Mir fiel wieder ein, dass vor mir ein Dämon stand, auch wenn er sich als einen Mann zeigte und kroch so weit es ging nach hinten. Weg von ihm. Er hingegen setzte sich komplett hin, gegenüber mir. Stumm sahen wir uns an. Kein Ton verließ meine Lippen, wobei in mir ein Wirbelsturm von Gefühlen brauste. Auch er schien nicht sehr gesprächig. Oder es lag daran, dass er in meinen Kopf gedrungen war und meine Vergangenheit durchwühlte. Das konnten sie. Keine Gedanken lesen, dafür die Vergangenheit jedes Menschen ausfindig machen. Nur mit einem Blick. Ich fühlte mich wie ein offenes Buch. Was sah er wohl gerade? Hatte er meinen Ausbruch wahrgenommen? Anscheinend, denn mein Medikament lag immer noch zwischen uns. Seine Miene verdüsterte sich. Also las er doch meine dunklen Geheimnisse.

»Du solltest dieses Arzneimittel zu dir nehmen«, meinte er mit einer sanften Stimme. Verwirrt über sein Vorgefühl, hob ich meine Augenbrauen. Seine Stimme klang immer noch gleich, aber ich nahm sie jetzt anders wahr. Denn vorhin war ich gefangen in meiner Panik, hatte viele Details nicht wahrgenommen. Und da ich nun geschützt war und er vor mir saß wie eine Statue, kam mir alles so anders vor. Ja, seine Stimme war rau und dunkel. Aber sie hatte auch diesen melancholischen Unterton. Ich riss meinen Blick von ihm los und sah hinunter auf die Packung.

Langsam stand er auf und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zu sich. Anmutig kam er auf die Füße und huschte lautlos in ein anderes Zimmer. Nachdem ich sicher war, dass er nicht in meiner Nähe war, schnappte ich mir die Packung und versuchte sie aufzureißen. Genau dann, als ich sie aufbekommen hatte, erschien vor mir ein Glas voller Wasser. Wieder einmal kniete er und schob das Glas vorsichtig bis zur Salzlinie.

»Nimm das ruhig auch. Und währenddessen schaue ich mich mal nach Kerzen um, damit deine Barriere sich nicht auflöst, nur weil die Kerzen heruntergebrannt sind. Es soll dich ja von jenem Bösen beschützen«, schmunzelt er. Machte er sich lustig über mich? Dachte er wirklich, mein Kreis funktionierte nicht? Wenn ja, wieso kam er nicht hinein? Anstatt ihm die Fragen an den Kopf zu werfen, nickte ich und er glitt wieder davon. Ich nahm das Glas an mich und die Kühle tat mir gut. Half mir dabei, einen frischen Kopf zu behalten. Ich schmiss eine Tablette in meinen Mund und trank das Glas in einem Zug leer. Ich erschrak, als er ohne Vorwarnung vor mir stand. Vier Kerzen in seinen großen und sehnigen Händen. Er ging um mich herum und ich verfolgte ihn misstrauisch mit meinen Augen. Er zündete die Kerzen an, indem er die noch ungebrannten Docht an die erstickenden Flammen hielt. Ohne auch nur einen Millimeter zu verrutschten, legte er sie auf dieselbe Stelle ab und entfernte die abgebrannten Kerzen.

Eine Weile lang war es still im Raum und zum ersten Mal genoss ich sie. Keine Stimmen, die mich bis zur Weißglut folterten. Nur unser Atem war zu hören. Meiner ging schwerer als seiner. Müdigkeit lähmte mich. Die Arzneimittel wirkten gut. Etwas zu gut. Ich hatte Bedenken daran, einfach einzuschlafen, während ein absurd hübscher Dämon vor mir saß und mich beobachtete. Als ob er meine Gedanken gelesen hatte, deutete er mir, mich hinzulegen. Ich schüttelte meinen Kopf. Als ob ich ihm vertrauen würde. Nie im Leben. Vielleicht war das eine Art Falle, und ich war kurz dabei, hineinzutappen.

» Aldreda «, flüsterte er in die Lautlosigkeit hinein. Erneut rieselte mich etwas Warmes. Seine Stimme, wie er meinen Namen leise hinhauchte, brachte mich aus der Fassung. »Weißt du, wofür die vier Kerzen stehen? «. Ich trotzte dem süßen Schlaf und fixierte mich auf den Dämon. » Die vier Elemente«, murmelte ich. Er nickte mir zu. Unter keinen Umständen wandte er sich von mir ab. Wie eine Beute hatte er mich immer im Blick.

