23 - Côte d'Ivoire - Westafrika
Java und Selina sitzen in einem fensterlosen Schuppen am Boden. Man hat ihnen Wasser und etwas Zwieback hingestellt. Durch die Ritzen im Dach und bei den Türen gerät genügend Tageslicht herein, dass die Frauen etwas sehen können. In einer Ecke schläft eine Schlange. Die Mobiltelefone hat Bono ihnen abgenommen.
"Das ist nicht gut. Zum Glück konntest du Marco noch kurz warnen und ihm unseren Standort schicken. Ich hoffe, sie suchen schon nach uns."
"Ich hoffe, ehrlich gesagt nicht, dass sie das tun. Ich hoffe, sie holen sich irgendwo Hilfe. Bei der Polizei oder in einer Botschaft. Uns zu suchen wäre vermutlich zu gefährlich."
Java nickt. "Wenigstens wissen wir nun, dass wir recht hatten. Das sind die Kerle, die Umbigwes Bruder umgebracht haben. Das sind die Kerle, die den kleinen Jungen suchen."
"Jap, wir haben sie gefunden. Jetzt müssten wir bloß noch einen Weg hier raus finden, dann wäre alles gut."
Java mustert Selina lange. "Ich wusste gar nicht, dass du derart pessimistisch sein kannst. Wir schaffen das; wir haben schon ganz andere Dinge geschafft. Nicht zusammen, aber jede von uns für sich. Erinnerst du dich an deine Flucht vor den Russen?"
Selina schmunzelt, als sie sich an ihr halsbrecherisches Abenteuer in Polen erinnert. Damals musste sie vor russischen Mafiasöldnern fliehen und konnte ihnen nur knapp entkommen. "Erinnere mich bloß nicht daran. Das war die Hölle."
"Aber du hast es geschafft, oder? Ich musste als Kind vor den Soldaten des Regimes fliehen, weil mein Vater politisch nicht auf deren Linie war. Wir haben beide Fluchterfahrung. Also lass uns einen kühlen Kopf bewahren und unsere Möglichkeiten sachlich durchgehen."
"Für eine Musikerin bist du ziemlich taff, meine Gute."
Java grinst. "Beurteile eine Frau nie nach ihrem Äußeren. Das könnte tödliche Folgen haben. Ich hatte einige Brüder, wenn dich das beruhigt."
Nun muss auch Selina lachen. "Ja, das beruhigt mich ungemein. Ich habe auch weniger vor den Söldnern hier Angst als vielmehr vor Kathrin, sollte ich jemals wieder nachhause kommen."
"Haha, das ist ein Argument", lacht Java, "nach allem, was ich von Marco weiß, kann sie ziemlich unberechenbar sein."
Selina scannt den Raum. "Solange die Schlange dort schläft, geht es uns einigermaßen gut hier. Ich hoffe, es hat keine Spinnen hier drin."
"Ach, du meinst diese süßen Dinger dort oben in der Ecke?" Java deutet in eine Ecke des Raumes. Hoch oben befindet sich eine riesige, behaarte Spinne, klebt an der Wand und bewegt sich nicht.
"Echt jetzt? Die Dinger machen mir Angst."
"Die Spinne kann dich beißen und das schmerzt; die Schlange oder die Söldner töten dich. Vor wem solltest du mehr Angst haben, frage ich dich?"
Selina schaut hinter sich, bevor sie sich an die Wand lehnt. "Okay, Jungle-Girl, es reicht. Ich schwitze bereits. Ich will raus hier."
"Das will die Spinne auch. Lässt du sie in Ruhe, lässt sie dich auch in Ruhe. Du bist nicht ihr Beuteschema."
"Und weiß das die Spinne auch?"
"Du bist mir eine Nummer! Hetzt mit deinen Berichten eine ganze Armee bewaffneter Söldner auf und fürchtest dich danach vor einem Krabbeltier. Das soll mal einer verstehen. - Wie ist das, wenn man mit einer Frau zusammenlebt?"
