26 - Côte d'Ivoire

Die Augen fallen Selina immer wieder zu; verkrampft klammert sie sich an der Haltevorrichtung des Dollys fest. Ihr Rücken schmerzt als hätte sie im Bachbett eines ausgetrockneten Flusses geschlafen, verrenkt und verspannt; ebenso ausgetrocknet ist ihre Kehle und die Augen, vom Staub verklebt, jucken und lassen bloß vernebelte Bilder entstehen. Die schwarzen Dieselabgase brennen in den Augen und in der Lunge. Selina ist schlecht.

Sie hat keine Ahnung, wie lange sie schon mit dem Holztransporter gefahren sind, aber sie will einfach nur noch weg hier. Unter großer Anstrengung und Schmerz dreht sie den Kopf nach unten, sieht die sich drehenden Räder. Einfach loslassen, dann ist es in weniger als einer Sekunde überstanden; der Gedanke gewinnt an Reiz. Langsam löst sie die verkrampften Finger der einen Hand, einen nach dem anderen.

Auf einmal spürt sie eine starke Hand an ihrem Arm. Sie dreht mühsam den Kopf und blickt in die strengen und dunklen, geheimnisvollen Augen Javas. "Denk nicht mal dran, Mädchen! Du bist stark; halte durch!" Java schließt die Finger wieder um die Halterung und legt ihren Arm um ihre Freundin. Selina verzieht ihren Mund zu einem schmerzverzerrten Lächeln; "Danke", murmelt sie und blickt Java traurig an.

"Gleich haben wir es überstanden. Da vorne kommt eine Kreuzung, da wird er anhalten müssen. Mach dich bereit, abzuspringen."

Der Lastwagen rumpelt noch einmal durch tiefe Schlaglöcher, die Frauen stöhnen; dann muss er tatsächlich halten, einen kurzen Moment nur. "Jetzt! Spring, Selina, spring!" Java macht einen gewaltigen Satz in den Straßengraben. Selina folgt ihr energielos und landet vor den Rädern, als der Lastwagen bereits wieder langsam anzurollen beginnt.

Im letzten Moment kann sich die Journalistin reflexartig zwischen die Räder, in die Mitte der Fahrspur rollen und legt sich möglichst flach auf die Straße. Die Achsen des Dollys gleiten über sie hinweg, ohne sie zu streifen. Der Lastwagen hat sie einfach überrollt, biegt ab und verschwindet nach rechts im Regenwald. Sofort kniet Java bei Selina mitten auf der Straße.

Sie schlägt der Journalistin die Faust an die Schulter. "Mädchen! Was machst du denn? Bist du verrückt geworden? Mir eine solche Angst einzujagen! Ich könnte dir hundert Spinnen anwerfen! Komm schon, weg von der Straße."

"Entschuldige; ich war einen Moment weg", murmelt Selina.

"Das habe ich gemerkt. 'Einen Moment weg' sein, ist im Dschungel eine tödliche Idee! - Geht es wieder?" Java legt Selina die Hand auf die Stirn. "Mädchen, du glühst! Du hast Fieber. Oh Mann, wenn das bloß keine Malaria ist."

"Es geht schon wieder besser." Selina fasst Javas Arm. "Java; du ... danke", mehr bringt sie nicht hervor, blickt ihre Freundin emotionslos an, verdreht die Augen, dann wird alles schwarz.

***

"Idioten! Stümper! Faultiere! Habt ihr denn alle Elefantenscheiße im Kopf? Wie konnte das passieren?" Außer sich vor Wut zeigt Bono auf die eingestürzte Mauer der Hütte. Das Wellblechdach hat sich unter der Schwerkraft gekrümmt, als wolle die Hütte die Männer auslachen.

"Ich sollte jeden von euch hier und jetzt erschießen! Berichtet endlich, was vorgefallen ist!"

Die zwei wachhabenden Männer stehen gesenkten Hauptes vor ihrem Anführer und stammeln einzelne Worte durch ihre Bärte. "Es gab einen Knall, Steine rumpelten. Wir sind sofort nachsehen gegangen, doch die Hütte war leer. Die Gefangenen sind durch die Wand entflohen."

