Wahrheit

pov Jule

„Herzlichen Glückwunsch Julian, du bist schwanger."

Das war auch das letzte, was ich gehört hatte, bevor alles um mich herum langsam schwarz wurde.

~10 Minuten später

Wo bin ich? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, außer an einen ganz bizarren Traum. Ich hatte geträumt schwanger zu sein. Ich konnte darüber lachen, bis ich wieder bei vollem Bewusstsein war. Denn nun erschrak ich ein wenig. Vor mir stand derselbe Arzt, wie in meinem Traum und Mats war auch hier. Auch er war in meinem Traum vorgekommen. Beide starrten mich erwartungsvoll an, doch ich konnte mir nicht vorstellen, was sie von mir wollen könnten. Also fragte ich verwirrt: „Was ist passiert? Wo bin ich?"

Sie starrten mich einfach weiterhin an, bis Mats die Stille brach und mir sagte, was geschehen war: „Du bist ohnmächtig geworden, nachdem dich der Arzt über deinen Gesundheitszustand aufgeklärt hatte. Weißt du denn noch was er dir erzählt hat?

Mats Aussage brachte mich nur noch mehr durcheinander. Ich konnte mich nicht an mein letztes Gespräch mit dem Teamarzt erinnern, wenn man jetzt das Gespräch aus meinem Traum außenvorlässt. Und dieses Gespräch hatte sicherlich nie in der Realität stattgefunden, oder? Oder etwa doch? Aber Männer konnten ja nicht schwanger werden, oder? Alle Indizien zeigten jedoch darauf, dass ich nie geträumt hatte, sondern das gerade in der Realität geschehen war. Ich war also wirklich schwanger? Ich, ein Mann, war schwanger? Es schien mir noch immer unmöglich, weshalb ich mich erneut vergewissern musste: „Also du hast mir gerade ernsthaft gesagt, dass ich schwanger bin. Ich meine ich bin ein Mann, also warum zum Teufel hast du mir diese Lügengeschichte ausgetischt? Ich kann und will das nicht glauben." Mats schaute mich nur ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen an und sagte: „Jule, ich weiß, dass das sicherlich nicht leicht zu akzeptieren ist, aber da ist ein Kind in deinem Bauch, das dich braucht. Das du beschützen musst. Du hast doch sogar den Herzschlag gehört. Den Herzschlag von deinem und Kais Baby. Wie kannst du hier nur so ruhig sitzen? Du müsstest doch eigentlich einen Freudentanz aufführen oder so. Sind das denn nicht die besten Nachrichten, die ein gleichgeschlechtliches Paar bekommen könnte?"

Diese Nachrichten ließen mich stutzig werden, denn ich wusste, dass es die Wahrheit war. Andere homosexuelle Pärchen würden wahrscheinlich für so ein Wunder über Leichen gehen, aber das galt nun mal nicht für mich. Ich wollte keine Kinder. Jedoch hab ich auch niemals in Betracht gezogen, dass ich die schwangere Person sein könnte. Das änderte natürlich schon so einiges, aber dennoch konnte ich mich an den Gedanken ein Kind zu haben, nicht gewöhnen. Ich denke kein Mann hat sich jemals vorgestellt schwanger zu werden. Es ist einfach nicht richtig. Männer konnten und sollten nicht schwanger werden können.

Ich wollte es noch einmal hören. Vielleicht würde es dann wenigstens ein bisschen realer werden. Also fragte ich den Arzt nocheinmal: „Bist du dir sicher? ... Ich meine... Du glaubst wirklich, dass da ein menschliches Etwas in mir ist?" Ich war so nervös vor seiner Antwort, obwohl ich sie bereits kannte. Der Doktor antwortete mir jedoch nicht und als ich gerade meine Frage erneut stellen wollte, drehte er den Monitor zu mir und zeigte auf eine kleine Blase in der Mitte eines grau weißen Bildschirms. Ich konnte nur ausdruckslos auf den Bildschirm schauen. In mir war jedoch bereits ein Gefühlschaos ausgebrochen. Ich wusste jedoch auch nicht, wie ich darauf reagieren hätte sollen. Schließlich war diese gesamte Situation neu für mich.

