Epilog
Ich konnte noch immer nicht fassen, dass Edward mich dazu zwingen konnte.
Wenn ich ehrlich war, sah das Kleid doch nicht so übel an mir aus. Ich hatte noch nie bemerkt, dass rosa zu mir passte. Die Rüschen schlängelten sich bei meinen Schritten um die Beine und raschelten bei jeder Berührung. Für meinen Geschmack saß der Ausschnitt zu tief, doch Alice hatte mir eingebläut, es wäre okay. Ich hatte brav genickt, obwohl ich ihr das nicht glaubte; das musste sie aber nicht wissen. Um genau zu sein war es schon ganz schön gemein von ihr gewesen, mir ausgerechnet dieses Kleid zu besorgen, wo sie doch wusste was ich davon hielt. Naja, Edward schien es zu gefallen, für den Abschlussball sei dies angemessen, hatte er gesagt.
Ich schluckte. Abschlussball. Pfui.
Obwohl ich auch sagen musste, dass er in seinem Smoking unwiderstehlich aussah. Der Kontrast der Blässe seiner Haut zu dem mitternachtsschwarzen Stoff war einfach nur überirdisch. An seine Schönheit würde ich mich wohl nie gewöhnen … Vielleicht wollte er mich so rumkriegen, vielleicht war ihm aber auch gar nicht bewusst, wie perfekt er war. Sein bronzefarbenes Haar glänzte in den letzten Schimmern der Sonne und seine goldenen Augen funkelten.
Er passte auf wie ein Raubtier, dass gerade sein Mittagessen fixiert, damit mein Kleid, die Blumen, die er mir zuvor eigenhändig in die hochfrisierten Locken gesteckt hatte, und mein Gehgips keinen Schaden davontrugen. Als ich neben ihm in seinem Volvo platz nahm – Charlie hatte ihn ein Dutzend Male darauf hingewiesen, ja gut auf mich aufzupassen – versuchte ich ein letztes Mal, mich aus dieser Situation zu winden.
„Edward?“, begann ich quengelnd und er hörte meinem Tonfall bereits an, worauf ich hinaus wollte.
„Nichts da, wir gehen zum Ball und werden tanzen.“
Ich seufzte. „Erstens kann ich nicht tanzen …“
„Aber ich“, unterbrach er mich.
Ich sprach unbeirrt weiter. „…, zweitens wäre ich auch nicht dazu im Stande, selbst wenn ich die begabteste Tänzerin ganz Amerikas wäre – hast du die Schiene an meinem Bein nicht gesehen? Oder den Gips, den sie mir um den Fuß gebunden haben? Und drittens werde ich eh hinfallen, denn an meinem anderen Fuß trage ich nicht unbedingt den sichersten Schuh.“
Als ich an mein verletztes Bein dachte, wurde mir übel. Das nervige Pochen und Ziehen wurde sonst von starken Schmerzmitteln überdröhnt, doch heute war ich schon zu viel gelaufen, hatte zu viel Modell gestanden, als das Morphium noch irgendetwas nützen könnte. Edward hatte mir erzählt, James hätte es mir gebrochen, als Alice versucht hatte, mich von ihm zu ziehen. Kurzerhand hätte er mein Bein gepackt und so viel Kraft darauf ausgeübt, dass es laut knackte und ich mir mehrere Knochenbrüche zuzog. Die Heilung würde noch eine ganze Weile in Anspruch nehmen.
„Es kommt immer auf den an, der führt.“ Edward sah mich fachmännisch an und startete den Motor.
Das wusste ich, doch sagen konnte ich es ihm nicht. Eigentlich liebte ich es, eng an ihn geschmiegt über den Boden zu schreiten, so tollpatschig ich auch sein mochte. Wenn es doch wirklich nur er und ich wären … aber nein, die ganze Schule würde da sein, der innere Spießrutenlauf würde von dem Moment an beginnen, da ich über die Schwelle zur Turnhalle – dem improvisierten Ballsaal von Forks - trat. Wie konnte ich ihm nur weiß machen, ich bräuchte diese lächerliche Veranstaltung nicht besuchen, ohne ihm gleich offenzulegen, dass ich all das Geschehene geträumt habe?
Schwierige Situation. Doch wie ich ihn kannte, war argumentieren eh zwecklos.
