13 - Souanké - Kongo
Java und Umbigwe setzen sich unter einen Kakaobaum. Der Rest der Besuchergruppe ist bereits zwischen den Gebäuden aus dem Blickfeld verschwunden. Umbigwe blickt unsicher zu ihr, er spürt, dass sie etwas belastet, wagt jedoch nicht, als erster zu sprechen.
"Ihr habt es sehr schön hier", sagt sie schließlich. "Spielst du mit dem Gedanken, hierher zurückzukehren?"
"Nein, das ist kein Thema für mich. Ich brauche die Weite des Meeres, ich brauche Trockenheit. Natürlich bin ich gerne hier, aber leben möchte ich in Italien. - Was bedrückt dich? Ich spüre etwas, kann es jedoch nicht einordnen."
"Bist du glücklich?" Sie blickt ihm in die Augen.
"Ja, natürlich. Du bist hier und ich liebe dich. Das zählt. Du nicht?"
"Ich liebe dich auch, ich meine ... ich bin verliebt, sicher. Aber glücklich? Irgendwie nicht. Vielleicht brauche ich auch einfach noch etwas Zeit."
Einige Minuten sagt keiner von ihnen etwas. Je länger die Stille dauert, desto drückender wird sie. Javas harmlos gemeinte Worte werden mit negativen Gedanken gefüllt.
"Bedeutet das, es geht nicht weiter mit uns?" Umbigwe wirkt unsicher, spricht leise. Der große und starke Mann wirkt verletzlich.
"Ich möchte nicht, dass es das bedeutet, Umbigwe, nein. Die Gefühle, die ich für dich entwickelt habe, überwältigten mich in einer Art, die ich viele Jahre nicht mehr kannte. Es geht mir alles ein wenig zu schnell, denke ich."
Umbigwe schmunzelt. "Du hast mich umgehauen! Ich war und bin hin und weg von dir."
"Ja, das habe ich gemerkt", lächelt auch sie und lässt sich von ihm in den Arm nehmen. "Ich würde nur gern wissen, ob wir auch zusammenpassen."
"Dann lass uns das herausfinden. Für den ersten Teil habe ich ein gutes Gefühl."
"Ich auch." Wieder entsteht ein stiller Moment, doch von negativen Gedanken ist nichts mehr zu spüren. Beide können die Tiere um sich herum wieder hören, die Sinfonie des Regenwaldes erreicht ihre Herzen wieder.
Umbigwe küsst Java sanft auf den Scheitel. Sie hebt den Kopf und küsst ihn auf den Mund.
"Danke, mein Großer. Ich hatte Angst vor diesem Moment, doch nun bin ich froh, es dir gesagt zu haben."
"Wir können über alles reden, das weißt du. Ich bin froh, bist du hergekommen."
"Ich musste nicht lange überlegen. Ich will in dieser schweren Zeit bei dir sein; auch wenn ich nicht viel helfen kann."
"Du hilfst durch deine Anwesenheit."
"Schön, dass du das sagst. Deine Familie ist herzerwärmend nett. Ich fühlte mich vom ersten Moment an willkommen."
Umbigwe lacht. "Djamila wirst du nicht mehr los, das kann ich dir jetzt schon sagen. Sie vergöttert dich."
"Sie ist eine bemerkenswerte und talentierte junge Frau. Voller Energie und Lebensfreude."
"Das war sie schon als kleines Mädchen. Sie hat überall getanzt und immerzu gesungen. Sie kann einfach nicht stillsitzen."
"Warum sollte sie? Wir Menschen haben Arme und Beine nicht zum Sitzen erhalten."
Als hätte sie es hören können, rennt Djamila herbei und bleibt stehen, als sie das Pärchen beim Baum sitzen sieht.
"Wo bleibt ihr denn? Das Willkommensessen für Selina steht auf dem Tisch. Wir haben viel Spaß."
"Und du möchtest etwas singen", ergänzt Jamila lachend.
"Genau! Und dazu brauche ich dich. Bruder, lass sie los; sie gehört nun mir." Djamila fasst Java am Arm und zieht sie weg.
Umbigwe protestiert. "Dafür, dass du zwanzig bist, spielst du immer noch das kleine Kind."
