25 - New York, USA & Souanké, Kongo

Die Kakaopflanze stammt ursprünglich aus Südamerika und fand den Weg nach Afrika über die Schiffe der spanischen und niederländischen Eroberer und Entdecker. Heute sind jedoch Côte d'Ivoire und Ghana die marktbeherrschenden Produktionsländer. Kakao ist ein Beispiel dafür, dass die produzierenden Länder im Süden wenig von ihrem Rohstoff profitieren - weit weniger als die handelnden und abnehmenden Länder im Norden, welche den Rohstoff zu edlen Endprodukten verarbeiten. Schokolade wird nicht in Afrika produziert - noch nicht. China ist daran interessiert, den afrikanischen Ländern bei der Verarbeitung zu helfen und investiert in die Kakaoverarbeitung in Côte d'Ivoire und in Ghana. Selbstverständlich wollen sie sich gleichzeitig, mit gegenseitigen Verträgen, ihren Anteil an Schokolade sichern - niemand handelt selbstlos, wenn es um Milliarden Dollar und um weltweite Wirtschaftsmacht geht.

Gerade in Côte d'Ivoire wurden dereinst große Flächen Regenwald gerodet, um die Kakaopflanzen anzubauen. Die rund sechs Millionen Tonnen Kakao, die jährlich gehandelt werden erwirtschaften einen Milliardengewinn. Für die verarbeitenden Länder im Norden. Für Côte d'Ivoire ist Kakao die wichtigste Einnahmequelle.

Zusammen mit Ghana hat das Land ein Gesetz verabschiedet, das den Abnehmerländern eine Prämie von vierhundert Dollar pro Tonne Kakao aufbrummt, damit den Bauern sichere Preise garantiert werden können. Seit der Coronapandemie drücken sich die Industrieländer um die Bezahlung der Prämie.

Weil die Plantagen in Afrika alt sind, geht die Gesamtproduktion zurück. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Schokolade in Indien und in China rapide an - das führt zu einem Engpass in der Produktion, Kakao wird Mangelware und demzufolge steigt der Marktpreis an der Börse. Trotz täglicher Schwankungen ist längerfristig ein starker Trend nach oben feststellbar. Die Anleger freuen sich.

Die schlechten Nachrichten aus der Schweiz allerdings führen zu einem massiven Rückgang des Konsums. Messbar. Vor allem die weltweit tätigen Konzerne aus der Schweiz sind davon betroffen, aber auch in Amerika verlangen immer mehr Konsumenten genaue Auskünfte, ob bei der Kakaoproduktion Kinder beschäftigt werden.

Blanchet Chocolats gehört zu den sechs weltweiten Konzernen, die den Markt mit Schokolade beherrschen. Dazu kommen die vier größten Händler mit dem Rohstoff Kakao. Die zehn Konzerne bestimmen, wie viel Kakao wohin verschifft wird und welchen Preis man dafür bezahlen muss. Sie kontrollieren den Markt, die Börse.

Wenn nun ausgerechnet die Aktien eines derartigen Weltkonzerns ins Rutschen geraten, kann das zu Panikverkäufen führen, was sich negativ auf den Rohstoffpreis auswirkt. Letztendlich werden jedoch nicht die Aktionäre ihr Geld verlieren, die Verluste werden an die Produzenten nach unten durchgereicht. Die Aktien von Blanchet haben an der Börse bereits zweistellige Verluste eingefahren, Tendenz steigend.

Das spürt man folglich auch an der New York Cocoa Exchange, im Mittelpunkt des weltweiten Kakaohandels. Obwohl Kakao seit den späten Neunzigerjahren Teil des New York Board of Trade ist, Teil des wichtigsten Handelsortes für sogenannt weiche Rohstoffe, bleibt der Kakao für sich ein Sorgenkind. Er ist nicht nur an den Börsenhandel sondern zudem an den Währungskurs des Britischen Pfunds gebunden, weil Großbritannien eine historische Vorherrschaft über die westafrikanische Kakaoindustrie hat.

Die Broker sind nervös, sie versuchen die Bestände an Kakao, welche ihre Kunden angelegt haben, möglichst schnell loszuwerden, um wenigstens einen Teil der Investitionskosten retten zu können. Am Ende des Handelstages setzen sich zwei Kollegen erschöpft auf die Treppe des Handelsgebäudes. Sie rauchen eine Zigarette, die erste an diesem wirren, hektischen Tag.

"Wer zum Teufel hat diesen Zerfall ausgelöst?", fragt der jüngere von ihnen matt.

"Ich habe gehört, es sei eine Journalistin aus der Schweiz gewesen. Sie habe verbreitet, Blanchet mache seine Gewinne mit Kinderarbeit."

Der junge Mann stößt verächtlich Luft und Zigarettenrauch aus. "Weiber! Und dazu noch Pressefritze, eine sehr schlechte Kombination. Und wir dürfen das natürlich wieder ausbaden. Blanchet hat heute zeitweise die Hälfte seines Werts eingebüßt. Wenn das über Nacht bis morgen anhält, dann steht uns ein schwarzer Tag bevor."