Selina blickt Java erstaunt an. "Du willst jetzt über solche Dinge diskutieren?"
Java zuckt mit den Schultern. "Warum nicht? Handys haben wir keine mehr. Wenn ich singe, hetzt uns das die Söldner auf den Hals - also sprechen wir. Oder möchtest du lieber 'Fang die Spinne' spielen?" Sie grinst wieder hämisch.
"Schon gut, du hast ja recht. - Was soll ich sagen? Es ist schön."
"Anders als wenn du einen Mann liebst?"
"Ja und nein. Wenn du an den richtigen Mann gerätst, dann ist es wohl vergleichbar. Der Durchschnittsmann hingegen vermag die Zärtlichkeit einer Frau kaum je zu lesen, geschweige denn auf sie einzugehen."
"Das klingt erotisch entspannend."
"Hattest du noch nie intimen Kontakt mit einer Frau?"
"Nein. Irgendwie hatte ich nie das Bedürfnis danach. Es ist schon erstaunlich, wie stark wir von Eltern und ihrer Erziehung geprägt werden."
"Ja, das ist wahr. Dabei ist Liebe geschlechtslos. Ein Gefühl, das sich nicht durch Normen und Gesetze kontrollieren lässt."
Java pflichtet Selina nickend bei. "Glaubst du an einen Gott?"
Selina starrt die Spinne an, weil sie sich bewegt hat und nun langsam die Wand entlang nach unten krabbelt. "Uh, schwierige Frage. Ich glaube daran, dass wir auf eine Art ungeschriebenen Gesetzen folgen. Ich glaube daran, dass unsere Seele mehr ist als nur eine Reihe chemischer Zufälle und Schaltungen. Aber an eine Monotheologie glauben? Nein, damit kann ich nichts anfangen; und wenn doch, dann ist Gott definitiv eine Frau. Denn die Natur ist weiblich."
Java lacht. "Ja, mit jeder Garantie. Wäre er ein Kerl, hätte er nicht bloß sieben Tage gebraucht, um die Erde zu erschaffen, sondern am ersten Tag eine Bar gebaut und sich danach zwei Monate lang darin volllaufen lassen." Sie lachen beide.
Die Spinne hat den Fußboden erreicht. Selina schmiegt sich an Java heran.
"Na, dann wollen wir mal", sagt die Frau aus der Karibik und geht auf die Spinne zu. Sie legt ihre Hand auf den Boden und wartet, dass das schöne Tier darauf krabbelt. Java dreht sich ruhig um, hält Selina die Hand mit der Spinne darauf hin.
Selina zieht sich panisch zurück. "Nicht! Geh weg damit. Willst du mich foltern?"
Java spricht sanft, ruhig. "Nur zu. Diese hier ist nicht sehr gefährlich. Beißt sie, ist es etwa wie der Stich einer Biene oder einer Wespe. Berühre sie sanft, sie spürt deine Angst, wodurch auch sie alarmiert wird. Atme aus und lege deine Finger auf ihren Rücken. Du kannst das." Java muss ihre Hand immer wieder langsam drehen, weil das Tier erforschend krabbelt.
Selina ist kreidebleich. Sie schwitzt, streckt jedoch zittrig ihre Hand aus. Immer wieder zieht sie die Hand zurück, schüttelt wortlos den Kopf. Java wartet geduldig und es scheint fast, als warte auch die Spinne.
"Woher kommt deine panische Angst vor diesen wunderschönen Tieren? Sieh sie dir an. Ist das nicht faszinierend, wie ihr Körper zwischen den acht Beinen hängt, immer im Gleichgewicht - erinnert mich an die Prinzessinnenkutsche aus Disneys Cinderella, irgendwie."
Selina beruhigt sich, muss leicht schmunzeln. Je mehr Java spricht, desto näher hält Selina ihre Finger an das Tier. Schließlich berührt sie die Spinne.
"Sachte, ganz langsam und ohne Druck. Sie darf sich nicht erschrecken. - Gut so. Halte deine Hand nun ruhig."
