Vierzig

Ich schlug die Augen auf. Ein Blick durch das Fenster verriet, dass es draußen schon hell war. Etwas bewegte sich hinter mir und ich wandte mich um. Seit drei Tagen waren wir nun schon auf der Burg und ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt mit Brian im Bett aufzuwachen. Im Schlaf sah er so entspannt aus. Ich strich durch seine Haare und kuschelte mich wieder an seine Seite. Für einen Moment schloss ich noch einmal die Augen und genoss den Moment. Bis ich spürte, dass er mir über die Haare strich. Ich blinzelte ihn an. Selbst mit verschlafenem Gesichtsausdruck sah er noch unglaublich gut aus.

"Bereit für den heutigen Tag?", fragte er mich.

"Warum nicht?", murmelte ich verwirrt.

"Heute ist deine erste Jagd", erinnerte mich Brian und ich stöhnte auf.

Die Jagd hielten die Wölfe öfter ab, um den Gemeinschaftssinn zu stärken. Ich hatte überhaupt keine Lust den Wölfen beim Erlegen der Tiere zuzusehen. Aber wie es aussah, blieb mir nicht wirklich eine Wahl. Ich rollte mich aus dem Bett. Mit Essen im Bau würde ich auch diesen Tag überstehen. Ich zog mich an und ging dann zu meinen Schätzen. Das Kästchen stand neben dem Bett. Ich versteckte es nicht mehr, immerhin wurde es nun vom super bösen Wolf bewacht. Ich öffnete den Deckel und holte das silberne Armband, welches Brian mir geschenkt hatte raus. Einige Anhänger waren noch dazu gekommen. Aber es war auch noch Platz für neue. Mein Elsterherz hüpfte vor Freude als ich das glitzernde Armband um mein Handgelenk legte. Ungeschickt versuchte ich den Verschluss zu schließen. Plötzlich schlangen sich Arme um mich. Brian nahm den Verschluss des Armbandes bevor ich es fallen lassen konnte. Trotz seine großen Finger schaffte er es ohne Probleme zu verschließen. Er vergrub das Gesicht in meinen Haare und drückte mich enger an sich. Er pustete in meinen Nacken und ich kicherte.

"Lass das, Brian. Sonst kommen wir zu spät zum Frühstück."

"Hmm", brummte Brian, "niemanden interessiert es, wenn wir später kommen."

Er begann an meinem Hals zu knabbern. Ich ließ meinen Kopf nach hinten sinken.

"Meinen Magen interessiert es", widersprach ich.

Trotzdem machte ich keine Anstalten mich von ihm zu lösen. Damit hatte Brian die kleine Diskussion gewonnen. Ich sollte wirklich widerstandsfähiger werden.

Letztendlich kamen wir kurz vorm Ende des Frühstücks in die große Halle. Die meisten waren schon fertig mit essen. Ich verschlang die übrig gebliebenen Reste, welche nichtsdestotrotz sehr lecker waren. Froh heute nicht mit dem Abwasch dran zu sein, folgte ich Brian in den Hof. Viele hatten sich hier schon versammelt. Einige Wolfswandler hatten sich verwandelt. Ich sah einen Menschenmann neben seine gewandelten Gefährtin stehen. Er strich ihr über den Kopf und schien sich genauso auf die Jagd zu freuen wie sie. Warum nur? Brian tippte mir auf die Schulter. Ich wandte mich zu ihm.

"Du solltest dich auch verwandeln", meinte er.

Ich runzelte die Stirn.

"Warum?"

Er grinste nur.

"Das ist eine Überraschung."

Die Elster in mir hob neugierig den Kopf. Ob die Überraschung glänzend war?

"Na gut", sagte ich und versuchte nicht allzu begeistert zu klingen.

Ich wollte mich auf den Weg zum Turm machen. Brian schnappte sich meinen Arm bevor ich entwischen konnte.

"Kommt überhaupt nicht in Frage", knurrte er.

Dann küsste er mich stürmisch. Die Aufregung über die Überraschung und die Glücksgefühle des Kusses ließen ein vertrautes Kribbeln in mir aufsteigen. Ich ließ es zu und flatterte im nächsten Moment mit den Flügeln. Natürlich verhedderte ich mich in meiner Kleidung und landete auf dem Boden. Empört krächzte ich auf und schaffte es mit Brians Hilfe mich zu befreien. Ich suchte mein Armband und nahm es in den Schnabel. Dann flog ich auf Brians Schulter. Er legte meine Sachen ordentlich zusammen und streckte mir die Hand entgegen.

"Wir legen das Armband zu deinen Sachen sonst geht es unterwegs noch verloren."

Ich reagierte nicht. Niemals würde ich das Armband hier liegen lassen. Es konnte schließlich jederzeit geklaut werden. Brian runzelte die Stirn.

"Komm schon, Spätzchen. Sei doch nicht so stur."

Nö, keine Chance. Ich würde das Armband einfach während der Jagd bei mir behalten.

"Du kannst es doch nicht die ganze Zeit festhalten", argumentierte Brian.