Wieder seufzte ich. „Aber wehe, du führst schlecht.“
„Käme mir nie in den Sinn“, versprach er unter einem spöttischen Lächeln.
„Das war mein Ernst.“
„Denkst du, ich scherze?“
Ich sah ihn unschlüssig an. „Nein … glaub nicht.“
„Hör auf zu nörgeln“, bat er, als wir aus der Einfahrt von Charlies Haus fuhren. „Du verdirbst mir die ganze feierliche Stimmung.“
„Juhu, feiern.“ Ich streckte die Hände in die Luft, wobei mein linker Unterarm schmerzte.
Zuerst sah es so aus, als wollte er etwas sagen, doch dann hob er nur eine seiner wohlgeformten Brauen und sah mich an. Schließlich lächelte er. „Du siehst bezaubernd aus in diesem Kleid.“
„Ähm … danke, Edward“, stammelte ich verlegen und merkte sofort, wie ich rot wurde. Zur Hölle mit dieser verdammten Menschlichkeit!
„Ich will einfach nur, dass du nichts verpasst wegen mir. Und ein Ball gehört auf jeden Fall zum Erwachsenwerden dazu.“
„Ich war aber schon …“, begann ich ohne Vorsicht und merkte sofort, dass ich dabei war, mich zu verplappern. Schnell überging ich meine Worte und antwortete nur auf seinen zweiten Satz. „In welchem Paralleluniversum würde ich jemals auf die Idee kommen, freiwillig tanzen zu gehen?“
„In einem,“ – er manövrierte uns auf den Parkplatz der Schule und ich wunderte mich einmal mehr, wie er es schaffte, mich so abzulenken, dass ich gar nichts mehr mitbekam – „in dem ich lebe. Oder existiere, je nachdem, wie du es betrachtest. Aber wenn du nicht willst, kann ich dich immer noch zwingen …“ Abrupt blieb er in einer Parklücke stehen, wandte sein Gesicht zu mir und kam dem meinen so nahe, dass mir schwindlig wurde. Unsere Lippen berührten sich beinahe. „Bitte … schenke mir einen Tanz, nur heute Nacht.“ In einer zärtlichen Geste küsste er mich flüchtig, um mich dann flehend anzusehen.
Ich blinzelte, dann verschränkte ich die Arme vor der Brust und drehte mich weg. „Du spielst unfair.“
„Habe ich jemals etwas anderes behauptet?“ Elegant und anmutig wie immer stieg er aus seinem Volvo, ging in menschlicher Geschwindigkeit um die Motorhaube herum und öffnete mir die Tür. „Darf ich bitten?“
Ich nahm seine mir entgegengestreckte Hand. „Ich tue das einzig und allein für dich.“
„Ich fühle mich geehrt“, hauchte er und küsste meine Hand.
Der Platz war voller Leute und ich wusste, drinnen würden noch einmal doppelt so viele sein. Ich war weder aufgeregt noch widersetzte ich mich ihm wie in meinem Traum, doch unwohl war mir trotzdem. Tanzen … urks. Als ich nach hinten sah, entdeckte ich vereinzelte Sonnenstrahlen, die durch die Löcher in der Wolkendecke hervorlugten.
Wir gingen hinein und gelangten zur Kasse, an der Edward seinen und meinen Eintritt bezahlte. Mir ging diese ganze Bezahlerei gegen den Strich, immerhin war ich doch kein armes Bettlerkind. Ich wagte einen Blick in die Turnhalle und musste unwillkürlich lachen: die Wände waren über und über mit bunten Ballons, sich ineinanderkringelnden Luftschlangen und grellfarbenen Girlanden aus Krepppapier beschmückt. Die Tanzfläche wurde nur von zwei Tanzpaaren besetzt, die ich selbst aus dieser Entfernung erkannte. Emmett und Jasper waren zu einschüchtern schön, um andere zum Tanzen zu bringen. Sie trugen klassische Smokings und wirbelten jeweils eine wunderschöne Frau mit sich. Alice strahlte geradezu atemberaubend in ihrem nachtschwarzen Kleid, ihre Blütenweiße Haut schimmerte durch die großen, dreieckigen Aussparungen des Satinstoffes. Für Rosalie fehlten mir die passenden Worte, wie sie anmutig und graziös in ihrem funkelnd roten Kleid über den Parkettboden schwebte. Es entblößte ihren Rücken und lief sich eng an ihre Haut schmiegend in einer gerafften Schleppe zusammen; man konnte ihrem Körper kein schöneres Kompliment machen. Jedes Mädchen in diesem Raum – mich eingeschlossen – erlitt wohl gerade einen Minderwertigkeitskomplex.
