Kapitel 19
~Lya Minusa~
"Sollten wir ihm etwas übrig lassen?" Marek zieht eine Augenbraue hoch.
Noch bevor seine Finger die letzte Cheese Roll berühren, ziehe ich ihm den Teller weg. "Nix da, die ist für Kijan."
"Was ist für mich?", ertöt seine Stimme hinter mir.
Augenblicklich beginnt meine Haut zu kribbeln. Seine Präsenz macht mehr mit mir, als ich es zugeben würde.
"Nur weil du das Spiel geholt hast, sollst du ja nicht leer ausgehen." Ich schiebe ihm den Rest des Desserts zu und ernte dafür einen mürrischen Blick von Marek.
"Lya hat euch über die Regeln aufgeklärt?"
Seit wann spricht er meinen Namen so sanft aus? Fast so, als wäre er aus Glas und droht unter der Kraft seiner Zunge zu zerbrechen.
"Wir kennen jede noch so schreckliche Regel von dir", bejaht Derek seine Frage.
Mit schnellen Fingern beginnt er die Karten auszulegen. "Nicht schrecklich. Sie sind
wunderbar."
"Eigentlich müssten wir tanzen, damit Lyas Kleid an diesem Abend noch gewürdigt wird", sagt Marek und treibt mir die Schamesröte ins Gesicht.
"Das können wir später immer noch", erwidere ich verlegen.
Allerdings bezweifle ich, dass es wirklich so kommen wird, denn Marek hat bereits seinen dritten Whiskey geordert. Nach dem Kartenspiel wird er sicherlich bettreif sein.
Ich greife meine Karten und muss schmunzeln. Definitiv ein Siegesblatt, das sich auf meiner Hand erstreckt. "Wer fängt an?"
Kijan wirft mir einen Blick zu, der sagt: Die Regel solltest du kennen.
"Immer der Jüngste", wirft Derek ein und erntet Kijans Anerkennung.
"Gut, dann sag mir mal, wer am jüngsten ist." Ich schürze meine Lippen.
Derek sieht zwischen mir und Marek hin und her. Das heißt, er schätzt Kijan älter als mich ein, womit er richtig liegt, und weiß, dass er selbst älter als Marek ist.
"Ach, machen wir einfach Ladys First", entgegnet er schließlich. "Man fragt Frauen nämlich nicht nach ihrem Alter."
Ich grinse, denn ich weiß, dass das gegen Kijans Regelzwang verstößt.
"Das ist klischeebehaftet. Lya, wie alt bist du?"
Ich grinse. "Zweiundzwanzig."
Marek hebt sein Whiskeyglas. "Gut, dann fang an, Kleine. Ich bin schon dreiundzwanzig."
Mit Vergnügen lege ich die erste Karte, denn die Runde wird an mich gehen.
Die Atmosphäre auf dem Dach ist locker und lustig. Am Nachbartisch plaudert eine Gruppe älterer Menschen miteinander und ich lausche den Gesprächsfetzen, die der Wind herüberweht.
Sie unterhalten sich über vergangene Abenteuer, die sie miteinander erlebt haben und schweben nostalgisch in der Erinnerung.
Besonders der Hochzeitabend von Heinz scheint es ihnen angetan zu haben, als seine Zukünftige den Blumenstrauß gegen die Decke warf und sie beim Runterfallen traf.
Mittlerweile ist sie seine hysterische Exfrau, ... sie haben es keine drei Jahre miteinander ausgehalten. Nicht mal das verfluchte siebte Jahr haben sie gebraucht, um sich für eine Scheidung durchzuringen.
"Du bist dran."
Ich schrecke aus den Geschichten unserer Tischnachbarn hoch.
Kijan deutet auf den Stapel vor mir. "Kannst du legen?"
Ich werfe eine Wunschkarte auf den Tisch. "Rot."
Marek pfeift zwischen seinen Zähnen hindurch. "Ganz schön gerissen, Lya." Dann greift er zum Nachziehen, weil die Farbe ihm anscheinend nicht so gut passt.
Ich lausche den älteren Personen am Nachbartisch weiter und finde heraus, dass keiner in der Runde Heinz Exfrau mochte.
Er sagt, er wusste es schon immer, denn sie haben ihm trotz seiner Ehe immer versucht, andere Frauen schmackhaft zu machen, was ihm nicht entgangen ist.
Irgendwie ist mir die Runde der Alten sympathisch. Wenn ich mich bemühe, werde auch ich vielleicht einmal an so einem Tisch sitzen und mit den drei Jungs um mich herum über das Frisbeespiel oder unsere peinlichen Abende am Strand lachen.
Ich lege eine weitere Karte und rutsche meinen Stuhl näher an Kijans heran, sodass ich meinen Kopf auf seiner Schulter ablegen kann.
"Solange du mir nicht in die Karten schaust, darfst du gerne da bleiben." Er streicht mir durch mein Haar. Ziemlich sicher bildet sich gerade ein freches Grinsen auf seinem Gesicht.
"Denk gar nicht erst daran, dass das hier nicht Taktik ist", entgegne ich forsch, doch bleibe auf seiner Schulter liegen.
Er streicht mir über die Wange und legt anschließend eine Karte ab. Plus zwei.