"Es waren zwei Frauen, zierliche Gazellen - keine verdammten Superwomen, keine männermordenden Amazonen! Es waren Bürotussen! Wie zum Teufel konnten die eine Wand einreißen? - Fuck!" Er feuert mit der Waffe eine Salve in die Luft, die Männer schrecken zurück und ducken sich.

Nach dem Geballer geht es Bono etwas besser. "Packt eure Sachen zusammen! Weit können sie noch nicht sein und wahrscheinlich wollen sie nach Ghana zurück. Ihr zwei", er zeigt auf die Wachhabenden, "ihr nehmt den schrottigen Renault der zwei Weiber. Die anderen in den Bus und den Jeep. Los, Männer - und keine Spuren hinterlassen! Suchen wir die Schlampen."

Die Söldner rennen zu ihrer Unterkunft und rollen ihre Schlafmatten ein. Sie packen die wichtigsten Utensilien in die Rucksäcke. Keiner achtet auf Ordnung, jeder will bloß der Schnellste sein. Sie kennen ihren Anführer - wenn der so wütend ist wie gerade eben, dann muss alles schnell gehen.

Einer der Soldaten schnappt sich die Sachen, welche sie den Frauen weggenommen haben. Dabei fällt Javas Telefon aus der Hülle und bleibt unter der Schlafpritsche mit dem Display nach unten liegen. Der Soldat bemerkt es nicht, als er sich wegdreht schiebt er das Gerät mit seinem Schuh gar weiter unter die Pritsche. Dann stampft er nach draußen.

Die Männer stellen sich zwischen den Autos im Halbkreis auf. "Männer, wir müssen davon ausgehen, dass die Weiber eine Stunde Vorsprung haben, höchstens zwei, wenn man den zwei Hohlköpfen dort Glauben schenken darf. Eine Flasche Scotch für den, der sie entdeckt - gilt nicht für die Renault Fahrer. Los geht's! Wir fahren in Richtung Ghana zurück."

Die Männer klettern in ihre Wagen. Bono setzt sich auf den Beifahrersitz im Jeep. Er will nicht selbst fahren, er spürt seine Wut und weiß, dass er von unterwegs einen unbequemen Telefonanruf tätigen muss. Die Motoren werden gestartet, unterbrechen die morgendliche Ruhe des Dschungels. Eine schwarze Qualmwolke driftet gen Himmel als der Bus beschleunigt. Der Konvoi rollt auf die Straße, biegt links ab und hinterlässt eine rötliche Staubwolke. In der Schlafhütte der Männer liegt Javas Telefon unter einer Pritsche.

***

Marco ist einer der ersten, welche im Hotel am Frühstücksbuffet anstehen. Er trägt eine helle Baumwollhose und ein dunkelblaues Hemd. Nach der morgendlichen Dusche hat er sich ausnahmsweise wieder einmal rasiert. Marco steht an der Kaffeemaschine, zieht den würzig-säuerlichen Duft frisch gebrauten Kaffees in die Nase und lässt seinen Geist erwachen. Sein Aftershave verbreitet sich um ihn herum, vermischt sich mit dem Kaffeeduft.

"Guten Morgen, schöner Mann - das riecht gut hier!"

Marco dreht sich um und blickt in Noëlles lächelndes, makelloses Gesicht. Ihre wachen Augen mustern ihn fröhlich. "Machst du mir auch einen?"

"Aber natürlich", erwidert Marco galant. Er reicht ihr seinen Kaffee und macht sich daran, einen zweiten zu brauen.

"Danke - sehr aufmerksam. Wo sitzt du?" Noëlle trägt ein leichtes Morgenkleid, welches neugierige Blicke nicht abwehrt. Marco wird nervös, als sie sich elfenhaft in Richtung eines Tisches am Fenster wegbewegt. Der heiße Kaffee tropft auf seine Hand.

"Verd...", schimpft er leise und hört, wie Noëlle kichert. Marco wischt kurz die Kaffeetropfen weg, dann schlendert er bewusst locker zu ihrem Tisch und setzt sich.

Sie mustert ihn, nippt an ihrem Kaffee. "Hast du gut geschlafen?"

