Schmerzendes Glück
Langsam wurde ich wach und wusste, dass ich einen wundervollen Traum gehabt hatte.
Ich öffnete meine Augen noch nicht, um die letzten Momente und Bilder in meinem Kopf zu behalten. Es war alles ziemlich verwirrend. Da war ein Klavier, leise Töne umspielten meinen fröstelnden Körper und ich wiegte in ihrem Rhythmus. Der Mond schien auf den Flügel und die Person, die davor saß, eine in dem grellen Licht weiß schimmernde Gestalt. Flink huschten deren Finger über die Tasten, berührten sie nur ganz leicht und erzeugten eine wahrhaft traumhafte Melodie. Mein Schlaflied. Und in diesem Moment prasselte alles auf mich ein.
Er war diese Gestalt gewesen. Seine Stimme erhob sich in meinem Kopf, sachte flüsternd sagte er mir wieder und wieder, dass er mich liebte. Ich spürte förmlich, wie sich seine eisernen, kalten Arme um meine zerbrechliche Mitte schlangen und mich fest an sich drückten. Mit einer Hand fühlte ich die Berührung an meinen Haaren, die Finger glitten hinunter und streichelten über meine erröteten Wangen. Der eisige Atem strich über meine Haut und bescherte mir eine prickelnde Gänsehaut. Unaufhörlich wisperte er die drei Worte in mein Ohr, die mein Herz höher schlagen und mich den Schmerz und die Qual der letzten Wochen vergessen ließen. Nichts war mehr wichtig, nur der Gedanke daran, dass er bei mir war. Das Loch in mir hatte es nie gegeben, so schien es mir, und auch nicht den Abgrund, der mich verschluckt hatte. Nie waren Tränen vergossen worden, die brennenden Spuren waren verschwunden.
Ich lachte grimmig in mich hinein. Wenn er wirklich da wäre, dann wäre das so. Doch er war es nicht. Es war ein Traum gewesen, wie in der Nacht zuvor und in der davor. Genauso, wie auch die Tatsache, dass er mich geliebt und dass ich als seine Frau glücklich gelebt hatte, waren nichts als Trugbilder gewesen.
Doch die Berührungen waren du greifbar. Mein Kopf lag auf seiner marmornen Brust, einer meiner Arme war um seine Schultern gelegt. Ich roch seinen berauschenden Duft und hörte seinen ruhigen, leisen Atem. Mach endlich die Augen auf, oder du wirst wirklich irre, schallt mich meine innere Stimme, also tat ich, was sie wollte. Doch was ich da sah, entsprach nicht meiner Vorstellung von Träumen. Denn die hatte man nur, wenn man schlief, aber soweit ich wusste, waren meine Augen weit geöffnet. Trotzdem war er noch da.
Ich hob meinen vom Schlafen noch trägen Kopf. „Was …?“, murmelte ich.
„Guten Morgen, Bella“, begrüßte Edward mich mit einem Lächeln, in dem ich mich hätte verlieren können. Ich genoss den Glockenklang seiner Stimme.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich leise, es war nur ein Krächzen. Ich spürte, wie ich ungläubig meine Augen noch um einige Millimeter weiter geöffnet hatte.
Er räusperte sich leise. „Soll ich gehen?“
Ich schüttelte den Kopf.
Er war da. Edward war wirklich da. Ungläubig stützte ich mich auf, setzte mich aufrecht hin und sah ihn an. Meine Haare waren das einzige Chaos, das wusste ich, doch mein Schamgefühl stand im Moment ganz weit hinten an. Niemals war er hier. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich geträumt hatte … Ich schüttelte wieder meinen Kopf, legte langsam Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand auf den anderen Arm und kniff zu.
„Au!“
Spätestens jetzt musste ich doch wach sein. Und er war noch immer bei mir. Schalkhaft grinste er mich an.
„Was machst du da?“, fragte er und kicherte.
