Kapitel 12

Zuerst kämpften alle in zweiter Gestalt. Als erstes Schatten aus unserer Nachbarhütte gegen Johanna. Wie sich herausstellte waren beide Katzen. Allerdings war Johanna eine Siamkatze und Schatten eine Wildkatze. Es gewann schließlich sie, nachdem sie ihre Zähne in Johannas Nacken hatte und diese aufgeben musste. Mr. Brighteye lobte sie trotzdem beide.

Lotti gewann gegen Peter, einen Marder, indem sie sich um seinen Hals wickelte und drohte ihn zu erwürgen. Felix verlor gegen Eldina, die ihn mit einem Tritt ihrer Vorderhufe gegen einen nahegelegenen Baum schleuderte.

„Felix, du bist zu unvorsichtig.", tadelte Mr. Brighteye, „Sie ist zwar nur ein Fohlen, aber wenn sie dich mit ihren Hinterhufen erwischt kann dir das alle Knochen brechen. Bitte gebt trotzdem aufeinander acht, das hier ist nur Training."

Zwischen Amelie und Sonja, der Haflingerwandlerin, ging es unentschieden aus. Martin gewann gegen Buchensturm.

Dann war ich an der Reihe. Ich schluckte. Als Luchs hatte ich so gut wie keine Kampferfahrung. David, als Dachs, wie es schien schon. Ich atmete tief durch und spürte wie ich mich verwandelte. Wenige Sekunden später trat ich mit weichen Luchspfoten auf die Matte. David stand schon auf der anderen Seite. Er war als Dachs nicht viel kleiner als ich, hatte aber deutlich mehr Masse, was vermutlich auch damit zusammenhing, dass er als Mensch ziemlich füllig war. Und diese Masse machte er sich auch zunutze.

Sobald Mr. Brighteye das Startsignal gab rannte er frontal auf mich zu, machte dann einen Bogen und rammte mich von der Seite, sodass ich prompt auf der Matte landete. Ich war vollkommen überrumpelt. Sein Gewicht drückte mich extrem nach unten. Der Kerl hatte sich einfach komplett auf mich gesetzt. Verzweifelt versuchte ich irgendwie mit meinen Pfoten an ihn heranzukommen. Ich versuchte alles, was wir im Judo gelernt hatten. Drehen. Gewichtsverlagerung. Ablenkung, aber in diesem blöden Luchskörper wollte einfach nichts davon funktionieren.

Ich geb auf. sagte ich schließlich niedergeschlagen.

David sprang von mir herunter und trat mir dabei „ganz aus Versehen" auf die linke Vorderpfote. Verdammt, tat das weh. Pissdachs. Gedemütigt rappelte ich mich auf, nahm unter den teils besorgten, teils spöttischen Blicken meiner Mitschüler meine Klamotten mit dem Maul hoch und humpelte zum Waschhaus, um mich zurückzuverwandeln. David wurde grade von seinen Kumpels beglückwünscht. Darunter auch Felix. Na großartig. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mich wieder in meiner gewohnten Menschengestalt befand.

Niedergeschlagen ließ ich mich neben Amelie auf den Boden fallen. Sie legte mir einen Arm um die Schulter. „Mach dir nichts draus. Als Mensch besiegst du den mit links."

Meine linke Hand tat zwar gerade ziemlich weh, trotzdem huschte ein grimmiges Lächeln über mein Gesicht. Ich konnte genau sehen, wie er sich bei seinen Freunden immer noch über mich ausließ. Jetzt war das Training in erster Gestalt an der Reihe. Die meisten stellten sich recht ungeschickt an. Felix hatte Eldina schon nach wenigen Sekunden im Würgegriff. Er war zwar dünn, aber eine Siebenjährige hatte trotzdem keine Chance gegen ihn. Immerhin quälte er sie nicht unnötig, sondern ließ sie wortlos gehen, als sie aufgab.

Schließlich wurde ich aufgerufen. „Gibs ihm.", raunte Buchensturm mir zu.

