Woche vier
Wie soll das weitergehen?
Es ist grauenvoll und schmerzhaft, und ganz nebenbei bringt es mich um! Mach doch jemand, dass es aufhört … Bitte? Aber er kommt nicht zurück. Nie.
*****~~~~~*****
„Dad, ich gehe mit Alice in die Stadt!“, rief ich Charlie entgegen, als ich mir meine Jacke überwarf und aus der Tür gehen wollte.
„Schon wieder?“
„Was heißt denn hier schon wieder?“, fragte ich. „Das war letzt Woche, Dad. Wir Mädchen brauchen solche Tage einfach.“
Er streckte den Kopf aus dem Wohnzimmer und sah mich nickend an. „Okay, Mädchenzeug. Davon verstehe ich nichts. Nun ja, bis später!“
Hoffentlich …, ging es mir durch den Kopf, als ich die Haustür hinter mir zuschlug. In einem Haus voller Vampire, die mich voraussichtlich nicht mögen werden, was soll da schon passieren? Heftiger Sarkasmus.
War wirklich schon März? Und sollte es im März nicht wärmer sein? Das fragte ich mich, als mir eine heftige Windböe ins Gesicht klatschte und mir die Sicht raubte. Als ich wieder klar sehen konnte, erkannte ich Edwards Aston Martin Vanquish – wie mir Alice erklärt hatte und von dem ich einfach nur froh war, den Namen aussprechen zu können – und daneben Alice, wie sie an ihn gelehnt auf mich wartete.
„Hi Bella“, begrüßte sie mich, als ich neben ihr angelangt war, und küsste mich auf die Wange.
„Hi Alice.“
„Bereit für den Vampirbesuch?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Lass uns fahren, bevor ich es mir noch einmal anders überlege.“
Sie kicherte, stieg dann ein und ich setzte mich neben sie. Neben dem Geruch nach Leder, das über die Sitze und das Armaturenbrett gespannt war, erkannte ich noch etwas, und es brachte mein Herz zum vollkommenen Stillstand. Ganz vage, undeutlich und doch so klar schlich sich Edwards berauschend köstlicher Duft in meine Nase. Zuerst nahm ich ihn nur sehr schwach war, doch plötzlich übermannte mich dieser Duft und überrollte mich mit verwirrend traurigen Gefühlen, die mir die Luft raubten. Hektisch zog ich die Luft zwischen meinen zusammengekniffenen Lippen ein und presste sie schnell wieder heraus. Warum war mir das letzte Woche nicht aufgefallen?
„Ist Edward viel damit gefahren?“, brachte ich heraus.
„Man kann fast sagen, es ist sein Lieblingsauto.“
Ich atmete lange aus. „Verstehe.“
„Was verstehst du? Warum fragst du?“
„Der Geruch.“
Sie verdrehte die Augen. „Bitte, Bella, nehm es mir nicht übel, aber ich kann nicht alles vorher desinfizieren, nur damit du ungestört durch dein Leben gehen kannst.“
„Ich weiß, das verlange ich ja auch nicht“, sagte ich leise. „Es war nur eine Feststellung.“
„Dann ist ja gut.“ Sie klang gereizt.
„Alice“, fragte ich sie deshalb, „bist du irgendwie wütend oder so?“
Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich an. Es war ein aufrichtiges Lächeln. „Ja, aber das hat nichts mit dir zutun.“
Ich hob meine Augenbraunen. „Bist du dir da ganz sicher?“
„Naja“, sagte sie vorsichtig. „Eigentlich hat es schon etwas mit dir zutun …“
„Ha, sag ich doch! Ich bin sowas von erledigt!“
„… aber es ist nicht deine Schuld“, vollendete sie ihren Satz.