"Das könnte eine weltweite Krise auslösen. Firmen müssten schließen, Ware für viel Geld vernichtet werden. Nur, weil eine Journalistin sich profilieren will. Es ist eine Schande", jammert der Ältere.

Nach einer kurzen Pause spricht er weiter: "Aber was ist, wenn sie recht hat und tatsächlich Kinder für den Kakao Zwangsarbeit verrichten müssen?"

Der Jüngere schaut ihn an. "Was kümmert das uns? So haben die Bengel wenigstens etwas zu essen. Wir haben mit dem Rohstoff zu handeln und sie haben ihn uns zu liefern - so einfach ist das. Der Markt bestimmt den Preis, da können wir doch nichts dafür."

"Du weißt genau, dass der Kakaopreis von vielen Faktoren abhängt; politische Unruhen, Kriege, Schädlingsbefall, Witterungseinflüsse - alles kann zur Verknappung des Rohstoffes oder zu Einbrüchen des Absatzes führen. Es ist ein ständiger Wandel. Wenn die Menschen plötzlich keine Schokolade mehr kaufen, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, werden am Ende Arbeiter entlassen und Fabriken geschlossen."

"Richtig, aber nicht hier. Hier wird vorerst nur die Schokolade billiger, damit sie nicht im Supermarkt verfault."

"Sobald wir einen solchen Trend spüren, sollten wir reinvestieren, bevor die Nachfrage wieder steigt und damit den Preis hochdrückt."

***

Von derartigen Spekulationen und Strategien spüren die Bauern in Côte d'Ivoire oder Ghana allerdings nichts. Sie spüren, dass man ihnen ihre Ernte nicht mehr abkauft; und wenn doch zu einem weit niedrigeren Preis als noch vor einigen Wochen.

Sie fragen sich, was der Grund dafür sein könnte. Von ihren Abnehmern erfahren sie nichts. Man erzählt, die Ware sei nicht gut genug. Dabei haben sich die Bauern angestrengt, noch bessere Qualität zu liefern als üblich. Seit sie von der Regierung eine Art Subvention erhalten, wollen sie im Gegenzug gute Ware liefern. Sie sortieren sogar schon beschädigte oder angefaulte Bohnen aus, nehmen einen geringfügigen Rückgang der Erntemenge in Kauf, damit die Qualität steigt.

Kleinere Betriebe bleiben auf ihren Bohnen sitzen. Die finanziellen Ausfälle bringen die Familienbetriebe in die Existenznot. Viele Bauern fällen die Kakaobäume und stellen auf Ölpalmen um. Das Palmöl liefert ihnen höhere Einnahmen bei weniger Aufwand.

Auch der Anbau von Bananen oder anderen tropischen Früchten könnte ihnen die Existenz sichern - allerdings dauert es einige Jahre, bis die neuen Pflanzen hohe Erträge liefern. Diese Zeit zu überbrücken ist für die armen Familien nicht möglich. Es bleibt ihnen nur der Wegzug in die Stadt in der Hoffnung, dort eine Arbeit zu finden.

So schlecht steht es in Kongo noch nicht, dank den Verträgen, die Omari mit Fairtrade-Unternehmen abgeschlossen hat.

Malaika Ndembo sitzt in ihrem Büro und hat sämtliche Unterlagen, die Verträge mit den Abnehmern, die Rechnungsbücher auf allen Tischen und Ablagen ausgebreitet. Sie liest sich durch die komplizierten gesetzlichen Bestimmungen, lernt die Abläufe in der Handelskette kennen. Malaika brummt der Schädel.

Omari fehlt an allen Enden und Ecken. Er war der Stratege, er war der Verhandler. Sie hat sich immer nur um die Zahlen gekümmert, doch plötzlich muss sie auch die Verträge kennen und dafür sorgen, dass man sie nicht hintergeht und ihr für den Kakao den richtigen Preis bezahlt.

Sie fühlt sich für ihre Angestellten verantwortlich. Auf der Ndembo Farm ist man eine große Familie, alle helfen einander. Die Lehrerin arbeitet schon seit zwei Wochen ohne Lohn - das kann so nicht weitergehen.

Das Telefon reißt Malaika aus den sorgenvollen Gedanken. "Ja?" Das hat härter geklungen, als sie es beabsichtigt hatte.

"Malaika? Alles in Ordnung? Ich bin es, dein Bruder."

"Umbigwe! Dich schickt der Himmel! Wo seid ihr? Ich brauche euch hier."

"Wir sind in Côte d'Ivoire."

"Was? Wieso? Was wollt ihr dort?"

Umbigwe berichtet seiner Schwester, was vorgefallen ist. Malaika spürt die Aufregung und den Schmerz in seiner Stimme.

"Armer Bruder - da findest du endlich eine Frau, die dich mag und schon nimmt man sie dir wieder weg." Ihr Scherz misslingt, Umbigwe kann nicht darüber lachen.

"Wir erhalten Hilfe von der Regierung in der Schweiz. Selina ist Schweizerin. Die Botschaft hier in Abidjan kannst du vergessen. Alles Bürokraten und kleinkarierte Aktenvernichter."