Ich schüttelte meine Hände aus und stellte mich wenige Meter vor David auf die Matte. Ich ließ die Schultern hängen und hielt den Kopf leicht gesenkt. Ein siegessicheres Lächeln zuckte über sein Gesicht. Gut so...

Mit ausgestreckten Armen machte er einen Schritt nach vorne um meine Schultern zu greifen. Blitzschnell packte ich sein rechtes Handgelenk, tauchte unter seinem Arm durch und drehte ihm mit einer kräftigen Drehung an seinem Handgelenk den Arm auf den Rücken. Eigentlich durfte man beim Judo nicht auf Gelenke arbeiten, aber um die Regeln scherte sich hier ja keiner. Ich drehte noch ein bisschen stärker an seinem Handgelenk und zog ihm mit dem Fuß sein Standbein weg, was dafür sorgte, dass er frontal mit dem Gesicht auf die Matte klatschte. Ich hielt seinen Arm weiterhin fest und platzierte mein Knie genauso auf seinem Kreuz, dass es ihn schön piekte.

Ich hörte das überraschte Murmeln meiner Klassenkameraden am Rand.

„Ich gebe auf.", keuchte David, das Gesicht auf der Matte.

Wortlos ließ ich seinen Arm los und stand auf. Fast am Rand der Matte spürte ich den Boden erzittern. David war aufgestanden und rannte jetzt von hinten auf mich zu. Was ein schlechter Verlierer. Sollte der mal sehen.

Als ich hörte, dass er mich fast erreicht hatte drehte ich mich auf dem Absatz um und packte seinen nach mir ausgestreckten Arm. Während Mr. Brighteye wütend seinen Namen rief, hatte ich mich schon unter David gedreht und zog ihn mit einer Menge Schwung über meine Schulter, sodass er donnernd mit dem Rücken vor mir auf der Matte landete. Wow. So einen schönen Schulterwurf hatte ich schon lang nicht mehr hinbekommen. Normalerweise wehrten sich meine Gegner mehr.

„Hast du genug oder willst du noch Nachschlag?", knurrte ich den vor mir am Boden liegenden Jungen an.

„Miese Ratte.", zischte er.

„Das sagst ausgerechnet du."

Rückwärts ging ich die letzten paar Schritte zum Rand der Matte und ließ mich auf den Boden sinken. Sechzehn Augenpaare starrten mich fassungslos an.

Mr. Brighteye klatschte in die Hände. „Das wars für heute. David, mit dir rede ich nach dem Mittagessen nochmal."

Die gesamte Klasse strömte in Richtung der Leiter zum Mittagessen. Mr. Brighteye winkte mich zu sich.

„Sag mal, hast du Kampfsport gemacht?"

„Ja.", antwortete ich etwas unsicher, „Elf Jahre Judo."

„Dein Schulterwurf ist echt nicht von schlechten Eltern. Welcher Gürtel?"

„Schwarz."

Er pfiff anerkennend durch die Zähne. „Hast du schonmal jemanden unterrichtet?"

„Ähm. Ich hab immer bei den sechs- und siebenjährigen Anfängern geholfen, aber sonst nicht."

„Kannst du dir vorstellen, mir beim Training in erster Gestalt beim Unterricht zu helfen?"

Ich starrte verdattert in seine warmen, fast schwarzen Augen, die mich erwartungsvoll musterten. „Ich, ich denk drüber nach.", stammelte ich und er nickte zufrieden.

Beim Mittagessen erzählte ich Amelie und Lotti von Mr. Brighteyes Angebot. „So schlecht wär das doch gar nicht.", meinte Lotti, „Von ihm kannst du eh nichts mehr lernen und wie du David fertig gemacht hast war ja mal super."

Ich zuckte die Schultern: „Er hat sich überschätzt. Außerdem können wir jetzt einen Club gründen mit dem Namen ‚David hasst uns'. Amelie und Eldina sind schon mit dabei." Innerlich hoffte ich, dass Felix mich jetzt nicht hassen würde, weil ich seinen Freund bloßgestellt hatte. Sein ziemlich entgeisterter Gesichtsausdruck, als David verloren hatte würde mir nicht so schnell aus dem Kopf gehen.

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