„Das glaubst du doch selbst nicht. Sie hassen mich alle jetzt schon, ohne dass sie mich kennen. Wenn ich dort lebend rauskomme, werde ich ewig seelische Lasten mit mir tragen müssen. Ojemine.“
Sie sah mich staunend an. „Wirst du jetzt zum Jammerlappen? Wegen so ein paar Vampiren? Ich werd wohl nicht mehr, Mensch Bella, reiß dich zusammen! Wir schaffen das schon.“
Ich nickte nur, dann sah ich aus dem Fenster und bemerkte, dass wir schon da waren. Wir fuhren die lange Einfahrt entlang, und als wir um die Ecke zwischen den tausenden Bäumen und Büschen hindurch bogen, konnte ich einen Seufzer nicht verhindern. Das Haus war einfach zu schön. Es strahlte pure Eleganz aus und schien beinahe hundert Jahre alt zu sein. Die drei sich emporragenden Etagen, der rechteckige Grundriss, das harmonische Gesamtbild, vollendet mit einem weißen Anstrich. Alles war so, wie ich es kannte, deswegen brauchte ich mich auch nicht fragen, wie es wohl in dem Inneren aussehen würde; ich würde es wissen.
„Und, ist es so toll, wie du es kanntest?“
„Ja.“
Mehr sagten wir nicht, sondern gingen schweigend ins Haus. Wie erwartet war es drinnen noch atemberaubender als außen. Die große Eingangshalle war sehr groß, unheimlich hell und offen. Der riesige Raum lief hinten auf eine Glaswand zu, die bis hoch zur Decke reichte. Hinter den Fenstern erkannte ich den Rasen, uralte Zedern und das Ufer des breiten Sol Doc Rivers. Auf der rechten Seite führe eine Wendeltreppe ins Obergeschoss und alles – die Wände, die Decke, der Holzfußboden und die Teppiche – waren in hellen, leuchtenden Tönen gehalten. Links auf einem Podest neben dem wunderschönen Konzertflügel, auf dem ich Edward schon spielen gesehen und gehört hatte, standen Esme und Carlisle und sahen uns an.
Ich kannte diese beiden Gesichter beinahe so gut wie mein eigenes, und doch war ich erneut von ihrer ewig währenden Jugend und ihrer traumhaften Schönheut gefesselt. Carlisle, wie er dastand mit seinen goldbraunen Augen, die auf mich gerichtet waren, seinem perfekten Gesicht, seinen blonden Haaren, seinem muskulösen Körper und seiner glatten, blassen Haut. Und daneben seine Frau, Esme, wie sie mich ebenfalls ansah mit ihren genauso goldbraun gefärbten Augen, den braunen, welligen langen Haaren, dem Puppenartigen Gesicht, dem schlanken Körper und der genauso blassen wie glatten Haut. Ich wusste, würde ich sie berühren, würde es sich anfühlen, als erfrieren meine Finger zu Eis unter der kalten, harten Oberfläche. Beide lächelten sie mich an, atemberaubender noch als ein Mona Lisa Lächeln.
Als erstes kam Esme auf mich zu, gab mir die Hand und stellte sich unnötigerweise vor.
„Hallo Bella, ich bin Esme und diese ganze Rasselbande sind sozusagen meine Kinder.“ Ihre unglaublich weiche Stimme umhüllte mich mit einer Intensität, dass es mir die Sprache verschlag. Doch ich musste sie schnell wiederfinden, denn sie wartete auf eine Antwort.
„Hallo… Mrs Cullen“ – ich wollte höflich sein – „ich freue mich wirklich, hier zu sein.“
Sie lächelte breiter. „Nenn mich Esme.“
„Okay, Esme“, murmelte ich und nickte. Dann plötzlich stand Carlisle neben ihr und begrüßte mich ebenfalls.
„Guten Tag Bella, mein Name ist Carlisle, wir sind uns sicher schon einmal im Krankenhaus begegnet.“
Natürlich waren wir das, ging es mir durch den Kopf. Zuerst war ich erschrocken gewesen, weil er in mein Zimmer gekommen war, doch letztendlich wurde mir warm ums Herz, als ich bemerkte, mit wie viel Fürsorglichkeit er mich – und sicher auch alle anderen seiner Patienten – behandelte.
Gerade, als ich den Mund aufmachen und ihn ebenfalls begrüßen wollte, fügte er schmunzelnd noch hinzu: „Du kannst Carlisle zu mir sagen.“
„Gut. Also, hallo Carlisle. Ihr habt ein echt tolles Haus.“
Zaghaft nahm Esme meine rechte Hand, hielt sie in ihrer und streichelte darüber. Wie ich gedacht hatte; meine Finger erfroren förmlich, ihre Haut und ihr Körper war hart wie Stein, und doch entzog ich ihr nicht meine Hand.