„Ich versuche, aufzuwachen.“
Wieder erklang sein süßes Kichern. „Du bist wach. Oder zählst du mich jetzt schon zu deinen Albträumen?“
Und da begriff ich. Ich schlief nicht, und tot war ich schon gar nicht, falls mir das noch in den Sinn kommen würde. Es war Dienstagmorgen, der Himmel vor dem offenen Fenster war wolkenverhangen und grau, doch das war gut so. Denn das hieß, Edward würde heute zur Schule kommen. Ich strahlte ihn an. Ja, er war da, saß hier bei mir und griff jetzt nach meiner Hand. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper, als mich seine Finger berührten. In seinen goldbraunen Augen blitzte etwas auf, sein schiefes Lächeln schien so natürlich. Nichts, was in den letzten Tagen, Wochen oder gar Monaten geschehen war, besaß jetzt noch Wert. Es zählte kein Leid, keine Trauer, nur das Glück und die Liebe, die mich und ihn umgaben.
Ich machte einen Satz nach vorn und fiel ihm um den Hals. „Du bist wirklich da!“
„Ja, das bin ich.“ Vorsichtig strich er mir mit einer Hand über den Rücken. „Also wirst du mich jetzt nicht mehr wegschicken?“
„Quatsch. Als wäre das schon jemals meine Absicht gewesen.“
Noch einmal drückte er mich fester an sich, dann lehnte Edward sich von mir weg und hielt mich einen Arm breit von ihm entfernt an den Schultern fest.
„In einer Stunde beginnt der Unterricht, du solltest dich also beeilen“, sagte er mit einem Blick auf den Wecker.
Ich sprang auf und stand sofort vor meinem Kleiderschrank. „Warum hast du mich nicht eher geweckt?“
„Naja“, begann er und ich hörte seiner Stimme das Schmunzeln auf seinen Lippen an, „es war so beruhigend, dir beim Schlafen zuzusehen. Du glaubst gar nicht, wie schön du aussiehst, wenn du neben mir liegst und dich an mich schmiegst.“
Seine Worte schmeichelten mir ungemein, doch das war kein triftiges Argument für mich. Ich konnte ihn nicht darauf beruhen lassen.
„Trotzdem. Jetzt muss ich mich ungemein beeilen, um nicht zu spät zu kommen, und nur weil du …“, doch weiter kam ich nicht, denn schon stand er hinter mir, die Arme um mich geschlungen.
„Charlie wird gleich nach dir sehen“, flüsterte er und sein köstlicher Duft kitzelte meine Wange. „Wir sehen uns dann.“ Er küsste mich flüchtig auf den Nacken, dann verschwanden die kalten Arme um meine Hüfte und mit ihnen auch Edward selbst.
Ich seufzte. „Bis … dann, Edward. Ich …“ Ich kam mir irgendwie blöd vor, das zu flüstern, obwohl er nicht mehr da war, doch vielleicht hörte er es noch, also vollendete ich meinen Satz. „Ich liebe dich.“
Wie von ihm vorausgesehen kam auch schon im nächsten Moment Charlie in mein Zimmer gestürmt.
„Bella!“, sagte er, als er mich beobachtete, wie ich mir Klamotten für den heutigen Tag schnappte und mit ihnen ins Badezimmer verschwinden wollte. „Was war los, warum bist du noch nicht fertig?“
„Hab verschlafen.“ Um ihn zu überzeugen, gähnte ich herzhaft und wollte mich an ihm vorbeidrängeln, doch er versperrte mir den Weg.
„Irgendetwas stimmt nicht, Bella. Sonst bist du immer pünktlich.“
Ich seufzte. „Charlie, ich habe verschlafen und damit ist die Sache geklärt. Es nützt mir nichts, wenn du noch weiter vor mir stehst und mir den Ausgang versperrst, so verpasse ich schließlich meine letzte Chance, zur rechten Zeit in der Schule zu sein.“
„Na gut.“ Er nickte. „Beeil dich. Soll ich dich dann gleich mitnehmen?“
„Nein, schon gut. Ich fahr mit meinem Chevy, ich muss ja heute Nachmittag auch wieder nach Hause fahren.“
„Stimmt.“ Somit verschwand er aus dem Türrahmen und ich konnte mich aufmachen, meinem zerzausten Haar, der trockenen Haut und dem kaputten Pyjama den Kampf anzusagen.