Java dreht ihre Hand, die Spinne krabbelt auf Selinas Hand. Die Journalistin weint. Sie legt ihre Hand auf den Boden, die Spinne krabbelt weiter. Beide Frauen schauen ihr nach, bis sie durch einen Spalt in der Mauer verschwindet.
Dann erst kreischt Selina laut auf und fällt Java um den Hals. "Das war der Wahnsinn! Ich habe eine Spinne gehalten! Die war ganz schön schwer!" Sie zittert am ganzen Leib und stampft wild auf und ab; Java lacht und freut sich mit ihr.
"Du warst großartig. Und weißt du, was das Beste ist? Dank der Spinne wissen wir nun, wo die Wand brüchig ist!"
Der Riegel der Türe wird beiseite geschoben. Der Mann, den sie Bono nennen, der ihnen den Wagen repariert hat, streckt seinen Kopf herein.
"Was lacht ihr so, ihr dämlichen Gazellen?"
"Wir freuen uns bereits über deinen Tod, du Mann", wirft ihm Selina voller Adrenalin entgegen. Java kann sie nur mit Mühe zurückhalten, sonst wäre sie dem Söldner womöglich an die Gurgel gesprungen.
Bono lacht dreckig, abschätzig. "Du bist kampflustig. Gefällt mir. Ich werde mit großem Vergnügen gegen dich kämpfen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Dann werden wir ja sehen, wer am Schluss lacht. Deine Arroganz werde ich dir rausficken, bevor ich dich in der Luft zerreiße. Der Boss will euch morgen sehen. Also haltet die Klappe!" Er schmettert die Türe ins Schloss und schiebt den Riegel wieder vor.
"Selina!", rügt Java ihre Freundin, "Ich hätte dir das Erlebnis mit der Spinne nicht zumuten sollen. Du entwickelst dich zu einer unkontrollierbaren Waffe! Komm mal wieder von deinem Adrenalinkick runter, heute Nacht verschwinden wir - durch die brüchige Wand."
***
Das helle Botschaftsgebäude der Schweiz ist ein schickes Haus, einstöckig mit einem Säulengang rundherum. Es wirkt modern, lichtdurchflutet, leicht und aufgeschlossen. Man wähnt sich willkommen; das Gebäude strahlt Kompetenz und Herzlichkeit aus.
Marco, Umbigwe und zwei aus dem Untersuchungsteam, Gabriela Torres und Tim Märki, sitzen im Büro des Schweizer Botschafters, genauer gesagt dessen Vertreters.
Der spindeldürre, großgewachsene Mann trägt sein langes Haar offen, sein Gesicht wird von einer mächtigen, dunklen Brille dominiert. François Piatti steht auf dem polierten Metallschild auf dem peinlich aufgeräumten Schreibtisch. Der Mann schwitzt. Sein Büro ist karg eingerichtet, einige Sukkulenten, eine Landkarte der Schweiz und eine M-Budget-Uhr an der Wand. Beide Flaggen, die der Schweiz und die einheimische, baumeln schlaff an in der Wand eingelassenen Haken, als warteten sie sehnlichst auf einen Luftzug.
"Sie sagen, die zwei Frauen seien entführt worden. Das ist schon drei Tage her. Das ist im Norden geschehen, den genauen Ort kennen Sie nicht."
Marco trommelt genervt einen Fingerrhythmus auf seinem Oberschenkel. Umbigwe sitzt gelassen auf seinem Stuhl, Märki diskutiert mit dem Sekretär und Gabriela übersetzt. Piatti schaut sie der Reihe nach an. "Und Sie sind alles Freunde der Frauen?"
"Wie wir Ihnen bereits mehrmals erklärt haben und wie Sie aus unseren Papieren entnehmen können, sind wir Mitglieder eines Untersuchungskomitees aus der Schweiz; wir sind in offizieller Mission unterwegs. Diese zwei Männer hier", Märki zeigt auf Umbigwe und Marco, "sind die Freunde der Frauen. Sie haben uns geholfen, an wichtige Informationen zu gelangen."
