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Komplett benommen bemerkte ich, wie ich auf dem Boden meines Wohnzimmers lag. Belial lehnte an derselben Stelle. Vorsichtig berührte ich meine Ohren. Meine Trommelfelder schienen unversehrt. Ich konnte normal hören. Erst nachdem ich mich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war mit meinen Ohren, lauschte ich auf meine schweren Atemzüge.
» Es tut mir so leid «, krächzte ich.
Er ging nicht darauf ein. Stattdessen ließ er seinen Schatten aus sich hinausgleiten. Dieser kam behutsam auf mich zu und streckte seine Hand nach mir. Zögerlich ergriff ich sie und er zog mich auf die Beine. So schnell wie er gekommen war, so schnell löste sich der Schatten auf.
» Was ist mit ihm passiert ? Danach, meine ich «.
» Er wurde König von Fogyln. Man nennt sie auch das Reich der Verlorenen. Eigentlich passend, wenn man bedenkt, was er alles verloren hatte. Ist fast schon zu ironisch «, meinte der Dämon augenverdrehend. Neugier löcherte mich. Wie sah sein Reich wohl aus ? Bestand sie nur aus verlorenen Seelen, die einfach umherschwirrten? Gerade als ich meinen Mund öffnete, um ihm meine brennende Frage zu stellen, kam er mir zuvor.
» Du solltest duschen. Du zitterst am ganzen Körper «.
Verdattert sah ich an mir hinunter. Tatsächlich. Ich bebte wie Erbsenlaub. Die Geschehnisse hatten mich mitgenommen. Wie auch nicht, wenn ich ein Mädchen dabei zusah, wie sie in Millionen von kleinen Molekülen explodierte. Und die verzweifelten Schreie von Luzifer. Die letzten liebkosenden Sätze. So war also die Liebe. Wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich räusperte mich.
» Ja, das sollte ich vermutlich «.
Mit wackeligen Beinen ging ich in mein Schlafzimmer und kramte mir ahnungslos Klamotten hervor. Eine alte schwarze Jogginghose, dunkelblaues langärmliges, schlichtes Oberteil und Unterwäsche. Während ich mit den Sachen in den Händen zum Badezimmer stampfte, überlegte ich mir, wie plötzlich sich mein Leben verändert hatte. Von heute auf morgen. Aber ich wusste, dass ich nie ein normales Leben haben würde. Und doch kam alles überraschend. Nie hätte ich auch nur vermutet, mich mit einem Dämon zusammenzutun. Erst recht nicht duschen zu gehen, während ich wusste, dass der König einfach in meinem Wohnzimmer saß. Ohne jegliche Vorsichtnahmen genommen zu haben.
Bizarr.
Nichtsdestotrotz schloss ich die Tür hinter mir zu. Ich wusste, dass das unnötig war. Dämonen konnten durch die Wände. Königliche Dämonen sowieso. Dennoch gab es mir ein kleines Gefühl von Sicherheit. Ich zog mich aus und stopfte die dreckigen Klamotten in meinen Wäschekorb. Die musste ich auch irgendwann nach Farben sortieren und waschen. Nachdem ich die Temperatur eingestellt hatte, stellte ich mich unter den warmen Strahl. Meine verspannten Muskeln lockerten sich und das Beben ließ nach. Genüsslich seufzte ich auf. Das war genau das, was mein Körper und ich gebraucht hatten. Um mir die Zeit zu vertreiben, massierte ich nur langsam meine Haare mit Shampoo ein, ließ sie für einen Moment einwirken, um sie danach abzuspülen. Ich stellte mein Gesicht komplett unter dem Strahl. Ich hörte nichts, außer Wasser, das an meinem Körper ab prasselte und auf den gefliesten Boden fiel. Es wirkte beruhigend. Hier waren keine Dämonen, keine widerwärtigen Geister, die mich heimsuchten, keine schreckliche Vergangenheit. Nur ich und das Geräusch des Wassers.
Ich streckte mich nach dem Duschgel aus und presste eine kleine Menge auf meinen Duschschwamm. Und genauso holte mich die Vergangenheit schnell wieder ein, als ich die verheilten Narben spürte, die sich wie Knubbeln auf meiner Haut lagen. Mein Rücken war voll von Narben, die die Auspeitschung zugefügt hatte. Mein Gesicht, meine inneren Schenkel, mein Bauch. Ich war übersät von Narben. Althea kam mir in den Sinn. Ihre makellose, wunderschöne Haut. Der Hass und die Trauer, die über mich hinwegspülten, waren auf meine schon toten Feinde gerichtet, nicht auf meinen Körper selbst.