Doch so schlimm wie ich befürchtet hatte, war es bei weitem nicht, ganz im Gegenteil. Es war wie am Tag zuvor. Meine braunen Haare fielen mir glatt und seidig über die Schultern, als ich mit der Holzbürste durch die einzelnen Strähnen fuhr. Als ich mir meine weiße Lieblingsbluse übergezogen und mein Gesicht gewaschen hatte, band ich sie zu einem Zopf. Ich sah mich im Spiegel an und war eigentlich recht zufrieden mit dem, was ich sah. Die sonst so deutlich zu sehenden, dunklen Augenringe waren fast gänzlich verschwunden, das Schokoladenbraun meiner Augen glänzte und meine Wangen waren leicht gerötet. Meine Lippen waren weder spröde noch war meine Haut ausgelaugt. Ich sah einfach irgendwie … gut aus. Annehmbar.
Ich putzte mir die Zähne, zog mir danach die bequeme Jeans an und ging aus dem Bad hinunter in die Küche. Ein kurzer Abstecher in mein Zimmer, um meine Schultasche zu holen, und dadurch ein Blick auf den Wecker verrieten mir, dass ich noch eine Dreiviertelstunde Zeit hatte, bis die erste Stunde begann. Eigentlich hätte ich noch gemütlich frühstücken können, doch ich wollte mir auf keinen Fall eine einzige Gelegenheit entgehen lassen, Edward zu sehen. Bei dem bloßen Gedanken an ihn kribbelte es unter meiner Haut, das Blut in meinen Adern kochte und pulsierte heftig und mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb.
Also schnappte ich mir meine Autoschlüssel, meine Jacke und ging auf die Tür zu.
„Tschüss, Dad!“, rief ich Charlie noch zu, öffnete die Haustür und schlug sie wieder zu, bevor er protestieren konnte. Ich zog mir die warme Jacke über und trat einen Schritt nach draußen.
Es war düster draußen, das Sonnenlicht drang an keinem einzigen Punkt auf die Erde, so dicht war die Wolkendecke am Himmel, doch Gott sei Dank regnete es nicht. Die Luft roch nach gemähtem Gras, Blumen und Nässe. Vielleicht würde es bald mit Schütten anfangen, wenn es bis jetzt noch trocken geblieben war. Erst auf den zweiten Blick nach vorn sah ich, wer dort stand. Zwei Gedanken schossen augenblicklich durch meinen Kopf.
Erstens: Edward!
Zweitens: Wie in alten Zeiten …
Grinsend ging ich auf ihn zu und mir begegnete sein allerliebstes, herzzerreißendes Lächeln, lässig stand er an seinen silbernen Volvo gelehnt. mir fiel auf, dass ich vorhin gar nicht darauf geachtet hatte, was er anhatte. Natürlich hatte er sich umgezogen, was für eine Frage. Unter seiner Lederjacke – deren Ärmel mir viel zu lang waren, wenn er sie mir übergestreift hatte – trug er einen grauen Pullover mit V-Ausschnitt, der seine muskulöse Brust andeutete. Zu gern hätte ich mich jetzt an ebendiese steinerne, kalte, aber irgendwie doch weiche und warme Brust geworfen und ihm unendliche Male meine Liebe gestanden. Doch das tat ich nicht. Mit jedem Schritt, den ich auf ihn zutat, wurde mir schwindliger. Würde er mich fragen, ob ich heute mit ihm fahren mochte …?
„Was machst du denn hier, Edward?“, fragte ich so scheinheilig wie möglich und hoffte, dass er nicht mitbekam, wie schlecht ich schauspielerte. Eigentlich war mir das alles ja schon bekannt … nun ja, nicht alles, aber das Meiste.