"Nicht wirklich. Ich musste an unsere entführten Freundinnen denken."

"Das ist schlimm, ja. Welche Idee hattet ihr gestern noch?"

"Wie bitte? Wovon redest du?" Marco nimmt einen Schluck Kaffee und bemerkt, dass sie unter ihrem dünnen Kleid wohl nur einen Bikini trägt.

"Na gestern, als wir gemütlich plauderten, da kam doch dein großer Freund - ich mag ihn nicht; er ist so grob - und er sagte doch was von einer Idee. Was also macht ihr heute?"

Marco lächelt. "Umbigwe ist ein lieber Kerl, der kann nicht grob sein. Wir werden heute die Polizei mit einbinden. Gestern haben wir die Bestätigung aus Bern - das ist die Hauptstadt der Schweiz - erhalten, dass uns die hiesigen Behörden unterstützen werden. Und du? Wieso bist du schon auf? Willst du an den Strand?"

Ihr schelmisches Lachen kann Marco nicht einordnen. "Nein. Außer zum Fischen vielleicht." Sie zwinkert ihm zu. "Das ist kein Bikini." Sie dreht den Kopf leicht schräg und legt ihm lachend die Hand auf den Arm, er blickt beschämt zu Boden. "Nein, ich bin ein Morgenmensch. Ich habe heute schon an meinen Texten gearbeitet." Als sie ihre Kaffeetasse hinstellt, öffnet sich ihr Kleid im Brustbereich etwas mehr.

Marco bemerkt es, einen Tick zu lange. "Ach so. Ich arbeite auch gerne am Morgen. Wir haben heute um zwei Uhr den Termin mit der Polizei."

"Dann haben wir den ganzen Vormittag Zeit. Soll ich dir etwas die Stadt zeigen? Wo du schon mal hier bist? Wir könnten über unsere neuesten Bücher diskutieren."

Marco ist unsicher. Die Frau macht ihn nervös und er kann sich nicht erklären, weshalb.

"Komm schon - du hast nichts zu tun und wir haben den gleichen Beruf. Außerdem ist Abidjan eine sehr schöne Stadt."

"Ich muss den anderen Bescheid sagen, wo ich bin", gibt Marco zu bedenken.

"Lass sie schlafen. Du kannst ihnen eine Nachricht schicken. Gib mir fünf Minuten, dann bin ich wieder hier. Das wird lustig!" Sie schwirrt ab und Marco sitzt allein an seinem Tisch. Nur etwas die Stadt ansehen, sagt er zu sich selbst; da ist nichts dabei. Er trinkt seinen Kaffee aus und holt das Mobiltelefon aus seinem Zimmer.

***

Java schleppt die bewusstlose Selina quer durch den Dschungel. Sie folgt einem alten Pfad, der parallel zur Straße verläuft. Nach wenigen hundert Metern erreicht sie eine Hütte. Sanft legt sie Selina auf den moosigen Boden, dann blickt sie sich um. Offenbar handelt es sich um eine verlassene Holzfällerhütte, vielleicht ein altes Versteck von illegalen Holzfällern. Java rüttelt an der Türe, die nicht abgeschlossen ist und sofort aufspringt.

Das Innere riecht modrig, vergammelt, doch es ist besser als nichts. Java kontrolliert den Raum auf Schlangen und Spinnen. Sie findet keine giftigen Tiere, dann holt sie Selina. Sie legt ihre Freundin behutsam auf eine der zwei Pritschen, deren Unterlagen einst bequem waren. Erst als sie sicher ist, dass es Selina gut geht, tritt sie wieder nach draußen und schaut sich um. Sie entdeckt einen kleinen Wasserlauf, ein Rinnsal, doch das reicht, wenn das Wasser sauber ist.

Java kontrolliert das Wasser auf Geruch und Geschmack, mehr kann sie momentan nicht tun. Sie gäbe viel darum, es abkochen zu können, doch das geht nicht. Aus einem Stück ihrer Regenjacke schnürt sie sich einen Beutel und sammelt Wasser. Sie geht zurück in die Hütte.