"Tut mir leid für dich, Umbigwe. Ich hoffe, ihr findet sie schnell und unversehrt wieder. Noch mehr Verluste könnte ich nicht ertragen."

"Danke. Wie läuft es auf der Plantage?"

"Schlecht. Die Nachfrage an Kakao ist international eingebrochen. Es ist wie bei einer Überproduktion - die Preise fallen. Wir können einige Wochen mit dem angesparten Geld überbrücken, aber danach wird es kritisch. Du weißt, dass ich keine Leute entlassen kann - das hätte Omari nie gutgeheißen."

"Ja, das machen wir bestimmt nicht. Marco hat uns Hilfe zugesichert. Mach dir also keine Sorgen. Auch hier in Ivoire und in Ghana werden die Menschen nervös. Kakao ist immerhin für fast die Hälfte ihres Bruttosozialproduktes verantwortlich, hat man mir gesagt. Erste kleine Plantagen mussten bereits schließen. Die Menschen sind nun arbeitslos."

"Das ist schlimm, Umbigwe. Was haben wir nur ausgelöst?"

"Wir waren das nicht, liebe Schwester. Das waren die Mörder unseres Bruders, vergiss das nicht. Wenn wir die Söldner finden, die mir den Kindern handeln, können wir die Situation aufklären und den Markt eventuell beruhigen."

"Deine Nerven möchte ich haben. Du bist wie Omari, denkst immer positiv."

"Wie macht sich mein Schwager als neuer Leiter der Plantage?"

"Tajhari? Er ist täglich draußen, hilft im Betrieb mit. Er will alles über den Kakaoanbau und die Plantage lernen. Er ist ein guter Mann und er lernst schnell."

"Das freut mich. Wenn das alles vorbei ist, werde ich nicht hierbleiben können."

"Das weiß ich doch. Du hast dein Leben in Italien. Und du hast Pläne mit Java - das darf ich dir nicht abschlagen; obwohl ich dich gerne hier hätte."

"Ich werdet das großartig machen, da bin ich sicher. Hast du schon etwas von Elena gehört?"

"Ja. In zwei Tagen sollen einige Männer auf die Farm kommen, Italiener. Wir sollen sie als Mechaniker und Bauarbeiter beschäftigen. Sie sind aber unsere private Sicherheitspolizei. Die Pignatellis erstaunen mich immer wieder. Du hast dir mächtige Freunde zugelegt, mein Lieber."

Umbigwe lacht. "Ja, Malaika, das stimmt. Du hättest Maria und den Duce besser kennen sollen. Skrupellose Verbrecher mit einem riesigen Herz. Du hättest sie gemocht, alle beide."

"Wir werden sehen. Fürs erste bin ich beruhigt. Die Männer sorgen bei uns für etwas Sicherheit. Was werdet ihr als nächstes tun?"

"Wir werden versuchen, mit der Polizei und dem Militär eine Suchaktion zu starten. Die Schweiz hat Druck gemacht, wir haben einen Termin bei einem wichtigen Mann beim Militär erhalten. Dort wollen wir morgen hingehen." Nach einer kleinen Pause fügt Umbigwe noch einen kurzen Satz an. "Marco macht mir Sorgen."

"Weshalb? Ist er krank?"

"Nein, das nicht. Aber da schwirrt diese Noëlle Amara herum ..."

"Die Schriftstellerin? Ich liebe ihre Bücher über die Wüstenprinzessinnen und den Sultan! Das Buch mit der Dattelpflanzerin war der Hammer!" Malaika ist begeistert.

"Genau die!"

"Du klingst nicht begeistert. Warte - Marco macht dir Sorgen! Er hat sich doch nicht etwa in sie ..."

"Noch nicht, denke ich. Aber er flirtet ziemlich offensichtlich."

"Umbigwe! Er ist dein Freund, fast ein Bruder! Es ist deine Pflicht, ihn vor Dummheiten zu schützen, hörst du?"

Umbigwe murmelt etwas Unverständliches, das klingt wie "alt genug und selber für sich verantwortlich" oder "jede Hoffnung verloren".

"Bruder, hör mir zu: Elena ist seine Frau. Er hat einen Sohn in Italien. Prügle das in seinen alpinen Dickschädel! Das schulden wir Elena und ihrer Familie."

"Ich versuche es, meine Liebe; ich tu mein Bestes."

"Tu besser etwas mehr als das. Wenn die Beduinin ihn weiter betört wie der einkochende Dattelschnaps die Kamele, rufst du mich. Dann komme ich und erwürge sie eigenhändig mit ihrem Schleier - gute Bücher hin oder her!"

Umbigwe lacht. "Du bist mir eine Nummer. Ich passe auf ihn auf, versprochen. Grüße die Familie von mir, ich melde mich bald wieder."

Die Verbindung bricht ab. Malaika überlegt einen Moment, ob sie Elena eine kurze Meldung schicken soll, entscheidet sich jedoch dagegen. Besorgt widmet sie sich wieder ihren Papieren und Verträgen.

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