Er ging in menschlicher Geschwindigkeit – wohl bedacht auf Charlies neugierige Blicke – um den Volvo herum und öffnete die Beifahrertür. „Möchtest du heute mit mir fahren?“
„Gerne, dankeschön.“
Ohne zu zögern stieg ich ein und schlug die Tür neben mir zu. Der Geruch von Leder, zusammen mit Edwards berauschendem Duft – es wurden unendlich viele Erinnerungen wach. Ich bemühte mich, keiner von ihnen nachzusehen, da ich im Hier und jetzt, und somit bei ihm, bleiben wollte. Er tauchte neben mir hinter dem Lenkrad auf, sah noch einmal hinauf zu meinem Fenster und schnallte sich dann an.
„Das solltest du besser auch tun“, warnte er mich mit einem Blick auf den Gurt. „Dein Vater ist doch Polizeichef.“
„Jaja.“
Mit einem Leisen Geräusch startete der Motor und Edward manövrierte den Volvo geschickt aus unserer Einfahrt. Die Straße um uns herum war nur kläglich belebt, hier und da sah man ein paar Menschen, nur selten fuhr ein anderes Auto an uns vorbei. Es war merkwürdig still für diese Tageszeit, da sonst jede Menge Trubel auf den Straßen herrschte, weil jeder rechtzeitig an seinem Ziel ankommen wollte. Eigentlich wollte ich nicht wirklich zur Schule. Orte wie die Lichtung, das Haus der Cullens oder Esmes Insel waren da mehr nach meinem Geschmack. Ich lachte kurz in mich hinein. Ja klar, als ob das möglich wäre.
Auch im Fahrerhaus herrschte Schweigen, das ich unbedingt brechen wollte.
„Edward?“, fragte ich ihn deshalb.
Er sah mich an, ohne auch nur auf die Spur vor uns zu achten. Ich kannte seine Fahrkünste, deswegen beunruhigte es mich nicht, im Gegenteil, es war beinahe amüsant. „Ja, Bella?“
„Warum holst du mich heute ab?“
„Der Höflichkeit halber, weil ich dich in letzter Zeit nicht wirklich angemessen behandelt habe“, murmelte er und sah mich dabei eindringlich an.
In mir machte sich Enttäuschung breit. „Achso.“
„Und“, sagte er und lachte, „weil ich mir nicht sicher bin, ob du den Weg bis zur High School ohne großartige Verletzungen überwältigen kannst.“
„Wie witzig.“
„Sei nicht sauer.“ Er lächelte sein schiefes Lächeln und ich musste mir eingestehen, was ich ihm nie sagen würde: ich konnte einfach nicht sauer auf ihn sein. „Ich weiß auch nicht, warum ich das tue. Aber ich glaube, keiner der beiden Gründe trifft wirklich auf das zu, was dies veranlasst. Es ist einfach, weil … ich es will. Weil ich will, dass du bei mir bist. Immer und überall.“
Und jetzt gab es auch keinen Grund mehr, wütend auf ihn zu sein. Ich musste schmunzeln. „Ist das wahr?“
„Natürlich. Und ich denke nicht, dass es sich jemals ändern wird.“
Mit einem hungrigen Blick schaffte er es, meinen Körper in Wallungen zu versetzen und mir einen Schauder nach dem anderen über den Rücken zu jagen. Ich fürchtete, mein Herz in meiner Hosentasche wieder zu finden; so tief war es nach unten gerutscht.
Ich wollte etwas sagen – etwas Kluges, Geistreiches, Intelligentes – doch heraus kam nur das: „Ähm … ich …“
Edward beugte sich zu mir und küsste mich kurz aber ungeheuer sanft auf den Mund. Ich schien in Flammen zu stehen, so kochend pulsierte das Blut in meinen Adern.