Sanft netzt sie das heiße Gesicht ihrer Freundin, wäscht ihre Stirn. Selina beginnt zu seufzen, dann öffnet sie zwinkernd die Augen. "Java? Wo sind wir?"

"Keine Angst, wir sind hier sicher. Du hast lange geschlafen. Wir sind in einer alten Holzfällerhütte, die ich gefunden habe."

"Wie lange war ich weg?"

"Eine Stunde vielleicht? Ich weiß es nicht genau. Wie geht es dir? Du bist blass wie ein Schweizer Käse. Trink etwas Wasser."

"Es geht mir schon besser. Mann, ich war einfach weg. Das passiert mir nie! Ich schäme mich so sehr."

"Psst, nicht doch. Kann jedem passieren", dabei legt Java ihren Finger auf Selinas Mund. "Ich bin froh, bist du erwacht. Ist dir schwindlig? Halluzinierst du?"

"Nein. Warum fragst du?"

"Gut, dann ist es eventuell keine Malaria. Ich hatte schon Angst. Vielleicht warst du auch einfach zu erschöpft. Oder - hat die Spinne dich gebissen?"

"Nein. Ich hätte geschrien."

"Hast du auch - allerdings erst, als sie weg war, stimmt." Java nickt anerkennend.

Selina muss über die Bemerkung lachen. "Danke, dass du mich hierher geschleppt hast."

"No worries! Du hättest das Gleiche für mich getan. Du hast immer noch Fieber. Wir müssen schauen, dass wir das runter kriegen. Ich gehe einige Pflanzen suchen. Keine Angst, ich komme bald wieder. Lauf nicht weg!"

"Danke, Jungle-Girl!", seufzt Selina.

Java lacht und verlässt den Raum.

Nur wenige Minuten später kommt sie strahlend zurück. "Wir haben Glück. An diesem kleinen Wasserlauf da draußen wachsen viele kleine Pflanzen - unter anderem diese hier." Java streckt Selina einen Strauß weißer Blümchen hin.

"Was ist das?"

"Weiße Schlangenwurzel oder auch Runzelblättriger Wasserdost - macht Bewusstlose wieder munter und senkt Fieber."

"Schlangenwurzel! Echt?"

"Du bist wohl kaum in der Lage, dich zu beschweren, junge Dame! Hinlegen und Frau Kräuterhexe folgen! Sofort!"

Java sucht in der Hütte nach einer kleinen Schüssel oder Schale und wird fündig. Sie zerstampft die Pflanzen und übergießt sie mit Wasser.

"Trinken", befiehlt sie ihrer Freundin, welche die Nase rümpft.

Selina verzieht das Gesicht. Die Tinktur schmeckt sehr bitter. Sie nimmt einen kleinen Schluck, dann will sie aufhören.

"Alles! Runter damit!" Java blickt sie streng an. Selina gehorcht. - "Und nun schlafe dich aus. Ich decke dich zu, du sollst schwitzen. Keine Angst, ich wache über dich."

"Danke." Selina legt sich hin, wenige Minuten später schläft sie tief und fest.

Java sitzt neben dem Bett. Nie hätte sie gedacht, in eine solche Situation zu gelangen. Sie wollte bloß Beweise gegen die Entführer sammeln und danach zur Polizei gehen. Von eigener Verbrecherjagd war nie die Rede. Und nun ist Selina ernsthaft krank. Java muss sie ins nächste Dorf schaffen, soviel ist sicher. Ihre Gedanken schweifen ab; sie sieht Umbigwe lächeln, seinen starken Körper; sie hört seine lustigen Worte und kann sein leckeres Essen riechen. Mit einer Hand streicht sie über Selinas Stirn, mit der anderen wischt sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht.

***

Noëlle führt Marco durch das Zentrum der Stadt. Sie zeigt ihm die interessanten Plätze und die Einkaufsmöglichkeiten. Marco fühlt sich wie in einem Urlaub. Gemeinsam durchstöbern sie die Läden, machen Witze und haben Spaß. Noëlle trägt eine enge Jeans und ein helles Top. Sie sieht umwerfend aus. Marco bemerkt, wie sich Männer und Frauen nach ihr umdrehen.

