18 - Westafrika

Selina und Java fahren mit einem kleinen, ramponierten Renault 5 über die unwegsame Straße. Auf dem Rücksitz liegen zwei große Trampingrucksäcke, einige Matten, ein Zelt und zwei Schlafsäcke. Sie sollen wie zwei Touristinnen aussehen, aber sie konnten keinen Geländewagen finden. Deshalb nahmen sie den alten R5 eines Dorfbewohners. Damit täuschen sie nicht mehr ein 'Verirren' vor, sondern ein 'Liegenbleiben' aus technischen Gründen.

Glücklicherweise ist der betagte Franzose sehr weich gefedert und schluckt einen beträchtlichen Teil der Schlaglöcher und Bodenwellen weg. Trotzdem schaukelt der Wagen wie eine Hafenboje bei hohem Seegang. Die zwei Frauen nehmen es locker und lachen bei jedem größeren Hüpfer, den ihr Gefährt macht.

"Schon wieder stecken wir mitten in einem Abenteuer drin. Verrückte Sache", sinniert Selina.

Java schmunzelt und hält sich gleichzeitig am Lenkrad fest, sie muss sich auf die Straße konzentrieren. "Du steckst wieder drin. Für mich ist es das erste Mal. Das letzte große Abenteuer habe ich nur aus Distanz beobachtet."

"Irgendwie wäre es auch cool, tatsächlich mit dir auf Abenteuerreise durch Afrika zu sein. Als zwei Touristinnen. Was meinst du? Würden wir uns vertragen?"

"Da habe ich nicht die geringsten Zweifel. Wir hätten einen Riesenspaß, allen Männern den Kopf zu verdrehen; an jedem Ort, wo wir auftauchen."

"Ja! Und danach wieder weiterzuziehen wie ein Sandsturm in der Sahara. Das wäre bestimmt lustig."

"Selina und Java, der Sandsturm, der den Afrikanern die Tränen in die Augen treibt. - Das wäre eine Überschrift für unseren Reiseblog."

"Wir würden berühmt", freut sich Selina.

"Bin ich schon, sorry." Java blickt Selina einen Moment zu lange grinsend von der Seite an und kann dem Schlagloch nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Der Wagen schlägt bis zum Boden durch. Die Frauen werden kurz von ihren Sitzen gehoben und prusten los vor Lachen.

"Autsch, ja, bist du - aber nicht fürs Autofahren!"

"Nein, glücklicherweise habe ich gute Fahrer dafür. Wie weit ist es eigentlich noch?"

"Laut Karte schon noch einige Kilometer. Wir werden dafür noch Stunden benötigen. Ich vermisse die asphaltierten Autobahnen."

"Ach komm schon. Das macht doch Spaß hier! Wenn der Anlass zur Reise nicht so traurig wäre, könnte ich mich sogar erholen. Es sind die unerwarteten Dinge im Leben, welche jene Kapitel schreiben, die wir nie vergessen."

"Schön gesagt, könnte direkt von mir kommen, diese Zeile. Warum bist du eigentlich Sängerin geworden?"

"Weil ich gut Autofahren kann."

Diese Bemerkung bringt Java einen Schlag auf die Schulter ein. "Ohne Scherz, ich meine es ernst."

"Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich wuchs mit karibischer Musik auf, hatte den Groove in der Wiege, wie man so schön sagt. Ich konnte singen, bevor ich sprechen konnte."

"ABBA", wirft Selina kurz ein.

"Wie? Was meinst du?"

"'I began to sing long before I could talk' - das ist eine Textzeile aus dem ABBA-Song 'Thank you for the music'. Ich liebe diesen Song." Selina singt die Zeile und Java stimmt sofort mit ein. Die zwei Frauen singen den ganzen Song, Selina trommelt auf dem Armaturenbrett den Beat und Java versucht die Bodenwellen rhythmisch zu treffen.

