12 - Abidjan - Côte d'Ivoire
Die Villa liegt im Stadtteil Cocody, im Osten der ehemaligen Hauptstadt. Auf der hohen Mauer sind Glasscherben mit eingelassen, um allfällige Kletterer von einer Übersteigung abzuhalten. An jeder Biegung, jeder Ecke der Mauer befinden sich schwenkbare Videokameras, die ihre Bilder in die modern ausgerüstete Überwachungszentrale übermitteln. In mehreren Schichten sitzen ständig drei Männer vor den Bildschirmen und beobachten das Geschehen um und in der Villa.
Nur die Privaträume von Laurent Djue sind ohne Kameras. Der sechzigjährige Mann sitzt am Bettrand und atmet schwer. Seit Jahren versucht er, sein Gewicht zu reduzieren und wird gleichzeitig immer schwerer. Es ist noch vor acht Uhr morgens und bereits schwitzt Laurent wie nach einem Workout. Er erhebt sich langsam, Luft entweicht aus seinem Darm, er schlurft zum Wandschrank und sucht sich ein Hemd und eine Hose für den Tag aus.
Die junge Frau, die gestern Abend mit ihm ins Bett stieg, ist längst von den Sicherheitsleuten nach draußen begleitet worden; er erinnert sich an ihre Brüste aber nicht an ihren Namen; die vielen Gläser des teuren Weins haben seine Erinnerung vernebelt. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht; er wählt eine weiße Leinenhose und ein rosa Hemd.
Wenige Minuten später sitzt Monsieur Djue am Frühstückstisch, mit Blick auf seinen Pool und den Atlantik im Hintergrund. Zusammen mit dem Kaffee wird ihm auch die Morgenzeitung gebracht. "Endlich", murmelt er, ohne die Frau anzublicken, die ihm sein vielseitiges Frühstück hingestellt hat. Sie weiß, dass sie das meiste davon unberührt wegbringen wird, wie jeden Morgen. Was Monsieur Djue nicht weiß ist, dass die Frau die Esswaren nicht wegwirft, wie ihr befohlen wurde, sondern sie immer zur selben Stunde an der hinteren Ecke, beim Eingang für die Gärtner, an bedürftige Familien der Stadt verteilt.
"Was zum Teufel soll denn das sein?", wettert der mächtige Wirtschaftsboss wenige Minuten später und wirft seine Kaffeetasse auf den Tisch. Die Scherben verteilen sich zwischen dem Gedeck, Kaffee spritzt auf das teure Hemd. Dass er mit der Hand über die Flecken streicht, macht die Misere nur schlimmer. Wutentbrannt erhebt er sich, der Stuhl fällt nach hinten. Djue dreht sich um und blickt die zwei Sicherheitsmänner, die nach seinem Aufschrei augenblicklich erschienen sind an. "Holen Sie auf der Stelle diesen Versager Bono her! Egal, wie Sie das anstellen - ich will ihn hier haben, tout-de-suite!"
Die Männer blicken sich an, salutieren und eilen von dannen. Laurent Djue stampft in sein Schlafzimmer zurück und wechselt das Hemd; hellblau muss genügen. Danach wuchtet er seinen Körper in sein Arbeitszimmer und lässt sich auf den gefederten Stuhl fallen, der dies mit Ächzen und Zischen quittiert. Djue greift zum Telefon und wählt eine Nummer in Ghana.
Nach wenigen Klingeltönen meldet sich die tiefe Stimme seines Kompagnons. "Djue, du hast Nerven, dich so früh morgens bei mir zu melden!"
"Wir müssen reden, Cyril. Dein Söldner hat Mist gebaut."
"Das weiß ich, aber wie kannst du schon davon wissen?"
"Es steht in der Zeitung, verdammt nochmal! 'Söldner töten Kakaobauer' - so lautet die Schlagzeile. Der Journalist vermutet die Kakaomafia hinter dem Anschlag, so nennt er uns."
"Irgendwelche Bezüge auf Ghana oder Côte d'Ivoire?"
"Ja, leider. Ich habe deinen Söldner herbestellt. Du solltest dein Flugzeug besteigen und herkommen. Wir müssen die Sache neu aufgleisen und die Mannschaft auswechseln."
