14 - Ghana

Bono steht rauchend vor dem kleinen Reisebus. Obwohl er in der Region aufgewachsen ist, macht ihm das schwül-nasse Wetter immer noch Mühe. Es ist drückend heiß, die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Ein schwarz-weißer Peugeot aus den Neunzigern mit einer roten Leuchte auf dem Dach biegt um die Ecke - Polizei.

Bono lehnt sich lässig an seinen ramponierten Bus, versucht entspannt und gelangweilt auszusehen. Das ächzende Polizeifahrzeug holpert langsam über die löchrige Naturstraße. Zwei Polizisten mustern den Mann beim Bus und halten an. Der Uniformierte auf dem Beifahrersitz winkt Bono zu ihnen her. Dieser schlendert bewusst langsam rüber; er kennt den Polizisten; er hebt die Hand zum Gruß.

"Morgen, Bono. Was machst du hier?"

"Ich bewache meinen Bus", lügt er. Niemand soll wissen, dass in wenigen Minuten die ersten Jungs eintreffen, welche heute nach Côte d'Ivoire fahren werden. "Morgen ihr zwei. Na, alles sicher in der Gegend?"

Der Fahrer schaut ihn streng an. "Das wird es sein, sobald du deine hässliche Visage weggeschafft hast."

Sein Kumpel versucht die Situation etwas zu entschärfen. "Hör zu, Bono, wir drehen jetzt eine Runde. So in einer Stunde sind wir wieder hier. Dann wollen wir deinen Bus nicht mehr sehen. Falls doch, werden Parkgebühren fällig. D'accord?"

"Alles klar. Ihr macht euren Job und ich den meinen. Ich wünsche euch einen ruhigen Tag." Zum Abschied winkt er den beiden Polizisten zu, der Peugeot rollt weiter und biegt in die nächste Seitenstraße ein.

Kaum ist der Wagen zwischen den Häusern verschwunden, rollt ein Lieferwagen heran. Der Wagen ist stark beschädigt, Scheinwerfer fehlen, ein Rückspiegel ist mit Klebeband festgemacht, die Scheiben sind trüb. Ein dicker, verschwitzter Mann hüpft auf der linken Seite aus dem Wagen, er deppert die Tür zu, als sei es eine alte, klemmende Stalltüre. Der Fahrer zuckt kurz, bleibt jedoch sitzen.

Bono wirft seinen Zigarettenstummel weg. "Ärger gehabt?"

"Nein, wieso?" Eine Duftwolke aus Schweiß und tagelangem Wassermangel verbreitet sich um den Mann.

"Weil du eben grad beinah das Fenster unseres Luxuswagens zertrümmert hättest, deswegen."

"Scheißkiste. Lass dir endlich neue Lieferwagen besorgen, unsere machen es nicht mehr lange. Hast du mir auch eine?" Er zeigt auf den Stummel am Boden.

Bono reicht ihm eine Zigarette und das Feuerzeug. "Hast du die Lieferung?"

Der Dicke zieht an seiner Zigarette und stößt den Rauch aus. "Klar doch. Aber die Bengel nerven. Hab einen ruhiggestellt, danach waren auch die anderen erträglich. Ich hasse Kinder."

"Lebt er noch?" Bono macht sich echte Sorgen, denn er kennt das aufbrausende Temperament seines Fahrers.

"Was weiß ich? Wen interessiert's? Liegt da hinten drin, der kleine Scheißer."

Bono nimmt dem Mann die Zigarette weg und wirft sie weg. "Hör mir jetzt gut zu: Diese kleinen Schisser bringen dein Bier und deinen Hummer auf den Tisch, vergiss das nie. Und jetzt verzieh dich, du verbreitest mir zu viel Schatten!"

Nun ist auch der Fahrer ausgestiegen. Er öffnet die Hecktüren. "Morgen, Bono."