***

"Bono, wir haben ein Problem, um das du dich kümmern sollst." Cyril Goude wirkt besorgt.

"Und das wäre?", erkundigt sich der Söldner leicht genervt. Er steht etwas abseits, während seine Männer zwei Jungs festhalten und sie zwingen, mitzukommen.

"Die Journalistin, welche den Artikel zur Kinderarbeit veröffentlicht hat, ist hier."

Bono dreht sich schlagartig von der Szene weg, geht einige Schritte auf der Straße. "Was sagst du da? Die aus Europa?"

"Ja, zum Teufel. Und es kommt noch schlimmer. Dieser Bruder des toten Kakaofarmers ist ihr Freund."

"Der mit den Beziehungen zur Mafia?"

"Genau der. Du hast es erfasst. Und nun rate mal: Der liebe Gatte einer jungen Mafiaherrscherin in Italien ist ebenfalls hier. Der ist auch ein Freund dieses Kochs. Wir sitzen ziemlich in der Scheiße, zum Teufel."

"Was hat das mit uns zu tun?"

"Sie stellen Nachforschungen an. Sie besuchen Kakaofarmen und stellen unbequeme Fragen. Laurent wird nervös. Er will, dass wir sie stoppen."

"Wie stoppen?" Bono will sich absichern. Er braucht genaue Anweisungen. Vorsichtshalber stellt er die Aufnahmefunktion seines Mobiltelefons ein. "Was sollen wir tun? Sie töten?"

"Wenn es nicht anders geht, wird das wohl nötig werden. Aber wir sollen vorerst versuchen, sie einzuschüchtern, damit sie das Land freiwillig verlassen."

"Wo sind sie?"

"Momentan in Atebubu, sie kamen den weiten Weg von Tamale mit einem Kleinbus hergefahren und besuchten unterwegs Kakaofarmen."

"Sie sind in Atebubu? Dann haben sie Kontakt zur Mutter des Bengels aufgenommen. Es könnte sein, dass sie unsere Route kennt. Wir werden nächstens einen neuen Transport machen. Hast du Bilder?"

Goude zögert. "Im Moment noch nicht, aber die kann ich organisieren. Ich schicke sie dir aufs Handy, okay?"

"Gut, beeile dich, bitte. Ich möchte nicht an der Grenze stehen und beobachtet werden."

Bono unterbricht das Gespräch. Wütend marschiert er zu seinen Männern zurück, die noch immer mit den Knaben ringen. Er zieht seine Waffe und hält sie einem der Jungen direkt vors Gesicht. "Noch einen Mucks und du bist tot. Dein Freund zehn Sekunden später. Rein in den Bus, aber schnell!"

Die Jungs erstarren und lassen sich von den Männern in den Bus führen. Schluchzend setzen sie sich auf die hintersten Sitze. Bono erklimmt den Fahrersitz, knallt die Türe zu und startet den Motor. Seine Männer wagen nicht, ihn anzusprechen.

Der Ball, mit welchem die Jungs vor dem Eintreffen der Söldner gespielt haben, rollt in den Straßengraben.

***

Marco und Umbigwe sitzen im Schulzimmer der Gesamtschule von Atebubu. Die Kinder sind längst weg, ein Lehrer und eine Lehrerin sind geblieben. Sie unterhalten sich auf Französisch. Das große Zimmer ist mit Schulbänken vollgestopft. Vorne hängt eine alte Schiefertafel an der Wand, daneben die Landesflagge und eine Weltkarte. Auf einem Tisch, der offensichtlich als Lehrerpult dient, steht ein Globus. Einige Kreiden und Bleistifte liegen daneben, als wäre die arbeitende Person soeben aufgestanden und habe alles liegenlassen.

"Wie viele Kinder habt ihr hier?" Marco schaut sich im Zimmer um und versucht die Stühle zu zählen.

Die Frau strahlt ihn an. "An guten Tagen, wenn alle kommen, sind es neunundsiebzig Kinder zwischen sieben und vierzehn Jahren."