"Wichtige Informationen, soso. Das muss ich aufschreiben." Piatti tippt etwas in seinen Computer. "Welche Art Informationen?"
"Es handelt sich um die Entführung und Verschleppung von Kindern."
"Sie sagten, zwei Frauen seien entführt worden. Sie waren mit Kindern unterwegs? Warum sagen Sie das nicht gleich? Wenn Sie alles durcheinanderbringen, kann ich es nicht aufschreiben und wir können nichts für Sie tun. Ich muss das aufschreiben. Vor drei Tagen. Im Norden und den genauen Ort kennen Sie nicht."
Marco steht auf und verlässt den Raum. An der Türe fragt er nur kurz nach dem Weg zur Toilette. Piatti deutet zur Treppe, schaut danach wieder auf seinen Bildschirm. Die Türe fliegt ins Schloss und die Flaggen freuen sich sanft schwankend über den Windstoß. Gabriela rollt mit den Augen und schüttelt den Kopf, als Märki sie fragend ansieht.
"Monsieur Piatti, ich bitte Sie, wir haben es eilig. Die zwei Frauen könnten in Lebensgefahr sein. Wir brauchen ihre Hilfe."
"Ja, alle haben es immer eilig. Aber ich muss das aufschreiben, verstehen Sie? Im Norden. - Also hatten die Frauen nun Kinder dabei oder nicht?"
"Nein, Monsieur. Die Frauen haben die Entführer der Kinder beobachtet, sind dann ihrerseits entdeckt und festgenommen worden."
Piatti hebt den Kopf, seine Haare fallen ihm ins Gesicht. "Haben Sie schon mit der Polizei gesprochen? Solche Dinge machen wir normalerweise nicht. Dafür ist die Polizei zuständig." Die Haare schiebt er hinter sein Ohr zurück.
"Die Polizei hat uns zu Ihnen geschickt", lügt Märki den Botschaftsvertreter hemmungslos an; Gabriela und Umbigwe schmunzeln verhalten.
"Soso, zu uns geschickt. Das entspricht nicht dem Protokoll. Das ..."
"... müssen Sie bestimmt aufschreiben." Allmählich platzt auch Märki der Kragen.
"Genau. Haben Sie Erfahrung mit dem Protokoll?" Piatti tippt auf seiner Tastatur herum, hämmert dazwischen wild auf die Löschtaste und beginnt von vorne. Schließlich legt er seine riesigen Hände neben die Tastatur und schaut seine Gäste an. "So, es ist alles aufgeschrieben. Was kann ich nun für Sie tun?"
"Sie könnten die beiden Frauen zur Fahndung ausschreiben. Sie könnten einen Suchtrupp losschicken. Sie könnten der Polizei einen Suchbefehl erteilen. Nur hören Sie bitte auf, Dinge in Ihren Computer zu tippen."
"Sie haben doch keine Erfahrung mit dem Protokoll. Das ist eine ernste Sache, müssen Sie wissen."
Märki wird lauter. "Diese Entführung ist tatsächlich ernst. Es sind gewalttätige Verbrecher am Werk."
"Ich habe vom Protokoll gesprochen. Aber ja, die Entführung auch, Monsieur ..." Piatti schaut auf seinen Bildschirm und bewegt die Maus, "... Märki."
"Werden Sie nun aktiv?"
"Aber ja, wir nehmen solche Dinge sehr ernst. Ich werde meinen Bericht heute Abend dem Herrn Botschafter vorlegen. Er wird sich dann in einigen Arbeitstagen bei Ihnen melden. Ihre Nummern haben wir im Protokoll. Seien Sie unbesorgt, wir bleiben an der Sache dran. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag."
Piatti erhebt sich und streckt den überrumpelten Besuchern seine Hand entgegen. Niemand ergreift sie, alle drei verlassen den Raum. Als Gabriela kurz zurückblickt sieht sie, wie Piatti seine durcheinander geratenen Bleistifte auf dem Pult neu ausrichtet und sich dann wieder an den Computer setzt.
