Teil 1 | Offenbarung
Zum ersten Mal sah ich sie vor etwa drei Wochen, als ich mir einen Mitternachtssnack genehmigen wollte.
Ich dachte mir nichts dabei, als ich die dicken schwarzen Käfer auf den Küchenfliesen erblickte.
Zugegeben, etwas angeekelt haben sie mich schon, dennoch unterdrückte ich das Bedürfnis, sie zu zerquetschen.
Es waren nicht viele, bloß drei an der Zahl.
Sobald die ersten Sonnenstrahlen die Küche erhellten, würden sich die Viecher wieder verkriechen, da war ich mir sicher.
Ich sollte mit meiner Vermutung Recht behalten.
Am nächsten Morgen kam ich nur schwer aus dem Bett.
Der Wecker klingelte bereits zum dritten Mal, als ich endlich die Kraft aufbringen konnte, ihn auszuschalten.
Um neun Uhr war ich mit Marlies zum Frühstücken verabredet.
Im Gegensatz zu mir war sie eine leidenschaftliche Frühaufsteherin.
Das war einer der Gründe, wieso wir die Nächte nicht zusammen verbrachten.
Nichtsdestotrotz waren wir sehr glücklich in unserer Beziehung.
Ich stand auf, duschte mich und zog mich an. Nichts Besonderes.
Die Zeiten, in denen ich lange überlegen musste, was ich auf ein Date mit ihr anziehen könnte, waren vorbei.
Zum Glück.
Das hatte mich immer wahnsinnig viel Zeit gekostet.
Mittlerweile waren wir an einem Punkt in unserer Beziehung angekommen, an dem es uns relativ egal war, wie der Partner aussah.
Marlies schminkte sich nicht mehr so übertrieben wie früher.
Auch ihre Frisuren sahen nicht mehr so aufwendig aus, wie noch vor einem Jahr.
Das sparte ihr sicher viel Zeit im Bad.
Als ich das Café betrat, saß Marlies bereits an unserem Stammtisch.
Mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen winkte sie mich zu sich.
Wie konnte sie um diese Uhrzeit schon so gut gelaunt sein?
Zur Begrüßung gab sie mir einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund, welchen ich sofort erwiderte.
"Na, hast du es auch endlich hierher geschafft?"
"Was soll das denn heißen? Ich bin gerade mal fünf Minuten zu spät."
"Wirklich? Mir kommt es so vor, als hätte ich ewig auf dich gewartet."
Marlies' blaue Augen leuchteten noch mehr als sonst, wenn wir uns sahen.
Sie wirkte total aufgekratzt, als hätte sie eine seltsame Entdeckung gemacht, von der sie mir unbedingt berichten wollte.
"Gibt es irgendwas, das du mir erzählen willst?", fragte ich vorsichtig.
"Wow, du hast mich durchschaut. Es gibt tatsächlich großartige Neuigkeiten."
Ihr Grinsen schien noch breiter zu werden, auch wenn das eigentlich gar nicht mehr möglich war.
Ein ungutes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.
Obwohl Marlies noch nichts gesagt hatte, wusste ich bereits, dass es sich um nichts Gutes handeln konnte.
Ihr Blick sagte mehr als tausend Worte.
"Setz dich erstmal hin. Nicht, dass du noch aus den Latschen kippst, wenn ich es dir erzähle."
Sie schien bemerkt zu haben, dass es mir nicht so gut ging.
Ich folgte ihrem Rat und ließ mich auf den hübsch verzierten Stuhl sinken.
Mein rechtes Bein begann nervös zu wippen, als Marlies mir gegenüber Platz nahm.
Gleich würde sie es sagen.
Jeden Moment war es soweit.
Ich merkte, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.
Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde ich nervöser.
Verdammt, jetzt spucks schon aus!
"Ich bin schwanger."
Ich hatte es zwar bereits befürchtet, dennoch ließen mich ihre Worte zu Eis erstarren.
Ein Kind war wirklich das Letzte, was ich in meinem Leben gebrauchen konnte.
Marlies hatte zwar schon öfter davon gesprochen, dass sie sich ein Kind wünschte, doch ich hatte es nie wirklich ernst genommen.
Jetzt hatte ich den Salat.
Ich musste so tun, als würde ich mich darüber freuen, was weitaus schwieriger war, als es sich anhörte.
"Das ist toll", brachte ich hervor, jedoch ohne die nötige Überzeugung.
"Was ist los? Freust du dich nicht? Wir zwei werden ein Baby bekommen!"
"Doch, ich freue mich. Das kam nur etwas überraschend."
"Keine Sorge. Ich bin sicher, dass wir ein wunderbares Leben mit unserem Kind führen werden."
"Seit wann weißt du es?"
"Seit gestern. In letzter Zeit war mir häufig übel, da hab ich einen Test gemacht."
Ich hörte ihr schon gar nicht mehr richtig zu.
Etwas Anderes hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Ein dicker schwarzer Käfer krabbelte über die mit Spitze geschmückte Tischdecke.
Er schien der selben Art anzugehören, wie jene, die ich gestern in der Küche gesehen hatte.
Es war seltsam.
Marlies bekam normalerweise immer furchtbare Panik, wenn sich Insekten in ihrer Nähe befanden.
Wahrscheinlich hatte sie ihn vor lauter Euphorie wegen des Kindes gar nicht bemerkt.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top