"Sie kommen nicht immer alle?"

"Einzelne haben einen sehr langen Schulweg. Sie kommen nur in der Mitte der Woche. Vorher und danach sind sie unterwegs. Manchmal dauert der mühselige Weg einen ganzen Tag."

"Sie gehen einen Tag zu Fuß, nur um in die Schule zu kommen?" Marco kann das kaum glauben.

"Aber ja! Sie kommen gerne her und wollen alle etwas lernen."

Umbigwe lacht. "Du darfst das nicht mit Italien vergleichen, mein Lieber."

"Wie ist es in Italien?", will der Lehrer wissen.

"Die Kinder werden alle mit den Autos zur Schule gefahren. Die Polizei sperrt jeweils zu Schulbeginn und Schulende ganze Straßen, damit die Eltern ihre Schützlinge begleiten können. Im Unterricht hören die Jugendlichen ihren Lehrpersonen nicht zu und den Lehrern ist das egal. Sie ziehen ihr Programm durch, egal was die Kinder tun."

"Das ist nicht der Sinn der Schule", wundert sich die Lehrerin. "Schule heißt doch, etwas Neues lernen, oder etwa nicht?"

"Das haben viele Industrieländer irgendwie vergessen. Schule bedeutet dort nur noch, die richtigen Papiere zu erhalten. Was man gelernt hat, interessiert niemanden, solange du das richtige Zeugnis hast."

"Das macht mich traurig. Ich dachte immer, es müsse schön sein, in einem reichen Land zu unterrichten. Nun glaube ich, es hier mit unseren lustigen Kindern besser zu haben."

Marco kommt auf den eigentlichen Grund ihres Besuchs zu sprechen. "Habt ihr in den vergangenen Monaten von Kindern gehört, die entführt wurden?"

Der Blick, den die beiden Lehrpersonen einander zuwerfen, würde als Antwort reichen. Dennoch erklärt der Lehrer leise: "Darüber sprechen wir nicht. Wir wissen nicht, was ihr mit solchen Informationen anfangen wollt. Wir wissen nichts darüber."

Marco und Umbigwe sind enttäuscht. Sie überlegen, wie sie eventuell doch noch an Informationen herankommen können, dann spricht die Frau sehr leise.

"Das stimmt nicht. Es fehlen vier Knaben aus der Region. Nachdem Kwame Manu verschwunden ist, kamen erst alle immer her. Aber nun fehlen die vier Jungs schon mehr als eine Woche, was sehr ungewöhnlich ist. Sie kommen sonst sehr zuverlässig zum Unterricht und sind sehr fleißig." Der Lehrer schüttelt den Kopf und wirft ihr einen strengen Blick zu.

"Lass mich! Diese Männer sind gut! Schau in ihre Augen. Marco hat Beziehungen nach Europa, er kann vielleicht etwas tun. Wir müssen reden. Vielleicht können wir den Jungs noch helfen. Mit Schweigen hilfst du niemandem."

Umbigwe erklärt ihnen den Grund ihrer Frage. Er berichtet von den Papieren und vom Zeitungsbericht, den Selina veröffentlicht hat. Marco ergänzt, dass sich in der Schweiz bereits einige Personen damit zu beschäftigen beginnen.

"Wir können nichts garantieren, aber wir wollen über diese Ungerechtigkeit berichten. Wir wollen, dass die Menschen der reichen Länder erfahren, was hier geschieht."

"Was dann? Werden die reichen Länder uns helfen? Nein. Glaubt mir, es gab vor euch schon viele, die Gleiches versucht haben. Das führt jeweils zu einem Aufschrei in Europa, im besten Fall zu einem neuen Gesetz. Danach ist wieder Ruhe und hier ändert sich nichts."

