2҉
Die Tür schloss sich mit einem lauten Knall, und ich lehnte mich atemlos dagegen. Ich war den ganzen Weg bis zu meinem Haus gerannt. Adrenalin pumpte durch meine Venen und ich schmiss meine Jacke achtlos auf den Boden. Währenddessen ging ich in die kleine Küche und durchwühlte heftig in den Schränken und stieß alles um. Ich wurde fündig. Meine Finger umschlossen sich um den Salzsack und ich rannte damit ins Wohnzimmer. Fluchend schob ich alles in die Ecke. Das Haus, in dem ich lebte, war klein. Etwas heruntergekommen, aber funktionstüchtig. Das hatten mir meine Eltern vererbt. Das einzige Gute, das sie mir je in meinem Leben gemacht hatten. Direkt neben meiner Haustür befand sich eine Toilette, und parallel zur Toilette ging es in die Küche und danach ins Wohnzimmer. Ein Schlafzimmer hatte ich auch, das benutzte ich aber kaum, da ich nicht besonders gut schlafen konnte. Die Albträume waren meine schlimmsten Feinde. Oder besser gesagt die Menschen, die dafür verantwortlich waren.
Mein Wohnzimmer bestand nur aus einem kleinen Sofa, das seine guten Jahre hinter sich hatte. Ein Couchtisch, der nur schwer auf den Beinen stand, und ein kaputter Fernseher. Die Wände wurden aber seit dem letzten Frühling neu gestrichen. Der Fußboden knarzte unter mir und ächzte bei dem Versuch, in der Mitte des Zimmers eine große Fläche zu kreieren.
Nachdem die Hürde bewältigt wurde, nahm ich mir den Sack und fing an, einen ungefähren Kreis zu streuen. Dabei sah ich mich immer wieder um, mit dem Entsetzen vielleicht eine männliche Gestalt vorzufinden. Diesen Duft, der von ihm ausgegangen war, kannte ich nur zu gut. Es war ein großer Bestandteil meines Lebens gewesen. Und sie war es immer noch. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen. Für wie lange hatte ich sie abschütteln können ? 5 Jahre, oder waren es weniger? Wieso durfte ich kein normaler Mensch sein? Ich wünschte mir, ich hätte normale Probleme, wie zum Beispiel kaputte Nägel, die ich im Salon wieder machen würde. Steuern, die hochstiegen oder sogar eine Beziehung.
Eine Beziehung.
Würde ich jemals in der Lage sein, etwas wie Liebe für jemanden anderen zu empfinden? Ich empfand es nicht mal mir gegenüber. Wie sollte ich mit jemandem eine Bindung eingehen und hoffen, nicht daran kaputtzugehen? Fragen über Fragen. Leider kannte ich die Antwort. So eine Bindung und Liebe würde ich niemals erleben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis mein Herz aufhörte zu schlagen und meine Seele in die Hölle wanderte. Ich öffnete meine Augen und sah den nahezu perfekten Kreis aus Salz vor mir. Die Hölle würde mir nie fremd sein, da ich in einer geboren wurde.
Eilig ging ich ins Schlafzimmer, holte vier rote Kerzen und ein Streichholz. Ich hatte immer gehofft, sie nie wieder benutzen zu müssen. Seufzend kehrte ich in das Wohnzimmer zurück und setzte mich genau mittig in den Kreis. Nervös stellte ich die Kerzen in einem Kreis außerhalb des Salzes immer parallel gegenüber auf. Mit bebenden Händen öffnete ich das Streichholz und zündete es an. Meine Finger waren so taub vor Furcht, dass es lange dauerte, bis die Kerzen angezündet waren. Jetzt musste ich nur noch warten. Er würde sich mir früher oder später zeigen, und ich war vorbereitet.
Die Nacht brach herein. Die Gardinen waren weit geöffnet. Der Mondschein warf einen silbrigen Schein in das Zimmer und erhellte, auch wenn es wenig war, die Umgebung. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, etwas auszumachen. Es verstrich eine lange Zeit, indem ich mich nicht wagte, mich zu bewegen. Jedes kleine Geräusch kam mir wie etwas Gefährliches vor. Meine steife Haltung knickte ein und ich fing an, mich etwas zu strecken. Die Füße kreuzte ich vor mir und legte meinen Ellbogen auf die Knie. Meine Hände stützten meinen Kopf. Das Adrenalin verschwand und eine grauenhafte Woge aus Müdigkeit erfasste mich. Gähnend betrachtete ich die Flammen, die einen knisternden Ton von sich gaben. Das Wachs war schon zur Hälfte heruntergebrannt und tropfte wie Blut auf den hölzernen Boden.
