Kapitel 10
~Lya Minusa~
Vertrau mir, sagt sein Blick. Er greift nach einem seiner Shirts, die ungefaltet im Koffer liegen und hält es hoch.
Nie im Leben würde ich ihm trauen, das tiefe Blau seiner Augen gleicht der dunkeln Tiefe eines Ozeans, die einen zu zerstören droht.
"Das war nicht der Plan." Ich will mir nicht sein Shirt um die Augen binden und mich überraschen lassen. Verdammt, er soll mir helfen klarzukommen und mich nicht dazu verleiten, meine Zeit zu verschwenden.
Er dreht das Shirt in seinen Händen. "Entspann dich, du bist hier, um Spaß zu haben."
Wir stehen vor dem kleinen Restaurant, in dem wir gefrühstückt haben. Die rote Farbe der Eingangstür blättert unter der Mittagssonne und der blaue Türrahmen ist bereits zu einem hellen Grau ausgeblichen. Ich greife nach der Sonnencreme und beginne meine Arme einzuschmieren.
"Vergiss es, ich habe Spaß, wenn ich es will." Er soll sich seine heiteren Ideen sonst wo hinschieben - sie sind beschissen. Ich creme mir das Gesicht ein.
Er hebt seine Hand und fährt mit seinem Daumen über meine Schläfe. "Du bist ganz fleckig."
Stocksteif stehe ich da, während seine rauen Fingerkuppen mir behutsam durch das Gesicht fahren.
"Ich will doch nur alles regeln, was gestern schiefgegangen ist und dann kann ich auch anfangen, das Leben hier zu genießen", stoße ich letztendlich hervor und lasse die Schultern hängen.
Kijan grinst - genauso frech wie immer. "Niemand außer dir selbst hindert dich daran, jetzt schon mit dem Genießen anzufangen." Seine Finger verlassen mein Gesicht und hinterlassen pochende Spuren auf meiner Haut.
"Ich mache dir einen Vorschlag." Er räuspert sich und sieht mich einen Moment ernst an, bevor er sagt: "Wie wäre es, wenn du erst einmal bei mir bleibst." Sein Kehlkopf hüpft bei jedem seiner Worte mit. "Wir schlafen im Auto und du kannst mein Handy benutzen, um deine Mum anzurufen."
Mir fehlen die Worte.
Mein erster Instinkt ist es, ihm in sein Gesicht zu schlagen, mein zweiter Gedanke sagt mir, ich soll nach meinen Kopfhörern greifen und ihn ignorieren. Er will, dass wir weiterhin zusammen reisen ...
"Beschissene Idee", entgegne ich knapp.
Er deutet auf die Sonnencreme in meiner Hand. "Denk erst mal über meinen Vorschlag nach und creme mir in der Zeit das Gesicht ein."
Warum läuft das hier so dermaßen in die falsche Richtung?
"Nein", mehr bringe ich nicht heraus.
"Ich habe dir eben geholfen, nicht gefleckt in den Tag zu starten, jetzt musst du mir helfen." Er schließt seine Augen und streckt mir das Kinn entgegen - eine stumme Aufforderung, endlich seinen Worten nachzukommen.
Ich seufze. Was bleibt mir auch anderes übrig. Ich habe ohnehin keine Wahl, wenn ich möchte, dass er mich von dem schäbigen Restaurant irgendwo anders hinfährt.
Vorsichtig verteile ich den Sonnenschutz in seinem Gesicht. Seine Wangen sind weich, trotz der Bartstoppel, ... ich beeile mich, um den Moment schnell hinter mich zu bringen. Dann nehme ich auf dem Beifahrersitz platz.
Kijan hält wieder das Shirt in seinen Händen und sagt: "Ich überrasche dich, vertrau mir, Lya." Er hebt den Stoff und verbindet mir die Augen. "Du sollst nicht sehen, wo wir hinfahren." Er streicht mir ein paar Strähnen hinter mein Ohr und knotet das Shirt dann locker am Hinterkopf zusammen.