„Wir freuen uns“, sagte sie leise, doch ich verstand sie, „dass du gekommen bist.“
Ich spürte, wie Alice mir in die Seite stieß. Ich blickte zu ihr und sah, wie sie ihre Augen verdrehte.
„Alice, das macht man nicht“, beschwichtigte Carlisle sie.
„Wo sind die Anderen?“ Sie ging gar nicht auf seine Zurechtweisung ein.
Esme drehte sich um. „Die sind jagen, werden aber bald zurück sein. Inzwischen kannst du Bella ja schon mal das Haus zeigen.“
„Okay“, sagte Alice, nahm mich an der Hand und zog mich hinter sich her.
Auf dem Weg die Wendeltreppe hoch sagten wir beide nichts, als wir dann außer Hörweite ihrer Eltern waren, grinste sie mich jedoch an.
„Soll ich dir wirklich alles zeigen oder wollen wir uns gleich in mein Zimmer verkriechen?“
Ich lachte. „Das Letztere wäre mir persönlich lieber.“
„Mir auch, also komm!“
Als wir in vor ihrer Zimmertür angelangt waren, bemerkte ich, dass ich noch nie so wirklich und lange in ihrem Zimmer gewesen war, und staunte ebenso sehr, als wir hineingingen. Es war riesengroß und endete mit einem überdimensionalen Fenster, das sich – wie das Fenster in der Eingangshalle – bis zur Decke erstreckte. Die Wände waren in sanften Farben gestrichen, an ihnen hingen Bilderrahmen mit etlichen Fotos oder auch Malereien. Wie Edward hatte auch sie kein Bett, dafür aber eine übermäßig große, dunkelbraune Couch. Gegenüber dem Sofa stand ein aus dunklem Holz verarbeiteter Schreibtisch, darauf ein Laptop und eine kleine Schreibtischlampe, davor ein beiger Stuhl aus Leder, auf den ich mich nie gesetzt hätte, aus Angst, ihn irgendwie kaputt zu machen oder zu beschmutzen. Der Teppich, der den gefliesten Boden zierte, war ebenfalls beigefarbig, doch dieses war dunkler und bedeckte den größten Anteil der Fliesen. An einer Wand stand ein Bücherregal, vollgestopft mit Büchern und Heften, daneben ein Sessel.
Ich fand, dass dieses eigentlich ruhig und harmonisch gestaltete Zimmer nicht zu ihrer quirligen, witzigen Art passte, doch das faszinierte mich so: es bildete einen nahezu perfekten Kontrast zu ihrem Charakter, vielleicht hatte sie es deswegen so eingerichtet. Als ich ein paar Schritte gegangen war, stutzte ich.
„Sag mal, Alice, wofür ist diese Tür hier?“, fragte ich sie und deutete auf eine weiße, an den Rändern mit goldenen Mustern verzierte Tür.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach das, das ist mein Kleiderschrank."
Mein Mund klappte auf. „Dein Kleiderschrank?“
„Willst du mal sehen?“, fragte sie grinsend und ging schon darauf zu, doch ich hielt ihren Arm fest.
„Lieber nicht“, meinte ich kopfschüttelnd. „Dann komme ich mir so erbärmlich vor.“
„Wie du meinst.“
Eine Weile lang standen wir nur da und sahen uns um. Alice stand hinter mir und hatte ihre eisigen Arme sanft um meine Hüfte gelegt, während ich weiter ihr Zimmer musterte. Ich war so vertieft in die hellen, leuchtenden Farben, dass ich zuerst gar nicht merkte, dass die Kälte um meinen Körper verschwunden war. Mit einiger Verspätung drehte ich mich um und sah Alice, wie sie schon in der Tür stand und darauf wartete, dass ich zu ihr kam.
„Na, ausgeträumt?“, fragte sie und grinste.
Ich nickte. „Was ist los?“
„Die Anderen sind da.“
Ich schluckte heftig, sodass sie es hörte.
„Denk immer daran, dass du das schon einmal hinter dich gebracht hast.“
„… mit dem Ergebnis“, fügte ich hinzu, „dass mich ein sadistischer Vampir beinahe zu Tode gesaugt hätte.“
Sie verdrehte die Augen. „Komm einfach mit.“
„Wenn es sein muss.“ Mir entwischte ein Seufzer.