Ein eigenartiger Schmerz durchzuckte meinen Hinterkopf und ich keuchte auf. Eine lange unterdrückte Erinnerung kam zu Vorschein. Ein Spiegel, der voll bespritzt war mit frischem Blut. Der Geruch von Metall lag schwer in der Luft. Mein Rücken brannte und Tränen rannten mir über das Gesicht. Zwischen meinem schmerzerfüllten Schrei konnte ich das Geräusch von einer Peitsche ausmachen. Ich wurde ausgepeitscht. Zehnmal, zwanzigmal, dreißig mal,... Es nahm kein Ende. Mit letzter Kraft sah ich mich im Spiegel an. Meine Haare waren zerzaust und mein Lieblingskleid wurde aufgerissen.
Blut rann über meine Arme und tropfte auf den kalten und steinernen Boden. Wieder traf mich die Peitsche und ich kreischte auf. Meine Haut platzte auf und Wärme sickerte mir über meinen Rücken. Es brannte. Alles an mir brannte. Sie wollten, dass ich mit sah, wie ich ausgepeitscht wurde.
»Mutter, Vater, bitte, ich habe nichts getan. Hilft mir «, flehte ich und verschluckte mich an meiner Spuke. Meine Arme waren an eine Stange gebunden, sodass ich mich nicht wehren konnte. Die Stange war mein einziger Halt, sonst läge ich längst auf dem Boden. Meine Eltern sahen mich nur finster an.
»Du wurdest auserwählt von Priester Cinnard. Füge dich ihm. Er weiß, was er tut. Hör auf zu zappeln, Kind«, tadelte mich mein Vater. Ein weiterer Hieb traf mich und ich spuckte Blut. Der Priester hinter mir schnaufte wie ein Walross und entfernte sich von mir. Die Menge jubelte. Als wäre es nicht genug beschämend, sahen mir nicht nur meine Eltern zu, sondern die ganze Sekte. Eifrig glitzerten ihre Augen. Manche Männer hatten eine Erektion. Es machte sie an. Die Frauen buhten mich aus und schüttelten angewidert die Köpfe.
»Es ist wieder an der Zeit, eine Erkorene zu opfern. Und das, liebe Aldreda, bist du. Bist du bereit?«, fragte mich der fetter Cinnard mit einem teuflischen Lächeln. Meine Augen weiteten sich und ich fing an, an den Ketten zu rütteln. Ich zerrte und biss hinein, aber sie gab nicht nach. Einige aus der Menge kamen zu mir herüber, einer von ihnen, mein Vater, und zerrten mir die Klamotten aus dem Leib. Verbittert kreischte ich und versuchte mich so gut es ging zu wehren. Ich trat um mich.
» Nein, nein, bitte, hört auf«, war der letzte Satz, den ich mit blutendem Mund sagen konnte, bevor sich der Priester hinter mich stellte und ohne Vorwarnung in mich eindrang. Die Menge applaudierte. Sie hielten mich gewaltsam fest, während Cinnard sich an mir verging. Mein Vater hielt mich an meinen Armen fest. Plötzlich durchflutete mich Wut, wie ein Gift breitete es sich in mir aus. Meine Schreie hörten auf. Ich hatte aufgehört, mich zu wehren. Gerade hatte ich noch mein warmes Blut gespürt, doch nun war mein Körper eiskalt. Mein Blick begegnete dem von meinem Vater und stumm sahen wir uns für ein paar Augenblicke an. Ich hasste ihn. Mit dem letzten bisschen Kraft, die mir übrig geblieben war, öffnete ich die Lippen und versuchte zu reden.
»Gott wird euch für all das hier verdammen und ich werde diejenige sein, die euch beim Brennen zusehen wird«.
»Du Narr, Gott ist der Satan. Und Satan ist Gott. Er ist ein Lügner, ein Mörder. Sag mir«, zischte er und zerquetschte meinen Arm. »Wo bleibt dein Gott? Wieso hilft er dir nicht? «. Ein triumphierender Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
Die Erinnerung verschwamm langsam, aber die Stimmen nicht. Keuchend hielt ich mit meinen Händen die Ohren zu. Mein Kopf schwirrte. Es war, als hätte man mich wieder zu den alten Tagen verfrachtet. Mein Magen drehte sich um. Das Johlen der Menge verfolgt mich. Das genussvolle Stöhnen der Priester und der anderen Männer und Frauen, die sich an mich vergangen haben, mitsamt meinem Vater. Kalter Angstschweiß umhüllte mich. Die Kerzen waren fast vollständig verbrannt.
»Seid still. Haltet die Klappe!«, fluchte ich und wiegte mich langsam vor und zurück. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Das war es. Die Halluzination. Es war, als würden sie mit mir im Raum stehen und mich von dort aus anschreien. »Ich hab das nicht verdient. Ich habe das nicht verdient. Ich habe das nie verdient«, flüstere ich wie ein Mantra vor mir her. Die Stimmen wurden immer besitzergreifender. Mein Körper krümmte sich und nun lag ich da. Wie in meinen Erinnerungen rollte ich mich zu einer Kugel zusammen, als würde es etwas bringen, das Böse fernzuhalten.