Äh, doch? Genau das hatte ich vor.

Auf einmal hellte sich Brians Gesicht auf.

"Hey, Tayo", rief er und winkte.

Ich drehte mich um und sah den Welpen mit enttäuschter Miene auf uns zukommen. Nanu, was war denn mit dem Wölfchen los?

"Hallo El", murmelte er, "Brian wann darf ich denn auch endlich mit auf die Jagd?"

Oh je, da war aber einer traurig, weil er nicht mit durfte. Meinetwegen konnten wir gerne tauschen.

"Schon ganz bald, Kleiner. Eigentlich wollte ich dir ja eine ganz wichtige Aufgabe übertragen."

Tayo horchte auf.

"Was denn für eine Aufgabe?"

Brian machte eine bedeutungsschwere Pause und beugte sich vor.

"Du musst auf Elviras Armband aufpassen. Sie will es mir nicht geben, aber wenn du versprichst darauf aufzupassen, lässt sie es bestimmt los."

Tayo nickte begeistert.

"Das mache ich."

Er streckte die offene Hand aus. Ach Mist, ich würde dem kleinen Welpen das Herz brechen, wenn ich ihm mein Armband nicht anvertraute. Außerdem konnte diesen Kinderaugen keiner widerstehen. Ich öffnete meinen Schnabel und ließ das silberne Armband in seine Hand fallen. Er strahlte, winkte noch einmal und lief dann davon. Brian richtete sich mit mir auf der Schulter auf. Ein Horn erklang. Ernsthaft? Ich hätte nicht gedacht, dass die Wölfe so altmodisch waren. Alle verwandelten Wölfe stimmten mit einem Jaulen ein. Ich flatterte mit den Flügeln und erhob mich in die Luft, um Brian die Möglichkeit zu geben sich zu verwandeln. Ich kam nur kurz in den Genuss seines nackten Körpers. Dann verwandelte er sich und ein Wolf trat an seine Stelle. Seine Kleidung ließ er achtlos liegen. Er warf einen Blick zu mir. Ich krächzte als Antwort.

Als sich das Burgtor öffnete, stimmte er in das Jagdgeheul mit ein. Die Wölfe preschten los. Brian folgte ihnen. Ich flog über das Burgtor und schloss mich ihnen an. Einige Wölfe trabten mit ihren menschlichen Gefährten etwas langsamer hinterher. Die erste Beute war schnell gefunden. Es war ein Kaninchen. Schaudernd sah ich zu wie es vom Jäger verspeist wurde. Gut, in Elstergestalt aß ich auch Käfer und Insekten. Aber das war was anderes, nämlich keine kleinen, flauschigen Häschen. Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass ich mich mit der Jagd nicht mehr anfreunden würde als Brian sich plötzlich von den anderen Wölfen löste. Neugierig folgte ich ihm. Wir entfernten uns immer weiter von den anderen. Brian schaute ob ich noch da war. Dann beschleunigte er sein Tempo. Mühelos folgte ich ihm. Er führte mich immer weiter.

Der Waldweg wurde steiler und erschwerte Brian das Vorankommen. Ich blieb dicht bei ihm. Dann öffnete sich der Wald und eine Klippe erlaubte den Blick auf den Wald unter uns. Staunend ließ ich mich auf einem Ast nieder. Die Luft war klar und ich konnte sehr weit sehen. Ein Adler kreiste über den Baumkronen. Hinter dem Wald begannen einige Felder. Brian schnaubte einmal kurz und machte mich dadurch auf ihn aufmerksam. Ich schaute ihn an. Er drehte seinen Kopf auffordernd in eine Richtung und trabte dann los an der Klippe entlang. Ich stieß mich vom Ast ab und flog los.

Auf einmal sah ich in einiger Entfernung etwas aufblitzen. Neugierig löste ich mich von Brian und flog voraus. Ich landete in dem dichten Blätterdach eines Baumes und schaute mich um. Mein Elsterinstinkt war geweckt. Da war es wieder, ein silbernes Glitzern. Ich tapste näher und staunte nicht schlecht als ich den silbernen Anhänger sah. Es war so einer, der an mein Armband passte. Ein jagender Wolf war das Motiv. Durch die Öse war ein Faden gezogen worden, welche am Ast festgemacht war.

Vorsichtig löste ich den Anhänger und nahm den Faden in den Schnabel. Ich flog wieder nach unten und landete auf einem niedrigeren Ast. Brian saß unter den Baum und hatte auf mich gewartet. Er zeigte seine Zähne, die wölfische Art zu grinsen. Ich schüttelte den Kopf. Es war so unglaublich, dass er das für mich gemacht hatte. Er hatte sich eine Jagd für mich ausgedacht. Ich konnte gar nicht anders als ihn dafür noch mehr zu lieben. Auffordernd sprang Brian auf und ich folgte ihm als wir uns zusammen auf den Rückweg machten. Jetzt verstand ich, warum die Wölfe an der Tradition der Jagd festhielten. Für sie war es ein Spiel, das den Zusammenhalt stärkte.

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