#21 Wasser
Um mich herum war es laut. Regen, Donner, Wasser. Ich hatte immer Angst vor dem Wasser. Verständlich, wenn man nicht schwimmen kann. Doch heute fühlte ich mich zum Wasser hingezogen. Blut bedeckte meinen Körper und ich wollte es abwaschen. Die Spuren meiner Schwäche verschwinden lassen. Denn ich war nicht schwach.
Ich wurde schwach gemacht. Meinen Körper ließ man frieren und hungern. Und ich verstand warum. Man wollte mich auslöschen. So wie ich heute ausgelöscht wurde. Nur das ich es jetzt nicht mehr war. Das alles verwirrte mich. Gleichzeitig war mir meine Vergangenheit noch nie zuvor so klar. Meine Eltern waren grausam. Das Heim wo ich groß wurde war es ebenso. Ich war anders. Und heute war ich stolz darauf. Wäre ich es nämlich nicht gewesen, dann wäre ich jetzt nicht hier.
Hier im klaren Wasser, nachdem ich benannt wurde. Im Wasser, dass meinen Verstand ebenso klar werden ließ. Meine Haut wieder erkennbar machte. Weiße, blasse Haut. Weiße Haare. Selbst meine Augen waren gleich geblieben. Dabei fühlte ich mich völlig anders. Er hatte mich verändert. Mich stark gemacht. Meine Vergangenheit war nicht mehr wichtig. Mein Leid war ausgelöscht, weil meine Gefühle und meine Gedanken ganz bei ihm waren.
Doch konnte ich nicht zu ihm zurück. Ich wusste, dass er leiden würde. Und der Gedanke daran war furchtbar. Es änderte aber nichts. Ich war hier gefangen. Gefangen hinter einem Wasserfall. Gefangen hinter einem breiten, tiefen Fluss den man überqueren musste. Gefangen vor dem Licht der Sonne, der Augen Anderer und zu dieser Zeit Gefangen vor dem Licht der Blitze.
Wie gerne wäre ich bei Aiden, um ihm zu sagen, dass ich lebte. Das mein Herz wieder begonnen hatte zu schlagen. Denn das musste er doch erfahren. Er musste es wissen. Hilflos lag ich nun hier. Ich schüttelte meinen Kopf. Ich war stark. Wir würden uns wieder sehen. Das wusste ich genau. Er würde warten. Er hat versprochen, dass wir zusammen sein würden. Aiden würde kein Versprechen brechen. Er liebte mich und er würde erfahren, dass ich jedes Wort gehört hatte, dass er gesagt hatte.
Hilflos musste ich seinen Versuch erdulden, sich sein Leben zu nehmen. Und ich hatte mir so sehr gewünscht, dass ich ihn aufhalten hätte können. Was dann geschah weiß ich nicht. Manchmal brauchte es etwas Zeit sich zu erinnern. Ich schaute den Wasserfall an und lauschte diesem beruhigenden Geräusch. Denn das Unwetter beunruhigte mich zunehmend. Er würde mich finden. Ich wusste es genau.
Zeit war alles was wir brauchten, um wieder zusammen zu sein. Und Geduld, aber ich konnte geduldig sein. Immerhin hatte ich einen guten Grund. Liebe. Im Buch was mir Aiden vorgelesen hatte wurde alles gut. Und bei uns würde es auch so enden. Ich spürte es in jeder Zelle meines Körpers. Und das machte mich nur noch stärker.
Tage vergingen, dann Wochen und letztlich Monate in denen ich geduldig wartete. Als ein Jahr vorbei war hatte ich meine Hoffnung noch immer nicht verloren. Ich wusste das jeder Tag mehr, Aiden nur näher zu mir bringen würde. Ein Jahr und eine Woche. Ein Jahr und ein Monat. Das Unwetter hielt konstant an. Niemals erstummte das Donnern und Grollen.
Fast so als wäre es Aidens Knurren, dass mir sagte "Ich suche dich. Ich gebe nicht auf. Ich bin wütend und meine Wut ist meine Motivation zu dir zu finden." Nur wieso dauert es so unsagbar lange? Ich war an diesen Ort gebunden. Konnte ihn niemals verlassen. Anders als das fließende Wasser, das sich so leicht seinen Weg hinaus suchte.
Aber für mich war es nicht leicht von hier weg zu kommen. Immerhin hatte ich genug Nahrung und Trinken. Immerhin hatte ich genug, um warm zu sein. Immerhin hatte ich genug Träume wie das Leben sein würde, wenn wir uns wieder hätten. Ja, es war genug. Doch meine Fragen wurden einfach nicht beantwortet. Egal wie geduldig ich war. Egal wie oft ich fragte.
Das Plätschern des Wasser weckte mich. Ich war alleine und ich streckte meinen Hals zum Wasserfall. Horchte, ob es Einbildung war. Es hörte sich anders an. Es war lauter. Oder hatte ich es nur geträumt? Wieder hörte ich das Plätschern. Ich erinnere mich an dieses Geräusch. Ich setzte mich auf und mein Herz schlug wie wild. Ich wollte seinen Namen schreien. Ihn rufen, damit er mich hörte, aber kein Ton kam über meine Lippen.
Mein Herz raste schneller, mein Körper war unruhig und aufgewühlt. Ich war glücklich, traurig, ängstlich alles zur gleichen Zeit. Ich lauschte diesen wundervollen Geräuschen. Diesem wundervollen Wesen, dass mich vor mehr als einem Jahr gerettet hatte und in das ich mich verliebt hatte. Den Wasserfall ließ ich nicht mehr aus den Augen. Sekunden oder Minuten? Wann wäre es endlich soweit?
Ich stand auf, nur um mich wieder zu setzen. Ich traute meinem Körper nicht. Zu aufgeregt war ich. Meine Atmung wurde langsamer, um nichts zu verpassen. Wasser lief über meine Wangen. Freudentränen. Ich war so glücklich. »Aiden«, dachte ich. Immer noch verließ mich kein einziger Ton.
Nur noch das Rauschen meines Blutes war zu hören, wie es durch meinen Körper gepumpt wurde. Gleich würde etwas passieren. Ich wusste es so sicher. Und tatsächlich. Das Wasser teilte sich und ich erblickte einen Drachen. Meinen schwarzen Drachen. Er bewegte sich langsam. Und ich erkannte das Erstaunen in seinem Blick und die Erleichterung die darauf folgte. Und mir ging es nicht anders.
Als er direkt vor mir stehen blieb stockte er. Dann bewegte er sich wieder und endlich spürte ich ihn nach so langer Zeit wieder. Ihn zu fühlen tat so gut wie das Atmen. Er legte sich zu mir und wir schwiegen. Genossen einfach nur das wir wieder zusammen waren und unsere Körper, die sich aneinander pressten. Es waren keine Worte nötig. Ich wusste was er fühlte und er wusste ebenso was ich fühlte.
Zum ersten Mal schlief ich vor Erschöpfung ruhig und entspannt ein und schlief so gut wie nur er es mir ermöglichte. Sicher, geborgen, zufrieden. Es war höchste Zeit, dass er mich gefunden hatte. Jetzt würde alles wieder gut werden. Doch geklärt war immer noch nichts. Rein gar nichts. Und ich wusste das die nächste Zeit voller Fragen und Proben wäre, aber wir würden es schaffen, denn wir hatten uns wieder.
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