"Aber für die vier Jungs könnte sich sehr viel verändern. Lass uns ihnen helfen." Die Lehrerin berichtet von einem Bus, der gesehen wurde. Sie kann kein Kennzeichen geben. "Er war wohl mal weiß, nun aber hat er alle Farben und ist sehr rostig; er fällt hier nicht auf."

"Wisst ihr, was mit den Jungs geschieht, die entführt werden?"

"Leider nicht, nein. Man vermutet, sie werden zur Grenze gefahren, nach Côte d'Ivoire."

"Ja, das haben wir auch schon gehört. Wir brauchen Beweise, Umbigwe. Wenn wir etwas erreichen wollen, brauchen wir beweise."

Die Lehrerin und ihr Kollege tauschen wieder Blicke aus. Dann nicken sie beide. Der Lehrer steht auf und tritt an den einzigen Schrank heran, der in einer Ecke steht. Er holt eine Kiste heraus. Darin befinden sich ein älterer Laptop, ein USB-Stick und ein Notizbuch.

"Nachdem unser Vorgänger, Kwame Manus Vater, hier erschossen worden war, kannte sich niemand mehr mit diesem Gerät aus. Wir hatten das Passwort nicht und kamen damit nicht klar. Vielleicht nützt es euch. Es war sein Computer; nehmt ihn mit."

Marco und Umbigwe schauen sich ungläubig an und beginnen zu strahlen. "Marco, auf diesem Gerät könnten die Recherchen von Manus Vater sein. Wir müssen das untersuchen."

"Es gibt in unserem Team nur eine Person, die das Passwort eventuell knacken kann: Selina - und die ist unterwegs an die Grenze." Er nimmt die Kiste entgegen. "Vielen Dank, das ist genau das, was wir gesucht haben. Wir hoffen, darauf wichtige Hinweise oder gar Beweise zu finden. Ihr habt uns sehr geholfen."

***

Java und Selina erreichen den Grenzort. Sie parken vor den ersten Hütten der kleinen Ansammlung von Gebäuden. "Dann lass uns mal eine Panne simulieren", motiviert Selina ihre Partnerin. Sie öffnet die Motorhaube und entfernt zwei Steckverbindungen an der Zündanlage. "Versuch mal, ihn anzulassen."

Java dreht den Schlüssel, nichts passiert. "Gut gemacht. Woher kannst du sowas? Du steckst voller Überraschungen."

Selina grinst und schließt die Motorhaube wieder. "Ich war als Jugendliche in einer Mofa-Gang."

"Einer was?"

"Einer Gruppe von Jungs und Mädchen, die sich mit kleinen Motorfahrrädern unbeliebt machten. - Nun lass uns mal dort in diese Bar gehen."

Ihre beiden Rucksäcke nehmen sie mit, da sich der Wagen nicht abschließen lässt. In der Bar bestellen sie sich zuerst ein Bier und setzen sich wie zwei normale Touristinnen an einen kleinen, wackligen Tisch. Es befinden sich nur der Barmann und zwei weitere Männer im Raum. Alle mustern Selina. Java fällt weit weniger auf, obwohl auch sie für Ghana eine zu helle Hautfarbe hat.

Einer der Männer schleicht zu ihnen herüber. "Die Show beginnt", flüstert Java.

"Na das sieht man nicht alle Tage. Wo kommt denn ihr zwei Hübschen her." Der Mann riecht nach Schweiß und Alkohol.

Selina lächelt trotzdem freundlich. "Wir sind Touristinnen auf der Durchreise und leider mit unserem Wagen liegengeblieben. Wir hofften, hier ein Telefon zu finden. Oder vielleicht einen Lastwagenfahrer, der sich mit Motoren auskennt."

"Mit Motoren kenne ich mich nicht aus. Aber ich könnte euch sonst helfen. Ich bin in vielen Dingen gut."

"Dann sei so nett und sei dort drüben gut. Wir sind ein Paar und brauchen deine Anwesenheit nicht." Java wirft dem Mann einen Blick zu, der ihn erstarren lässt.