Plötzlich musste ich wieder an Kai denken und wie er wohl auf diese unerwarteten Neuigkeiten reagiert hätte. Ich musste leicht schmunzeln, da ich mir seine Reaktion genau vorstellen konnte. Er wäre wahrscheinlich sofort in Freudentränen ausgebrochen und hätte dann nicht mehr ruhig sitzen können. Er wäre neben mir auf und ab gesprungen und hätte allen Göttern dieser Welt für solch ein Wunder gedankt. Er würde mich sicher niemals aus den Augen lassen und mir jeden Wunsch von den Augen ablesen. So ist er nun mal. Nein, so war er nun mal. Wie schön seine Reaktion auch ausgefallen wäre. Ich konnte nur spekulieren, da er ja nun mal nicht hier war und die Neuigkeiten auch niemals erfahren wird. Niemals. Ich konnte nichtsdestotrotz kein Baby bekommen. Ich wollte keins in der Vergangenheit. Warum sollte ich jetzt eines wollen? Natürlich hatte sich die Situation ein bisschen geändert, aber meine Prinzipien standen fest. Außerdem kamen nun ja auch noch andere Faktoren dazu. Ich würde mit dem Fußballspielen aufhören müssen und das konnte ich nicht. Ich war gerade in einem super Team. Ich verstand mich mit allen und hatte sicherlich noch ein paar Jahre vor mir. Wenn wir uns für eine Adoption entschieden hätten, wäre bestimmt Kai bei dem Kind geblieben, da er es ja unbedingt wollte. Aber so? So war ich dazu gezwungen. Nein, das war definitiv ein guter Grund sich gegen ein Kind zu entscheiden. Vielleicht hätte ich mich ja unter anderen Umständen für das Kind entschieden, aber so? Nein.

Ich wurde erneut aus meinen Gedanken gerissen. Dieses Mal von dem Herzschlag meines Babys und plötzlich war ich mir wieder unsicher. Konnte ich es wirklich abtreiben? Ein unschuldiges Kind töten? Für das ich vielleicht nicht ganz bereit war, welches aber dennoch den besten Papa auf der ganzen Welt hätte. Ich meine finanziell hatten Kai und ich bis an unser Lebensende ausgesorgt, also müssten wir uns um Geld auch keine Gedanken machen. Es hätte auch liebevolle Großeltern, welche sich bestimmt über ein Enkelkind freuen würden. Ich sah es richtig vor mir, wie sie mit dem Kleinen spielen und ihn vergöttern. Ach, ich wusste ja auch nicht was ich denken sollte. Es sprach schon viel für ein Kind, aber ein Kind hatte es verdient zwei Elternteile zu haben, welche es lieben und fair behandeln können und ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage war.

Doch dann musste ich an Mario und Marcos Baby denken und wie sehr ich ihn liebte. Ich war also eindeutig in der Lage Babys zu mögen. Als ich so über Rome nachdachte, drifteten meine Gedanken immer weiter ab. Plötzlich sah ich einen kleinen Mini-Kai vor mir. Man, die Vorstellung war schon süß. Das Baby würde wahrscheinlich Kais wunderschöne Augen haben. Es würde wahrscheinlich auch mal so groß wie Kai werden und seine ausgeprägten Wangenknochen haben. Hoffentlich auch Kais Hautton, da ich meinem Kind niemals solch eine helle Hautfarbe antun wollte. Ich meine wer benützt bitte freiwillig Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 100? Denn 50 ist eigentlich echt noch zu wenig. Dann auch noch Kais Lachen und das Kleine würde alle Herzen zum Schmelzen bringen. Das war mit den Havertz-Genen jedoch sowieso der Fall sein. Eins stand fest, er oder sie würde bestimmt viele Herzen brechen. Es wäre bestimmt das süßeste Kind der Welt.

Ich dachte abermals über was-wäre-wenn-Situationen nach und kam erst nach ca. 10 Minuten wieder im Hier und Jetzt an. Ich hörte den Arzt noch mit Mats reden und war ihm dafür auch sehr dankbar, denn ich hätte mir gerade sowieso nichts gemerkt. Verdammt nochmal warum war das Ganze auf einmal so kompliziert. Vor ein paar Stunden hätte ich mir ein Leben mit Kind nur in meinen schlimmsten Albträumen vorstellen können und jetzt war die Vorstellung gar nicht mehr soooo schlimm. Ich wusste einfach nicht, ob ich eine Abtreibung durchziehen könnte. Doch auf der anderen Seite war da eben meine Karriere und mein ganzes Leben, das dieses Wesen, dann auf den Kopf stellen würde.

