#16 Vorlesen
Ich ging mit Kendra raus an die frische Luft. Sie war so leicht zufrieden zu stellen. Es faszinierte mich wie sie durch die Buchreihen in der Bibliothek ging und dabei strahlte. Ich verfolgte sie dabei so, dass ich immerzu einen Blick auf sie werfen konnte. Es fiel ihr dennoch schwer sich für ein Buch zu entscheiden. Und als sie dann eines fand, da strahlte sie noch mehr.
Ihr war nicht klar wie besonders sie war. Und das auf eine gute Weise. Deswegen hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, es ihr zu zeigen. Sie war so sanft. Ganz anders als ich, der so grob war. Sie lächelte immer, während ich mürrisch war. Sie war so hell, während ich die Dunkelheit war. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Ich war brutal und sie kannte diese Seite von mir bisher noch nicht vollständig. Das beunruhigte mich.
Und während ich sie beobachtete und die ganze Zeit über sie nachdachte, wurde mir etwas klar. Ich war ihr verfallen. Das mächtigste Wesen dieser Erde. Der letzte schwarze Drachen ohne Empathie, der bereits als Baby kämpfen musste, war einer Menschenfrau verfallen, die immerzu in Lebensgefahr war und noch dazu der wahrscheinlich schwächste Mensch auf dieser Erde war.
Das schlimmste Szenario überhaupt wurde wahr und dennoch ging ich mit Kendra raus auf die Blumewiese und lächelte wie der dümmste Vollidiot. Denn ich fühlte Glück und diese Emotion wurde mir bereits sehr früh im Leben genommen. So viele Gefühle wie jetzt hatte ich generell noch nie in mir. Und das lag an ihr. Zudem wusste ich nie was als nächstes kam, wenn ich bei ihr war. Ich setzte mich zu Kendra auf die Wiese und sie blickte zu mir rauf.
Ihr Lächeln reichte aus, dass mir wärmer war, als im heißen Magma zur Sommerzeit. Und ihre Stimme berührte jedes Mal meine Seele und gab ihr Frieden, so wie es nur meine Eltern konnten, als sie noch da waren. Erinnerung die mich quälten wurden in der gemeinsamen Zeit mit ihr fast vollständig ausgelöscht. Und ich konnte mir gut vorstellen wieso meine Eltern, in meinen Erinnerungen, so glücklich zusammen waren. Denn ich fühlte mich genauso glücklich mit Kendra.
»Würdest du mir vorlesen?« Riss sie mich aus meinen Gedanken. Ich war überrascht von ihrer Bitte, doch ich stimmte ungefragt zu. Meiner kleine Schneeflocke in diesem Farbenmeer konnte ich keine Bitte abschlagen. Nicht wenn sie mir den Verstand raubte und gleichzeitig mich so ruhig werden ließ. Nicht wenn ich mich so zufrieden fühlte, obwohl ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Also nickte ich ihr zu und nahm ihr das Buch ab. »Du fragst mich nicht einmal wieso?« fragte sie leise.
Natürlich wollte ich es wissen, aber was wenn mir die Antwort nicht gefallen hätte? »Nein, egal wieso ich möchte es tun.« Kendra sah mich einen Moment lang an. Ihr Blick wanderte von meinen Augen zu meinen Lippen und wieder zurück. Und ich versuchte mich zusammen zu reißen. Das letzte Mal war sie mir immerhin davon gelaufen, als ich sie geküsst hatte. »Deine Stimme beruhigt mich jedes Mal. Und das ist gut, weil ich sehr aufgeregt bin, wegen... dir.«
Ihr Wangen röteten sich und mein kaltes Herz erwärmte sich bei ihren Worten noch ein Stück mehr für sie. »Und jetzt ließ und schau mich nicht so an, dass macht es nur schlimmer.« Sie legte ihren Kopf auf meinen Beinen ab und schloss die Augen. Und ich hatte die Chance vertan sie wieder zu küssen. Aber das machte nichts, denn ich würde ihr Zeit geben. Immerhin waren die blauen Flecken sowie der Schnitt an ihrem Hals immer noch deutlich zu sehen.