Vor dem Gebäude sitzt Marco auf einer Parkbank. "Entschuldigt bitte; ich musste da raus - ich hätte den Kerl womöglich erschlagen."
"Wie ist euer Land so wohlhabend geworden, wenn ihr solche Pfeifen in den politischen Ämtern habt?", fragt Umbigwe sichtlich besorgt und dennoch grinsend.
"Wir müssen via Bern Druck ausüben. Fahren wir ins Hotel zurück", schlägt Märki vor.
"Aber bitte mit einem Umweg über die Hotelbar. Ich brauche dringend ein Bier."
Die drei Männer blicken Gabriela Torres fragend an und zeigen auf ihre Uhren.
"Was denn? Der Kerl da drin ist nur mit Bier zu ertragen - und außerdem können wir im Moment nichts weiter tun als warten. Seid ihr dabei, Männer?"
"Zum Hotel", Umbigwe legt Gabriela seinen Arm um die Schulter und geht mit ihr zum Taxistand. Marco und Tim folgen ihnen lachend.
***
"Was redest du da, Bono? Du hast die Frauen? Das sind gute Neuigkeiten. Bring sie her. Ich will sie lebend, hörst du? ... Nein, ihr Gesundheitszustand interessiert unseren Boss nicht. Sie müssen reden und sitzen können. Und sie dürfen den Boden nicht vollbluten!" Cyril Goude prostet Laurent Djue, der aufmerksam zugehört hat, zu.
Als das Telefonat beendet ist, grinst Djue. "Sieh einer an. Dein Söldner ist doch zu was gut. Ich hätte es nicht gedacht. Das mit dem Boden war witzig."
"Bono verkauft noch die letzte Ware, dann fahren sie her. Dauert noch ein bis zwei Tage, dann kannst du die Schlampe persönlich auspeitschen lassen."
"Sie darf nicht in meiner Nähe gesehen werden. Die Presse verbreitet schon Bilder von ihr. Sie wird wie eine Heldin gefeiert. Das wäre eine schlechte Propaganda."
"Hast du dir schon einmal überlegt, sie zu deinen Gunsten zu nutzen? Du könntest für eine saubere Kakaoproduktion einstehen, für faire Preise und für die Aufdeckung von Sklaverei. Dabei könntest du erwähnen, die Journalistin habe in deinem Auftrag gehandelt."
Djue legt seinen Kopf schief, schwenkt den Whisky im Glas, denkt nach. Dann setzt er ein breites Grinsen auf. "Du bist ein durchtriebener Leopard, mein Lieber. Treibst deine Beute in die Falle und schlägst schonungslos zu. Das gefällt mir. So machen wir es. Erkläre deinem Söldner, dass die Frauen fototauglich aussehen müssen, sagen wir bis zu Hüfte."
"Sie sollen sehr attraktiv sein, hat Bono mir gesagt, richtige Gazellen."
"Dann soll er sie in meine Privatvilla bringen. Vielleicht werde ich sie auch nachts verhören müssen und möchte dazu nicht ins Gefängnis fahren müssen, wenn du verstehst. Er soll sie in Ruhe lassen, sie sollten in guter körperlicher Verfassung sein."
"Ich verstehe absolut, mein Lieber." Goude grinst. Sein Chef ist ihm einmal mehr in die Falle getappt; und den Frauen wird nichts geschehen. Er hat längst begriffen, dass ihre schmutzigen Geschäfte aufgeflogen sind und es nun gilt, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. "Was machen wir mit den Plantagen, die Kinder beschäftigen?"
"Wie lange sind die Typen aus der Schweiz noch hier?"
"Zwei vielleicht drei Tage. Warum meinst du?"
"Sie dürfen keine Kinder sehen. Im schlimmsten Fall lasst ihr sie frei und filmt das als Propaganda. Wir sollten eine Pressekonferenz vorbereiten, wo wir auch diese Schnüffler einladen."