Sei kein Narr. Wenigstens lebst du noch, sie hatte keine Chance.
War das denn so ? Konnte man das Leben nennen ? War Althea wirklich tot ? Das bezweifelte ich. Ihr Körper ja, aber nicht ihre Seele. Ich konnte die Angst, die Trauer und die bedingungslose Liebe zu Luzifer spüren, als dieser sich in die Unterwelt verbannen ließ. Ihre Seele war immer noch lebendig und schien jede Nacht auf uns hinunter. So viele Sachen hatte sie hinter sich und dennoch schien sie. Ich hatte nicht bemerkt, wie ich meine Augen geschlossen hatte; deswegen schrie ich auf, als ich Belial direkt vor mir stehen sah. Den Kopf leicht schräg gelegt. Sein Blick war auf meine Narben fixiert. Beklommen versuchte ich meine entblößten Stellen zu verstecken. Was zum Teufel machte er hier ?
» Was machst du hier ? Was soll das ? «, maulte ich aufgebracht.
Er konnte soviel er wollte ein Dämonenkönig sein, aber nicht mit mir. Auch ich hatte meine Privatsphäre. Es war beschämend, nackt vor ihm zu stehen. Doch je länger er vor mir stand, desto schneller verrauchte mein Zorn an ihm. Es hatten mich dutzende Menschen nackt gesehen. Machte es überhaupt noch einen großen Unterschied ? Ein Wesen mehr oder weniger. Darauf kam es auch nicht mehr an. Und wahrscheinlich sah er weitaus mehr nackte Körper in der Hölle. Oder sollte ich Seelen sagen ? Ich konnte mir die Unterwelt nur unter Flammen vorstellen. Überall Feuer, Schmerzensschreie, in jeder Ecke Folter. Mit jeder Sekunde, die verstrich, sanken meine Hände nach unten. Nur der Wasserstrahl trennte uns. Sein Blick schnellte zu mir, um sich zu vergewissern, ob es mir gut ging. Auf jeden Fall deutete ich das so. Also nickte ich.
» Dreh dich um «, flüsterte er sanft. Fast hätte ich ihn nicht gehört. Ohne Widerstand wendete ich mein Gesicht zur Wand und ließ zu, dass er meinen Rücken sah. Genau in dem Moment atmete er scharf ein. Das Geräusch verwandelte sich in ein leises Knurren. Meine Nackenhaare stellten sich auf, nicht vor Angst. Es war das Gefühl von Geborgenheit. Ich fühlte mich bei ihm wohl. Ich wusste, er würde mich nicht berühren. Auch wusste ich, dass er nur hergekommen war, um meine älteren Wunden zu begutachten. Und nicht meinen nackten Körper. Nein, er war gewiss besser als Menschen. Die Gefühle, die er in mir auslöste, ließen mich hart schlucken. Meine Hände umklammerten krampfhaft den Duschschwamm.
Eine leichte Berührung lenkte meine Aufmerksamkeit zu meinen Händen. Sein Schatten berührte mich. Ein kleines Lächeln legte sich auf meinen Lippen. Der Schatten löste meine schmerzenden Hände von dem Schwamm. Wie immer ließ ich ihn gewähren. Die Kühle, die von ihm ausging, war ein angenehmer Kontrast zu dem Wasser. Er verschränkte unsere Hände miteinander und drehte mich zurück. Die Schemen verblassten und schon war der Schatten wieder in ihm und wir wieder zu zweit. Sein Gewand war durchnässt und klammerte sich an seinem Körper. Ich konnte den gut gebauten Körper darunter sehen. Jeden Muskel, während er sich bewegte. Seinen Sixpack, seine breiten Schultern, seine etwas schmale Taille. Mit tropfenden Händen wischte er sich die langen, wirren Haare aus seinem Gesicht, die sich hartnäckig daran geklebt zu haben schienen. Der alte Belial sah nicht so viel anders aus als der, der vor mir stand. Dennoch konnten sie nicht unterschiedlicher sein. Mein Instinkt sagte mir, dass ich den, der vor mir stand, mehr mochte als den alten.