"Wollen wir etwas trinken?", fragt Noëlle schließlich. Sie steuert auf ein schickes Straßencafé zu und zieht Marco hinter sich her. Zielstrebig setzt sie sich an den besten Tisch, mit Blick auf die Straße, mitten in der Fußgängerzone. Sehen und gesehen werden. Marco setzt sich neben sie. Bereits fragt ein Kellner nach ihren Wünschen, Noëlle bestellt, ohne zu fragen, Champagner.

"Worum geht es in deinem neuesten Buch?", fragt er von der unbequemen Situation ablenkend.

"Um eine selbstbewusste, junge Bäuerin, die sich ihren Wüstenprinzen erobern muss. Sie folgt ihm in die Wüste, wo sie ihn überraschen will. Aber er ist bereits einer arabischen Prinzessin versprochen, die er jedoch nicht liebt. Es wird ein tragisch-romantisches Buch. Woran schreibst du?"

"Ich versuche mich gerade an etwas ganz anderem. Ich hatte die Idee, das Leben eines einflussreichen Mafiabosses in eine Geschichte zu packen, einerseits biografisch, andererseits als eine Art Krimi. Er hat mich sehr beeindruckt und ich möchte ihm damit ein Denkmal setzen."

"Das klingt spannend", Noëlle prostet ihm zu. "Ich finde es schön mit dir hier zu sein."

Marco will etwas erwidern, doch sein Handy klingelt. Er entschuldigt sich kurz bei ihr, steht auf und geht einige Schritte weg.

"Bro! Wo steckst du?" Umbigwe.

"Ich bin in der Stadt, warum?"

"Deine Ruhe möchte ich haben. Moment mal - mit der Schlange?"

"Noëlle ist auch hier, ja. Sag mir, warum du anrufst?"

"Weil du offensichtlich einen Schutzengel brauchst, mein Freund. Und weil Polizisten Javas Telefon gefunden haben, falls dich das noch interessiert."

"Was sagst du da? Wo?"

"Das sage ich dir, sobald du wieder hier bist. - Marco, mein Freund, mach keine Dummheiten und komm sofort her, hörst du?" Umbigwe unterbricht die Verbindung.

Marco starrt auf das Telefon. Noëlle legt ihm die Hand auf die Schulter, die Getränke hat sie bezahlt und sich längst neben ihn gestellt.

"Alles in Ordnung?", fragt sie besorgt.

"Ich muss ins Hotel. Dringend."

Marco rennt zum nächsten Taxistand und spricht den Fahrer des vordersten Wagens an. Dann öffnet er die Tür zum Fond. "Schnell, Noëlle. Wenn du mitkommen willst, steig bitte ein."

Leicht irritiert folgt sie der Aufforderung und rutscht durch, Marco setzt sich neben sie. Das Taxi braust los.

"Was ist los? Warum haben wir es so eilig?"

"Entschuldige bitte, es war ein Fehler, in die Stadt zu gehen. Die Polizei hat Javas Mobiltelefon gefunden."

"Dann haben sie die Frauen befreien können?"

"Nein, eben nicht. Die Entführer und unsere Freundinnen waren schon weg. Es ist zum Verzweifeln."

Noëlle legt Marco die Hand auf den Oberschenkel. "Nicht aufgeben, es geht ihnen bestimmt gut. Wo hat man das Telefon gefunden?"

"Das hat mir Umbigwe noch nicht gesagt. Wir werden es bald erfahren."

Bereits als das Taxi in den Hof des Hotels einbiegt, steht Umbigwe draußen und wartet. Das Auto steht noch nicht still, da reißt er aufgebracht die Türe auf.

"Da seid ihr ja! Was soll das? Einfach abzuhauen, ohne etwas zu sagen. Geht es dir nicht mehr gut, mein Freund?" Umbigwe würdigt Noëlle keines Blickes und zerrt seinen Freund aus dem Taxi, direkt in die Eingangshalle.

Noëlle ist sichtlich wütend über das grobe Vorgehen des Kongolesen. Sie entschuldigt sich beim Taxifahrer, bezahlt die Fahrt und stöckelt ins Hotel, wo sie die beiden Freunde heftig diskutierend antrifft.