» Was noch ? «, fragte er mich. Ein Gähnen entwischte mir. Schnell schloss ich meinen Mund, aber natürlich hatte er es gehört. Amüsiert wartete er auf meine Antwort.

»Die vier Herrscher der Unterwelt«. Wieder nickte er. Sachte lehnte er sich zurück und musterte mich. »Schlaf jetzt. Ich werde dir nichts tun«.

»Wieso sollte ich dir vertrauen, Dämon?«, maulte ich aufgebracht. Er ließ jedoch nichts anmerken und setzte den perfekten Pokerface auf. »Das solltest du nicht. Du wirst so oder so einschlafen, wegen der Nebenwirkung. Wieso also hinauszögern, wenn du sowieso schlafen wirst. Und deine Barriere ist gut, sie wird mich von dir fernhalten. Außerdem«, setzte er an und richtete sich auf, »hätte ich dir Schaden zufügen wollen, hätte ich es noch gerade eben bei deiner Ärztin getan «.Er hatte recht. Meine Kampflust gab nach. Die Muskeln lockerten sich, die Gedanken entspannten sich. Sachte legte ich mich seitlich hin, das Gesicht zu ihm gedreht und gab auf. Ich hatte sowieso keine Lebensfreude. Keine Erwartung. Wenn er mir etwas antun sollte, würde er mir sogar einen Gefallen tun. Meine Augen schlossen sich und ich ließ mich fallen. Und während ich fiel, träumte ich. Bedauerlicherweise.

Es war eine wolkenlose Nacht. Eine große Menge war um den Opferstein versammelt. Alle trugen einen roten Cape und versteckten ihre Gesichter darin. Und da war ich. Mit meinen kleinen Händen hielt ich krampfhaft mein rotes Kleid fest, sodass die Knöchel weiß hervortraten.Da war ich noch jung, hatte keine Ahnung, was sie taten, was sie mit mir machten und noch machen würden. Ich hörte die altbekannte Trommel, die unheilvoll die Nacht durchbrach. Überall waren Kerzen verteilt und warfen ein unheildrohendes Licht. Meine Nackenhaare stellten sich auf.

»Lauf schon, Kind«. Es war meine Mutter. Ergeben nickte ich. Meine Mutter würde mir nichts tun, was mir wehtun würde. Sie liebte mich, oder? Mit kleinen Schritten ging ich auf den Stein zu. Vor ihr blieb ich stehen und die Trommel hörte abrupt auf. Ein älterer, dicker Mann stand vor mir. Er hatte seine besten Jahre hinter sich. Seine Haare fingen an, grau zu werden. Priester Cinnard. Mit einem dreckigen Lächeln winkte er mich zu sich. Seine Hose war für ihn ein paar Nummern zu klein und hatte den Knopf offen. Auch er trug ein rotes Cape. Doch seine Kapuze war unten. Seine dicken Finger packten mich an den Hüften und hievten mich auf den Opferstein. Zu dieser Zeit wusste ich nicht, dass es ein Opferstein war. Für mich sah es aus wie ein gewöhnlicher großer Stein, der flach geschliffen wurde. Doch als er mich hinlegte, verstand ich es allmählich.

Ich war damals jung, nicht dumm. Grauen packte mich und ich versuchte mich aus seinen Armen zu winden. Er grunzte unzufrieden und packte mich an den Haaren.

»Dein Blut wird geopfert. Für Gott«. Aber Gott war gut, wieso sollte er ein Opfer von mir wollen und erst recht Blut? Nein, sie betteten keinen Gott an, sondern dunkle und böse Geschöpfe. Denen, die sich Gott widersetzt hatten. Ich wollte nicht, dass mein Blut verwendet wurde. Zornig strampelte ich und traf ihn am Bein. Das Publikum nahm empört Luft und schimpfte durcheinander. Cinnard erhob eine Hand und brachte die Menschen sofort zum Schweigen. Nein, die Menge sah ihn an, als wäre er göttlich. Die Hand, die die verhüllten Capes zum Schweigen gebracht hatte, knallte mit voller Wucht gegen meine Wange. Mein Kopf flog weg und ich sah die Sterne. Der Schmerz durchzuckte mich und ich weinte auf.

Benommen lag ich in der Kälte, ganz alleine, und sah hinauf in den Himmel. Die Sterne glitzerten um die Wette, während der Mond zu mir hinunter schien. Ihre Lichter gaben mir die Kraft, an das Gute zu glauben. Das war Gott. Er erschuf wunderschöne Sachen. Bestimmt sah er mich hier liegen. Er würde mich retten.