Cyril Goude zögert einen Moment. "Ich kann heute Nachmittag bei dir sein. Sagen wir um vier Uhr?"
"In Ordnung. Was sagt der Schweizer zu euren Pannen?" Djue signalisiert damit, keine Schuld an den jüngsten Verwirrungen zu haben.
"Er erwartet eine pünktliche Lieferung neuer Arbeitskräfte. Woher wir sie kriegen und welche Anstrengungen wir unternehmen, interessiert den feinen Herrn aus Europa nicht."
"Schlag ihm das auf den Preis. Wir werden höhere Auslagen haben, wenn Politiker und Journalisten schweigen sollen. Und du weißt, dass sie schweigen müssen. Ich befinde mich im Wahlkampf, da kann ich solche Schlagzeilen nicht gebrauchen."
"Schon klar, ich ebenso wenig. Aber glücklicherweise haben wir die belastenden Papiere wieder. Das ist immerhin ein kleiner Teilerfolg."
"Heute um vier." Djue beendet das Gespräch. Wahlkampf. Zum ersten Mal seit dem verhängnisvollen Bürgerkrieg hätte er eine realistische Chance auf einen Sieg und damit auf die Präsidentschaft. Diese will er nutzen, das Amt würde seinen Einfluss weltweit erhöhen und ganz nebenbei auch seine Finanzen aufbessern - obwohl das nicht nötig wäre, aber angenehm. Schwitzend stellt er die Klimaanlage einige Grade runter.
***
Kurz vor vier Uhr öffnet sich das schwere Eisentor lautlos, damit die gepanzerte Limousine das Gelände befahren kann. Hinter dem eleganten Wagen aus Deutschland rollt ein Militärjeep über den Kiesweg.
Sobald die Wagen vor dem Haus zum Stillstand gekommen sind, springt Bono aus dem Jeep. Er wirkt angespannt. Mit wenigen Schritten erreicht er die Limousine, schubst den Fahrer weg und öffnet seinerseits die Fondstüre für seinen Chef. Goude blickt den Söldner fragend an. "Danke dir. Hast wohl ein schlechtes Gewissen, was?" Er grinst.
Bono muss sich beherrschen und spielt weiterhin den Diener. Zusammen lassen sie sich in das Haus führen; dann durch die Halle in den Garten. Djue sitzt auf einem bequemen Sessel, den er mehr als nur ausfüllt, im Schatten und nippt an einem Glas Wein. Mit seiner linken Hand deutet er den Ankömmlingen an, sich zu setzen. Er begrüßt sie nicht. Auf dem Tisch stehen keine weiteren Gläser.
"Erklärt mir bitte, was drüben im Kongo passiert ist; uns lasst kein Detail aus."
"Der Junge, der uns bei der Grenzkontrolle den Rucksack gestohlen hat, versteckte sich dort auf einer Kakaoplantage. Wir mussten ihn erwischen." Bono spricht leise.
"Und habt ihr ihn erwischt?"
"Nein, aber wir haben die Papiere wieder."
"Und wen habt ihr dann erschossen, wenn nicht den Zeugen?" Diese Frage richtet Djue nicht an Bono, sondern an seinen Partner.
"Offenbar den Leiter der Kakaoplantage. Bono war's."
Der Angesprochene senkt den Blick und schweigt. Lange sagt niemand etwas, dann stellt Djue sein Glas sanft auf den Tisch und streckt sich, so gut er kann, von seinem Sessel hoch.
"Du hast also diesen Mann erschossen. Wieso? Hat er sich gewehrt?"
"Er hat sich uns in den Weg gestellt."
Djue lässt sich wieder in den Sessel plumpsen. "Einfach, damit ich es auch verstehen kann: Der Mann hat sich nicht gewehrt und du erschießt ihn? Den Leiter einer international renommierten Bio-Kakaoplantage? Bist du von allen guten Geistern verlassen?" Seine Stimme ist inzwischen laut geworden. Er wendet sich wieder an seinen Partner.