"Das ist eine gute Idee. Ich veranlasse das. Die Plantagen lasse ich unterdessen säubern. Bringen wir die Kinder zurück?"
"Das ist zu teuer. Lasst sie auf der Straße frei, wenn die Kamera aus ist. In einigen Tagen, wenn die Schnüffler weg sind, könnt ihr sie wieder einsammeln. Weit werden sie bis dahin nicht kommen."
Goude nickt zustimmend. Mit der einen Hand leert der den Drink, mit der anderen greift er nach seiner Mütze, dann steht er auf. "Ich rufe dich wieder an. Danke für den Whisky. Salut, Djue."
Als der Söldner draußen ist, greift der Politiker zum Telefon und lässt sich mit einer Nummer im Sudan verbinden.
***
Die Nacht hat sich über den Dschungel gelegt wie eine schützende Decke über das schlafende Kind. Selina staunt immer wieder, wie kurz die Dämmerung in den Tropen ist. Es ist hell und einen Moment später ist es plötzlich zappenduster, als hätte jemand das Licht zum Schlafsaal ausgemacht. Und ebenfalls wie in den Jugendlagern als Teenager erwacht das Leben, sobald die Leiter das Licht gelöscht haben. Draußen kreischt, zirpt und raschelt es. Selina muss an die Spinne denken, doch interessanterweise schaudert es sie nicht mehr. Sie schaut Java dankbar an.
"Was ist?", fragt diese lächelnd.
"Ach nichts. Alles gut."
"Du hast den Schauer der Tropennacht verloren, stimmt's?"
"Ja, und dafür danke ich dir."
"Das war reiner Selbstnutzen. Ich kann schließlich nicht mit einer kreischenden Sirene fliehen. Auf gehts. Brechen wir die Wand ein."
Selina bleibt sekundenlang perplex sitzen, dann lacht sie und schlägt Java auf den Oberarm. "Du bist mir eine Nummer!"
"Ja, das sagt Marco auch immer. Hier ist die Stelle." Java kratzt etwas Putz von den Steinen, dann können sie die brüchige Stelle deutlich erkennen. "Zu zweit?" Javas Augen leuchten voller Abenteuerlust, eine Haarsträhne hängt im Gesicht, das eng anliegende Shirt ist verschwitzt.
Selinas Puls geht höher. "Bereit! Zusammen! - Java, ..."
Die Angesprochene fasst Selinas Gesicht mit beiden Händen, nur wenige Zentimeter von ihrem eigenen entfernt. Sie legt einen Zeigefinger auf Selinas Mund. "... ich weiß. Lass uns loslegen!" Sie lächelt Selina an und deutet mit der Hand auf die vor ihnen liegende Wand.
Die Frauen zählen bis drei, dann werfen sie sich gleichzeitig gegen die harte Wand. Steine kollern zu Boden, ein Loch gibt den Blick aus der Dunkelheit in die Dunkelheit frei. Doch es ist eine andere Dunkelheit; eine mit frischer Luft, mit Geräuschen, mit dem Duft der Freiheit; während die Dunkelheit im Rücken bloß den Mief der Gefangenheit bedeutet. Mit vereinten Kräften räumen sie einige Steine zur Seite, bis das Loch groß genug ist, damit sie durchkriechen können.
"Schnell, zur Straße und dann tiefer ins Land hinein", flüstert Java.
"Nein, lass uns nach Ghana zurückgehen."
"Genau das erwarten die Kerle von uns. Lass und weiter ins Land gehen und auf etwas Glück hoffen."
Die Frauen schleichen zur Straße und rennen danach Richtung grünes Nirgendwo davon. Nach nur wenigen Minuten hören sie hinter sich Motorengeräusche. Beide hechten gleichzeitig in die Böschung. Ein klappriger Lastwagen nähert sich. Er ist mit Holz beladen.
"Tropenholzschmuggler! Los, der fährt langsam. Wir können hinten aufspringen, ohne dass er uns erkennen kann." Java erhebt sich und macht sich bereit loszurennen.