Widerwillig stelle ich fest, dass der Stoff auf meiner Nase gut riecht, ... ob es sein Waschmittel ist oder er selbst?
Plötzlich spüre ich seinen heißen Atem an meinem Ohr und er haucht: "Lächelst du für mich? Ich möchte, dass du dich freust, Lya."
Ich komme seiner Bitte nach.
Er hilft mir beim Anschnallen und schließt die Autotür, während meine Welt unter dem Stoff seines Shirts in Schwarz gehüllt ist.
"Eine Woche, dann entscheide ich neu, ob ich bleiben will oder gehe", bestimme ich und er entgegnet: "Einverstanden."
Blind im Auto zu sitzen ist gruseliger, als ich je gedacht hätte. Die Intensität jeder Bewegung nimmt um ein Vielfaches zu. Bremsen, beschleunigen, ... am schlimmsten sind die Kurven.
"Kann ich dein Handy?", frage ich Kijan.
Er reicht es mir sofort, doch meine Augen sind weiterhin verbunden.
"Ich will meine Mutter anrufen, ihre Nummer müsste im Verlauf sein." Ich gebe ihm das Handy zurück und kurz darauf tönt das Piepen der Leitung über die Freisprechanlage des Jeeps. Ich höre, wie Kijan das Handy zurück auf die Mittelkonsole legt und fragt: "Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich zuhöre?"
Doch bevor ich ihm antworten kann, meldet meine Mutter sich.
"Hey Mäuschen, bist dus? Ich dachte, dein nächster Anruf kommt von einer neuen Nummer?"
Warum bemerken Mütter so etwas immer viel zu schnell?
"Erst mal doch nicht", entgegne ich.
"Kijan und ich reisen noch ein wenig mit seinem Auto. Solange kann ich mir die Kosten für die SIM-Karte sparen. Und außerdem meldet Olaf sich vielleicht doch noch ..." Ich taste nach der Lüftung am Armaturenbrett und drehe die kühle Luft in meine Richtung.
Am anderen Ende der Leitung ist es still. "Mama, hörst du mich?", hake ich nach.
Sie räuspert sich - das ist nie ein gutes Zeichen. "Mäuschen, mir wäre es lieber, du bist nicht ganz alleine mit einem fremden Mann unterwegs. Ist Kijan derselbe Typ, den du im Flugzeug kennengelernt hast?"
Trotz der Augenbinde spüre ich, wie Kijans Blick auf mir ruht und er abwartet, was ich zu sagen habe. Ich atme tief durch, bevor ich meiner Mutter antworte: "Er ist wirklich supernett. Willst du ihn sprechen, um dich selbst zu überzeugen?" Das ist der effizienteste Weg, sie zu beeinflussen.
"Hi, ich bin Kijan." Seine Worte klingen so heiter wie immer. "Ich freue mich, sie kennenzulernen." Dann fügt er gewitzt hinzu: "Was brauchen sie, um mir zu vertrauen? Den Reisepass, einen Schufanachweis oder reicht ein einfacher Blutschwur, dass ich gut auf Lya aufpasse?" Er lacht und meine Mutter verfällt sofort mit in sein Lachen.
"Nein, nein, so war das nicht gemeint." Ich höre durch die Freisprechanlage, dass sie immer noch grinst. "Ein kurzes Gespräch würde schon reichen, um mein besorgtes Mutterherz ein wenig zu beruhigen."
Sie liebt ihn jetzt schon, das spüre ich und das widerstrebt mir allemal.
Kijan antwortet zu meinem Bedauern äußerst geschickt: "Das kann ich verstehen, meine Mutter wäre nicht anders."
Halleluja kann er gut lügen, ... es ist fast schon beängstigend.
Meine Mutter lacht erneut und ich weiß: Spätestens JETZT hat er sie voll und ganz überzeugt.
"Ich bin Sonja, du kannst mich gerne duzen," antwortet meine Mutter und plaudert munter weiter.
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