"Morgen, Louis. Dein Schwager hat eine Scheißlaune heute. Hattet ihr Ärger?"

"Das Übliche. Die Kleinen haben sich gewehrt und die Mütter haben geschrien. Alles normal, denke ich. Sie sind nun ruhig. Haben wohl Angst."

"Gut. Das ist hilfreich. Lassen wir sie umsteigen."

Die Türen schwenken auf. Vier Jungs, alle zwischen sieben und zehn Jahre alt, kauern ängstlich in den hinteren Ecken. Ihre dunklen Augen fixieren die zwei Männer am Heck.

"Könnt ihr mich alle verstehen?", fragt Bono auf Französisch. Die Jungs nicken.

"Gut. Ihr könnt nun in einen bequemen Bus umsteigen. Diese Männer hier sind böse. Ich werde euch nun an einen sicheren Ort bringen, es ist alles in Ordnung, ihr könnt mir vertrauen. Ich bin Leonard, folgt mir zum Bus dort, dann können wir gleich losfahren."

Louis schmunzelt, als Bono ihnen einen falschen Namen nennt und ihn selbst als Verbrecher darstellt. So machen sie es immer, es ist ein eingespielter Trick.

Ein Trick, der funktioniert. Die Jungs entspannen sich und bewegen sich zu den Türen. Sie machen einen Bogen um Louis, folgen Bono zum Bus und setzen sich augenblicklich hinein. Bono schließt die Türen, dann reicht er Louis seine Zigarettenpackung hin.

"Danke. Holst du an der Grenze noch mehr?"

"Ja, ich muss mindestens neun haben. Hör zu, ich melde mich bei dir. Danke für heute, hier ist euer Anteil. Mach's gut." Er reicht dem Fahrer einen Umschlag, der sich prall gefüllt anfühlt.

Bono läuft ohne ein weiteres Wort zum Führerstand, klettert in den Bus und startet den alten Diesel. Hustend und qualmend erwacht die Maschine, Louis bewegt sich aus dem Rauch, winkt mit den Armen und flucht. Dann rastet ein Gang hörbar ein, der Bus knattert rumpelnd davon.

***

Der internationale Flughafen von Tamale liegt mitten im Nirgendwo. Weite Flächen trockenen Ödlandes umgeben ihn. Man fragt sich, wozu es hier einen Airport gibt; andererseits sind die Straßen in einem Zustand, wo das Fliegen sicher einfacher ist.

Die Maschine mit den Farben Italiens ist ein seltener Gast in diesem westafrikanischen Staat. Es ist eine andere Hitze, die den Freunden entgegenschlägt, als sie den klimatisierten Rumpf des Flugzeuges verlassen. Noch immer heulen die Turbinen, schwächer werdend. Es ist heiß und erstaunlicherweise trocken. Der Sahel scheint hier bereits Einfluss auf das Klima zu nehmen.

Etwas zurückversetzt steht das gelblich-beige Flughafengebäude, das an einem anderen Ort als kleiner Firmensitz mit Garage interpretiert werden könnte. Es ist ein schmuckloser, zweistöckiger Elementbau mit Werbung und Hinweisschildern an der Balustrade. Würde nicht in großen, blauen Lettern darauf hingewiesen, dass es ein internationaler Flughafen ist, könnte man meinen, sich auf einem privaten Flugfeld zu befinden.

Die Passkontrolle besteht aus einem Kopfnicken des Beamten. Dann hämmert der Mann einen Stempel auf die Papiere und in die Pässe der Fremden. Marco schmunzelt, denn Kathrins Trick scheint funktioniert zu haben. Auf der anderen Seite des Gebäudes wartet bereits ein seltsam modern anmutender Reisebus. Der Diesel schnurrt, damit die Klimaanlage weiterlaufen kann.

"Bonjour, die Herrschaften. Sie sind von Pignatelli Cacao?"