Dann sah er mich verschmitzt an. „Übrigens: wir sind da.“
Ich sah mich um – und tatsächlich. Ohne, dass ich es bemerkt hatte, waren wir auf dem Schulhof angekommen, er hatte seinen Volvo geparkt und war schon dabei, aus dem Wagen zu steigen. Mit schnellen Schritten – aber nicht zu schnell für einen Menschen – trat er um das Auto herum und öffnete mir wieder die Tür. Alle starrten mich an, als ich, die kleine, unscheinbare, vergleichsweise hässliche, tollpatschige Bella, aus dem blitzenden Volvo des gutaussehenden, klugen, Mädchen anziehenden, perfekten Edward stieg. Wirklich alle. Sogar einige Lehrer.
Hilfe, wie peinlich!
„Warum starren die alle so?“, flüsterte ich leise in Edwards Richtung und versuchte, überrascht zu gucken. Wir gingen in Richtung des Einganges, an dem schon Alice auf und ab hüpfend auf uns wartete.
Er kicherte. „Neid.“
„Darauf hätte ich auch selbst kommen können“, murmelte ich. „Das unscheinbare, neue Mauerblümchen der Schule fährt mit dem gutaussehenden Mädchenschwarm auf dem Parkplatz vor. Ein gefundenes Fressen für Klatschtanten.“
„Ts, unscheinbar.“
Ich stutzte. „Was meinst du?“
„Du bist alles andere als unscheinbar. Wirklich. Die starren dich nicht an, weil du mit mir hier bist, sondern weil ich mit dir hier aufkreuze. Die fragen sich, womit ich so etwas Wunderbares wie dich verdient habe.“ Als müsste er seine Worte unterstützen, legte er mir einen Arm um die Taille und zog mich an sich. Ich wurde rot. Ja, toll!
„Ach was“, sagte ich und schüttelte den Kopf.
„Glaub mir, nur dieses eine Mal. Du bist das exakte Gegenteil von unscheinbar oder gar durchschnittlich. Schließlich kannst du ja nicht in die Köpfe der anderen Jungen sehen.“ Edward machte ein grimmiges Gesicht.
Ich seufzte. „Wenn du meinst …“
„Ich meine nicht, ich weiß es.“
„Ist mir auch recht.“
Langsam – an mein träges Tempo angepasst – gingen wir auf Alice zu und waren schon beinahe bei ihr, als Edward genervt aufstöhnte.
„Was hast du?“, fragte ich und musste grinsen, weil ich glaubte, die Antwort schon zu kennen.
Er sog scharf die Luft ein. „War ja klar, dass ausgerechnet ich die nervige, kleine Schwester abkriege … wirst du schon sehen.“
„Hä? Was?“
„Drei … zwei …“, zählte er runter und sah dabei immer genervter aus.
Ich stieß ihm sachte in die Seite. „Was ist denn?“
„Eins. Und los geht’s …“ Ich hörte noch einen letzten Seufzer seinerseits, bevor Alices Stimme meine Ohren erfüllte und ihr Schwall von Worten nie mehr zu enden schien. Jetzt hatte ich wirklich verstanden.
„Hi Bella, wie geht es dir? Oh, sicher gut wenn ich überlege, dass ihr beide … also, ich kann gar nicht sagen, wie toll ich das finde! Ich bin so stolz auf dich, Bella Schatz, du hast nicht aufgegeben, bist eisern geblieben und jetzt hast du deinen Willen! Und, was hat er genau gemacht, los erzähl! Also, so wie ich ihn kenne war es sicher total romantisch, oder? Na los, sag schon, was war los? Habt ihr geredet? Oh ja, sicher, ich musstet ja einiges klären, nicht wahr? Also, jetzt sag’s mir, jedes einzelne Detail will ich wissen, über was habt ihr geredet? Und was habt ihr gemacht? Hast du es schon Charlie erzählt? Was er wohl dazu sagt … was meinst du, Bella? Na los, erzähl! Also, ich glaube …“
Ich keuchte auf. „Alice, stopp mal!“, sagte ich nach einer Weile, als sich auch noch Jasper und Emmett zu uns gesellt hatten, beide mit einem breiten grinsen auf dem Gesicht.