Bitte, hilf mir Gott.

Bevor ich weiter beten konnte, wurde ein großer Kelch gebracht. Der Priester hielt ein scharfes Messer in der Hand. Meine Wange brannte unaufhörlich und ich konnte schon die Schwellung spüren. Sie breitete sich schmerzend auf meinem Augenlid und verhinderte somit, dass ich dadurch sehen konnte. Und es war besser so, denn was danach passieren würde, hätte ich mir freiwillig nicht angeschaut. Cinnard nahm meinen Arm und untersuchte mein Handgelenk. Nichtsahnend wartete ich auf seinen nächsten Schritt. Die tat er auch sofort. Ein gekonnter Schnitt und meine Pulsadern platzten auf. Ein erstickter Schrei verließ meine Lippen.

Der Kelch wurde darunter platziert und nahm jeden Tropfen Blut auf, der meinen Körper verließ. In binnen Sekunden machte sich der Blutverlust bemerkbar. Meine Sicht verschwamm und die Sterne, die gerade noch stillstanden, tanzten auf mich herab. Als wäre das nicht genug, wurde mir die andere Pulsader aufgeschnitten. Ich keuchte. Zu viel Blut hatte ich schon verloren. Würde ich sterben? Mit letzter Kraft wendete ich meinen Kopf und sah zu, wie der Kelch von einem Menschen zum anderen gereicht wurde. Sie alle schlürften daran. Ich konnte sehen, wie etwas Rotes um ihre Lippen klebte. Zuletzt war der Priester dran. Auch er nahm sich einen kräftigen Schluck.

Doch plötzlich tunkte er seine Faust hinein. Er zog sich seine Hose aus und schmierte mein Blut auf seine Erektion. Er stöhnte auf. Seine Hand wanderte immer wieder von seinem Schaft bis zur Eichel. Mit einem letzten Aufseufzen kam er und ergoss seine Samen auf meinen Körper. Seine warmen Spermien bildeten einen starken Kontrast zu meinem kalten Körper.

»Du bist so verdammt schön mit meinem Sperma«, flüsterte er in meinem Ohr und ich wurde davongetragen.

Schweißgebadet wachte ich auf und das Erste, was ich tat, waren die nicht vorhandenen Spermien von mir zu entfernen. Ich bemerkte, dass ich nur geträumt hatte, und doch untersuchte ich wimmernd meine Handgelenke. Dort waren sie. Die Narben an jener Nacht. Sie zeigten mir, dass alles wirklich passiert war. Mein Herz pochte schmerzhaft gegen meine Brust und ich legte meine unverletzte Hand darauf und versuchte zu Atem zu kommen.

»Lange hast du nicht geschlafen«, meinte eine dunkele Stimme aus der Ecke. Ich widmete mich dahin und sah ihn. Er war nicht gegangen. Lässig saß er auf meinem Sofa und hatte sich nach hinten gelehnt, die Beine gespreizt, den Kopf in der einen Hand. Etwas Merkwürdiges passierte. Mein Herz stotterte und verlangsamte sich. Eine ruhige Woge legte sich auf mich.

Zur Bestätigung sah er kurz raus. Es war kurz vor Morgengrauen. Die Sonne versuchte, den Weg zwischen den grauen Wolken zu kämpfen. » Aber kein Wunder bei diesen Albträumen. Du hast die ganze Nacht über geredet, manchmal sogar geschluchzt. Sag mir, wie oft du von ihnen heimgesucht wirst «.

»Jede Nacht«, hauchte ich. Erschöpft wischte ich mir über meine trockenen Augen. Der Dämon kam nun auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Er beugte sich hinunter, bis wir auf gleicher Augenhöhe waren.

» Und sag mir, hast du es dir selber beigebracht? Dich vor meinesgleichen zu beschützen. Zum Beispiel dieser Kreis aus Salz und die Kerzen«, wollte er wissen. Tatsächlich hatte ich es mir selber beigebracht. Meine Sekte ehrte die Dämonen, nie hätten sie mir etwas beigebracht, die sie schädigen würde. Also nickte ich. Er brummte nachdenklich und umkreiste mich. »Die Kerzen, für welchen Herrscher stehen sie ? «.