Wir gingen in den Flur des Obergeschosses, stellten uns an die Treppe, und während Alice schon nach unten gehen wollte, zögerte ich.
„Muss das sein?“ Ich konnte ja wenigstens versuchen, zu betteln.
„Ja. Los jetzt.“
„Ach Mann.“
Die Stufen unter meinen Füßen fühlten sich an, als würden sie mir jeden Moment entweichen und ich würde peinlich laut zu Boden stürzen. Darauf würde lautes Gelächter folgen, stellte ich mir vor und mir lief ein Schauer über den Rücken. Was, wenn ich mich während dem Fall an irgendetwas schnitt? Die Cullens – Alice ausgeschlossen – hätten keinen Grund, mich zu schützen. Als ich dann von der letzten Treppenstufe stieg, war ich mehr als nur erleichtert, dass mir nichts von alledem passiert war, was ich mir in den wenigen Sekunden, da ich sie hinuntergegangen war, vorgestellt hatte. Schüchtern blickte ich auf und sah in drei goldbraune Augenpaare.
Wie immer hefteten sich meine Augen zuerst an den stämmigen, wuchtigen Emmett, wie er dastand, die Arme verschränkt, wodurch seine Muskeln noch mehr zum Vorschein kamen. Und trotz diesem Bärenartigen Körper war sein Gesicht unheimlich schön mit den schwarzen Locken auf seinem Kopf. Neben ihm stand die perfekte Rosalie, und einmal mehr haute mich ihre Schönheit beinahe um. Die blonden, langen Haare fielen über ihre Schultern und flossen an ihnen herab, stoppten an ihrem Rücken zwischen den Schulterblättern. Ihr schlanker Körper schüchterte mich mehr ein denn je und ich fühlte mich, da ich in demselben Raum war wie sie, unheimlich hässlich und plump. Als letztes sah ich zu Jasper, ebenfalls muskulös, doch nicht so stark wie Emmett. Die blonden, kurzen Haare, das hübsche Gesicht eines Jungen – ein wenig entstellt durch den ungehemmten Durst, den seine Augen ausstrahlten -, all das passte so perfekt zu Alice, dass es fast wieder unmöglich war. Sie löste ihre Hand, die sie um meine geschlungen hatte, und ging auf ihn zu, sie tauschten einen intensiven Blick und für mich fühlte es sich so an, als hätten sie die Gedanken des anderen gelesen und sich im Stillen noch einmal gesagt, wie sehr sie sich liebten.
Alle drei starrten mich an, jeder auf eine andere Art und Weise. Emmetts Blick schien belustigt, eigentlich nicht verärgert oder genervt. Für ihn war es sicher … witzig, einen Menschen im Haus zu haben, der seinen Bruder verscheucht hatte. Jaspers war da ein bisschen schlimmer, er strahlte – wie schon erwähnt – unglaublich starkes Verlangen nach meinem Blut aus, das mich ein wenig zurückschrecken ließ. Ich wusste, er würde mich niemals angreifen, doch die Angst bestand weiterhin. Rosalies Augen sahen mich einfach nur voller Zorn, Hass und noch mehr Zorn an. Würden Blicke töten können, hätte ich schreckliche Qualen gelitten.
„Emmett, Rosalie, Jasper; das ist Bella, meine Freundin. Ihr kennt sie sicher aus der Schule“, stellte mich Alice vor, als sie wieder neben mich getreten war. Sie bei mir zu wissen entspannte meine verkrampfte Haltung wieder ein bisschen.
„Hi“, brachte ich nur heraus, es klang merkwürdig, wie das Krächzen einer sterbenden Krähe.
Als niemand etwas sagte, meldete sich Emmett zu Wort. „Schön dich mal aus der Nähe betrachten zu können, Bella. Du, sag mal, du hast doch meinen Bruder vertrieben. Wie hast du das gemacht? Ich versuche das schon seit Jahren …“
„Emmett“, hörte ich Esmes Stimme, die sich zusammen mit Carlisle nun zu uns gesellt hatte.