» Ich schwöre dir, ich werde sie alles bezahlen lassen «.
Seine Stimme war dunkler, die Augen leuchteten vor Vergeltung. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde breiter. Denn ich war mir im Klaren, dass er nicht log. Behutsam gesellte er sich zu mir. Nun standen wir sehr beide unter der leichten Fontäne. Er war größer als ich, deswegen musste ich meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können. Bodenlose Schwärze erwartete mich. Er unterbrach unseren Augenkontakt und lehnte sich weiter zu mir. Mein Herz verrutschte um einen Takt, um danach wie wild zu schlagen. Mein Körper erzitterte und das war nicht wegen Angst. Das Wasser, das auf uns niederprasselte, erschien mir inzwischen kälter. Es konnte aber auch daran liegen, da mein Körper regelrecht unter Feuer stand. Hitze breitete sich wie ein Inferno aus. Unsere Lippen waren so nah, es genügte einer winzig kleinen Bewegung. Entweder von ihm oder mir. Und schon würden sich unsere Lippen berühren.
Tu das nicht. Dämonen sind dafür bekannt, Leidenschaft auszunutzen. Sie bezirzen dich, um das zu bekommen, was sie wollen.
Mein Gehirn versuchte, mich zu warnen, aber ich verschloss mich davor. Er war kein gewöhnlicher Dämon. Er war einer, der mich verarztete, sich um mich sorgte, mir Rache schwor. Meine Augenlider flatterten zu. Wenn er den letzten Schritt tat, würde ich ihn nicht aufhalten. Seine vollen Lippen waren eine Einladung. Sein männlicher Körper, seine Stimme. Ja, sogar sein Duft. Unter dem Schwefel und Rauch konnte ich den himmlischen Geruch von Wald vernehmen. Umgefallene Bäume, feuchtes Moos, ein Duft von klarem Dunkeln, sternloser Nacht. Ich spürte, wie er sich bückte und war aufgeregt. Ich hielt den Atem an und mein Körper spannte sich wartend an. Wenn meine alte Sekte mich so sehen würde, würden sie mir applaudieren. Die Ausgeburt der Hölle hatte nun einen eigenen Dämon. Doch anstatt seine Lippen auf meiner zu spüren, spürte ich seinen Atem an meinem Ohr.
» Jeden Hieb, der deinen Körper verunstaltet hat. Jede vergossene Träne, die über deine Wangen auf den Boden getropft ist. Jeden verzweifelten Schrei, der deinen Mund verlassen hat. Jede verdammte Sekunde werden sie bezahlen «.
Die Wärme verschwand plötzlich. Verdattert öffnete ich meine Augen, um mich alleine in der Dusche vorzufinden. Hatte ich mir das alles nur vorgestellt ? War das ein absurdes Spiel meines Gehirns ? Nein, denn sein Geruch hing noch in der Luft. Schnell stellte ich die Dusche ab, rubbelte mich trocken und zog mir meine Sachen an. Währenddessen rief ich seinen Namen. Es war still. Gespenstisch still. Die Tür, die ich aufschloss, hörte sich brutal laut an in der Stille. Mein erster Gedanke war das Wohnzimmer. Aber er befand sich nicht dort. Danach trugen mich meine Beine in mein Schlafzimmer. Auch hier war er nicht. Hatte ich etwas falsch gemacht ? Er schien wie von Erdboden verschluckt. So schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Ich spazierte in die Küche und fand meine Medizin vor. Waren das nur Halluzinationen gewesen ? Hatte mein Hirn mir einen ritterlichen Prinzen gezeigt, um mich vor den schlimmen Gedanken zu beschützen ? Gerade als ich die Theorie bestätigen wollte, fiel mein Blick auf die Kücheninsel.
Dort lag ein einzelner Teller. Bei näherem Betrachten bemerkte ich, dass sich etwas darauf befand. Gekochte Eier, ein Brot bestrichen mit Marmelade und ein Glas Wasser. Ich lachte überrascht auf. Nun, das hatte ich auf jeden Fall nicht erwartet. Der König hatte mir etwas zum Essen gemacht. Aber von ihm immer noch keine geringste Spur. Grübelnd nahm ich mir das Besteck und entdeckte darunter einen Zettel. Interessiert ergriff ich sie und las die fein säuberliche Schrift.
Iss. Ich werde bald wieder da sein und vergiss deine Medizin nicht...
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