"Ich will doch nicht so erwachsen werden wie du, Bruder. Wo bleibt denn da die Freude?"
Lachend eilen sie zu den Plantagenhäusern zurück.
***
Nach einer kleinen Siesta sitzen die Freunde alle beisammen, die Papiere, welche Kwame Manu mitgebracht hat, liegen vor Selina auf einem großen Holztisch. Sie blättert erneut darin, obwohl sie bereits alles gelesen hat.
"Wenn ich das richtig deute, werden die Jungs regelrecht vermittelt. Stimmt das?"
"Ja, das stimmt", bestätigt Malaika traurig. "In Côte d'Ivoire und auch in Ghana sind viele Kakaoplantagen im Familienbesitz. Die Kinder arbeiten mit, weil sich die Eltern keine Arbeiter leisten können, denen sie Lohn bezahlen müssen. Daraus hat sich ein verstecktes Geschäft entwickelt. Viele Familien nehmen Pflegekinder auf, die sie als zusätzliche Arbeitskräfte einsetzen."
"Und woher diese Pflegekinder kommen, prüfen sie nicht nach."
"Nein. Sie beruhigen sich damit, dass sie den Kindern ein Dach über dem Kopf und Nahrung geben. So rechtfertigen sie auch die Mitarbeit der Kinder auf den Plantagen."
Selina blickt Malaika an. "Wie hängen dann die großen Firmen mit drin? Hier finde ich das Logo eines Schokoladenherstellers aus der Schweiz." Sie zeigt auf einen verwaschenen Druck auf einem der Papiere.
"Die Familienbetriebe haben eine Art Abnehmerverträge mit großen Firmen. Sie können nicht mehr frei wählen, wem sie ihren Kakao abgeben und haben auch kein Mitspracherecht beim Preis."
"Wenn der Preis sinkt, verdienen sie weniger, weil der Großhandel die Verluste nach unten weiterreicht. Das alte Lied."
"Es ist ein leidlicher Teufelskreis, den selbst die gut gemeinten Regeln und Gesetze der UNESCO nicht unterbrechen können."
"Wie könnt ihr unabhängig bleiben?", fragt Marco dazwischen.
"Wir haben eigene Kontakte zu Abnehmern aus Europa und Amerika. Wir liefern an kleine Unternehmen, die uns einen fairen Preis bezahlen. Das bedeutet, wir haben eine Preisgarantie, auch wenn die Ernte schlechter ausfällt oder die Aktienkurse für Kakao sinken", erklärt Tajhari. "Das ist Omaris Verdienst. Er ist selbst zu den Abnehmern gefahren und hat diese Verträge geschlossen. Zudem hat er immer wieder Besucher eingeladen, damit sie unsere Arbeit hier sehen."
"Liefert ihr auch in die Schweiz?"
"Ja, natürlich. Von irgendwoher müsst ihr den Kakao erhalten, der eure Schokolade schmackhaft macht. Wir arbeiten allerdings nur mit Abnehmern, die das "Fair Trade"-Logo ernst nehmen."
Marco schaut auf, staunt. "Ist das nicht überall garantiert?"
"Leider nicht. Es gibt eine Vielzahl von Bezeichnungen, von welchen längst nicht alle zuverlässig sind. Oftmals geht es leider bloß darum, die Kunden der Industrieländer zu beruhigen."
"Das heißt, die Kunden informieren sich zu wenig. Kann man etwas dagegen tun?"
Jetzt kommt Selina in Fahrt. "Ja! Informieren, drucken, reden, schreien! Wir sollten dieser Ungerechtigkeit hier nachgehen. Zum ersten Mal seit dem Skandalvideo, das mit versteckter Kamera über die Kinderarbeit berichtete, hat jemand handfeste Beweise. Lasst uns diese Botschaft verbreiten."
Selina strahlt, sie ist, während sie geredet hat, aufgestanden. Voller Tatendrang blickt sie in die erstaunten Gesichter ihrer Freunde.
"Ich teile deine Euphorie, wirklich, aber das ist nicht so einfach. Wir haben es mit mächtigen und vor allem mit sehr reichen Gegnern zu tun."