Mir viel auf, dass alle vier das gleiche trugen wie in meinem Traum, und seufzte.
„Wie wär’s mit einer Mahlzeit? Ich verriegle in der Zwischenzeit die Türen …“, murmelte ich grinsend, als er mich durch die Menge schob, und sah mich verschwörerisch um.
Edward runzelte die Stirn. „Hab schon gegessen.“
„Verdirb mir nicht den Spaß.“
„Du verdirbst ihn mir auch“, ermahnte er mich. „Außerdem ist das nicht spaßig.“
Er stellte mich direkt auf die Tanzfläche, ohne auf die gaffenden Blicke der anderen zu achten.
Ich versuchte es ein wirklich allerletztes Mal. „Edward … ich kann ehrlich nicht tanzen.“
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich es kann? Und jetzt sei schön brav.“ Er umfasste meine Taille und hob mich auf seine Füße, dann legte er meine Arme um seinen Nacken und begann zu tanzen. Seine eigenen Hände lagen an meinen Hüften. Es war ein unbeschreiblich tolles Gefühl, so unbeschwert, ihm so nahe sein zu können. Manchmal erfasste ich Alices Blick und erwiderte ihr aufmunterndes Lächeln. Und immer, wenn ich in Edwards Augen versank und die Welt um uns herum vergaß, spürte ich das Glück, das mich umhüllte wie ein sanftes Seidentuch. Wieder einmal schaffte er es nur durch seine pure Anwesenheit, die letzten schmerzhaften Erinnerungen in mir zu verdrängen. Sein liebevoller Blick heuchelte mir vor, was er nie auszusprechen gewagt hätte – denn es wäre eine Lüge gewesen: Es ist alles gut, Bella. Nur zu gern hätte ich es geglaubt …
Das nächste Lied hatte begonnen und nun trauten sich mehr und mehr Paare auf die Tanzfläche, um sich mit zu dem Song passenden, langsamen Schritten eng umschlungen zu bewegen. Ab und zu sah ich einen Schimmer des schwarzen Satinstoffes oder der funkelnden Röte aufblitzen, doch letztendlich verschwanden Alice und Rosalie mit ihren Partnern in dem sich anhäufenden Gewühl aus Menschen.
„Hier wird’s mir zu voll“, murmelte ich an Edwards Ohr.
Er sah mich an und nickte. „Sollen wir nach draußen gehen?“
Meine Antwort nicht abwartend löste er sich von mir, doch einen Arm hielt er fest um mich, als hätte er Angst, die anderen könnten mich erdrücken. Am Rande meines Bewusstseins – das sich in diesem Moment nur um ihn drehte – sah ich, wie Jessica und Mike Arm in Arm neugierige Blicke auf mich richteten. Ich lächelte ihnen zu, nur Jess erwiderte es. Ein wenig weiter hinten in der großen Turnhalle erkannte ich Angela, die sich, vor Glück strahlend, an Ben Cheneys Brust schmiegte. Noch andere vertraute Gesichter beäugten mich und Edward, bis wir vor der Tür standen und in den letzten Hauch von Rosa blickten, den die gerade eben untergegangene Sonne zurückgelassen hatte.
Als uns keiner mehr sehen konnte und Edward mich hoch nahm und dicht an seinen kalten Marmorkörper drückte, erinnerte ich mich auch an diese Szene aus meinem Traum. Mit dieser Geste brachte er mein Herz zum Flattern, und ich klammerte mich förmlich an dem schwarzen Stoff seines Smokings fest. Trotz, dass niemand in der Nähe war, ging Edward in gemächlichen Schritten über den in Schatten getauchten Schulhof; mir kam diese Zeit ewig vor, doch das war mir nur recht. Als wir an den Bänken unter den Erdbeerbäumen ankamen, setzte er sich auf die Holzbretter, mich hielt er immer noch in seinen Armen. Ich legte meinen Kopf an seine steinerne Brust und lauschte seinen ruhigen Atemzügen, die eisig über mein Haar rieselten. Sein Blick war starr auf den Horizont gerichtet, seine Lippen bildeten eine schroffe Linie ohne eine einzige Emotion.