„Tut mir leid, Mom“, entschuldigte sich Emmett, starrte mich aber weiterhin an. „Man darf doch wohl mal fragen.“
Carlisle räusperte sich. „Du bist taktlos, Emmett.“
„Ja und?“
Die vier Vampire stöhnten auf und Emmett sah sich nur ratlos um. Mir war nach Lachen zumute, doch ich entschied, das lieber bleiben zu lassen. Dann wandte sich Jasper an mich.
„Hallo Bella, freut mich dich kennenzulernen.“
Ich nickte unbeholfen. „Freut mich … auch.“
Alle standen da und warteten darauf, dass auch Rosalie etwas sagte, und als sie begriff, dass das von ihr verlangt wurde, drehte sie sich auf dem Absatz um und ging mit schwungvollen und eleganten Schritten – einem Model gleichsetzend – aus dem Raum. Als sie verschwunden war, machten sich auch die Anderen auf und gingen zu ihren normalen Tätigkeiten über. Was hatte ich denn erwartet, ich war doch nicht hierhergekommen als Edwards endlich gefundene Seelenverwandte, sonder als sie, die ihn von hier fortgetrieben hatte. Natürlich wurde ich nicht mit großer Freude begrüßt. Meine Verdrießlichkeit schien auch Alice zu spüren, denn als gerade alle aus dem Raum gegangen waren, stupste sie mich an.
„Lief doch ganz gut."
Ich nickte. „Oh ja, total gut. Besser hätte es nicht laufen können. Sie sind alle weggerannt, nachdem sie das Nötigste zu mir gesagt haben, und Rosalie hat natürlich mal wieder nichts gesagt, aber was hatte ich erwartet? Dass sie mich mit offenen Armen empfangen? So blind kann auch nur ich sein.“ Die sarkastischen Worte sprudelten nur so aus meinem Mund, dass ich sie nicht stoppen konnte.
„Gib es doch zu“, schnaubte sie, „es hätte schlechter laufen können. Wenn ich an deinen Geburtstag denke …“
„Welchen Geburtstag?“
„Deinen 18.“
„Achja“, sagte ich leise und die Erinnerung - oder die Zukunftsvision? - peitschte mir mit ungemeiner Kraft in die Magengrube, sodass ich kurz zusammensackte, laut und japsend nach Luft schnappte und mir schwarz vor Augen wurde.
Alice legte einen kalten Arm auf meine Schulter. „Es mögen dich schon mal alle so sehr, dass sie nicht vorhaben, dich zu essen, Rosalie mal außen vor gelassen. Und du weißt, wie stark die Versuchung ist, vor allem für Jasper.“
Ich nickte nur, noch immer unfähig, zu sprechen.
„Und“, sprach sie weiter, „ich sehe auch nicht, dass das noch bevorsteht. Also haben wir doch nichts zu befürchten, oder?“
Kopfschütteln meinerseits.
Plötzlich ging die Tür eines Zimmers auf, und zu meinem Erstaunen trat Rosalie in die große Halle, doch als sich unsere Blicke kreuzten, wusste ich, dass sie nicht zu mir wollte. Woller Arroganz und Missbilligung mir entgegen lief sie auf Alice zu, blieb einige Meter vor ihr stehen und würdigte mich dann nicht mehr eines Blickes.
„Alice?“
„Rose?“, fragte Alice.
„Kannst du mal kurz?“ Sie deutete auf das Zimmer, aus dem sie gekommen war.“
Alice zuckte die Schultern. „Klar.“ Dann wandte sie sich zu mir. „Bella, kommst du mir?“
„Nein“, zischte Rosalie und ich fuhr erschrocken zusammen. „Sie bleibt hier, das geht sie nichts an.“
Alice und ich tauschten einen kurzen Blick, ich nickte ihr zu und somit ging sie hinter Rosalie her in das andere Zimmer. Die Tür wurde zugeknallt, dann war es still. Eigentlich war ich nicht der Typ Mensch, der gerne lauschte, doch es kribbelte mir ungemein in den Beinen, zu dieser Tür zu gehen und mein Ohr an die Wand zu pressen oder durch das Schlüsselloch zu schauen. Die Versuchung siegte gegen meine gute Erziehung und deswegen schlich ich mich zu der Tür, atmete flach und leise und lauschte.
Zuerst dachte ich, ich würde eh nichts hören, da sie sehr leise sprachen, und wollte schon wieder gehen, als ich Rosalies erhitzte Stimme erkannte.