"Schon gut. Man wird ja noch fragen dürfen."

Als der Mann sich verzogen hat, lacht Selina Java zu. "Du weißt schon, dass ich mit Kathrin zusammenlebe, oder?"

"Sicher, aber der Typ da nicht. Und es hat ihn vertrieben."

"Es kommen immer wieder Lastwagen oder Busse vorbei. Ihr könnt gerne hier warten. Rafael ist harmlos, der tut euch nichts." Während er spricht, räumt der Barmann einige Gläser auf ein Brett, das schief an der Wand hängt.

"Wir hofften auf ein Telefon. Hast du eins?"

"Telefon ist nicht. Es gibt eines, aber es ist kaputt. Ohne Satellitentelefon habt ihr hier keine Verbindung. Sorry."

"Dann werden wir wohl warten müssen."

Der Barmann zuckt nur mit den Schultern und widmet sich wieder seiner Arbeit.

Java lehnt sich zu Selina. "Was machen wir, wenn der Bus nicht vorbeikommt?" Sie spricht nur leise.

"Nichts. Wir sollen den Ort beobachten und mit Menschen sprechen, die oft hier sind. Mit dem Barmann können wir später bestimmt noch reden, aber wir müssen erst etwas warten. Lass uns Mundart reden, wenn wir unter uns diskutieren, damit uns niemand versteht." Selina hat bemerkt, dass sie auch unter sich Französisch gesprochen haben, so geläufig ist ihnen die Sprache hier geworden.

"Wo seid ihr her? Diese komische Sprache habe ich noch nie gehört?"

"Wir sind aus Schweden", lügt Java.

"Wo liegt das?"

"In Europa."

"Dann seid ihr reich? Alle Europäer sind reich." Der Barmann bringt ihnen noch zwei Biere.

"Da muss ich dich enttäuschen. Wir sind nicht reich, sonst würden wir nicht mit dieser Schrottkarre da draußen reisen. Dann hätten wir einen schicken Mietwagen."

"Der nützt dir hier auch nichts. Die Straßen sind schlecht. Ein neuer Wagen ist nach einer Woche bereits alt, glaubt mir. Die Fahrer, die hier durchkommen, werden euch bestimmt mit dem alten Ding da besser helfen können als mit einem modernen."

"Gibt es hier eigentlich auch eine Busverbindung? Nur für den Fall, dass wir unseren R5 nicht mehr flottkriegen."

"Eine Buslinie gibt es nicht. Manchmal fährt ein Schulbus durch, der Kinder zum Nationalpark bringt. Schulausflug. Vielleicht könnt ihr da mitfahren."

Selina und Java hören aufmerksam zu. "Fährt der regelmäßig durch?"

"Nein", enttäuscht sie der Barmann, "nur wenn die Lehrer der Schule einen Ausflug planen. Alle paar Wochen, aber er ist schon länger nicht mehr durchgefahren."

"Was unsere Chancen steigen lässt", flüstert Java. Die zwei Frauen prosten sich zu und lehnen sich zurück.

***

Erst nach drei Stunden Fahrt wagt es ein Soldat Bono anzusprechen. "Boss, einige der Kinder müssen dringend pinkeln. Kannst du eine kurze Pause einlegen?"

"Wir treffen in etwa zwanzig Minuten an der Grenze ein. Sie sollen es sich verkneifen", murrt Bono immer noch wütend.

Der Bus rumpelt weiter über die schlechte Straße. Als er rund eine halbe Stunde später die letzte Biegung vor der Grenze passiert, fällt Bono sofort der rote Renault am Straßenrand auf. Er ist hellwach und auf alles vorbereitet. Allerdings sieht der Wagen weder nach Polizei noch nach europäischen Journalisten aus. Er hat zudem lokale Kennzeichen.

Bono stoppt den Bus vor dem Schlagbaum. "Fünfzehn Minuten Aufenthalt. Ich muss die Zollpapiere abstempeln lassen. Keiner steigt aus, es sei denn in Begleitung, klar?"