"Schaff mir diesen Versager aus den Augen! Woher rekrutierst du deine Leute? Weg mit dem Stück Schande hier! Der bringt uns noch alle ins Grab!"
Goude gibt Bono ein Zeichen, er solle draußen auf ihn warten. Der Söldner beeilt sich zu verschwinden.
"Laurent, du weißt, dass Bono der beste Söldnerführer Westafrikas ist."
Djue wischt verächtlich mit der Hand und schnaubt wie ein aus dem Sumpf auftauchendes Nilpferd.
"Nein, im Ernst, wir werden keinen besseren Mann finden und wir sind auf ihn angewiesen. Er wird die Sache bereinigen, das bestimmt. Und die nächsten Tage lassen wir ihn abtauchen, bis man nicht mehr davon spricht."
"Lass diese Papiere verschwinden. Niemand darf sie finden, kapiert?"
"Aber sicher, ich bin doch nicht lebensmüde. Da steht auch mein Name drin. Und deine Firma, mit ihrem Logo. Das darf nicht in die falschen Hände gelangen."
"Wer ist dieser Journalist, der den Artikel verfasst hat? Wisst ihr was von dem?"
"Nein, aber wir sind dran. Es scheint, als habe er einen anonymen Hinweis erhalten."
Djue blickt ins Leere, den Kopf hat er in Richtung Pool gedreht. "Ausgerechnet Ndembo! Sein Bruder soll Koch sein, bei einem einflussreichen Typen auf Sizilien, Mafia, sagt man. Cyrill, wenn die Italiener da mitmischen, dann haben wir ganz schlechte Karten." Auf einmal dreht er sein Gesicht Goude zu und blickt ihm in die Augen und zeigt mit dem Finger auf ihn. "Dann wird dein Kopf als erster rollen, das kann ich dir versprechen."
Cyril Goude gibt sich wenig beeindruckt. "Wie du weißt, mein lieber Laurent, habe auch ich meine Beziehungen. Wenn das hier eskaliert, dann wird es auch für dich ungemütlich - also lassen wir die gegenseitigen Drohungen und konzentrieren uns darauf, dass wir die Situation wieder in den Griff kriegen."
"Und wie stellst du dir das vor?"
"Lass uns eine Schule bauen oder ein anderes dämliches Entwicklungsprojekt aus Europa unterstützen. Das kostet uns ein paar Dollar, klar. Aber die Presse wird sich dann eher dafür interessieren als irgendwelchen Gerüchten nachzurennen. Wen interessiert schon ein toter Bauer in Afrika?"
"Eine Schule bauen", Djue schnaubt verächtlich. "Ich hasse Kinder. Machen bloß Lärm und Ärger. - Aber wenn du meinst, es könnte die Presse beruhigen, dann gehen wir das an. An welche Schule hast du gedacht?"
"Irgendwo bei uns in Ghana oder Côte d'Ivoire, damit man nicht denkt, wir hätten ein schlechtes Gewissen. Lass die Probleme des Kongos im Kongo, das geht uns nichts an."
Laurent Djue winkt einen Dienstboten her und lässt ihnen ein zweites Glas sowie einige Snacks bringen.
***
Bono wartet bei den Chauffeuren. Sie sitzen unter großen Bäumen im Schatten und spielen mit Würfeln. Sie lachen und genießen ihre Pause. Bonos Handy klingelt, er kontrolliert das Display, dann erhebt er sich. "Sorry, Jungs, da muss ich rangehen."
Bono entfernt sich einige Schritte von den Fahrern. "Ja?"
"Bono? Ich bin's, Serge."
"Serge wer? Ich kenne keinen Serge."
"Serge Blanchet, Schokoladenfabrikant aus der Schweiz und indirekt dein Kunde."
Erst jetzt erkennt Bono die Stimme wieder. "Du hast Nerven, mich hier anzurufen. Vor allem zu diesem Zeitpunkt. Was willst du?"
"Mit dir über unser Geschäft reden. Du bist der, der uns die jungen Arbeitskräfte liefert."
"Ich arbeite nicht direkt für euch Europäer. Ich habe einen Chef."
"Und ich kenne deinen sogenannten Chef, Cyril Goude, nicht wahr?"