„Was ist denn nun? Ist sie dir jetzt wichtiger als ich?“, fragte sie.
Ich hörte Alice seufzen. „So kannst du das nicht sehen. Du bist meine Schwester, sie ist meine beste Freundin, das sind zwei verschiedene Dinge.“
„Das akzeptiere ich aber nicht als Antwort.“
„Dann ist das nicht mein Problem. Um ehrlich zu sein glaube ich auch, dass Bella mich im Moment dringender braucht als du.“
Ich spürte, wie sich meine Wangen erhitzten und ich rot wurde. Sie stritten über mich, na super.
„Ach“, zischte Rosalie, es klang beinahe wie das Geräusch einer Schlange, „und weil du denkst, sie ist auf deine Hilfe angewiesen, ist sie dir auch wichtiger?“
„Das habe ich nicht gesagt. Aber wenn ich mich entscheiden muss, ob ich ihr bei einem schlimmen Kapitel ihres Lebens zuhöre und helfe oder ob ich mit dir shoppen gehe, ist ja wohl klar, was ich wähle.“
Rosalie schnaubte. „Du weißt, ich würde anders wählen.“
„Ja, und ich weiß auch warum“, fauchte Alice und ich zuckte zusammen. Sie schien ehrlich wütend zu sein. „Du gibst nichts darauf, was die Menschen um dich herum fühlen, denken oder brauchen, dir ist es egal. Für dich gibt es nur eine Person, die zählt, und das bist du selbst. Es interessiert dich nicht, ob die, die dich lieben und mögen, von dir gekränkt sind, wie du mit ihnen redest oder wie du sie behandelst, allein schon deine Blicke sprechen Bände. Dich stört es nicht, was die Leute von dir denken, denn Hauptsache ist, du gefällst dir selbst. Aber, soll ich dir mal eines sagen? Wenn ich du wäre, ich würde mich hassen, abgrundtief würde ich mich verabscheuen wegen der Art, wie ich mit den Anderen umgehe! Und der einzige Grund, weswegen du etwas gegen Bella hast, ist, dass es sich nur ein einziges Mal in deinem verdammten Dasein nicht um dich dreht! Nicht bei mir, nicht bei Edward, was dir ja schon immer gegen den Strich lief. Sowieso dreht sich die Erde um die Sonne, du bist nicht der Mittelpunkt des Universums, werde dir dem bewusst! Und jetzt lass mich endlich mit deinem Egoismus zufrieden und zeige ihn den Menschen, die an ihm interessiert sind. Ich bin es nicht.“
Mir klappte der Mund auf. Oh … mein … Gott …, ging es mir durch den Kopf. Alles war nur meine Schuld, jetzt würde Rosalie mich wirklich hassen, für immer und bis in alle Zeit. Aber gleichzeitig war mir auch … besser zumute, als ich bemerkte, wie stark sich Alice für mich einsetzte. Ihr war es nicht egal, was Rosalie von mir dachte, bei den Anderen war es sicher genauso. Mir stiegen Tränen in die Augen, doch seit einer Ewigkeit einmal wieder solche der Rührung. Ich hörte leichte Schritte, dann ging die Tür auf und ich erschrak. Alice stand da und starrte mich an.
„Oh Bella!“, flüsterte sie und deutete meine Heulerei völlig falsch. „Tut mir leid.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nicht traurig. Es ist nur … du musst es dir meinetwegen nicht mit Rosalie verderben. Das bin ich nun wirklich nicht wert.“
„Ach, das musste sowieso mal raus, und jetzt war ein guter Zeitpunkt gekommen."
„Jetzt wird sie mich für immer hassen“, murmelte sich und wischte die Tränen ab.
Alice machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und selbst wenn, wer braucht die schon?“ Sie fing an zu lachen, und aus irgendeinem Grund musste ich ebenfalls kichern, vielleicht als Reaktion auf die Freudentränen.
