Ich wartete und wartete. Er erschien nicht. Was hatte er bloß zu tun ? Mir fiel wieder ein, dass er ein König war. Natürlich hatte er Verantwortungen, Untertanen, um die er sich kümmern musste. Meine Augen fixierten die Uhr gegenüber von mir. Wie lange saß ich schon auf meinem Sofa ? Der Zettel, die er hinterlassen hatte, in meiner Hand. Ohne ihn fühlte ich mich verwundbar. Ich mochte die Erkenntnis nicht, schon jetzt abhängig zu sein und dennoch sehnte ich mich egoistisch um das Gefühl von Geborgenheit, die nur er mir gewähren konnte. Ich sehnte mich nach ihm. Seufzend beobachtete ich die Sonne, die sich wieder zurückzog und Althea, die sich empor kämpfte. Augenblicklich hatte ich den Instinkt, herauszugehen. Zu ihr, um ihre Schönheit zu betrachten.

Aus meinem Schrank nahm ich eine ausgeleierte dünne Strickjacke und zog sie mir über. Es hatte eine Kapuze, die ich mir überzog. Ich zog mir meine Schuhe an, nahm meinen Hausschlüssel und trat raus. Das Wetter war kühl. Um das letzte bisschen Wärme noch zu erhalten, zog ich mir die Strickjacke enger an meinen Körper und verschränkte die Arme davor. Mein Haus war vielleicht heruntergekommen, aber die Umgebung war wunderschön. Es stand inmitten von Gras, das mir bis zu meinem Schienbein reichte. Es sah wild, aber atemberaubend aus. Efeu klammerte sich an das Gemäuer fest. Die Vorderseite war fast schon überwuchert. Das Haus war eins mit der Natur.

Ich bückte mich und strich mit meinen Fingern über das Gras. Sie waren leicht feucht und kalt. Einzelne Nebeltropfen hingen an ihnen. Unbekümmert setzte ich mich darauf und merkte wie meine Jogginghose nass wurde. Der Mond war nun vollends am Himmel und leuchtete in voller Pracht.

» Althea «, hauchte ich in die Nacht.

Als würde sie mich hören, erschien es mir so, als ob der Mond jetzt mehr strahlen würde. Ich hatte ihre menschliche Form gesehen. Ich sah, wie sie vor ihren Geliebten explodierte. Wurde Zeugin ihrer Qual und ihrer Schreie. Es war so, als würde ich sie mein Leben lang kennen. Kannte sie mich ? Wusste sie, dass Belial mir ihre Vergangenheit gezeigt hatte ? Konnte sie mich verstehen ? Vermisste sie Luzifer ? Tief in meinen Gedanken versunken erwartete ich nicht, ihre melodische Stimme in meinem Kopf zu hören.

» Aldreda «.

Ihre Stimme hallte ganz leise in meinem Kopf. Verdattert blickte ich mich um und erwartete schon, sie vor mir zu finden. Da war jedoch keiner. Sie sprach telepathisch mit mir. Das war unmöglich. Ehrfürchtig stand ich auf und versuchte zu ihr zu laufen. Was lächerlich war. Uns trennten mehr als 384.400 Kilometer voneinander. Wie konnte es sein, dass ich sie hörte ? Konnte sie, außer mir, noch jemand hören ? Ein weitaus schlimmerer Gedanke kam mir. Sie hatte mir zugesehen. Die Folterungen, die Vergewaltigungen, meine Ausblutungen. Alles. Sie kannte mich wohl besser, als ich es mir gedacht hatte. Aber wieso konnte ich erst jetzt ihre Stimme hören und nicht davor ? Ich hatte die Schönheit des Mondes immer bewundert und immer wenn ich keine Möglichkeit hatte zu fliehen, floh ich zu ihr. Betrachtete ihre wundersam schöne Art und stellte mir vor, weit, weit weg von der Erde zu sein. Weit weg von meinem Körper, der geschädigt wurde. Und nun standen wir uns gegenüber. Zwei Verletzte. Eine Überlebende. Ich hatte mich immer an ihr festgeklammert. Sie war mein Fels in der Brandung gewesen. Und dann tat ich etwas, das keiner von uns erwartete. Ich verneigte mich vor ihr. Nicht mal vor Belial hatte ich mich verneigt. In dieser Position sprach ich.

» Ich werde leben, Althea. Für uns beide «.

Denn egal, was ich tat, ich hatte keine Macht, die Vergangenheit zu ändern. Wenn ich das könnte, würde ich es augenblicklich tun. Ich war machtlos. Das wussten wir beide. Und wir beide wussten, wie ich das Leben verabscheute. Wie oft ich versucht hatte, mir das Leben zu nehmen. Ich hatte um den Tod gebettelt. Und sie hatte es mit angesehen. Deswegen wussten wir, was für ein Opfer das für mich war, für uns beide zu leben. Nun würde ich mich an das Leben klammern, für sie. Ihr Hoffnung geben, einst, wie sie es mir immer gegeben hatte.