Die Kinder nicken. Einzeln werden sie von den Söldnern zur Toilette geführt, die sich in einem Nebengebäude zum Zollhäuschen befindet.

Bono stellt sich breitbeinig vor den Schreibtisch des Beamten und wirft die Dokumente auf die freie Fläche zwischen Schreibwerkzeugen und Stempelkissen. Der Beamte greift lustlos nach dem Stapel Papier, sieht die Seiten durch, entfernt den scheinbar zufällig dazwischen liegenden Umschlag und hämmert geräuschvoll seinen Stempel auf jede der Seiten. Dann händigt er Bono die Papiere wieder aus, wortlos und ohne ihn anzusehen.

"Geht doch! Vielen Dank und einen angenehmen Tag." Bono verlässt das Zollhäuschen und schreitet in die Bar. Sofort fallen ihm die zwei Frauen mit ihren übergroßen Rucksäcken auf, aber er stellt sich vor den Tresen. "Gib mir eine Cola, bitte. Ich verdurste."

"Bono, schön dich wieder einmal zu sehen. Wieder ein Schulausflug heute?"

"Hmm. Quälgeister. Wollen dauernd pinkeln. Ich könnte nie Lehrer sein." Etwas leiser fügt er hinzu: "Wer sind denn die zwei Süßen da hinten?"

"Zwei Touristinnen, die mit ihrem alten Renault liegengeblieben sind. Sie möchten mit dir mitfahren, falls du ihre Karre nicht reparieren kannst."

"Ich habe keine Zeit für zwei Aussteigertussen, die sich Afrika ansehen wollen. Dass ich sie nicht mitnehmen kann, sollte dir auch klar sein. Was hast du ihnen versprochen?"

"Dass du es versuchen wirst, falls du vorbeifahren solltest."

"Du bist ein Idiot, das weißt du doch, oder nicht?"

Der Barmann zuckt mit den Schultern. "Sie haben mir leid getan. Was sollte ich tun?"

Bono schnaubt, greift sich seine Cola und schlendert auf die Frauen zu.

"So, ihr hattet also Pech mit eurem Wagen."

"Und du bist?" Selina schielt ihn über ihre linke Schulter an.

"Nicht interessiert, soviel ist klar. Aber ich könnte mir euren Wagen ansehen. Ich bin Busfahrer."

"Verstehst du was von Motoren?", fragt Java erfreut.

"Ist nur ein Angebot. Wenn ihr nicht wollt ..." Bono dreht sich um.

"Warte", holt ihn Java zurück, "unser Wagen steht da draußen."

"Hab' ich gesehen. Eine echte Schrottkarre habt ihr euch da gekauft. Warum spart ihr Touristen immer an den Fahrzeugen. Gehört das zum Abenteuer dazu? Unbedingt liegenbleiben?"

"Spar dir deine Sprüche und folge uns." Selina steht auf und verlässt die Bar. Draußen sieht sie den Bus und weiß Bescheid. Mit einem Nicken gibt sie Java zu verstehen, dass sie übernehmen soll. Sie nimmt Bono am Arm und führt ihn zum Auto. Selina eilt zu ihrem Rucksack zurück, fingert ihr Mobiltelefon aus einer Seitentasche und stellt es auf Videoaufnahme. Draußen platziert sie es unauffällig in einer Fensterecke so hin, dass der Bus im Blickfeld liegt. Dann geht auch sie zum Renault.

Bono hängt über dem Motor und schüttelt den Kopf. "Wo sagt ihr, habt ihr den Wagen gekauft?"

"Wir haben gar nichts gesagt. Warum?"

"Dieses Auto ist Schrott. Da haben sich Kontakte bei der Zündung gelöst, seht ihr? Ihr hattet Glück, seid ihr bis zu einigen Hütten gekommen, ihr hättet auch Mitten im Dschungel liegenbleiben können." Bono krümmt die Kontakte und schließt sie wieder an. "Probiere mal, er sollte wieder anspringen."