"Oui, c'est nous", bestätigt Selina die Anfrage des Fahrers. Auch sie muss schmunzeln; Kathrin hat erstaunliche Beziehungen, wenn sie gar eine erfundene Kakaofirma salonfähig machen kann.

"Entrez!" Der Fahrer wirkt freundlich und öffnet ihnen die Türe des Busses. Es ist, als betreten sie einen bequem möblierten Kühlschrank. Java fröstelt augenblicklich und auch Umbigwe reibt sich seine muskulösen Oberarme.

"Können Sie bitte die Klimaanlage etwas weniger kalt einstellen? Hier holt man sich einen Schnupfen."

"Bitte entschuldigen Sie. Die meisten Besucher aus Europa und Amerika wünschen siebzehn Grad. Ich werde das ändern, kein Problem."

Marco blickt Selina an, die am Fenster sitzt und lacht. "Siebzehn Grad! Das ist Winter!"

Der Journalistin scheint nicht kalt zu sein. "Mein lieber Schweizer - du hast dich stark verändert. Diese Temperatur gilt in deinem Heimatland schon als warmer Frühlingstag, da beginnen die Teenager hormonell durchzudrehen und die Männer packen ihren Grill aus."

"Ich lebe in Apulien! Von mir aus kann er das Gerät ausschalten", murrt Marco zurück.

Java und Umbigwe amüsieren sich über den kleinen Kulturstreit ihrer beiden Freunde aus der Schweiz. Dann fordert der Fahrer sie auf, sich hinzusetzen.

Welche Plantage möchten Sie als erste besuchen? Bitte entschuldigen Sie, die Informationen über unsere Route waren etwas ungenau."

"Entschuldigen Sie, natürlich. Wir möchten von hier nach Süden fahren. Am Ende werden wir in Accra sein. Die gebuchten Hotels auf unserer Strecke finden Sie ebenfalls erwähnt."

Der Fahrer liest die Papiere durch, runzelt seine Stirn. "Das wird eine lange und unbequeme Fahrt werden, Madame. Die N10 ist teilweise betoniert - das bedeutet Risse und Unebenheiten."

"Der Bus sieht neu aus. Fahren Sie einfach und überlassen sie den Rest uns, einverstanden?"

"D'accord. Ich wollte es bloß erwähnen. Ich schlage Ihnen die N12 vor, die ist in einem besseren Zustand. Die Brücke über den White Volta steht zwar noch immer nicht, aber wir kommen schon rüber."

"Sie sind der Fahrer und Sie kennen das Land. Ich vertraue Ihnen."

"Dann wollen wir mal. Nächster Halt: Mole National Park. Dort liegt dann auch gleich die erste Plantage, die Sie besuchen möchten." Anschließend murmelt er noch einige Worte, die niemand versteht.

Die Türen schließen mit einem leisen Zischen, der Bus rollt sanft an. Marco nicht anerkennend, der Fahrer scheint seinen Beruf zu verstehen. Er wählt die schnurgerade R109 aus der Stadt raus, eine sehr gut ausgebaute Straße, die sie bis nach Tolon bringen wird. Nach Tolon wird die Fahrt in Richtung Daboya weitergehen, ihrem ersten Plantagenstopp.

Bis Nyankpala macht die Straße nicht eine Kurve; achtzehn Kilometer schnurgerader Asphalt durchschneiden flaches Ödland; eine menschliche Spur mitten in der Wildnis. Dann folgt eine Wende nach rechts, zirka zwanzig Grad um wieder wie die Flugbahn eines Pfeils auf Tolon zuzuschießen. In Nyankpala gibt es ein Hostel, ansonsten sind bloß einige kleine Hütten an die Straße gebaut. Bauern legen ihre Früchte auf die Fahrbahn, damit die Menschen in den seltenen Autos allenfalls Kenntnis davon nehmen, dass man hier etwas kaufen könnte. Das modernste Schild im Ort ist die Tafel für die University of Development Studies.