Kleine, kühle Regentropfen fielen auf mich herab. Der Wolken hatten sich verdichtete, fassten den Mond jedoch nicht an. Sie weinte. Und während sie weinte, weinte der Himmel mit ihr. Ich streckte meine Finger aus und berührte die Regentropfen. Wie oft hatte sie mich weinen gesehen ? Nun stand ich da und betrachtete, wie sie weinte. Als würde ich es mir einbilden, hörte ich ganz leise ihr schluchzen.

» Es ist okay. Alles wird wieder gut «.

Ich log. Nichts würde wieder gut werden. Sie würde niemals wieder mit Luzifer zusammenkommen, war eingesperrt im Mond. Aber ja, es war okay. Sie war nicht mehr allein. Ich war bei ihr. Wenn es sein müsste, würde ich jede Nacht herauskommen und draußen schlafen, damit sie sich nicht mehr einsam fühlte. Schlagartig verstummte ihr Schluchzen. Es schien, als hätte sie etwas erschreckt. Doch die Regentropfen hatten nicht aufgehört. Die Dusche war umsonst gewesen, bemerkte ich nebenbei.

» Achtung...Dämon...Hinter dir « , hörte ich sie abgehackt sagen. Ich konnte nicht recht einordnen, was sie sagen wollte. Deswegen versuchte ich, sie zu beruhigen. Doch je mehr ich versuchte, sie zu besänftigen, desto panischer wurde sie. Sie warf wirre Wörter um sich und schrie mich an. Ich verstand die Wörter nicht. Es waren wie elektronische Magnetwellen, die mich nicht erreichen wollten.

» Aldreda, hinter dir ! «, kreischte sie nun völlig laut und ich hielt mir die Ohren zu. Verunsichert drehte ich mich um und da. Tatsächlich stand jemand Hochgewachsenes. Bestimmt war es Belial. Er war zurückgekommen. Die Anspannung wollte meinen Körper aber nicht verlassen. Die Warnungen von Althea machten es mir auch nicht leichter.

» Keine Angst, es ist nur Belial «.

» Nein, nein, nein, er...nicht Belial. Gefährlich ! «.

Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, die Gestalt einzuordnen. Es regnete zu stark, um etwas zu erkennen. Das Mädchen weinte nun verzweifelt. Mit vorsichtigen Schritten ging ich auf die Gestalt zu. Der Wind wehte augenblicklich den Geruch von Tod, Asche und Verwesung zu mir und ich erstarrte. Das war nicht Belial. Mein Blick schnellte zur Haustür, die das Wesen versperrte. Verdammt! Ich hatte alles, das mich beschützen konnte, im Haus gelassen, mit dem Glauben, ein paar Minuten draußen wäre ich sicher. Ein waghalsiger Fehler. Mit einem Ruck stürzte sich der Dämon mit einem animalischen Schrei auf mich. Mir blieb keine Zeit. Voller Wucht prallten wir auf dem nassen Boden auf. Schmerz durchzuckte mich. Die Wucht war so heftig, dass alle Luft aus mir herausgepresst wurde. Ohne Vergeudung beugte sich das Vieh zu mir herunter. Es bestand aus Asche, hohlen Augen und hatte ein ewiges Grinsen auf seinem Gesicht. Die knochige Nase pustete mir schwarzen Dampf entgegen und ich hustete. Der Körper war sehr schlank, der Kopf zu groß. Das Geräusch von prasselnden Flammen weckte meine Aufmerksamkeit. Scheiße. Aus seinem Mund tropfte Feuer. Ein paar Tropfen bekam ich ab und ich kreischte auf. Es versengte meine Haut.

Aus seinem ewigen Grinsen kam eine lange Zunge, die genüsslich meine aufgeplatzte Wunde leckte. Auch die Wunden in meiner Handfläche blutete. Seine Zunge bestand auch aus Feuer und es war eine reine Plage. Mit letzter Kraft stieß ich ihn von mir und zückte meine Klinge. Ganz ohne Schutz war ich nun auch nicht. Ich sprang auf die Beine. Wir schätzten uns ein. Dämonen waren nicht dumm. Jeder von ihnen hatte ein individuelles Gehirn. Genau das machte sie so gefährlich. Das Grinsen erweiterte sich und krumme, scharfe Zähne kamen zum Vorschein. Ich nahm mein Blut und schmierte sie auf die Klinge. Eine leichte Magie war besser als keine Magie. Mit voller Konzentration las ich den Spruch laut vor.

» Custodi me a malo «.