„Was denn?“
„Ich kann ja gar nichts sagen!“
Sie nahm meine Hand. Die andere hielt Edward fest umschlossen. „Oh, natürlich, tut mir leid, Bella!“, entschuldigte sich Alice. „Also, jetzt kannst du reden.“
Ich schüttelte den Kopf und zeigte auf Jasper und Emmett an unserer Seite. „Doch nicht vor denen. Sie werden ja doch lachen. Später, ja?“
„Hmm … okay.“ Sie sah nicht sehr erfreut aus.
Dann hatte ich eine Idee. „Ähm, Alice? Ich muss mal aufs Klo. Kommst du mit?“
Sie schaltete sofort. „Klar. Jungs, wir sind gleich wieder da!“
Edward ließ grinsend meine Hand los, er wusste, was ich vorhatte. Alice zog mich, meine andere Hand umschließend, hinter sich her. Bevor wir aus dem Blickfeld der drei Jungs gerieten, hörte ich Emmett noch etwas murmeln.
„Weiber müssen anscheinend immer zu zweit aufs Klo gehen …“
Edward lachte laut. „Ja, klar.“
„Warum lachst du?“, fragte Emmett, jetzt lauter.
Nun musste auch Jasper kichern. „Dir ist schon klar, dass Bella jetzt jede Einzelheit vor Alice ausbreiten wird, Edward?“, fragte er.
„Kann sie doch, wenn es sie glücklich macht.“
Emmett seufzte. „Ich versteh’s nicht …“
Ich drehte mich ein letztes Mal um und sah, wie Edward mir nachschaute und mir mein allerliebstes, schiefes Lächeln schenkte.
„So“, sagte Alice, als wir vor dem großen Spiegel der Mädchentoilette standen, „jetzt bin ich neugierig …“
„Wo warst du gestern?“
Ich sah Jessica fragend an. „Hä?“
Sie seufzte. „Du warst gestern plötzlich weg. Mike kam ins Klassenzimmer und sagte, du seihst gegangen, weil es dir nicht gut ginge.“
„Stimmt ja auch.“
„Achso“, meinte sie und sah beinahe ein wenig niedergeschlagen aus, weil ich ihr nicht die Wahrheit sagte. Ich bemühte mich nicht einmal darum, zu verbergen, dass ich log.
„Läuft denn da jetzt etwas“, bohrte sie nach einer Weile weiter, „zwischen dir und Edward Cullen?“
Ich zuckte nur die Schultern, während ich in mein Sandwich biss. Die Schüler, die beim Lunch immer an unserem Tisch saßen, verstummten augenblicklich und auch der Rest des Saals schien nur auf meine Antwort zu warten.
Jess stupste mich an. „Sag schon.“
„Warum denn?“
„Also ja!“, rief sie und kicherte.
Genervt schnaubte ich. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ Nachdem Edward mir erzählt hatte, welche Gedanken sie mir gegenüber hegte, dachte ich nicht einmal mehr daran, sie als Freundin zu akzeptieren.
„Aber … wir sind doch Freundinnen. Oder etwa nicht?“
Noch einmal seufzte ich genervt, sah mich um, dann stand ich auf und setzte mich an einen leeren Tisch. Edward, Alice und Jasper kamen heute etwas später in die Cafeteria, weil sie eine Klausur geschrieben hatten, die sich in die Pause zog. Ich musste unwillkürlich lachen. Wenn die wüssten, dass Edward schon zwei Abschlüsse in Medizin hinter sich hatte, würden sie ihn niemals dazu zwingen, eine Boilogiearbeit zu schreiben. Von den anderen Mal ganz abgesehen.
Emmett und Rosalie schienen auf sie gewartet zu haben, denn auch sie kamen kurz nach den Dreien durch die Eingangstür. Sofort steuerte Edward auf mich zu und Alice und Jasper folgten ihm. Die beiden anderen ließen sich auf einem anderen, weit von meinem entfernten Tisch nieder. In mir grummelte etwas.