Selina wundert sich, dass es an einem solchen Ort überhaupt höhere Schulen gibt. Andererseits ist es seit langem der erste Ort, den sie queren und irgendwo müssen die Schulen stehen. Als Schweizerin ist es für sie schwer vorstellbar, dass die Menschen so leben können. Überall liegt Müll, selbst die neu gebauten Gebäude sehen ramponiert aus, wenn sie mit den Gebäuden in Mitteleuropa vergleicht. Die Armut ist nicht auf dem Papier, sie ist real und spürbar. Selina fühlt sich unwohl und fasziniert zugleich.

Nach nur etwas mehr als einer Stunde erreichen sie den White Volta River. Obwohl, weiß ist definitiv die falsche Farbe. Ein braunes Band trennt die Straße. Daboya. Der Bus hält am steilen Ufer des Flusses. "Endstation, meine Lieben. Hier geht es nicht weiter."

"Gibt es keine Brücke?", wundert sich Marco.

"Es gibt ein Projekt für eine Brücke, wegen der vielen tödlichen Unfällen, die es mit den Kanus gibt." Der Fahrer zeigt auf die unzähligen Boote, die wie dürre Blätter auf dem Wasser schaukeln. "Seit 2017 ist beschlossen, eine Brücke zu bauen."

Marco blickt sich um. Einzelne Abschrankungen grenzen einen Erdhügel ab. Er schüttelt den Kopf. "Und das da ist die Baustelle?"

"Ja. In Afrika dauert alles etwas länger."

"Sechs Jahre für eine Baggerschaufel voll Erde?"

"Mach du das mal, ohne Bagger!" Umbigwe legt seinen Arm um Marco. "Hier fehlt es nicht an Arbeitswille oder an Menschen. Hier fehlt es am Geld und am Material, mein Lieber. Keine Maschinen, kein Baumaterial - keine Brücke. Die Subventionen werden wohl in der Hauptstadt versickert sein wie das Wasser dieses Flusses in der Trockenzeit."

Sie schnappen sich ihr Gepäck und besteigen die wackligen Kanus. Singend werden sie von den Bootsführern über den etwa zweihundert Meter breiten Fluss gefahren.

"Du kannst nicht ganz Afrika retten, mein Guter." Java blickt Marco direkt an, sie hat seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet.

"Für eine Brücke in Ghana wird es wohl noch reichen. Ich werde mit Elena darüber sprechen."

"Dann musst du das aber ohne die Regierung planen. Die Bewilligungen werden euch ein Vermögen kosten, weit mehr als die Brücke selbst." Umbigwe lacht.

"Egal. Die Menschen hier brauchen diese Brücke, wenn sie ihre Region entwickeln wollen. Das ist immerhin die wichtigste Handelsstraß der ganzen Gegend hier." Marco kann es noch immer nicht glauben, dass man hier trotz eines bestehenden Projektes keine Brücke baut.

Ihr Bootsführer rudert im Rhythmus des Liedes, sie erreichen das andere Ufer sicher. Der Mann freut sich über das großzügige Trinkgeld. In einigen Kanus werden sogar Motorräder über den Fluss gefahren. Aber eine Fähre für Autos gibt es nicht. Der Busfahrer winkt ihnen vom anderen Ufer zu und lächelt.

"Und nun? Wie kriegen wir den Bus rüber?"

"Gar nicht. Guck, da kommt ein anderer." Selina zeigt auf die Straße, tatsächlich nähert sich ein Kleinbus aus südlicher Richtung. Sanft stoppt der neu wirkende Toyota neben der seltsam modern anmutenden Reisegruppe. Die Schiebetüre gleitet wie von Zauberhand nach hinten, kühl-trockene Luft entströmt dem Gefährt. Ein breit grinsender Mann mit einer Sonnenbrille klettert aus dem Wagen und begrüßt seine Fahrgäste.