"... müssen sofort los. Das ist eine lange Fahrt dorthin."

Marco dreht den Kopf zu Noëlle, als er sie eintreten sieht. Umbigwe packt ihn an den Schultern und schüttelt ihn. "Wach auf, verdammt nochmal. Wir holen jetzt unsere Freundinnen." Dann blickt er Noëlle wütend an. "Und Sie, werte Dame, lassen gefälligst die Finger von diesem glücklich verheirateten Mann!"

Sie lächelt nur. "Wenn sich die Herren etwas beruhigt haben und mir berichten, worum es hier geht, kann ich allenfalls behilflich sein. Wohin soll es eine lange Fahrt sein?"

"Das geht Sie nichts an", faucht Umbigwe zurück.

Noëlle wehrt ab. "Nun gut, dann fahren Sie, wohin auch immer Sie fahren wollen. Meinen Hubschrauber kann ich auch allein benutzen."

Marco starrt Umbigwe an. "Sie hat einen Hubschrauber!"

"Den haben wir auch; kostet uns bloß einen Anruf und etwas Zeit."

"Meiner steht auf dem Dach. Ich sagte doch - vielleicht kann ich helfen." Noëlle lächelt weiterhin.

"Für wie viele Personen?"

"Sechs Passagiere, zwei Piloten. Dauert eine Minute - wenn ihr mir erklärt, warum wir fliegen sollen."

Marco reißt sich von Umbigwe los und packt Noëlle an den Schultern. "Wir müssen nach Norden, in die Grenzgegend um Niablé."

"Mit dem Auto etwa fünf Stunden. Mit dem Hubschrauber etwas mehr als vierzig Minuten."

"Warum willst du uns helfen?" Umbigwe ist sehr skeptisch, er traut Noëlle nicht über den Weg.

"Weil ich eine nette Person bin und weil mir hier die Decke auf den Kopf fällt. Und weil ihr ausseht, als ob ihr meine Hilfe gebrauchen könntet", gibt sie ihm schnippisch zurück.

"Lass gut sein, Kumpel", beruhigt ihn Marco. "Sie hat recht - wir können ihre Hilfe benötigen. Die Polizei wartet in Niablé - lass uns hinfliegen."

Die Freunde eilen zum Fahrstuhl, Noëlle mit ihnen.

***

Java erwacht; die Müdigkeit war letztendlich stärker. Sofort tastet sie zur Seite, spürt den heißen Körper ihrer Partnerin und ist beruhigt.

Selina atmet ruhig, ihre Stirn tropft, die Kleider sind durchnässt. Java trocknet die Stirn mit einem Lappen, dann weckt sie ihre Freundin auf. "Selina? Bist du bei mir?"

Die Journalistin dreht sich langsam zur Seite und öffnet die Augen. "Wie lange war ich weg?"

"Lange genug, denke ich. Wir sollten weiter. Wie fühlst du dich? Wird es gehen?"

"Ich denke schon; gib mir noch einige Minuten."

"Ist dir schlecht?"

"Nein. Deine Kräutermischung scheint geholfen zu haben. Aber ich bin klitschnass und stinke zum Himmel!"

Java lacht. "Das tun wir beide, meine Liebe. Egal - das hält die Mücken fern."

Nun lacht auch Selina. "Woher nimmst du nur deine positive Energie? In allem und jedem siehst du etwas Gutes. Ich möchte das auch können."

"Täusch dich nicht; das kann auch sehr gefährlich sein. Vor allem wenn es um das Vertrauen in Menschen geht."

Selina hat sich inzwischen aufgesetzt. Ihre langen Haare fallen ihr ins Gesicht; sie wischt mit der Hand darüber und klemmt sie hinter das linke Ohr. "Gehst du deshalb noch auf Distanz bei Umbigwe?"

"Bestimmt, ja. Ich bin mir nicht sicher; es ist kompliziert." Java blickt auf den Fußboden und scharrt im Staub. Selina versteht, dass sie nicht darüber reden möchte.

"Wohin werden wir nun gehen?", wechselt sie elegant das Thema.

"Ich glaube, es gibt ein Dorf, etwas südlich, nicht weit von hier. Meinst du, du schaffst das?"