Ich entschloss mich dann dazu den Arzt einmal nach meinen Optionen zu fragen, da dies ja nicht wirklich eine normale Situation war, in der ich mich gerade befand. Ich hab bis jetzt erst von ca. fünfzig Männerschwangerschaften gehört und die Geschichten waren nicht gerade die besten. Manche von ihnen wurden strengstens überwacht, da man noch nicht viel über Männerschwangerschaften wusste. Andere starben bei der Geburt. Zwar nicht viele, aber dennoch war die Wahrscheinlichkeit bei Männern doch deutlich höher als bei Frauen.

Der Arzt konnte mich jedoch ein wenig beruhigen in dem er mir erklärte, dass es wohl doch nicht so unüblich war, wie ich mir das vorstellte und dass er selbst bereits einen Patienten hatte und es sogar im Sportbereich einige Fälle gab. Das überraschte mich dann doch ungemein. Aber irgendwie fühlte ich auch ein bisschen Anspannung von mir abfallen. Er bestätigte mir zwar auch, dass es zu mehr Komplikationen kommen könnte, als bei Frauen, aber dass ich mir darüber keine Sorgen machen brauchte, da ich jung und fit war. Das war schon einleuchtend und beruhigte mich noch ein wenig mehr. Eine weitere Option wäre das Kind auszutragen und es dann zur Adoption freizugeben. Das war jedoch definitiv keine Option für mich, da ich wusste, dass ich es nie wieder hergeben könnte, wenn es auch nur irgendetwas von Kai hatte.

Meine letzte Option war dann die Abtreibung. Die in meinen Augen doch die beste war. Auch wenn es einen liebevollen Elternteil und die besten Onkels der Welt hätte, war ich zu jung und wollte noch immer keins. Außerdem war zwischen Kai und mir ja gerade Schluss. Bei diesem Gedanken kamen mir bereits erneut die Tränen. Wie konnte ich ihn nur wegschicken? Ich meine, er war ein Idiot zu mir, aber ich wusste doch insgeheim, dass er es nicht so gemeint hatte. Ich war ja auch nicht ganz unbeteiligt an dem ganzen Streit. Aber vielleicht wollte er nun ja wirklich nichts mehr mit mir zu tun haben. Dann würde ich mit dem Kind alleine dastehen. Nein. Auch wenn die Jungs mir halfen, brauchte ich Kai. Doch Kai hatte sich gegen mich entschieden und ich könnte es meinem Kind nicht antun, dass er sich womöglich auch noch gegen sein eigen Fleisch und Blut entscheidet. Nein. Außerdem wollte ich auch nicht, dass Kai mich nur wegen dem Kind zurücknimmt. Ich wollte nicht, dass unsere Beziehung nur deswegen hielt. Ich wollte, dass er mich als seinen Verlobten liebt und nicht nur als Vater seines Kindes. Dann war da ja auch noch die Option, dass er mich verlassen könnte und ich dann irgendwann alleine mit dem Kind dastehen würde. Ich als alleinerziehender Vater? Das konnte nur schiefgehen. Die Chance war zwar gering, aber dennoch vorhanden.