Bono wird aufmerksamer. Verstohlen kontrolliert er, ob von den Fahrern jemand zuhört.
"Okay, du scheinst echt zu sein. Was führt dich zu mir?
"Ich lese hier beunruhigende News aus dem Kongo. Weißt du was darüber?"
Bono flucht wortlos, es entsteht eine kleine Pause. "Wir kümmern uns drum. Keine Sorge, dein Name wird nicht erscheinen."
"Das wollen wir hoffen. Mein Vater macht mir die Hölle heiß von wegen Kinderarbeit und UNO. Wenn er das erfährt, ist der Ofen aus für mich."
"Wir haben die verlorenen Papiere mit eurer Adresse drauf wieder. Niemand wird es erfahren."
"Was ist mit dem Jungen, von dem man erzählt?"
"Er ist ein verdammtes Kind. Niemand wird ihm glauben."
"Am besten, ihr zeigt euch eine Zeit lang nicht im Kongo."
"Was du nicht sagst, darauf wären wir nie gekommen. Kümmere dich um deine Schokoladenfabrik und lass uns unsere Arbeit machen."
"Apropos Arbeit: Unsere Zulieferer melden, sie hätten zu wenig Arbeiter. Kannst du liefern?"
"Ja, kann ich. Aber der Preis ist gestiegen; nenn es Gefahrenzulage."
Serge hüstelt belustigt. "Was kümmert es mich? Wir drucken irgendein Bio-Label auf die Verpackung und kassieren es von den Kunden wieder ein, das ist kein Problem."
"Ist schon ein verdammt dreckiges Geschäft, das wir hier machen. Mannomann."
Nun lacht der Schweizer. "Du bist ein Söldner, wirst du etwa sentimental? Wir bestellen, du lieferst. Das ist ein normaler Geschäftsvorgang."
"Du weißt schon, dass du gerade meinen Chef übergehst? Das ist keine gute Idee."
"Lass das meine Sorge sein. Mein Vater will, dass ich nach Afrika komme. Ich werde deinen Chef treffen und hoffe, du wirst auch vor Ort sein. Wir müssen einige Geschäfte regeln."
"Und warum rufst du dann mich an und nicht meinen Chef?"
"Ich konnte ihn nicht erreichen, deswegen. Ich bin übermorgen in Côte d'Ivoire."
"Ich werde es ihm ausrichten. Melde dich, wenn du da bist." Die Verbindung wird unterbrochen. Bono schaut ungläubig auf sein Mobiltelefon. Er kann nicht einordnen, was soeben passiert ist.
Die Türe der Villa öffnet sich und Cyril Goude tritt heraus. Er sieht Bono abseits stehen und kommt direkt auf ihn zu. Augenblicklich erkennt er, dass etwas nicht stimmt.
"Was ist los? Du schaust verwirrt drein."
"Ich hatte soeben ein sehr merkwürdiges Telefongespräch, Chef."
"Polizei?"
"Schokoladenfabrikant aus der Schweiz. Ein Serge Blanchet", spielt Bono den Unwissenden.
Goude erschrickt. "Woher hat der deine Nummer?"
"Wundere ich mich auch. Wir können ihn fragen - er kommt übermorgen hierher. Chef, ich muss wissen, was hier abläuft. Ich habe das Gefühl, die Situation entgleist."
"Und wessen Schuld ist das? Keine Sorge, das kriegen wir hin. Den Schweizer kenne ich - mit etwas Geld und Aussicht auf gute Geschäfte schmilzt der wie Schweizer Schokolade an der afrikanischen Sonne."
"Er wollte wissen, ob wir liefern können."
"Dann lass uns liefern. Du solltest zu deinen Männern fahren und die nächste Lieferung überwachen. Ich bereite unterdessen unser Treffen mit dem Geschäftsmann vor. Vergiss, was Djue zu dir gesagt hat, ich habe ihn in der Hand, er wird dich nicht an deiner Arbeit hindern."
Die Männer verabschieden sich, Bono steigt in den Jeep und Goude in seine Limousine. Die beiden Wagen verlassen das Tor, der Jeep biegt danach in die entgegengesetzte Richtung ab.
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