"Ich denke schon. Lass uns gehen. Danke, dass du auf mich aufgepasst hast."

Die Freundinnen sammeln ihr weniges Gut zusammen und verlassen die Hütte. Selina ist noch immer schwach und muss von Java gestützt werden. Langsam humpeln sie auf die Straße zurück und folgen ihr dann in Richtung Sonne.

Keine von ihnen kann sagen, wie lange sie auf der staubigen Straße unterwegs waren, als sie die ersten Hütten der Siedlung in der Ferne ausmachen können. Irgendwann unterwegs haben sie einen Hubschrauber über den Wald fliegen sehen, der in Richtung Ghana unterwegs war. Sie duckten sich unter einige Büsche, um möglichst nicht entdeckt zu werden.

Fahrzeuge haben sie keine gesehen. Nun erreichen sie den Dorfeingang. Die ersten Häuser stehen leer, in den Fensteröffnungen hängen zerrissene Gardinen, einzelne Fenster sind mit schmutzigen Glasscheiben versehen. Erst beim dritten oder vierten Haus finden sie eine alte Frau, die ihre frisch gewaschene Wäsche an Leinen befestigt. Java ruft nach ihr.

Die Frau dreht sich um, schaut die zwei Gestalten an; dann stellt sie ihren bunt geflochtenen Wäschekorb auf die Erde und eilt herbei. Sie spricht nur gebrochen Französisch.

"Mädchen, was seht ihr schlecht aus! Woher kommt ihr denn?"

"Aus dem Wald. Meine Freundin ist krank. Kannst du uns helfen?", fragt Java.

"Aber natürlich! Wurde sie von einem Tier gebissen?"

"Nein. Sie hat bloß Fieber und ist schwach. Ich habe ihr Schlangenwurz gegeben."

Die Alte blickt Java anerkennend an. "Gutes Mädchen! Damit hast du ihr wahrscheinlich sehr geholfen. Bring sie rein. Bist du in Afrika aufgewachsen?"

"Nein. Südamerika und in der Karibik."

"Aber du kennst dich aus. Das ist gut." Die Alte führt Java und Selina ins Haus. Es ist ein einfaches Haus mit zwei Räumen, durch einen einfachen Vorhang getrennt. Im hinteren Raum steht eine Pritsche wo sie Selina hinlegen. Dann zieht die Alte ihr die Kleider aus. "Diese Sachen müssen wir waschen; sie tragen die Krankheit noch in sich. Du solltest deine Sachen auch waschen, meine Gute." Sie blickt Java streng an. "Draußen gibt es frisch gewaschene Kleider. Sind euch zu groß, aber ihr könnt sie enger schnüren. Hole bitte zwei davon. Hinter dem Haus gibt es eine Dusche. Bitte geh dich waschen."

Die Frau wickelt Selina in große Tücher und legt ihre Kleider in einen Korb. Java zieht sich draußen aus und stellt sich dankbar unter die Dusche. Das kalte Wasser weckt ihre Lebensgeister. Viel länger als normal steht sie unter dem Strahl und lässt sich berieseln. Danach trocknet sie sich ab, greift nach einem grünen Kleid mit schwarzem Muster und zieht es an. Geschickt schnürt sie das Kleid zusammen, bis es ihrem schlanken Körper angepasst ist.

Im Haus hat die Alte unterdessen Tee gekocht, der würzig-süßlich riecht. "Was ist das?", fragt Java neugierig. "Danke für die Dusche - die war echt nötig! Ich heiße Java."

"Freut mich, Java. Ich bin Tanisha. Der Tee wird deine Freundin gesund machen. Sie hat ein einfaches Fieber, wahrscheinlich durch den Stress und das Klima. Wie lange habt ihr zwei nichts gegessen?"

"Lange; keine Ahnung", sie setzt sich auf einen der zwei Stühle im Raum.

"Ihr seid auf der Flucht vor Männern - das sehe ich. Hier seid ihr sicher; hier geschieht euch nichts. Ich mache euch etwas zu Essen, dann kannst du erzählen, wenn du willst."

"Danke, Tanisha." Java lehnt sich auf dem Stuhl zurück.

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