Java dreht den Schlüssel und wie durch Zauberhand springt der Motor wieder an. Selina jubelt und fällt Bono um den Hals. Der lässt es sich gefallen. "Sehr gerne. Ich bin froh, konnte ich helfen."

"Dürfen wir dich zu einem Bier einladen?", fragt Java.

"Nein, ich muss weiter. Ich fahre Schulkinder zu einem Nationalpark auf der anderen Seite der Grenze. Die können nicht warten, leider. Ich wünsche euch gute Weiterfahrt. Ihr solltet den Wagen überprüfen lassen, wenn ihr in der nächsten Stadt seid."

"Das werden wir tun. Vielen Dank, dass du uns geholfen hast."

Bono verabschiedet sich. Unterdessen sind die Kinder bereits wieder beim Bus. Die als Lehrpersonen getarnten Söldner spielen mit ihnen mit einem Ball. "Los Kinder, es kann weitergehen. Ich hatte noch rasch einen Mechaniker Einsatz bei dem alten Renault da hinten. Wir können weiter; alles einsteigen."

Auf den ersten Blick sieht die Szene wie ein normaler Schulausflug aus. Selina ist etwas über die Kleidung und vor allem über die Kampfstiefel der Lehrpersonen erstaunt. Sie hofft, die Gesichter seien alle auf dem Video. Sie und Java setzen sich wieder in die Bar. Der Bus fährt los.

Als von dem großen Fahrzeug nichts mehr zu sehen ist, holen die Frauen ihr Gepäck und eilen zu ihrem Kleinwagen. Sie überqueren die Grenze und folgen dem Bus.

***

Laurent Djue geht den Bericht ein weiteres Mal durch. Er kann es nicht fassen. Alles war so gut geplant, seine Wahl zum Präsidenten galt als sicher. Zu viel Geld, das er aus Spendenaktionen abgezweigt hatte, steckt in dieser Organisation. Die Europäer haben ihm sogar ein Zertifikat ausgestellt, für lobenswertes Engagement für die Jugend; Bildungsförderung, Kulturförderung. Das System schien bisher perfekt zu sein. Und nun das. Eine neugierige Journalistin, ein Millionär mit Beziehungen zur Mafia, ein Koch und eine Sängerin - alle befreundet oder verwandt mit einem toten Kakaopflanzer. Plötzlich werden Fragen gestellt; unbequeme Fragen. Internationale Konzerne schauen genauer hin. Das kann er nicht gebrauchen; nicht in diesem Moment; in keinem Moment.

Djue wählt eine Nummer. Mit der anderen Hand sucht er nach der Zigarrenschachtel. Nach dem vierten Klingelton meldet sich eine heisere Männerstimme. "Was willst du, Djue?"

"Ich habe dir vier Fotos geschickt."

"Ja und? Sieht gut aus, die kleine Weiße. Wer sind die Typen?"

"Sie stehen mir im Weg." Djue klaubt eine Zigarre aus der noblen Holzschachtel.

"Dafür hast du doch Goude und seine Truppe rund um Bono."

"Die haben Mist gebaut."

"Das ist allerdings ärgerlich. Was soll es sein? Nur Kitzeln oder etwas Endgültiges?"

"Versuchen wir zuerst, sie vernünftig zu stoppen. Wenn sie darauf nicht reagieren, ... wie soll ich es sagen ... dir fällt bestimmt etwas ein." Er dreht seine Zigarre vor der Nase und schnuppert dran.

"Das wird nicht billig werden. Der Schweizer hat mächtige Freunde."

"Mich kümmert der Preis nicht. Das Resultat interessiert mich."

"Und wie immer hast du mich nie angerufen, schon klar. Es ist mir immer wieder eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen, Herr Präsident."

Die Verbindung wird unterbrochen. Djue steckt seine Zigarre an.

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