Als der Wagen vorüber ist, rennen sie im Staub hinter ihm her. Von der Seite kriegen sie die Ketten zu fassen und können sich auf den lose rollenden Dolly hochziehen. Außer Atem setzen sie sich neben die gewaltigen Holzstämme auf den schmalen Kotflügel des Dollys.
"Bevor es hell wird, müssen wir abspringen. Die Holzschmuggler sind nicht weniger skrupellos als die Kerle, vor denen wir wegrennen."
"Woher weißt du solche Dinge?", fragt Selina erstaunt.
"Brasilien. - Schlafe ja nicht ein. Wenn du runterfällst, wirst du zu Matsche."
Selina klammert sich an die Kette und senkt ihren Blick. Unter ihr drehen vier gewaltige Räder und wirbeln rasselnd Staub auf.
***
Nach dem dritten Bier sind Marcos Freunde schlafen gegangen. Siesta, hat ihm Umbigwe zugezwinkert. Marco sitzt noch in der Hotelbar und schreibt Elena eine Nachricht.
"Die Botschaft können wir vergessen. Zu kompliziert. Was weißt du von deinen Cousins? - Haben nichts von Java und Selina gehört. Wir versuchen es morgen via Bern. Ti amo, Marco."
"Bonsoir. Was machst du so alleine hier?"
Die warme Stimme elektrisiert Marco augenblicklich, obwohl die Anmache eher billig scheint. Er blickt hoch und sieht in zwei strahlende, glasklare, blaugrüne Augen einer wunderschönen exotischen Frau. Ihr betörender Duft erreicht seine Nasenflügel, dringt bis in die Nebenhöhlen und wirbelt seine Hormone tüchtig durcheinander. Das regelmäßige Gesicht mit den kleinen Grübchen neben den erotischen Lippen, die schulterlangen, dunklen Haare, welche halb über die Wange fallen, lassen Marco einen Moment lang zögern, bis er begreift, wen er vor sich hat.
"Du bist Noëlle, Noëlle Amara!", stammelt er wie ein Schuljunge, der es endlich wagt, das Mädchen mit den langen Zöpfen anzusprechen.
"Ja. Und du bist Marco Stalder, der Schriftsteller aus der Schweiz. Hallo Kollege, darf ich mich setzen?"
"Aber ja, entschuldige." Marco deutet auf die Sessel am Tisch.
"Was trinkst du, Bier? Ich nehme einen Wein - bist du dabei?" Sie lächelt ihn an.
"Aber ja, warum nicht. Es freut mich, dich kennenzulernen." Er gibt dem Barkeeper ein Zeichen.
"Du hast mich neulich schon gesehen - und wahrgenommen. Ich dich auch, nebenbei. Was machst du in Côte d'Ivoire?" Sie schlägt die langen Beine übereinander, ihr Kleid rutscht etwas hoch. Sie lehnt sich zurück.
"Ehrlich? Ich versuche den Frust über die Unfähigkeit der Botschaft meines Landes zu ertränken." Marco muss sich bereits etwas konzentrieren, um seine Worte klar formulieren zu können.
"Das klingt traurig. Was ist geschehen?" Während sie ihre Arme auf die Lehne des Sessels legt, spannt das Kleid im Brustbereich deutlich.
Der Barkeeper steht an ihrem Tisch. Sie bestellen einen kühlen Weißwein und einige Snacks. Dann erzählt Marco von der Entführung der Frauen.
Noëlle schlägt die Hände vors Gesicht. "Das ist ja furchtbar! Und ihr habt nichts von ihnen gehört?"
"Nein, kein Lebenszeichen."
Ein Kellner bringt den Wein und die Snacks. Marco greift sich ein Glas und hebt es hoch. Noëlle lächelt ihn sanft an, sie stoßen an. "Habt ihr von den Entführern schon eine Botschaft erhalten?"
"Nein, leider nicht. - Was bringt dich hierher?" Marco will das Thema wechseln.