„Ist es wirklich so schlimm, Bella?“, fragte er nach einer Weile.
Ich schüttelte langsam den Kopf. „Irgendwie ist es doch ganz schön.“
In einer rasend schnellen Bewegung zog er mich wieder auf die Beine, direkt auf seine Füße. Ohne, dass uns wie zuvor in der Turnhalle Musik umhüllte, schwebten wir nahezu über den Boden, Edward hielt mich fest in seinen Armen umschlossen. So hätte es ewig weitergehen können, wäre es nach mir gegangen, und auch er schien den Bann unserer Zweisamkeit noch aufrecht erhalten zu wollen, doch trotzdem löste er sich wieder von mir. Ich stieg von seinen Füßen und sah in sein genervtes Gesicht, seine Augen waren auf etwas hinter mir gerichtet.
„Edward?“, fragte ich zaghaft.
„Besuch“, murmelte er. „Ich gehe dann mal, er will mit dir allein sprechen.“
Als er sich auf dem Absatz umdrehte und einen Schritt tat, hielt ich ihn fest. „Warte, was …?“
„Es ist nur Jacob.“ Damit ließ ich ihn los, und er war schneller wieder in der Turnhalle, als das es einem Menschen je möglich sein mochte.
Ruckartig drehte ich mich um. Zuerst sah ich nichts als Schwärze, in Dunkelheit gehüllte Bäume und wie Hände ausgestreckte Äste, die aus dem düsteren Schlund ragten. Dann erkannte ich eine große Sillhuette, auf die das allmählich aufleuchtende Mondlicht schien. Nur den Bruchteil einer Sekunde später sah ich seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, die vor Begeisterung – was mein Äußeres anging, wie ich annahm – funkelnden, seine vollen Lippen, seine rostbraune Haut und die muskelbepackten Arme. War er schon wieder gewachsen? Den sonst eher sportlichen Kleidungsstil hatte er für diesen Moment abgelegt und trug ein weißes Hemd, das jetzt glänzend hervorstach, dazu eine schwarze Hose. Die langen, dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden, wie er es immer trug.
„Bella!“, rief er und breitete seine Arme aus.
Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu und umarmte ihn herzlich, als er vor mir stand.
„Jake, ich … bist du noch …?“ Ich stockte. Was sollte ich sagen?
„Nein, bin ich nicht“, versicherte er mir und küsste mich liebevoll auf die Stirn. „Zumindest nicht auf dich. Könnte ich nie.“
Ich nickte. „Dann ist ja gut.“
Jake legte mir die Hände an die Schultern und drückte mich von sich weg, sodass ich eine Armlänge entfernt von ihm stand. Ich sah ihn fragend an. Nach seinem peinlich berührten Gesichtsausdruck zu schließen, musste er mir einiges von Billy ausrichten.
„Bella, ich soll dir etwas von Billy sagen“, begann er nach einigem Zögern. „Er gibt mir zwanzig Dollar dafür und hat mir versprochen, den Hauptbremszylinder zu kaufen, den ich noch brauche, aber …“
Ich unterbrach ihn. „Jake, lass. Ich weiß bescheid …“ Und bevor er an meinen Traum denken konnte, was Alices Tod und meinen Untergang bedeutet hätte, würde Edward es in seinen Gedanken lesen, fügte ich schnell hinzu: „Billy hat es mir gegenüber schon oft erwähnt. Er bittet dich, mir zu sagen, ich solle mit Edward Schluss machen, hab ich recht?“
Er nickte. „Ja, und …“
Wieder unterbrach ich ihn. „Und, dass ‚ihr’ auf mich aufpasst. Es ist sein Plural, ich weiß. Jake, ich kenne deinen Vater gut. Er macht sich Sorgen, das ist alles. Und ich werde dichthalten, also geh und sag ihm, er soll dir schleunigst zwanzig Dollar und diesen … Dingens kaufen.“
„Hauptbremszylinder“, korrigierte er mich und grinste.