Ich fing an ihr das Buch vorzulesen. Die Richtung des Buches hatte ich nie zuvor gelesen, denn es war kein Lehrbuch. Es ging um zwei Menschen, die sich verliebten. Und würde Kendra nicht so lächeln, dann hätte ich es beiseite gelegt, denn es spiegelte meine Gefühle so gut wieder. Und je weiter ich kam, desto stärker waren die Emotionen darin und auch in mir. Das Paar kämpfte, um ihre Liebe und am Ende des Buches waren sie eine Familie geworden und hatten ein Kind bekommen.
Ich schloss das Buch. Überfordert mit dem Glück, dass sie gefunden hatten. »Aiden? Ist alles okay?« sagte Kendra sanft. »Ja, das Buch war gut.« Sagte ich auf meine typische, kalte Art. »Bist du dir sicher?« fragte sie weiter. Ich atmete tief durch. »Drachen vergessen nie Kendra. Und ich werde meine Eltern nie vergessen.« antwortete ich ihr zaghaft und auch verwirrt. »Was ist mit ihnen geschehen?« Ich war mir nicht sicher, ob ich es ihr sagen konnte.
Ein Teil vom mir wollte es, aber der andere Teil von mir nicht. »Menschen« sagte ich wütend und traurig zugleich. Kendra setzte sich auf und ich nutze die Zeit, um aufzustehen. »Aiden!?«, brachte sie mich zum Stillstand. »Ich habe mich in dich verliebt Kendra. Aber ich kann nicht vergessen was die Menschen mir angetan haben. Sie haben mir alles genommen.«
Kendra sagte nichts. Sie schlang ihre Arme von hinten um meinen Körper und ihre Hände blieben auf meinem Herzen liegen. Ihr Gesicht drückte sie dabei leicht gegen meinen Rücken. Auch jetzt schenkte sie mir mehr Frieden als ich all die Jahre empfunden hatte. »Du würdest eine gute Wahl mit Elena treffen. Sie ist wunderschön und sie könnte dir schenken wovon ich denke, dass du es dir wünscht. Eine Familie.«
Sie war ein guter Mensch. Und ich war der böse Drachen, der es nicht zu schätzen wusste. Denn ich wollte von Kendra hören, dass sie das Gleiche für mich empfand wie ich für sie. Doch sie sagte es nicht. »Ist es das was du willst?« fragte ich sie also direkt. »Es genügt mir, wenn ich nur bei dir bleiben dürfte, Aiden. Nie hatte ich etwas in meinem Leben, aber nun bist du da. Und ich möchte, dass du glücklich bist.« antwortete sie frustrierenderweise. Ich seufzte auf. Selbst der Kampf mit Victor war nicht so schmerzhaft wie das hier.
»Ich werde dir das nie geben können« sagte sie traurig und zitternd und das veranlasste mich, mich umzudrehen. »Was empfindest du für mich Kendra? Sag es! Ich will es wissen!« fragte ich sie aufgebracht und ungeduldig. Sie nahm ihre Hände von mir und legte sie ineinander. »Ich gebe dich frei, in der Hoffnung, dass sich deine Wünsche erfüllen. Was meinst du also, was ich empfinde?« Sie blickte mir dabei in die Augen und mein Herz setzte aus nur um sofort schneller zu schlagen.
»Kendra!?« sagte ich erstaunt. Auch wenn ich es mir gewünscht hatte, so überraschte es mich dennoch. Ich ging einen Schritt auf sie zu, aber sie hielt nun ihre Händflächen abwehrend auf meiner Brust. »Halte mich nicht auf, wenn ich dir zeigen möchte was ich für dich empfinde!« befahl ich ihr. Doch sie schüttelte den Kopf. Ich knurrte und entfernte mich von ihr und ihren Spielchen mit meinen Gefühlen. Wusste sie nicht wie weh das tat?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top