"Langweilig. Ich bin auf Promotour für mein neues Buch."
"Das ist doch nicht langweilig. Erzähle. Ich muss gestehen, ich kenne deine Geschichten nicht." Marco neigt den Kopf, Noëlle lacht.
"Das macht nichts. Dafür kenne ich deine. Der Roman über die Suche nach einem gestohlenen Auto war spannend. Du hast einen sehr lebensnahen Erzählstil."
"Danke, das freut mich sehr. Was schreibst du denn so? In welcher Ecke bist du zuhause?" Er nimmt sich einige Nüsschen.
Sie beugt sich vor, um ihrerseits ein Brötchen zu nehmen; schelmisch realisiert sie Marcos scheuen Blick auf ihr Dekolletee. "Ich schreibe Geschichten über die Wüste. Stories aus längst vergangenen Tagen, historische Liebesromane, könnte man sagen. Sie handeln von Nomaden, von mächtigen Scheichen, Prinzen und schönen Frauen."
Marco lächelt. "Tausendundeine Nacht?"
"In der Art, ja. Aber ich versuche, die Geschichten möglichst in einen authentischen Kontext zu stellen. Als Marokkanerin bin ich sozusagen an der Quelle und kenne die Geschichte meines Volkes. - Die Menschen lieben es." Sie knabbert an ihrem Brötchen und ihre Zungenspitze leckt die Krümel von den Lippen, die blaugrünen Augen fixieren Marco.
"Meine Freunde hier sagten mir, du seist die berühmteste Schriftstellerin Marokkos. Ist das wahr?"
Nun wird die schöne Frau leicht verlegen. "Ich befürchte, ja. Tatsächlich kann ich kaum irgendwo hingehen, ohne erkannt zu werden. Berühmt sein hat auch eine Schattenseite. Aber das weißt du ja selbst." Noëlle nimmt einen Schluck Wein, ihre Zungenspitze fährt erneut kurz über die Oberlippe.
"Bro! Immer noch in der Bar? Wer ist die Prinzessin?" Umbigwe nähert sich dem Tisch.
Noëlle blickt erst Marco an, rollt leicht mit den Augen und schaut dann Umbigwe direkt ins Gesicht. "Ich bin Noëlle Amara, enchantée! Und du bist?" Sie setzt ihr betörendes Lächeln auf.
"Umbigwe. Marcos Freund und Bodyguard. Was tut ihr hier?" Noëlles Lächeln zeigt keine Wirkung. Der große Koch blickt Marco streng an, während er zu ihr spricht.
"Wir reden über Bücher. Noëlle ist Schriftstellerin, wie ich. Alles gut, entspann dich."
"Wie es scheint, bin ich gerade zum rechen Moment gekommen." Umbigwe setzt sich und nimmt Marcos Glas, er prostet Noëlle zu und leert das Glas in einem Zug. Dann grinst er Marco an. "Über Bücher. Was für Bücher?"
Der Todesblick einer Mamba wäre weit weniger schmerzhaft als das, was Noëlles Augen Umbigwe ins Gesicht schleudern. Er grinst locker weiter, unbeeindruckt und schnappt sich ein Brötchen. Marco betrachtet die Szene betrübt, peinlich berührt.
Noëlle steht auf und reicht Marco die Hand. "Salut, Marco. Wir sehen uns wieder. Und wenn ich bei der Suche nach deinen Freundinnen behilflich sein kann, melde dich. Ich bin noch einige Tage im Hotel, Zimmer dreihundertzwölf. Danke für den Wein, es war schön, dich kennenzulernen." Ohne Umbigwe eines Blickes zu würdigen, stöckelt sie zum Aufzug.
Marco fasst seinen Freund am Arm. "Was soll das? Bist du von Sinnen?"
Umbigwe grinst. "Ich nicht, mein Freund, ich nicht! - Schnapp dir den Wein und komm mit zum Team. Wir haben einen Plan." Er greift die Platte mit den Snacks und wartet, bis Marco ihm kopfschüttelnd folgt.
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