Kapitel 21
~Lya Minusa~
"Bis morgen Abend hat er das Geld", bellt Kijan dem Fremden hinterher und schlägt gegen den Türrahmen des Fahrstuhls.
"Ich hoffe es für dich."
Die Türen schließen sich und der fremde Kerl verschwindet mit dem Pagen. Ich schlucke schwer.
Aus dem Badezimmer höre ich, wie das Wasser der Badewanne überläuft. Es plätschert über den Rand der Wanne und überschwemmt den Boden. Mein Schädel pocht und ich lehne mit dem Rücken an der Wand, während ich meine Arme um meinen Kopf schlinge.
Kijan geht zum goldenen Wasserhahn und stellt ihn ab. Dann kommt er wieder und setzt sich auf die Sofalandschaften. Ich kann ihn nicht anschauen, zu sehr fürchte ich mich vor ihm, also starre ich still auf die persischen Teppiche und schweige.
"Hast du Schmerzen?", durchbricht er letztendlich die Stille.
Ich schüttle meinen Kopf, der noch immer pocht.
"Komm zu mir, Lya, sitz nicht auf dem Boden."
Erneut schüttle ich meinen Kopf. Es ist egal, was er sagen wird, ich werde es nicht wollen. Ich will absolut gar nichts außer rückgängig machen, jemals in seinen Jeep eingestiegen zu sein.
Er räuspert sich und sagt kleinlaut: "Ich stecke in der Klemme, Lya."
Jetzt hebe ich meinen Kopf und seine blauen Augen treffen meine. Es ist, als wären sie mir fremd. Ich kann mir nicht vorstellen, heute Morgen noch neben ihm aufgewacht zu sein, ohne die Angst in meiner Brust zu spüren, die mir gerade die Worte zum Sprechen nimmt.
Selbst durch seinen Bart erkenne ich, dass seine Wangen vor Wut noch gerötet sind. Wut, die er auf den fremden Kerl verspürt hat, der bis vor wenigen Minuten noch in unserem Apartment stand.
"Er wird nicht wiederkommen." Seine Worte ein Versprechen, doch ich weiß, dass er es nicht halten kann.
Der Mann schien in diesem Hotel machen zu können, was er will. Natürlich kann er dann auch wiederkehren.
Ich will raus aus diesem Gebäude. Es engt mich ein.
Kijan spricht weiter, was er nicht halten wird: "Ich distanziere mich von den Leuten, Lya." Er blickt quer durch den Raum auf mich nieder. "Sie wirken bloß gefährlich, aber man kann mit ihnen reden."
Das alles glaube ich ihm nicht. Er lügt und das weiß er, denn er kann meinem Blick nicht mehr standhalten und weicht ihm wie ein Feigling aus.
Mit all meiner Kraft zwinge ich mich zu der alles entscheidenden Frage durch: "Was wollte er von dir?"
Ich bin mir sicher, dass er genau wusste, wer der Kerl ist und welches Ziel er mit seinem Besuch verfolgt hat.
Kijan erhebt sich vom Sofa und stellt sich vor mich. Unsere Zehen berühren sich beinahe.
Ich lege meinen Kopf in den Nacken und blicke zu ihm hinauf, während er nach unten sieht. Auf das kleine, kümmerliche Ding, das da vor ihm hockt - ich.
"Ich musste weg aus Deutschland. Weit weg von meiner Mum und dem Grabstein meiner Schwester." Seine Stimme ist kaum mehr als ein monotones Krächzen. "Also habe ich über das Internet nach einem Ausweg gesucht und bin irgendwie in der Drogenszene Neuseelands gelandet." Seine Schultern hängen gen Boden.
Sein Geständnis trägt mehr Ehrlichkeit, als ich ihm noch zugetraut hätte.
Er soll aussteigen aus den Geschäften, die er dort abwickelt. Aber es macht keinen Sinn, ihm das zu sagen, schließlich kommt man nicht einfach so aus queren Geschäften, wenn man einmal in sie hineingeraten ist.
"Sie zahlen mich gut, Lya. Geld ist schon lange kein Problem mehr, es ist die Abhängigkeit von den Leuten, die mich in den Wahnsinn treibt." Er spricht leise, denn er schämt sich für jedes Wort, das er spricht. "Sie ziehen nicht nur mich immer tiefer in ihr Netzwerk, sondern auch du steckst schon mittendrin." In seinen Worten steckt Angst, die seine Stimme zittern lässt.
Vielleicht sollte ich jetzt aufstehen, meine Sachen nehmen und weggehen ...
Vielleicht sollte ich jetzt aufstehen, ihn anschreien und nach Hilfe rufen ...
Möglicherweise mache ich nichts von dem und hocke stillschweigend auf dem Boden.
Er lässt sich auf den Boden sinken. Seine sonst so selbstbewusste Körperhaltung ist einem elenden Haufen gewichen. "Nimm bitte den nächsten Flug nach Deutschland und kehre zu deiner Mum zurück."
Seine Finger tasten nach meinen, halten meine Hände, die kraftlos in seinen liegen. "Sonja liebt dich sehr, sie wird dich in die Arme nehmen und ihr vergesst mich beide."
Es klingt, als kenne er meine Mutter besser als nur durch das Telefon.
Ich lasse meinen Körper nach vorne sacken und falle gegen seinen Körper. Er fängt mich auf und streicht mir behutsam über den Rücken, während ich in seinem Schoß liege und mir die Tränen kommen. Alles was ich wollte, ist nach Neuseeland zu gehen und abzuschalten.
Ich wollte den plötzlichen Tod meines Vaters vergessen, den Alltagsstress aus meiner Ausbildung abschütteln und endlich wieder einen klaren Kopf bekommen.
Zu meinem Unglück traf ich ihn direkt auf dem Flug und er hat mich auf eine magische Art und Weise angezogen, die ich bis heute nicht begreifen. Es fühlt sich an, als wäre er das fehlende Puzzleteil, nach dem ich mein Leben lang gesucht habe und zugleich trägt sein Bild nur eine Tragödie mit sich.
"Ich kann nicht fort von hier", sage ich leise in seinen Schoß hinein. "Nicht ohne dich, Kijan."
Seine Finger fahren weiterhin über meinen Rücken. Es hat eine beruhigende Wirkung, seine Berührung macht mich glücklich in all dem Dunkel.
In mein Ohr flüstert er: "Ich kann nicht mit dir mit, Lya." Er will, dass ich alleine zurückfliege, ihn vergesse und mein Leben lebe, als hätte es ihn nie gegeben.
"Sag so was nicht, natürlich kannst du mit mir mitkommen", schniefe ich zwischen zwei Tränen. "Es gibt immer einen Weg, Kijan."
Ich kralle meine Finger in seine Hose, als könnte ich ihn festhalten - bleib bei mir, fleht mein Griff ihn an.
Doch er löst meine Finger von sich. "Ich buche dir jetzt einen Flug." Er greift nach seinem Handy, entschlossen, mich loszuwerden.
"Wir können telefonieren", fügt er hinzu, doch ich weiß, dass er den Kontakt zu mir abbrechen wird und mich alleine lassen würde.
Ich weine noch heftiger, zucke im Rausch der Tränen, während ich nach Luft schnappe.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top