"Willkommen im südlichen Landesteil, ich bin Noé. Ich werde die Arbeit meines Bruders fortsetzen und euch sicher zu eurem ersten Ziel fahren. Steigt ein."

Kinder rennen herbei, fassen den Bus an. "Neue Autos sieht man hier selten", erklärt Noé, "das wollen alle sehen. In ein paar Jahren wird der Wagen nicht mehr auffallen; die Straßen und die vielen kleinen Unfälle werden ihre Spuren hinterlassen. Los geht's!"

Sie verlassen Daboya und fahren Richtung Süden davon. Die Landschaft hat sich verändert. Beiderseits der Straße drängt dichter Wald ans Bord. Häuser hat es immer noch keine, aber die Aussicht ist durch den Wald eingeschränkt. Nach weniger als einer Stunde erreichen sie eine breite Einfahrt, mit geschwungenem Mauerwerk und einem Eisentor. Über der Einfahrt kündigt ein Schild den Namen der Plantage an. Nach einem kurzen Wortwechsel über die Gegensprechanlage schwingt das Tor auf und Noé lenkt den Bus zum Hauptgebäude.

Marco und seine Freunde steigen aus. Von einem Mann in schicker Uniform werden sie zum Haupteingang geführt. Ihr Gepäck bleibt im Bus, Noé wird es bewachen. Einzig Selina hat eine Aktenmappe mitgenommen und sich eine Brille aufgesetzt, mit Fensterglas, aber das weiß ja niemand. Marco schmunzelt, als er die Sekretärin mustert. Sie wirft ihm einen strengen Blick zu.

Am Empfangstresen sitzt eine junge Frau, lächelt ihnen gewinnend entgegen und Marco wird seltsam nervös. In seinem Kopf klingt der Mundartsong "Schwarzi Schönheit", ein Cover von Santanas 'Black Magic Woman'. Java legt ihm die Hand auf den Arm. "Immer mit der Ruhe, mein Freund. Konzentrieren wir uns auf unseren Auftrag." Sie lacht ihn aus.

"Ich mache mir nicht um mich Sorgen", kontert Marco und zeigt auf Selina, welche ihre Brille zurechtrückt. Sie beobachten die Journalistin, dann lachen sie beide.

"Guten Tag. Wir sind von Pignatelli Cacao und haben einen Termin."

"Herzlich willkommen. Ich bin Haniah. Mein Chef hat Sie mir angekündigt. Hatten Sie eine angenehme Reise?"

"Ich bin Selina, freut mich. Die Fahrt war gemütlich, danke." Selina nimmt Haniahs Hand und hält sie einen Tick zu lange fest. Die Empfangsdame legt den Kopf irritiert, kaum sichtbar schief und lächelt schließlich.

"Ich darf Sie herumführen. Bitte stellen Sie alle Ihre Fragen während des Rundgangs. Sie dürfen alles sehen."

Haniah führt die Gruppe zu einem Ausgang im hinteren Bereich des Hauses. Ihren Platz am Empfang nimmt der uniformierte Kollege ein.

Während der nächsten Stunde führt Haniah die Reisegruppe über die Plantage. Es sieht alles sehr ähnlich aus wie auf der Ndembo-Plantage. Die Häuschen der Arbeiter wirken gepflegt und modern.

"Das hier ist unsere Schule", erklärt Haniah stolz. Sie betritt das Gebäude voran, die Freunde folgen ihr. In einem großen Raum schaut ein Lehrer irritiert auf, als sie den Klassenraum betreten. Etwa vierzig Kinder unterschiedlichen Alters mustern die Besucher und beginnen zu lachen.

"Sind das die Kinder der Arbeiter?", erkundigt sich Java.

"Ja", erklärt Haniah, "Kinder arbeiten hier nicht. Wir schulen sie, damit sie später eine Chance haben."