"Autsch, jetzt hat er dich ganz schön drangenommen", grölt Marek amüsiert.
Ich setze ein Pokerface auf, denn sie wissen ja nicht, dass ich ein Siegerblatt auf der Hand trage. Mit gleichgültigem Gesicht erwidere ich Kijans Karte mit einer weiteren plus zwei.
Derek zieht vier.
Mareks Whiskeyglas leert sich wie von selbst. Ich sehe ihn kaum trinken, doch jedes Mal, wenn man das Glas betrachtet, fehlt etwas mehr von der Flüssigkeit. Irre, wie er das so nebenbei macht.
Wir spielen jeder zwei weitere Karten, ehe ich hauche: "Uno, letzte Karte."
Das Restaurant leert sich bereits. Viele Gäste sind zur Bar hinübergewandert und einigen bereits nach Hause gegangen. Nur wir und der Nachbartisch der alten Freunde sind noch da.
Kijan legt seine Wange auf meinem Schopf ab und raunt: "Na mach schon, beende die Runde, Lya." Er hat mich schon längst durchschaut und bemerkt, wie sicher ich mir der Runde war.
Also lege ich meine letzte Karte ab und muss schmunzeln. Ich wusste es von Anfang an.
Marek wirft seine letzten drei Karten auf den Tisch - allesamt schlichte, grüne Karten. Damit wäre er sicherlich noch einige Zeit beschäftigt gewesen.
"Ich muss noch mal los." Kijan richtet sich auf und ich schaue ihn etwas überrascht an. "Ihr könnt die Rechnung auf unser Apartment schreiben, ich begleiche sie später."
Seine Hand ruht kurz auf meiner Schulter. Es wirkt, als will er sich mit der Geste für seinen spontanen Aufbruch entschuldigen, doch vielleicht liegt sie auch nur aus Zufall dort und ich bilde mir zu viel darauf ein.
Er dreht sich um und verlässt das Restaurant über Auckland.
Etwas unsicher lasse ich meinen Blick zwischen Marek und Derek hin und her schweifen. Darf ich sie fragen, ob sie den Abend noch mit mir verbringen wollen oder sind sie vielleicht nur wegen Kijan hier und mögen mich eigentlich nicht so gerne?
Plötzlich bin ich mir meiner Freunde unsicher und das macht mich wütend. Warum um alles in der Welt fühle ich mich ohne Kijan an meiner Seite so verloren? Ich hasse es und das Gefühl soll weggehen.
Zu meinem Glück übernimmt Derek das Wort, bevor ich in meinem eigenen Zorn versinke.
"Wollen wir noch in euer Apartment und alle Schirmlampen anknipsen, die wir finden können?" Er lacht. "Und auf der Konsole spielen, die ich zufällig vorhin aus dem Augenwinkel bemerkt habe?"
Aha, daher also der Vorschlag, noch Zeit mit mir zu verbringen. Er will zocken und ich werde wahrscheinlich nur doof daneben rumsitzen ... was gibt es bloß Schöneres, als ausgenutzt zu werden.
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. "Ist okay, ihr könnt gerne noch mitkommen und die Konsole anschmeißen." Und in meinen Gedanken ergänze ich: Während ich bloß rumsitzen und warten werde, dass die Zeit vergeht.
Wir brechen auf und nehmen den Fahrstuhl in den fünften Stock.
Marek lässt sich sofort auf die Sofalandschaft sinken und noch bevor wir die kleinen Lämpchen alle angeknipst haben, ist er eingeschlafen. Ich schiebe die Schuld für seine Müdigkeit auf den Whisky.
Derek drückt mir einen Kontroller in die Hand.
"Schon mal mit so einem Ding gespielt?" Er sieht so aus, als bezweifelt er es und damit hat er auch Recht.
Etwas unbeholfen halte ich den Kontroller in meiner Hand. "Ich weiß nicht mal, ob ich ihn richtig halte", gestehe ich und Derek lacht. Aber es ist kein höhnisches Auslachen, nein, es ist freundlich und hilfsbereit, so wie seine folgenden Erklärungen.
Er will also wirklich mit mir spielen. Vielleicht nur, weil Marek sofort eingeschlafen ist, aber ganz vielleicht auch, weil er wirklich Lust hat, mit mir zusammen zu zocken.
In meiner Brust breitet sich etwas kleines Friedvolles aus, weil ich nicht enttäuscht wurde.
Also verdränge ich den Gedanken daran, weshalb Kijan zu so später Stunde aufgebrochen ist. Genauso, wie ich auch verdränge, dass er sich dieses Apartment ziemlich sicher gar nicht leisten kann, auch wenn er vorgibt, eine wohlhabende Familie zu haben.
Seine Mutter schläft mit jedem Typen, der ihr zu nahe kommt und seinen Vater kennt er deshalb nicht. Seine kleine Schwester ist verstorben und ich würde um alles wetten, dass sie ihm kein großes Erbe hinterlassen hat.
Wer in der Familie soll also das Geld haben, damit er sich all den Luxus leisten kann?
Er verzwickt sich in Lügen und ich weiß es, doch ich will ihn an meiner Seite halten, solange ich kann.
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