Kapitel 23
Ich spürte die starken Muskeln unter meinem Fell. Ich war in letzter Zeit viel zu viel unter anderen Menschen und Wandlern gewesen. Ich brauchte einfach Bewegung und Zeit für mich alleine. Trabend lief ich ein gutes Stück in Richtung Schule zurück und drehte dann nach links ab. Ich grub meine Krallen in den Stamm einer alten Buche und begann nach oben zu klettern. Immer höher. So hoch wie mich die Äste noch tragen konnten.
Dann wieder nach unten. Auf einem Ast ungefähr in der Mitte des Baums kauerte ich mich zusammen und sprang mit einem großen Satz zum nächsten Baum. Meine Krallen bohrten sich in die Rinde und ich zog mich auf den Ast der Kiefer. Es fühlte sich gut an, wieder alleine zu sein.
Einige Minuten Baumspringen später hörte ich in der Ferne Stimmen. Ich konnte nicht erkennen wer, oder wie viele es waren, also sprang ich, konzentriert auf Lautlosigkeit weiter von Ast zu Ast, bis ich die Stimmen deutlicher hören konnte.
„Und sie hat wirklich nichts gesagt?"
Mein Herz krampfte sich zusammen. Das war David. Lautlos pirschte ich mich noch näher heran und erkannte erschrocken Felix braunen Wuschelkopf. Er wollte doch Hausaufgaben machen?
„Nein, hat sie nicht und wenn sie mir etwas über Amelie erzählt hätte, würde ich dir das auch sagen."
„Und du bist dir wirklich sicher?"
„Ja-ha. Wenn du mir wenigstens sagen würdest, warum du unbedingt was über sie rausfinden willst. Sie hat kein Interesse an dir. Akzeptier das auch."
„Du hältst dich aus dem Warum raus. Das ist meine Sache. Du hast deine Aufgabe. Gaukle Tilda vor du seist in sie verliebt und quetsch sie über Amelie aus. Wenn du weißt, was du wissen musst gib ihr den Laufpass."
Ich hörte Felix seufzen. „Das ist es ja. Ich spiel das mit dem Verliebt-sein nicht nur. Ich glaube, da ist wirklich was. Jedes Mal, wenn sie mich anschaut, dann fühl ich mich so –"
David schnitt ihm das Wort ab. „Gefühlsduseliges Flattervieh. Denk an deinen Auftrag. Und sie hat dir heute wirklich nichts über den Köter erzählt? Nicht die kleinste Bemerkung?"
„Nein, hat sie nicht. Kannst du dich nicht mal für mich freuen?"
David schnaubte und trampelte davon. In meinem Hirn ratterte es wie in einem Uhrwerk. David hatte Felix auf mich angesetzt, aber er hatte sich wirklich in mich verliebt. Er hatte gerade seinen Freund angelogen, um Amelie zu schützen. Um mich zu schützen. Wahrscheinlich war David immer noch wütend auf sie und sammelte so viele Informationen über sie wie er konnte, um sie gegen sie zu verwenden.
Felix stand jetzt alleine auf der Lichtung. So verloren. Aber schließlich drehte auch er sich um und ging zurück zur Schule.
„Na, wie wars?", fragte Amelie mich, als ich zurück in die Hütte kam.
„Gut.", log ich. Sie schien es nicht wirklich zu bemerken.
„Die haben für die Haupthütte einen Fernseher gekauft, der ist so breit wie Lotti groß ist. Da müssen sie wohl schon ne Weile drauf gespart haben. Heute Abend dürfen wir Avengers schauen."
Meine Stimmung besserte sich etwas. Ich mochte Marvel-Filme
„Du weißt aber, dass ihr das nicht ewig geheim halten könnt, oder?"
„Ja, schon klar." Ich atmete tief durch und erzählte ihr dann, was im Wald passiert war. Wirklich alles. Amelies Miene war unergründlich.
„Bist du sauer auf mich?", fragte ich vorsichtig, „Weil ich Felix alles erzählt habe."
Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein. Nein, ich bin nicht sauer. Ich frag mich nur, warum David so unbedingt irgendwas über mich rausfinden will."
„Ich mich auch, aber mal andere Frage. Wo ist eigentlich Lotti?"
„Die wollte zu Martin und Buchensturm. Mathe und Physik lernen. Beim Abendessen sehen wir sie ja, wenn du meinst, können wir es ihr da auch erzählen."
„Ich glaub aber, ich sag Felix nicht, dass ich das Gespräch mitgehört habe. Das wäre irgendwie ziemlich Stalker-mäßig."
Amelie nickte: „Weißt du, was mir noch eingefallen ist? Ihr habt das mit euch ja nur geheim gehalten wegen David. Der weiß das jetzt ja aber, also könnt ihr das eigentlich offiziell machen."
„Naja. Ich hab wenig Lust ab morgen das Gesprächsthema der ganzen Klasse zu sein, außerdem weiß David ja nicht, dass ich weiß, dass er es weiß." Ich stockte. „War das ein korrekter deutscher Satz?"
„Keine Ahnung, ist ja auch egal."
Beim Abendessen weihten wir Lotti ein. Sie reagierte ähnlich wie Amelie. Der Fernseher war wirklich groß, zwar nicht ganz so groß wie Amelie ihn beschrieben hatte, aber definitiv nicht so klein wie der alte Röhrenbildschirm, den wir zu Hause stehen hatten. Als Frau Flugwind die DVD für Avengers einlegte, tummelten sich rund dreißig Schüler in erster oder zweiter Gestalt im Aufenthaltsraum.
Viele von ihnen hatten wahrscheinlich noch nie einen Film gesehen und hörten jetzt dementsprechend gespannt Ms. Maywood zu, die erklärte, dass alles, was gleich auf dem Bildschirm passieren würde, nur erfunden war und wir keine Angst vor den Bösewichten haben mussten.
Ich lag, inzwischen in meiner Zweitgestalt, auf einem der Teppiche. Amelie in Norwegerpulli und Jogginghose, als Mensch, versteht sich, neben mir. Lotti hatte sich als Hörnchen den Platz im Astloch des Baumstamms in der Mitte gesichert und schaute über alle Köpfe hinweg. Auf meiner anderen Seite saß Eldina und kraulte mich hinter den Ohren. Ich war allerdings nicht die Einzige in zweiter Gestalt.
Neben Amelie saßen Johanna und Schatten als Katzen friedlich nebeneinander. Auch Benny war als Wolf erschienen. Er lag neben Sonja, die glücklicherweise auf ihr Fell verzichtet hatte. Victoria, Peter und David waren gar nicht erst aufgetaucht. Wie in einem schlechten Teen-Drama-Film. Klassische Mobber, die es nur im Dreierpack gab.
Felix dagegen war schon aufgetaucht. Er saß alleine an die Wand gelehnt da. Es juckte mich in allen Pfoten zu ihm zu gehen und meinen Kopf an seiner Schulter zu reiben, aber ich beherrschte mich.
Schon nach der Hälfte des Films war Eldina eingeschlafen und kuschelte sich in mein Fell. Als der Film um Zehn schließlich zu Ende war, stupste ich sie leicht mit der Schnauze an, um sie zu wecken.
Hey., flüsterte ich., Geh mal in dein richtiges Bett.
Sie öffnete blinzelnd und verschlafen die Augen. „Ich hab überhaupt nicht geschlafen. Ich bin ganz wach." Sie gähnte ausgiebig.
Ja, ja. Schon klar. Jetzt ab ins Bett mit dir.
Leicht taumelnd stand sie auf, strich mir noch einmal über den Kopf und tappte dann zu ihrer Mutter, die gerade den Fernseher ausschaltete.
Zurück in unserer Hütte legte ich mich einfach, so wie ich war, ins Bett und schlief, zum Glück ohne irgendwelche Probleme, fast sofort ein.
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