39 - Bern - Schweiz
Wahlsonntag, gegen Abend. Sie Stimmen der meisten Kantone sind ausgezählt. Der Trend ist klar: Die politische Rechte kann gewaltig zulegen und gewinnt fast zwanzig Prozentpunkte dazu. Somit hat die stärkste Partei der Schweiz fortan beinah die alleinige Mehrheit in der großen Kammer - etwas, das seit 1917 nicht mehr vorgekommen ist. Das hat große Folgen für die Gesetzbildung der Schweiz. Eine Partei kann faktisch allein bestimmen, welche Gesetze angenommen werden sollen und welche nicht - zumindest in der großen Kammer.
In der ersten Stellungnahme der wählerstärksten Partei wird der politische Kurs bekanntgegeben. Die Strafen für international tätige Firmen, welche Gesetze der jeweiligen Länder, in welchen sie tätig sind, nicht einhalten, werden reduziert. Es wird ein Modus festgelegt, nach welchem die betroffenen Firmen eine Summe in einen Wirtschaftsfond bezahlen können; als eine Art Wiedergutmachung.
Zudem sollen Schweizer Firmen besser vor Klagen und Angriffen aus dem Ausland geschützt werden. Die bilateralen Verhandlungen mit der EU werden ausgesetzt.
Fritz Berlinger sitzt mit einigen Freunden aus verschiedenen politischen Parteien im Kornhauskeller in Bern und diskutiert die Wahlresultate.
"Was haltet ihr von dieser Katastrophe?", poltert er über den Tisch.
"Wir haben es kommen sehen. Die reißerischen Plakate dieser Partei, verbunden mit den äußerst einprägsamen Slogans haben zu diesem Ergebnis führen müssen. Dass die Slogans oberflächlich und nicht haltbar sind, interessiert den normalen Bürger nicht. Das war schon immer so."
"Unsere Gegendarstellungen hat man als Lüge abgetan und uns lächerlich gemacht", beschwert sich ein Vertreter der Linken.
"Eure Plakate sind aber auch von Jahr zu Jahr ideenloser - entschuldige, wenn ich das so sage: Aber um eure Plakate mache ich auch einen großen Bogen. Kein Pepp, keine Strategie - Langeweile pur. So gewinnt man im 21. Jahrhundert nicht mehr, mein Guter." Berlinger nimmt kein Blatt vor den Mund.
"Ja, die Rechten haben gute PR-Berater, das muss man ihnen lassen. Und auch wenn wir von der Mitte viele von ihren Anliegen teilen, dass sie nun allein die Mehrheit haben, ist, wie Fritz sagt, eine Katastrophe."
"Nicht einmal die Affäre rund um diesen Kakaoskandal konnten wir ausnutzen. Man hat uns Grünen vorgeworfen, ganz Afrika in die Schweiz holen zu wollen."
"Genau. Und Abwahlen deswegen hat es auch keine gegeben. Kein einziger Politiker, der in den Skandal verwickelt war, hat dafür büßen müssen. Die Bevölkerung vergisst zu schnell in diesem Land und lässt sich zu stark von kurzfristigen Lockangeboten beeinflussen. Die soziale Ader der Bevölkerung scheint schlicht nicht mehr vorhanden zu sein."
"Also meine Herren - lamentieren bringt nichts. Was wir brauchen ist eine Strategie, wie wir die kommenden vier Jahre einigermaßen gesund überstehen und das internationale Image der Schweiz nicht zu stark geschädigt wird. Wenn wir nichts tun, riskieren wir gewaltige Einbrüche in der Wirtschaft, welche natürlich postwendend der Linken zugeschoben werden."
"Lieber Fritz", meldet sich ein Vertreter der Linken, "du gehörst auch zum politisch rechten Lager, wenn ich das mal sagen darf."
"Damit hast du nicht unrecht, Roger. Aber im Unterschied zu unseren heutigen Wahlsiegern glaube ich fest daran, dass gesunde Politik nur durch Vielfalt und durch Dialog entstehen kann. Mit Absolutismus habe ich nichts am Hut - und du hörst sie ja bereits schreien von wegen drei Bundesräten und so."
"Dann stellst du dich zur Verfügung?", fragt der Vertreter der Grünen.