»Satan«, sagte ich kurzangebunden. Die unterdrückte Wut und der Hass schmückte meine Stimme. Ein leises lachen entfuhr dem Dämon.» Gewiss, ja «. Genau hinter mir blieb er stehen und hob die brennende Kerze auf. Sachte pustete er sie aus. Der Geruch von Wachs umhüllte uns. Angespannt blieb ich sitzen.

»Satan war nicht immer böse, so würdet ihr Menschen es sagen. Es ist falsch. Er besteht aus purer Bosheit. Als Gott die Menschen erschuf, verlangte er von den Engeln, sich zu verbeugen. Die Menschen waren die Perfektion für ihn. Alle taten es, außer Satan selbst. Deshalb verstoß Gott ihn. Ein gefallener Engel, der darauf schwor, die Menschen auf die falsche Fährte zu locken. Er zweifelte an der Gottergebenheit und Gottesfürchtigkeit der Menschen. Und er behielt recht«, erzählte er. Er schritt zu der nächsten Kerze und pustete auch diese aus.

»Luzifer«, sagte er,» wird manchmal mit Satan verwechselt. Eigentlich konnten sie nicht unterschiedlicher sein. Natürlich war Luzifer hochmütig, hatte zu viel Stolz und Überheblichkeit. Doch böse? Nein, das war er nie. Er sollte lediglich beim Erschaffen des Gartens helfen, verliebte sich jedoch in eine Menschentochter. Er verriet ihr himmlische Geheimnisse und war komplett vernarrt in sie. Und so geschah es. Sie zeugten Kinder miteinander und auch er wurde verstoßen «. Die dritte Kerze war an der Reihe, und sie stand seitlich von mir. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er diesen aufhob. Auch diese wurde erstickt und der Rauch stieg in die Luft.

»Warum es Leviathan gibt, keine Ahnung. Ein Seeungeheuer, das sich von Sündern ernährt. Ein wahrliches Monster. Er war derjenige, der Atlantis zerstört hat. Sehr, sehr lange, bevor du überhaupt geboren wurdest. Seine besonderen Auslöser sind schwarze Magie«. Die letzte Kerze stand direkt vor mir. Der Dämon seufzte. Hockend erhob er die letzte Kerze aber anders als bei den anderen pustete er sie nicht direkt aus sondern starrte in die Flamme. Seine Augen waren so pechschwarz, das sie das Licht nicht reflektierten. Es war wie ein schwarzes Loch, es zog die Helligkeit in sich hinein.

» Belial «, wisperte er und klang niedergeschlagen. » Er war der erste Engel, den Gott schuf. Das schönste Geschöpf, das je im Himmel umging, so sagte man es. Doch er war zu gutgläubig. Er dachte närrisch, dass Satan eine zweite Chance verdienen würde und dass er womöglich recht hatte. Dass jeder eine zweite Chance verdienen würde. Schon lange sah er den Menschen zu. Sie brachten nichts außer Chaos und Verderben unters Gleichen «, sprach er weiter. »Und so setzte er sich für sie ein und konfrontierte Gott. Diese gefiel ihm nicht und auch der aller schönste Engel wurde verbannt, nur weil er helfen wollte. Das Ironische war, keiner setzte sich für ihn ein, damit er eine zweite Chance bekam«.

Wow, so viel Wissen hatte ich nicht mal. Verblüfft musterte ich ihn, während er die Kerze auspustete. Sein Blick galt nun wieder mir. Davor hatte er gedankenverloren in die Leere gestarrt. Der Dämon war wieder im Hier und Jetzt. Schlotternd nahm ich Luft. Mir brannte eine Frage, die ich ihm gerne stellen würde.

»Woher weißt du so viel?«, wollte ich neugierig wissen. Angst wurde durch meinen Wissensdurst unterdrückt und ich rückte unwissend vor, um ihm näher zu sein.

Er legte seinen Kopf leicht schief und lächelte wehmütig. Unerwartet hob er die Hand und steckte einen Finger zwischen seinen Lippen. Er hatte seinen Finger befeuchtet. Etwas an dem, was er tat, ließ mich fassungslos werden. Seine Lippen waren voll und sahen einladend aus. Weich und vielversprechend. Ich schluckte hart. Das Gefühl von Begierde kannte ich nie. Fühlte es sich so an? Ein leichtes Brennen zwischen den Beinen ?

»Weil ich, Aldreda «, raunte er und durchbrach ohne jegliche Probleme meine Barriere. Sein Finger glitt sorglos in den Kreis hinein und machte einen perfekten Schnitt durch das Salz, »König Belial bin«.

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