Kapitel 11


Vor dem Physikunterricht lief ich noch schnell nach oben, um die Kiste mit den Farben zu holen, die ich Herr Schwarz-Feder wiedergeben sollte. Das Schild hatte ich gestern noch mit Carinas Hilfe an die Tür geschraubt. Wie es schien, war ich nicht die einzige, die sich ein Schild bemalt hatte. Auf dem Pult stapelten sich mehrere Kisten, ähnlich wie die, die ich bekommen hatte.

Der Unterricht bei Herr Schwarz-Feder war zwar interessant, für mich aber nichts neues. Es waren die gleichen Sachen wie die, die wir schon in der siebten Klasse gelernt hatten. Trotzdem hörte ich aufmerksam zu. Herr Schwarz-Feder hatte eine ganz andere Art zu unterrichten, als mein Lehrer an meiner alten Schule. Er zeigte alles an Experimenten und Versuchen. Es machte viel mehr Spaß ihm zuzuhören, als langweilige, realitätsferne Formeln von der Tafel abzuschreiben.

Lustig wurde es vor allem dann, wenn etwas nicht so funktionierte wie geplant. Bei der Gelegenheit erfuhren wir gleich ein paar schöne Woodwalkerflüche. Darunter mein persönlicher Favorit: „Wenn das jetzt nicht geht, dann soll mich der Blitz im Fluge spalten." Irgendwie makaber.

Auf die beiden Stunden danach freute ich mich trotzdem deutlich mehr. Kampf und Überleben. Diese Stunden hatten wir draußen. Es war zwar immer noch warm, aber eindeutig kälter als gestern. Ein paar Meter neben dem Weg, zwischen Waschhaus und den Klassenzimmern, waren zwei Schaumstoffmatten ausgerollt und so aneinandergelegt, dass sie ein ungefähr acht mal acht Meter großes Quadrat ergaben. Auf den Matten saß ein großer, breitschultriger Mann mit dunklen Haaren.

„Garry Brighteye mein Name. Timberwolf", begrüßte er uns ohne Umschweife, als wir uns vor ihm auf die Matte gesetzt hatten. In seiner Stimme schwang ein ganz leichter amerikanischer Akzent mit. „Der Plan für heute sieht folgendermaßen aus: Zuerst machen wir ein kleines Spiel zum Aufwärmen und kennenlernen. Danach bekommt ihr einen Partner zugeteilt, gegen den ihr einmal in erster und einmal in zweiter Gestalt kämpft. Nur heute machen wir das vor allen anderen. Also zwei kämpfen und der Rest sieht zu. Das werden wir nicht immer so machen. Nur heute, damit ich mir anschauen kann, wie weit ihr schon seid und was ihr noch lernen müsst. Die Regeln beim Kämpfen sollten klar sein. Keine Verletzungen durch Krallen, Bisse oder ähnliches. Keine Tritte oder Schläge in den privaten Bereich, oder das Gesicht."

Ich musste an Eldina denken und grinste innerlich.

„Was ich auch nicht sehen möchte ist, wie jemand nach dem Training fertig gemacht wird, weil er verloren hat. Viele von euch sind unerfahrene Kämpfer und Verlieren gehört zum Lernen dazu. Wenn ich jemanden bei sowas erwische gibt es eine Woche Küchendienst.

So, das Spiel, das wir spielen heißt Gordischer Knoten. Manche kennen das vielleicht. Ihr stellt euch Schulter an Schulter in einen Kreis, lauft dann mit geschlossenen Augen aufeinander zu und greift euch blind irgendeine Hand. Ziel ist es euch zu entwirren, ohne euch loszulassen. Das erfordert Denken und Teamgeist. Auf geht's."

Wir taten wie uns geheißen. Stellten uns in einen Kreis und schlossen die Augen. Eher zögerlich gingen wir nach und nach näher zusammen und griffen uns jeder zwei andere Hände.

„Hat jeder eine Hand? Gut. Dann Augen auf."

Wir standen im einem gigantischen Menschenknäul in dem es nicht vorwärts oder rückwärts ging. An meiner rechten Hand hatte ich, über Amelies Kopf hinweg, ein Mädchen mit roten Haaren, das ich nicht kannte. An meiner linken Hand hatte ich, mein Herz setzte einen Schlag aus, Felix. Seine gelben Augen blickten direkt in meine. Sein Blick war allerdings nicht starr oder durchbohrend, sondern freundlich und offen. Seine Hand war warm, aber nicht weich. Innerlich ohrfeigte ich mich selber. Konzentrier dich!

Langsam entwirrte sich unser Knäul durch über Arme steigen, unter Armen durchlaufen und andere akrobatische Höchstleistungen. Ich erfuhr, dass das Mädchen an meiner Hand Clara hieß und ein Fuchs war und ich schaffte es sogar, Felix gegenüber meinen Namen herauszustottern ohne in Ohnmacht zu fallen, immerhin hielt ich gerade seine Hand. Innerlich ohrfeigte ich mich erneut.

Schließlich standen wir als Kreis da. Manche mit dem Gesicht nach außen, aber als Kreis. Mr. Brighteye zog eine Uhr aus seiner Tasche: „Neun Minuten vierundzwanzig. Nicht schlecht. Die Zeit merkt ihr euch und versucht sie das nächste Mal zu unterbieten. Den Rekord halten meine Drittjahresschüler aus dem vorletzten Jahr mit zwei Minuten einunddreißig, die waren aber auch nur vierzehn. Okay. In der Zwischenzeit habe ich euch zu Paaren zusammengestellt. Nina?" Er blickte ein kleines, rundliches Mädchen an, „Du bist vom Kampf in zweiter Gestalt ausgeschlossen. Es sei denn, du möchtest unbedingt."

Nina schüttelte den Kopf und Mr. Brighteye nickte verständnisvoll.

„Also, als Paare habe ich mir überlegt..." Er ging eine im Kopf verfasste Liste durch. Lotti kämpfte gegen einen Peter. Eldina, die kurz vor der Stunde dazu gekommen war, gegen Felix. Amelie gegen eine Sonja. Martin und Buchensturm gegeneinander und „Tilda, du kämpfst gegen David."

Ach du heiliges Kanonenrohr. Das konnte ja was werden.

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