Umbigwe mustert den Lehrer. Er hält sein Buch verkehrt rum, wirkt nervös und unsicher. In der Ecke bemerkt Umbigwe ein Gewehr, das neben dem Besen an der Wand lehnt. Als sie die Schule verlassen, erklingt ein Lied aus dem Klassenzimmer. Es wirkt natürlich und unbekümmert.

In der Folge achtet sich Umbigwe etwas genauer auf die Menschen und ihr Verhalten. Er hat das Gefühl, durch eine Ausstellung geführt zu werden. Nichts von dem, was sie sehen, wirkt echt. Die Menschen lächeln während ihrer knochenharten Arbeit, als wäre es eine Freizeitbeschäftigung.

"Wurde unser Besuch geplant?", fragt er schließlich.

Haniah mustert ihn irritiert. "Wie meinen Sie das?"

"Ich meine, ob die Menschen dazu angehalten wurden, glücklich zu wirken. Ich habe den Eindruck, in Disneyland zu sein. Glücklicher Kakao und so, wenn Sie verstehen."

Ihre Führerin ist sichtlich schockiert über diese Aussage, aber sie ist auch komplett überfordert und unglaublich dankbar, als ihr Chef zur Reisegruppe schreitet.

"Meine Damen und Herren, willkommen. Ich bin der Besitzer dieser Plantage und meine Arbeiter sind so zufrieden, wie sie wirken. Danke, Haniah, ich übernehme ab hier."

Die Schönheit schwirrt ab, dreht sich nur einmal kurz um, sucht mit ihrem traurigen Blick Selina.

"Ich darf Sie nun in den Konferenzraum führen, wo eine kleine Erfrischung auf Sie wartet. Dann können Sie alle Fragen stellen und wir können über Geschäfte reden."

Kleine Erfrischung war untertrieben. Ein großzügiges Buffet mit Früchten und salzigem Gebäck erwartet die Geschäftsreisenden. Dazu gibt es kalte Getränke, unter anderem auch lokale Biere und italienischen Wein. Es ist offensichtlich, dass der Geschäftsmann einen guten Eindruck hinterlassen will. Ebenso offensichtlich hat er sich über den Namen Pignatelli informiert.

"Wie viele Kinder haben Sie in Ihrer Schule?"

"Momentan sind es dreiundvierzig. Im Heim wohnen aber noch mehr; sie sind zu jung für die Schule."

Marco rechnet im Kopf nach. "So viele Kinder bei nur etwas mehr als dreißig Arbeitern? Wie soll das gehen?"

Der Mann lächelt. "Wir unterrichten auch die Kinder der umliegenden Dörfer. - Darf ich Ihnen unsere Beglaubigungen und Zertifikate zeigen?"

Als die Freunde später wieder im Bus sitzen, regt sich Selina endlich auf. "Das war alles gespielt! Wir sind vorgeführt worden, wie kleine Kinder!"

"Ja, man hält uns für dumme Reiche, die nichts bemerken. Das gefällt mir nicht", gibt Marco ihr Recht.

"Habt ihr das Gewehr in der Schule gesehen? Da stimmt was nicht. Man braucht hier kein Gewehr - hier gibt es keine Löwen."

"Kwame Manu hat gesagt, die Kinder werden in getarnten Schulen und Kinderheimen festgehalten, um auf ihren Transport zu warten. Ich wette mit euch, wir haben soeben eine solche falsche Schule besucht."

Die Freunde blicken sich schockiert und traurig an. Noé lenkt den Bus zur Lodge des Mole National Parks, wo sie übernachten werden. Sie kommen nur noch langsam voran, seit sie die Schnellstraße verlassen und auf eine nicht asphaltierte Route gewechselt haben. Hinter ihnen glüht die Staubwolke im orangefarbenen Abendlicht. Langsam legt sich der Staub auf die Straße wie der Nebel über die Geheimnisse, die ihnen vorenthalten werden.

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