Nun war ich, der den ersten Schritt tat und ich hob die Klinge. Mit einer fließenden Bewegung schnitt ich ihm in den Arm. Ein Brüllen kam von seinerseits. Jetzt war er wütend. Zornig drehte er sich zu mir um. Das Adrenalin verhinderte, die Schmerzen wahrzunehmen. Ich war froh darüber, sonst würde ich mich auf den Boden schmeißen und nur noch herumschreien. Der Dämon hätte es mehr als leicht, mich umzubringen. Das durfte ich nicht zulassen. Nicht, nachdem ich ein Versprechen an Althea gegeben hatte. Ich würde kämpfen. Für uns beide. Da der Boden nass war, nutze es zu meinem Vorteil. Ich nahm Anlauf. So auch das Vieh. Wir rannten aufeinander zu und genau als er sich auf mich stürzen wollte, ließ ich mich fallen und rutschte ein paar Meter weiter. Während ich glitt, fügte ich ihm eine tiefe Wunde ins Bein.

Der Dämon wand sich und knurrte aufgebracht. Schwarzes Blut floss und erfüllte die Luft mit einem widerwärtigen Duft. Kniend versuchte ich zu Atem zu kommen und ignorierte meine Wunden. Zuversichtlich ergriff ich die Klinge fester. Auch wenn ich sterben würde, würde ich kämpfend sterben. Die Wunde des Dämons schloss sich langsamer als der von Belial und das war mein Stichwort. Gerade als ich die Klinge in sein Herz bohren wollte, warf sich jemand anderes von hinten auf mich. Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte mit dem Kopf auf den Boden. Der Aufprall kam unvorbereitet. Meine Sicht verschwamm und ich keuchte. Die Klinge rutschte mir aus meiner Hand. Noch ein Dämon. Der war anders als der andere.

Meine Sicht drehte sich und doch nahm ich jedes Detail wahr. Kalte Augen, blubbernder Kopf, pummelige Nase, massiver und robuster Körper. Er sah fast schon aus wie Hulk. Überall, wo er den Boden berührte, blieben Brandspuren zurück. Stöhnend richtete ich mich auf und schwankte auf meine Haustür zu.

Bitte, lass mich mein Haus erreichen.

Wie sooft wurde meine Bitte nicht erhört. Der neu dazugekommene Dämon packte meine Haare und zog mich zurück. Meine Kapuze war während des Kampfes verrutscht und tat ihm leichteres, mich zu packen. Er schlang die Arme um meinen Körper, als würde er mich umarmen wollen. Doch ich wusste es besser. Er verstärkte seinen Griff und schon hörte ich, wie meine Muskeln brachen. Markerschütternde Schreie verließen meinen Mund. Meine Füße baumelten in der Luft und meine Arme waren eingeklemmt. Ich würde sterben. Die Schmerzen nahmen immer mehr zu. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich schrie so laut, dass mir die Stimmbänder wehtaten. Gerade als er den letzten Ruck machen wollte, wurde er von mir weggezogen.

Ich fiel. Schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Ich spürte nur nebenbei die Tränen, die Althea nun für mich vergoss. Sie prasselten sanft auf meinem Gesicht. Um mich herum hörte ich kämpfende Geräusche. Klinge, die auf scharfe Nägel schlug. Knurren, fluchen und erstickte Töne. Nur mit größter Anstrengung drehte ich meinen Kopf zu den Kämpfenden und ich sah Belial. Um uns war inzwischen eine Schar Dämonen versammelt. Nicht nur zwei. Und er kämpfte allein. Ich lag so gut wie tot inmitten von allen. Mehr schlecht als recht versuchte ich, meine Hand nach ihm auszustrecken. Doch die leichteste Bewegung bescherte mir höllische Schmerzen. Ich stöhnte auf. Als hätte mich Belial gehört, trafen sich unsere Blicke. Wildheit spiegelte sich darin. Blitzschnell, zu schnell für mein menschliches Auge, traf er jeden Dämon mit seinem Dreizack mitten ins Herz. Die gingen brüllend in ein Leuchtfeuer auf und wurden in die Unterwelt gezogen. Der Kampf nahm langsam ab. Die übrigen Dämonen flohen, als sie sahen, was mit seinen Kameraden passiert war, und der König rannte zu mir. Sein verzweifeltes Gesicht schob sich in meine Sichtweite.

» Bleib bei mir «.

Seine Stimme war atemberaubend, wie er selbst. Ich wollte ihm antworten, doch als ich meinen Mund öffnete, ergoss sich Blut daraus. Ich erstickte darin. Belial fluchte mit aller Kraft. Ich wurde aufgehoben. Aber nicht von Belial, sondern von seinem Schatten. Auch wenn ich im Sterben lag, respektierte er meine Grenzen. Ich war dankbar. Wenn ich starb, dann in seinen Armen und in Sicherheit.

» Hast du mich gehört ? Ich lasse dich nicht sterben. Ich kriege dich wieder hin. Kämpfe. Nur die paar letzten Sekunden, Aldreda «.

Ich stürzte in den Abgrund.

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