"Geld ist glücklicherweise nicht unser Problem", lacht Marco. "Davon haben auch wir mehr als genug. "Problematischer wird es mit der Macht, mit dem Einfluss."
"Mit anderen Worten: Das ist nicht mehr Italien hier." Nun lacht auch Umbigwe, als er dies sagt.
"So deutlich hättest du es nicht sagen müssen, aber ja, im Kern liegst du richtig. Ich frage heute Elena, wie weit unser Einfluss reicht."
"Wie wollen wir vorgehen? Selina, was schlägst du vor?"
Die Journalistin denkt kurz nach. "Wir sollten auf jeden Fall mehr Material haben, als diese Papiere hier hergeben. Das ist ein guter Anfang, aber es braucht unwiderlegbare Beweise. Ich denke, wir sollten nach Ghana oder Côte d'Ivoire fahren. Als Touristen, vielleicht."
"Und dann was genau tun?", fragt Marco zweifelnd.
"Wir besuchen eine oder zwei Kakaoplantagen und stellen Fragen."
"Das geht nicht, wenn wir Touristen sind. Wir sollten als Vertreter eines Kakaoimporteurs aus der Schweiz reisen. Das würde uns die Türen zu den Produzenten öffnen."
Selina blickt Marco an, dann lacht sie. "Denkst du gerade das Gleiche wie ich?"
"Kathrin und ihre Beziehungen in die Politik, genau. Sie kann uns die entsprechenden Papiere besorgen, die uns zu Handelsreisenden machen."
Umbigwe klopft Marco auf die Schulter. "Du bist ein prima Mafioso geworden, mein Freund. Ich bin stolz auf dich!"
Malaika und ihr Mann haben bisher nur zugehört. Umbigwes Schwester wirkt beunruhigt. "Ich will euren Enthusiasmus nicht stören, aber ich habe Angst. Wir wissen nicht, mit wem wir uns einlassen und wir haben schon jemanden begraben müssen. Vieleicht sollten wir einfach in Trauer leben und uns nicht in deren Angelegenheiten einmischen."
"Kwame Manu hat seinen Bruder und seinen Vater verloren. Seine Mutter hat ihn mit diesen Papieren quer durch halb Afrika geschickt, damit er sie uns zeigt. Wir können jetzt nicht einfach ruhig bleiben. Das wäre nicht gerecht." Umbigwe nimmt die Hand seiner Schwester. "Schau, das sind unsere Freunde. Sie haben Geld und Einfluss. Sie werden uns helfen."
"Haben sie auch eine Armee? Bruder, wach auf. Diese Männer sind gefährlich und skrupellos."
"Wir werden sehr vorsichtig vorgehen, ohne dass man eine Verbindung zu euch herstellen kann", verspricht Marco. "Selina, du redest mit Kathrin, ich mit Elena. Dann sehen wir weiter."
***
"Amore! Schön, dass du anrufst. Wie geht es dir zwischen den Palmen und Bananen?"
"Sehr gut, wir haben die Kakaoplantage angesehen. Ich werde in Zukunft Schokolade mit mehr Würdigung essen."
Elena lacht. "Das aus dem Mund eines Schweizers. Willst du etwa auf dein Grundnahrungsmittel verzichten?"
"Machst du Witze? Niemals! Aber ich habe schon sehr viel gelernt hier. - Wie geht es Enzo?"
"Er hat einen kleinen Schnupfen, aber sonst sehr gut. Meine Mutter hat ihm ein Spielzeugauto gekauft, aus Holz. Er legt es kaum jemals aus den Händen."
"Haha, unser Sohn, ohne Zweifel", Marco hat eine Träne im Auge, seine Familie fehlt ihm.
"Aber du rufst nicht nur deswegen an, ich spüre es. Was ist los? Habt ihr Ärger?" Elena entgeht nichts; sie setzt sich auf die kleine Steinmauer, die den Garten umrahmt, froh darüber, dass Marco sie nicht sehen kann.
"Nein, ... noch nicht. Aber ich muss dich fragen, wie weit der Einfluss unserer Familie reicht."
"Was plant ihr? Marco, du hast mir versprochen, vorsichtig zu sein."