"Ja, verdammt. Ungern, aber ich mach's. Wenn ich jedoch eine Chance haben will, dann müsst ihr alle dafür sorgen, dass ihnen am Ende genau diese rund zehn Stimmen fehlen. Keine einzelne Stimme, die nicht aus dieser Partei kommt, darf fehlen oder ungültig sein; sonst reicht es nicht. Sie fühlen sich unbesiegbar und werden zu hundert Prozent hinter ihren Kandidaten stehen wie eine hungrige Armee."
"Im Ständerat haben sie keine Mehrheit."
"Im Nationalrat auch nicht ganz. Aber von meinen Leuten werden einige für diese Schaumschläger, die blind ihrem König vom Zürichsee folgen, stimmen. Wir werden es schwer haben, die Demokratie in unserem Land zu retten."
***
Am nächsten Tag telefoniert Fritz mit Kathrin.
"Sorry, ich hab's nicht richten können. Es wird noch schlimmer, als es bisher schon war, befürchte ich."
"Du hattest eine harte Nacht", tröstet ihn Kathrin, "Hast du überhaupt geschlafen?"
"Nicht wirklich, nein. Es ist zum Davonrennen. Der Wahlkampf ist komplett schief gelaufen - und die Sache mit dem Kakao haben sie auch für sich auslegen können. Deshalb lockern sie nun die Auflagen für ihre Firmen und erschweren die Beschwerden. Ich verstehe das nicht. Ich hätte dem Volk mehr Verstand zugemutet."
Kathrin schnaubt. "Das haben sehr viele Länder in der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts auch schon gesagt - hinterher. Sie hatten die schlagkräftigeren Argumente."
"Die selbstverständlich nicht mehr gelten werden; aber das weiß man ja. Das Schlimme daran ist, dass es niemanden interessiert. Die Resultate des Hockeyderbys gestern - Langnau gegen Bern - haben mehr Einschaltquoten als die Wahlresultate. Stell dir das mal vor. - Genug gejammert. Wie läuft es bei deinen Leuten?" Fritz versucht, das Thema zu wechseln.
"Elf Kinder konnten gerettet werden. Elena, Marco und ihre Hilfsorganisation werden eine Brücke bauen - irgendwo in Westafrika, Marco hat das mal erwähnt. Sie werden sich ebenfalls an den Schulen und Kinderheimen beteiligen; alles ohne Steuergelder. Das müsst ihr unbedingt politisch nutzen. Marco ist immerhin Schweizer."
"Sehr gut. Ist Selina mit von der Partie? Wir brauchen sie."
"Aber natürlich, lieber Fritz. Sie wird die Kampagnen leiten und dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen davon hören und lesen. Was ist mit Blanchet und seiner Firma? Werden sie noch bestraft für die Fehler von Serge Blanchet?"
"Dreimal darfst du raten. Nein, natürlich nicht. Das sei eine Einmischung in die Privatwirtschaft, heißt es. Man darf da nicht ohne Anklage vorgehen. Zudem hat sich der alte Blanchet reuig gezeigt und das hilft in seinen Kreisen schon."
"Also kein Happy-End für die Schweiz. Aber Erholung der Wirtschaft. Steigen die Aktien schon wieder?"
"Ja, das tun sie. Der Kakao-Preis hat sich erholt." Fritz Berlinger wirkt enttäuscht, trotz der wirtschaftlich guten Nachrichten.
"Und du, mein Schulfreund", stichelt Kathrin, "wirst nun also doch Bundesrat?"
"Ich habe gute Chancen, in der Tat. Ich wollte das nicht; aber ich denke, von allen Gegnern der extremen Rechten bin ich der einzige mit einer reellen Chance."
"Na, dann wünsche ich dir eine erfolgreiche Wahl. Ich würde dich wählen, wenn ich könnte."
"Danke, Kathrin. Das ist lieb von dir. Halte mich auf dem Laufenden, was die Entwicklungen in Afrika angeht, in Ordnung?"
"Ja, das mache ich. Selina wird bald wieder hier sein und dann melden wir uns bei dir. Tschüss, Herr Bundesrat."
"Alles Humbug! Tschüss Kathrin."
Nach diesem Telefonat denkt Kathrin noch einen Moment über den Effekt nach, den ihre Enthüllungen hatten. Sie ist nicht resigniert, aber enttäuscht. Sie hätte sich mehr erhofft, doch die Konsumenten interessieren sich offensichtlich mehr für ihr eigenes Portemonnaie als für die Gerechtigkeit bei der Herstellung der Ware, die sie kaufen. Sie wird mit Selina eine Informationskampagne erstellen und verbreiten.
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