Ich grinste zurück. „Na, amüsierst du dich wenigstens gut?“
„Geht so“, murmelte er und sah beschämt zur Seite. Dann hellte sich sein Gesicht etwas auf. „Willst du tanzen?“
„Ohne Musik?“
Jake runzelte die Stirn. „Hast du nicht eben noch mit deinem Blutsauger hier getanzt, ohne Musik?“
„Sag nicht Blutsauger“, ermahnte ich ihn. „So bist du nicht, das passt nicht zu dir. Außerdem war es Edwards Idee, hier das Tanzbein zu schwingen.“ Ich blickte auf meinen in Gips gehüllten Fuß und lachte. „Naja, mehr oder weniger …“
„Also nein?“
„Kannst du es denn?“
„Nein, du etwa?“
„Sehe ich so aus?“
Mit einem gespielten Könnerblick musterte er mich. Schließlich sagte er: „Nicht unbedingt.“
„Willst du wirklich verantworten, dass ich mir mein anderes Bein auch noch breche?“
Er schnaubte. „Dein Edward hat es auch getan, also warum nicht ich? Komm her.“
Mit einer eher ungeschickten Bewegung umfasste er meine Taille, und auch nicht so fest wie es zuvor Edward getan hatte; er wusste ja, dass wir beobachtet wurden, wenn auch nur indirekt. Ich seufzte, schlang meine Hände um seinen Nacken und verschränkte sie, dann lehnte ich mich an seine Brust und er legte sein Kinn auf mein Haar.
„Zerstör mir nicht die Frisur, Edward und Alice köpfen dich“, warnte ich ihn vorsichtshalber.
Er kicherte. „Ich werd’s versuchen.“
Natürlich tanzten wir nicht wirklich. Erstens konnte, wie wir uns zuvor einig geworden waren, keiner von uns beiden ernsthaft tanzen oder hatte Rhythmus im Blut, zweitens war ich durch mein geschientes Bein und den noch schmerzenden linken Unterarm, auf dem eine halbmondförmige Narbe prangte, im Nachteil – ohne Jake nahe treten zu wollen, musste ich sagen, dass Edward besser mit meinen Verletzungen umgehen konnte; vielleicht hatte es auch daran gelegen, dass ich mich bei ihm nicht zu bewegen brauchte – und drittens fehlte irgendwie doch die Musik. Und dann war noch ein kleiner Mängel, dem sich Jake wahrscheinlich gar nicht bewusst war: es herrschte eine beklemmende Stimmung, so als würde ein schwerer Stein seine Atmung und seinen Herzschlag behindern, als hätte er etwas auf der Seele, das nach Auslass schrie, was er jedoch nicht freilassen wollte. Wegen mir?
Ich beschloss, ihn zu fragen.
„Jake?“
Wir waren von einem unsicheren hin- und herwippen auf das einfachere, umarmt dastehen, umgestiegen. Sein Kopf stützte sich immer noch auf meinem und ich hörte als Antwort seinerseits nur ein Brummen.
Ich holte tief Luft. „Was ist los? Irgendwas stimmt nicht mit dir.“
„Es ist nichts.“
„Hat dir Billy nie eingetrichtert, nicht zu lügen?“ Ich legte meinen Kopf in den Nacken, um zu ihm hochsehen zu können. Er starrte nur auf den Schein, den der Mond auf das Schulgebäude warf.
Dann hörte ich, wie er schluckte. „Ich bin krank vor Sorge, Bella.“
„Wieso?“
„Sieh dich an!“, befahl er, ohne seine Stimme zu heben. Ich musste mich nicht mustern um zu wissen, was er meinte. „Ich weiß, was wirklich passiert ist, bin ja nicht blind. Niemand kann mir weiß machen, diese Narbe auf deinem Arm sei durch einen Glassplitter entstanden. Und eigentlich müsste dich diese Geschichte, also all das, was in letzter Zeit passiert ist, wachrütteln! Du solltest endlich aufwachen und begreifen, dass er nicht gut für dich ist.“ Noch immer sprach er ruhig und beherrscht. Ich fragte mich nur, wie lange noch.