„So gefällst du mir viel besser“, meinte Alice und strahlte mich an. „Und was wollen wir jetzt machen?“
Ich räusperte mich. „Ich weiß nicht“, krächzte ich. „Was macht ihr denn sonst immer?“
„Och“, überlegte sie, „wir sitzen da und schauen Baseball, wir spielen es selbst, wir gehen jagen …“
„Etwas Ungefährliches?“
Sie nahm meine Hand und zog mich wieder auf die Beine. „Na komm, sehen wir uns das Spiel an.“
Zuerst wollte ich protestieren, doch da ich erstens keine Kraft hatte, mich gegen sie zu wehren, zweitens selbst wenn ich sie gehabt hätte nicht gegen sie angekommen wäre, und drittens schien es mir tatsächlich die ungefährlichste Tätigkeit zu sein, die ich hier als zerbrechlicher, ungeschickter Mensch vollziehen konnte. Also ging ich ihr hinterher und ließ mich neben sie auf die große Couch plumpsen. Alice saß jetzt zwischen mir und Emmett, der total vertieft war in ein Baseballspiel, das mich nicht wirklich interessierte. Ich zuckte zusammen, als er laut aufstöhnte, sah zum Fernseher – überdimensional groß und wahrscheinlich unbezahlbar teuer – und bemerkte, dass sie jetzt auf Werbung umgeschaltet hatten.
„Na, erzähl mal was!“, sprach mich Emmett an, der sich über Alice hinweg zu mir gebeugt hatte und mich jetzt anstarrte. Wieder erschreckte ich.
„Was denn?“
„Hmm … also, jetzt mal im Ernst: Wie hast du es geschafft, meinen Bruder zu verscheuchen?“
Das war ein ungeheuer schmerzhafter Stich ins Herz, den er womöglich unbewusst hervorgerufen hatte, deswegen nahm ich es ihm nicht übel und versuchte auch, es mir nicht so anmerken zu lassen. Aber, wenn er wirklich so war, wie ich ihn kannte, würde er es selbst dann nicht bemerken, wenn mir wirklich ein Speer durch die Brust gesteckt würde.
„Ich weiß es nicht.“
„Ach komm, irgendeine Taktik?“
„Das war keine Taktik, weil es ja keine Absicht war.“
„Und warum ist er dann jetzt weg? Ausversehen?“
„Wie Carlisle vorhin schon sagte“, meldete sich jetzt Alice zu Wort, schob Emmett von sich weg und setzte sich gerade hin, weil sie sich nach hinten gelehnt hatte, damit er mit mir reden konnte, „bist du unglaublich taktlos. Und unsensibel.“
Er räusperte sich. „Es ist unhöflich, zwei sprechende Personen während eines intellektuellen Gespräches zu unterbrechen, hat dir das schon einmal jemand gesagt?“
„Nein, weil es noch nie nötig war. Es war kein intellektuelles Gespräch, das du mit ihr geführt hast, du hast sie schier und einfach verletzt, und da muss ich ja wohl dazwischenfahren“, meinte sie mit ruhiger Stimme.
„Wenn du meinst.“ Dann wandte er sich wieder mir zu. „Und, was findest du an dem? Oder an der da?“, fragte er mich und zeigte auf Alice, die aufstand und mir eine Geste machte, ihr zu folgen.
„Wir gehen jetzt, nicht wahr, Bella?“
Ich nickte. „Hmmkay.“
Schnell wollte sie nach draußen gehen, ich mit meinen tapsigen Schritten war zu langsam für ihr Tempo, deswegen musste sie auf mich warten. Bevor wir aus dem Haus waren, schrie Emmett mir noch etwas nach.
„Ach, nicht so schlimm! Schreib mir deine Gründe einfach in einer Mail, oder schreib mir eine SMS, meine Nummer …“, mehr hörte ich nicht, weil Alice die Tür zuknallte.
„Es gibt mir aber jetzt keine Pluspunkte“, murmelte ich leise, „wenn ich einfach so gehe, ohne mich von ihnen zu verabschieden.“
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, ich erklär es denen später, sie werden das schon verstehen. Ich meine, sie wissen ja nur zu gut, wie nervig Emmett sein kann.“
„Auch wieder wahr.“
„Und was machen wir jetzt?“
Ich zuckte die Schultern. „Wir könnten … zu mir nach Hause gehen.“
Alice lachte. „Gibt es dort auch einen Bruder, den du bisher vor mir geheim gehalten hast, der dich bis aufs Blut reizen könnte?“
„Soweit ich weiß … nicht“, sagte ich, lachte dann ebenfalls.
„Dann lass uns gehen!“
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top