Schreiend versuchte ich, die Stimmen zu überschatten, und war froh, dass mein Haus abseits eines Waldes lag. Keiner würde mich hören. Keiner würde nach mir suchen. Ich war die einzige Überlebende der Sekte. Die Einzige, die das Feuer überlebt hatte. Alle anderen waren tot. Nur meine Therapeutin wusste von mir Bescheid und das auch nur, weil sie mich alleine und mit mir selber redend auf einer nassen und verlassenen Straße vorgefunden hatte.
Ich erinnerte mich noch genau an den Tag. Es war der Tag, an dem mich kleine Dämonen gejagt hatten. Mit einer einfachen Beschwörung konnte ich sie abhängen. Es regnete stürmisch draußen und ich war tropfnass. Meine Klamotten hingen mir an meinem Leib und ich zitterte vor der Kälte. Genau in diesem Moment fand sie mich. Verängstigt und bebend.
»Um die Stimmen etwas einzudämmen. Ganz vertreiben wird es sie nicht. Benzodiazepine wirken dämpfend auf das Zentralnervensystem«
Es war ihre Stimme, die mich zur Vernunft brachte. Würde sie mich so sehen, hätte sie mit mir geschimpft. Meine Muskeln waren krampfhaft erstarrt. Die Medizin, die sie mir noch gegeben hatte, bevor ich aus der Sitzung gerannt bin. Sie hatte mir eine neue Packung auf den Boden gestellt und meinte, die Tabletten, die um mich herumlagen, einzusammeln und verschwinden zu lassen. Ich brauchte die Tabletten. Mühsam versuchte ich mich aufzurichten und stand nun auf allen vieren. Das Schwindelgefühl nahm zu. Konnte ich bis zu meiner Jacke kriechen, die achtlos vor der Haustür lag? Womöglich. Könnte ich mich verteidigen, wenn sich ein Dämon auf mich stürzen würde, weil ich meinen Sicherheitskreis verlassen hatte? Womöglich nicht. Ein Kampf mit einem Dämon kam mir harmloser vor als der Kampf mit den Stimmen in meinem Kopf.
Tief Luft holend, legte ich eine Hand vor und wollte mich außerhalb des Kreises ziehen. Unerwartet streckte sich eine andere blasse Hand hervor und stellte mir die Packung mit den Tabletten vor die Kerzen. Erschrocken zuckte ich weg und sah auf. Der Raum hatte sich wieder um einiges erkältet. Das war mir gar nicht aufgefallen. Genauso wie der Duft. Ich war so fokussiert auf den Geruch von Blut gewesen, dass ich seinen Duft nicht wahrgenommen hatte. Es war der Dämon von vorhin. Nun stand er aber nicht aufrecht, sondern kniete vor mir und schob mir sanft die Packung näher. Das Licht der Kerzen und des Mondlichtes half mir soeben dabei, ihn besser betrachten zu können. Seine Haare waren schulterlang und schwarz. Er hatte die vorderen Strähnen nach hinten gebunden. Sanfte Wellen umrahmten sein kantiges, blasses Gesicht.
Auf seinem Kopf war eine zackige und raue Krone. Es sah gefährlich spitz aus. Meine Augen nahmen jedes Detail von ihm wahr, obwohl ich mich kein einziges Mal bewegte. Auch er schien wie erfroren. Seine Ohren liefen leicht spitz zu. Er hatte ein langes schwarzes enge Gewand an, das sich um seine Muskeln schmeichelte. Sein Oberkörper war etwas breiter gebaut. Durch das Gewand konnte man erkennen, dass er trainiert war. Überrascht blickte ich in seine Augen. Sie waren pechschwarz, bodenlos und hatten keine Pupillen. Dennoch konnte man alles darin sehen. Wie ein offenes Buch. Er runzelte die Stirn. Auch er schien verwirrt zu sein.
Er war wunderschön.
Noch nie hatte ich so einen Dämon gesehen. Es gab verschiedene Arten von ihnen. Manche hatten höhlenartigen Mund, blubbernden Kopf, deformierte Nasenlöcher, hinterließen Brandspuren. Manche wiederum bestanden aus Asche, hatten hohle Augen, ein ewiges gruseliges Grinsen und bei jedem Schritt, den sie machten, konnte man prasselndes Feuer hören. Es gab so viele Spezies von ihnen. Und doch passt er in keiner rein. Ein ungewohntes Gefühl breitete sich in meinem Herzen aus und die Kälte, die ich soeben empfunden hatte, wich einem sanften Feuer.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top