„Jake, das hatten wir doch jetzt oft genug, oder? Ich …“
„Du verstehst mich nicht.“ Er drückte mich fester an sich. „Er bringt dich ständig in Lebensgefahr, könnte dich töten! Denkst du, er könnte dich nicht noch einmal verlassen, vielleicht für immer? Bist du dir seiner wirklich so sicher, wie du glaubst, oder versteckt sich eure Liebe nicht hinter einem einzigen, undurchdringlichen Trugbild? Hinter einer Fassade, einer Maske, die niemand euch abzunehmen traut? Du wirst von ihm niemals sagen können, dass er immer bei dir sein wird. Von mir jedoch kannst du es, das weißt du. Ich bin der einzige, der dir in jeder Situation, egal wie brenzlig oder unausweichlich sie schien, die Hand gereicht und dir Mut gemacht hat. Ist das jetzt alles vergessen, vielleicht nichts mehr wert? Entscheidest du dich für ihn, entscheidest du dich für den Tod. Deinen Tod. Und ich bin mir sicher, du weißt das besser als jeder andere, besser noch als ich, und doch lässt du dich darauf ein! Würdest du mich wählen, es wäre alles viel einfacher. Du müsstest dich nicht immer zurückhalten, ebenso wenig wie ich. Ich glaube nicht, dass er dich überhaupt so küssen kann, wie ich es könnte. Aber du lässt es nicht zu, du verriegelst dein Herz vor dem Denken daran, wie es sein könnte!“
Obwohl es schon begonnen hatte, versuchte ich, seine Rede zu stoppen.
„Wie oft haben wir das jetzt schon durchgekaut, Jacob Black?“, fragte ich ihn mit Nachdruck. „Du denkst also, du weißt alles, richtig? Dann solltest du auch wissen, dass meine Entscheidung feststeht, dass sie unausweichlich und bis an mein Lebensende bestehend ist, oder? Du bist und bleibst mein bester Freund, und wenn du unsere Freundschaft deswegen aufs Spiel setzen willst, dann werde ich nichts dagegen tun können, doch ich hoffe du weißt, wie sehr ich darunter leiden werde. Aber ich werde es akzeptieren müssen, wenn es soweit kommt.“
„Verstehst du denn gar nichts von der Sorge, die ich habe?“, fragte er flehend, drückte meinen Kopf wieder an seine Brust und legte sein Kinn darauf.
Ich spürte, wie mir eine Träne entwischte. „Natürlich tue ich das, doch freust du dich denn nicht auch ein bisschen für mich, dass ich mein Glück endlich gefunden habe?“
„Wie kann ich mich freuen, wenn dein Glück dein Leben beenden kann?“, fragte er trocken. Ich fühlte unter meinen Händen an seinem Nacken, dass er zitterte.
Ich legte meine Arme von seinem Hals nach unten um seinen Bauch und genoss die Wärme seiner Haut. „Solange du mich nicht allein lässt, ist alles gut.“
„Woher soll ich mir dessen so sicher sein?“
Ich lauschte seinem Herzen und spürte meines gleichzeitig in mir pochen. „Bis unsere Herzen aufhören zu schlagen, wirst du mein bester Freund sein und ich deine beste Freundin, ist das nicht Versicherung genug?“
„Und“, hauchte er vorsichtig, „wenn mir das nicht reicht?“
„Jake, bitte … mach es mir nicht noch schwerer.“
„Ich glaube, du solltest jetzt gehen“, drang eine ruhige, seidenweiche Stimme an mein Ohr. Jake ließ mich sofort los und ich war dabei, zu straucheln und rücklings Bekanntschaft mit dem Schulhofboden zu machen, als mich zwei eisige, steinharte Arme auffingen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf zwei goldbraune, von Zorn und Ungeduld gezeichnete kreisrunde Punkte, die von einem bleichen Gesicht umschlossen wurden.
Edward stellte mich wieder aufrecht hin und ich streckte sofort eine Hand nach Jake aus, aber er ignorierte sie. Stattdessen sah er mich mit einem vor Leidenschaft und Sorge glühenden Blick an.
„Glaub nicht, ich würde dich jemals aufgeben, Bella“, sagte er, dann drehte er sich um und rannte. Schneller, als es eigentlich normal gewesen wäre, wurde er wieder vom Schatten der Nacht verschluckt.
Ich sah Edward fragend an. „Musste das jetzt sein?“
Er antwortete nicht auf meine Frage, runzelte nur die Stirn, zog die Nase kraus und sah ihm nach. „Dein bester Freund stinkt nach Hund.“ Er sagte es ohne einen Anflug von Humor.
Wie eine saftige Ohrfeige schlugen mir seine trockenen Worte ins Gesicht. Es stimmte schon; die Muskeln an seinen Oberarmen hatten enorm zugenommen, auch seine Brust war kräftiger gewesen, außerdem schien er wieder zehn Zentimeter größer zu sein. Aber gleich das …?
War es nicht dafür noch viel zu früh?
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