„Hallo Bella“, begrüßte mich Edward und setzte sich neben mich. Geräuschlos stellte er das Tablett – das mehr Requisite war als Hungerstiller – vor sich auf den Tisch und sah mich mit seinem glühenden Blick an. Alice nahm mich in den Arm und drückte mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange, Jasper begrüßte mich aus der Ferne. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Es konnte ja nicht jeder eine so gute Selbstbeherrschung haben wie ich … ich lachte innerlich.
„Hi. Wie war die Klausur?“ Ich konnte nicht anders, als zu grinsen.
Alice und Jasper machten eine abwertende Geste, nur Edward verzog das Gesicht. Er seufzte. „Ich glaube, ich habe schlecht abgeschnitten.“ Er begann zu lachen, ich und die beiden andern stimmten in sein Gelächter mit ein und achteten gar nicht auf die neugierigen Blicke der gaffenden Schüler um uns herum.
„Bella“, fing Alice nach einer Weile an, „willst du heute Nachmittag ein wenig mit zu uns nach Hause kommen?“
Ich sah die drei an. „Warum? Plant ihr etwas?“ Mir schwebte sofort das Bild des Baseballspiels vor Augen und ich dachte sofort an James, Victoria und Laurent. Wie gut, dass Edward meine Gedanken nicht lesen konnte.
Alice wusste als einzige, worauf ich wirklich hinauswollte und schüttelte den Kopf. „Nein, wir wollten einfach nur so Spaß haben. Hast du Zeit?“
„Klar. Um wie viel Uhr?“
Edward legte seine Hand auf meine und ich erzitterte leicht. „Ich hole dich um fünf Uhr ab. Ist das Okay?“
Ich nickte. „Sicher.“
Er lächelte mich an, ich erwiderte es.
Ich konnte nicht sagen, wie glücklich ich war, einfach so dasitzen und mit den Menschen zusammen sein zu können, die mir am meisten bedeuteten. Ich war die letzte gewesen, die eine solche Wendung dieser Geschichte vermutet hatte. Aber ich konnte nicht sagen, dass sie mir nicht gefiel, im Gegenteil. Es tat beinahe weh, so froh zu sein.
Vom anderen Tisch her sah mich Emmett kurz an und schmunzelte. Er mag mich, ging es mir durch den Kopf. Meine Freude wuchs ins unermessliche und für einen Moment konnte ich sogar den Gedanken an das Bevorstehende vergessen, der mich schon einige Zeit lang plagte. Laut meinem Traum war das erst der Anfang. Aber das war mir jetzt egal, ich genoss das Hier und Jetzt und saß noch unendlich lang – wie mir schien – mit Edward, Alice und Jasper an diesem Tisch, wir redeten, lachten und hatten Spaß.
Sollte denn jetzt wirklich alles perfekt sein?
Mein Herz und alles in mir beteuerte mir, es ginge jetzt aufwärts mit meinem Leben, ich müsste vorerst keine weitere Enttäuschung erleben, doch mein Verstand wehrte sich dagegen, mit in diesen Jubel einzustimmen. Er wollte mir sagen, dass noch etwas Wichtiges, Bedeutendes, doch vor allem Gefährliches auf mich wartete. Es lauerte mir da draußen auf und war darauf erpicht, mich zu fassen und womöglich auch zu töten. Ich begriff nicht, wieso ich so etwas dachte, und verdrängte das Gefühl, etwas vergessen zu haben.
Aber so sehr ich auch versuchte, ihn aus meinem Körper zu bannen; der mulmige, unsichere Gedanke an das Unheil verharrte in meinem Kopf und zeigte sich ab und zu, um mich zum grübeln zu bringen. Etwas fehlte, etwas Verheerendes, und dieses Wissen ließ mich nicht los. Das Wissen, dass bald wieder etwas mein Glück zerstören würde …
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top