"Und das werden wir. Aber wir möchten uns, bevor wir etwas planen, absichern. Wir möchten wissen, welche Trümpfe wir haben."
"Wir haben die Geschäfte abgegeben, schon vergessen?"
Marco weiß nicht, was er darauf sagen soll und schweigt. Tränen kollern über seine Wangen.
Auch Elena weint, sie ist wütend. "Der Name Pignatelli treibt auch südlich der Sahara einigen harten Kerlen Schweißtropfen auf die Stirn, wenn du das meinst. Wir haben Freunde in Ghana, in Somalia und in Burkina Faso. Ich hoffe jedoch, sie nicht anrufen zu müssen. Ich rede mit meinem Cousin."
"Danke", murmelt Marco ganz leise.
"Marco, hör mir gut zu. Mach keinen Unsinn; ich vertraue dir, aber ich weiß auch, wie naiv du manchmal sein kannst. Du hast einen Sohn hier, und mich, deine Frau. Du kannst nicht mehr herumrennen und irgendwo versuchen, die Welt zu retten."
"Ich weiß, Elena. Wir versuchen, die Beweise den richtigen Menschen zu überbringen, damit möglichst viele davon erfahren, was hier geschieht. Malaika hat uns ebenfalls gewarnt."
"Tja, vielleicht solltet ihr langsam lernen, auf eure Frauen zu hören. Wenn du Dummheiten machst, fahre ich eigenhändig nach Afrika und hole meinen Affen an den Ohren nachhause."
Marco lacht, weil er die Botschaft genau verstanden hat. "Ich liebe dich auch, mein Schatz. Ich verspreche dir einmal mehr, vorsichtig zu sein. Du bist mir wichtiger als alles andere."
"Sag das niemals deinem Sohn", lacht auch Elena; froh darüber, dass sich das Gespräch entspannt hat. Sie verabschieden sich.
Marco sitzt nach dem Telefongespräch bewegungslos da, hängt seinen Gedanken nach. Etwas weiter entfernt kreischt ein Affe; Marco dreht den Kopf und muss lachen.
Selina schlendert auf ihn zu, in der Hand hält sie eine Zeitung. "Schön, dich lachen zu sehen. Was hat Elena gesagt?"
"Sie ist wütend."
"Verständlich. Ihr Mann rennt durch den Regenwald und jagt Verbrecher anstatt sich in Apulien um seine Familie und die Olivenbäume zu kümmern. War es so schlimm?"
"Nein, es war nicht schlimm. Aber es schmerzt, wenn ich spüre, dass sie wütend wird."
"Das ist gut so. Dann ist sie dir wichtig; darauf kommt es an."
"Machen wir das Richtige? Sollten wir die Sache nicht den Behörden überlassen?"
Selina schlägt ihm die Zeitung auf den Kopf. "So wie die letzten dreihundert Jahre? Nein, Marco. Wir haben eine Chance, etwas in Bewegung zu bringen. Das sollten wir nutzen."
"Was hat Kathrin gesagt?"
"Sie schickt uns offiziell wirkende Papiere. So können wir nach Ghana reisen."
"Elena meinte, ihr Einfluss reiche auch bis Ghana. Ich denke, wir sollten dort beginnen."
"Das denke ich auch. Schau dir das an." Selina zeigt Marco ihre Zeitung. Ein Journalist schreibt über Omaris Tod und erwähnt dabei eine mögliche Bande von Kriminellen aus Ghana als Attentäter. Er schließt einen Zusammenhang mit dem Verschwinden von Kindern in dieser Region nicht aus.
"Woher hat er diese Informationen?", wundert sich Marco.
"Teilweise von mir. Ich habe ihm gesagt, er soll sich über den Kinderhandel schlau machen. Er ist ein Kollege, den ich an einem Kongress kennengelernt habe."
"Das sollte reichen, um die Männer nervös zu machen. Wir müssen uns beeilen, sonst sind alle Spuren verwischt."
Marco und Selina gehen ins Haus zurück, wo sie die anderen über ihre Telefongespräche informieren. Sie beschließen, am nächsten Morgen loszufahren. Marco organisiert einen Flug nach Ghana.
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