Dann war da auch noch meine wirklich große Angst Vater zu werden. Ich. Fuck... Es war nicht gelogen, als ich Kai erzählt habe, dass ich mich vor Kindern fürchte. Also besser gesagt, dass ich mich davor fürchte, was falsch zu machen. Aber das waren alles nicht die ausschlaggebenden Gründe. Nein. Meine größte Sorge war, dass das Kind von andern gehänselt und gemobbt wird, weil es keine Mutter, sondern zwei Väter hat. Natürlich ist mir bewusst, dass wir im 21. Jahrhundert leben und das dieses Thema eigentlich nicht mehr so präsent sein sollte. Aber sind wir mal ehrlich, so weit ist unsere Gesellschaft noch lange nicht. Manche diskriminieren ja schon ein schwules Pärchen auf der Straße. Aber ein schwules Pärchen mit Kind. Das wäre ein Verbrechen. Ich musste dies leider schon oft genug miterleben, wenn ich mit der Familie Reus im Park war. Diese angewiderten Blicke in Richtung meiner Freunde und den fast bemitleidenswerten in Richtung Kind. Das schlimmste war dann vor ein paar Wochen passiert. Eines Tages war Rome mit meinen besten Freunden am Spielplatz und spielte mit einem anderen Kind. Plötzlich kam jedoch die Mutter des anderen Kleinkinds und riss es von Rome weg und sagte ihm, er solle sich ja von ihm fernhalten. Die Geschichte brach mir endgültig das Herz. Ich verstand solche Menschen einfach nicht. Wie konnte man so grausam und unfair sein? Was ist so schlimm daran, wenn zwei Männer sich lieben? Man kann sich doch nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Liebe ist doch immer noch Liebe. Das schlimmste an der Geschichte waren jedoch Marios herzzerreißende Schluchzer, als Marco es uns erzählte. Er weinte fast für eine Stunde, bis Marco ihn irgendwann beruhigen konnte. Ich wollte nicht, dass Kai und mir dasselbe passiert. Marco und Mario waren vielleicht stark genug, um so etwas durchzustehen und täglich mitanzusehen. Ich war das jedoch nicht. Ich war im Inneren schwach und verletzlich. So wie auch Kai. Natürlich stellt er sich nur die tollen Momente mit einem Kind vor. Er war halt Optimist. Ich jedoch war Realist. Und realistisch betrachtet, konnte ich einem unschuldigen Baby nicht schon vor der Geburt so etwas antun. Unsere Welt war grausam. Das rechtfertigte vielleicht meine Tat nicht, aber was sollte ich machen? Abtreibung war der einzige Weg, um alle zu schützen. Alle, bis auf das Baby. Ja, das Baby...

Ich wusste, dass ich Kai vielleicht meinen wahren Grund hätte nennen sollen, aber er würde es ja doch nicht verstehen. Er würde nur sagen, dass alles gut enden würde und dass meine Ängste unbegründet wären. Aber das waren sie nicht. Und eigentlich wusste das auch Kai.

Ich wurde von einem Rütteln am Arm aus meinen Gedanken gerissen. Es war Mats, der mich eindringlich anstarrte. Er wollte anscheinend, dass ich etwas sage. Doch das wollte ich nicht. Ich wollte viel lieber in meinen Gedanken und Ängsten versinken. Schließlich raffte ich mich dann doch auf und sagte: „Ich brauche Zeit, um eine Entscheidung zu fällen. Ich will mir alle Optionen noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen, bevor ich jetzt etwas tue, was mein Leben für immer verändert." Dem Mannschaftsarzt schien meine Antwort zu reichen, da er nur sagte: „Okay, Julian. Du hast zwei Wochen Zeit. Dann brauch ich aber spätestens eine Antwort. Ich kann dich gerne während deiner Schwangerschaft betreuen. Falls du dich jedoch für einen Abbruch entscheiden solltest, müsste ich dich an einen anderen Arzt überweisen. Überleg es dir gründlich. Bis du deine Entscheidung gefällt hast, bist du erst einmal vom Mannschaftstraining befreit. Ich werde Marco jedoch einweihen müssen, da du, auch wenn du eine Abtreibung machen lassen willst, mindestens einen Monat keinen Profisport betreiben kannst. Während deiner Schwangerschaft würd ich dir als Arzt einen leichteren Trainingsplan zusammenstellen, der weder deine, noch die Gesundheit deines Kindes in jeglicher Art gefährden würde. Wenn du dich jedoch nicht in der Lage fühlst, Sport zu machen, lass es. Das Kind sollte für dich jetzt erst einmal an erster Stelle stehen."

Ich schluckte schwer, als ich erfuhr, dass Marco Rose wohl auch eingeweiht werden würde. Konnte aber schlussendlich nichts dagegen tun. Das einzig Positive an der Sache war wohl, dass ich Kai nun für mindestens zwei Wochen nicht einmal am Trainingsplatz sehen musste.

Dann verließ ich auch schon schnellen Schrittes, den Behandlungsraum. Mats war mir dicht auf den Fersen. Als ich mich im Auto niederließ, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Und wenn ich noch eine Stunde weinend im Auto verbracht hatte, musste das keiner wissen, außer vielleicht Mats...


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So da bin ich wieder.

Ich hab grad echt viel zu tun, deshalb kommt das Kapitel ein bisschen verspätet.

Ich hoffe es gefällt euch trotzdem.

Schönen Abend noch!😘


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