sollten. Ninas Was-auch-immer hatte große Ähnlichkeit mit einem Dinohintern. Aber gut. Mein Armband hatte auch große Ähnlichkeit mit dem Netz einer genmanipulierten Spinne.

Ich war noch nie so erleichtert gewesen, dieses Klassenzimmer endlich verlassen zu dürfen.

Am Abend wartete wieder der Küchendienst auf mich. Heute beschränkten wir uns glücklicherweise aufs Reden und ließen das Singen bleiben.

Ich drehte die Würstchen in der Pfanne, während Schatten die Pommes in der Fritteuse bewachte und Nina den Salat wusch.

Schatten erzählte: „Ich hab als Katze in einem anderen Schutzgebiet gar nicht so weit von hier gewohnt. Meine Mutter war Wandlerin. Was aus meinem Vater geworden ist, weiß ich nicht. Ich hab ihn nie kennengelernt. Aber aus meinem Wurf, drei Brüder hab ich, drei, bin ich die einzige Wandlerin. Meine Brüder sind nach einer Weile weg und haben sich eigene Reviere gesucht, aber ich bin viel langsamer gewachsen als sie, deshalb bin ich länger bei Mama geblieben.

Verwandeln durfte ich mich nie. Bei den ganzen Fotofallen wäre das viel zu gefährlich gewesen. Letztes Jahr hat mich Herr Schwarz-Feder bei dem Routineflug dann angesprochen. Glaub mir, als der vor mir gelandet ist, hätte ich ihn fast gefressen."

Ich musste grinsen. Dann erzählte Nina. Sie hatte nicht gewusst, dass sie eine Wandlerin war, bis sie die Einladung von der Schule bekommen hatte. In ihrer alten Schule hatte man sie wegen ihrem kleinen Kopf und ihren kurzen Armen und Beinen gehänselt.

Selbst Carina erzählte ein wenig. Sie hatte in einer Herde aus Wandlern in Island gelebt und sich dann dazu entschieden ihr Leben als Mensch weiterzuführen. „Über ganz viele Umwege bin ich dann nach Deutschland gekommen. Zuerst habe ich in Frankfurt in einem Büro gearbeitet." Sie schüttelte den Kopf. „Furchtbar. In der Stadt habe ich dann auch Eldinas Vater kennengelernt, auch ein Wandler, aber..."

Ihre Stimme erstarb. Den Rest konnte ich mir aus dem zusammenpuzzeln, was Eldina selber mir erzählt hatte. Schatten trat mich von der Fritteuse aus gegens Schienbein.

„Die Würstchen."

Schnell schüttelte ich die Pfanne. „Das ist nicht angebrannt. Das ist knusprig."

Als wir uns zum Abendessen, mit Pommes und sehr dunklen Würstchen auf den Tellern, zum Essen auf den Boden setzten, stand Frau Ackerpelz auf und bat um Ruhe. Das Stimmgewirr erstarb langsam. Ich sah zu Amelie und Lotti, aber auch die zuckten ratlos mit den Schultern.

„Wie ihr alle wisst liegt unsere Schule in einem Naturschutzgebiet. Allerdings wurden in den letzten Wochen um dieses Naturschutzgebiet herum einige Fälle von Wilderei gemeldet. Ich möchte euch deshalb dringend darum bitten, weder in erster, noch in zweiter Gestalt an die Grenzen des Schutzgebietes zu gehen. Haltet euch bitte möglichst nah bei der Schule, vor allem die unter euch, die eine begehrenswerte Jagdtrophäe wären."

Ihr Blick traf den einiger älterer Schüler, den von Schatten, Martin, Benny und schließlich meinen. Ich schluckte. Dank Felix, Buchensturm, Amelie und ein wenig googeln hatten wir vor ein paar Wochen herausgefunden welche Art von Luchs ich genau war.

Ein Iberischer Luchs. In Europa fast ausgestorben und mit Sicherheit ziemlich weit oben auf der Abschussliste. Stumm mampfte ich weiter meine Pommes.

Niemand sagte ein Wort.

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