Das Kochbuch der Unsterblichen

Ich hatte es ihm schon einmal sagen können.

Es war kein Problem. Warum auch? Charlie würde nicht ausrasten oder schreien, das wusste ich. Trotzdem bereitete es mir ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, als ich mich darauf vorbereitete, ihm von meinem Date mit Edward Cullen zu erzählen. Naja, ein richtiges Date war es ja nun auch wieder nicht. Wir waren bei ihm zu Hause, er, Alice und ich. Und die anderen natürlich auch. Nein, es war keine Verabredung. Und doch wollte ich es ihm so sagen. Zumindest musste ich ihm beichten, dass ich nun sozusagen mit ihm zusammen war.

Moment. Waren wir das? Zusammen?

Keiner von uns beiden hatte es bis jetzt so richtig und wirklich ausgesprochen. Für mich fühlte es sich so an, war ja auch klar; ich liebte ihn schon länger, zumindest wenn man die Zeit meines Traumes mit einbezog. Doch er … wenn Edward es nun anders sah? Es wäre mir nicht nur unendlich peinlich, Missverständnisse zu schaffen, es würde auch schrecklich wehtun, von ihm selbst zu hören, dass es noch immer nicht so war wie ich mir das wünschte.

Warum musste ich mir auch immer alles so kompliziert machten?

„Ähm … Dad?“, fragte ich vorsichtig, als ich mich in den Türrahmen unseres Wohnzimmers stellte.

Er blickte zu mir auf. „Ja, Bells?“

Ich schluckte einmal laut. „Ich gehe heute wieder zu den Cullens.“

„Ach“, machte er und lächelte, „unternimmst du wieder etwas mit Alice?“

„Auch.“ Ich nickte. „Und … naja, Edward holt mich gleich ab. Wir machen etwas zu dritt.“ Ich feiges Huhn!

Charlie runzelte die Stirn. „Ist er wieder da?“

„Ja.“

„Ist da etwas zwischen dir und Edwin?“

Ich stöhnte genervt auf. „Er heißt Edward, Dad!“

„’tschuldige. Also … magst du ihn, diesen … Edward?“

Ich musste lachen. Er hatte eine sehr galante Art, auszudrücken, dass ich ihm gänzlich verfallen war. „Hmmm … kann man so sagen, ja.“

„Und warum“, setzte er an, „hast du mir das nicht erzählt?“

„Weil es erst seit kurzem so ist.“ Ich zuckte die Schultern.

Dieses Gespräch versprach, noch unangenehm zu werden, würde ich noch länger hier stehen und seine ungeschickten Fragen beantworten müssen. Doch gerade, als meine Wangen wieder rot werden wollten, läutete es. Schon der Gedanke daran, wie er vor dieser Tür stehen musste – mit seiner kalkweißen, eiskalten Haut, seinen rosa Lippen, den fliederfarbenen Lidern über seinen goldbraunen Augen, seinem perfekten Gesicht, dem Körper eines Gottes gleich, dem stummen Herz und seinem ruhigen, süßen Atem – ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Wahrscheinlich sah ich auch von außen her ein wenig aufgebracht aus, denn Charlie grinste mich an.

„Was?“, fragte ich deshalb, auf dem Weg zur Tür.

Er lachte. „Mein Mädchen ist verliebt.“

Ich stimmte in sein Gekicher mit ein, wenn auch etwas hysterisch, und öffnete Edward die Tür.

Seine himmlischen Augen brannten auf meinen, in ihnen lagen unverschämt viel Inbrunst und Schalk.

„Hallo“, hauchte er. Wie selbstverständlich beugte er sich zu mir und gab mir einen sachten Kuss auf die Wange.

Jetzt wurde ich puterrot. „Hi Edward …“

„Darf ich reinkommen?“

„Wieso?“ Ich war verwirrt.

Er schmunzelte. „Ich möchte mich deinem Vater vorstellen. Jetzt, wo wir … offiziell ein Paar sind.“

Mir blieb die Luft weg. Er hatte es ausgesprochen. Es war nun sozusagen amtlich. Edward Cullen und ich, Isabella Swan – auch bekannt als das kleine hässliche Entlein – waren ein Paar. Mein Herz hämmerte unaufhaltsam in meiner Brust und schien mich zu beflügeln, jeder Schlag brachte mich höher und höher. Wie schon so oft in den letzten Tagen, und ausgelöst durch seine Worte oder Berührungen, bewirkte er, dass ich den Schmerz dieser vielen Wochen, in denen ich hatte kämpfen müssen, vergaß und mich einfach nur in meinem Glück sonnte.

Ich wollte etwas sagen, brachte jedoch nicht den kleinsten Laut über meine Lippen. Er sah mich fragen an.

„Siehst du das etwa anders?“ Es klang beinahe verletzt.

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Nein, nein. Im Gegenteil, ich bin so froh, dass es endlich so ist.“

Für einen kurzen Moment wurde sein Blick starr und eisig und ich wusste nur zu gut, was er mir damit mitteilen wollte, doch mir war es egal. Ich hätte mich in jede erdenkliche Gefahr gebracht, nur um in seiner Nähe sein zu dürfen. Um ihn zu berühren, ihn mein Eigen nennen zu können.

Ich seufzte. „Aber muss es wirklich sein, das mit Charlie?“

„Du vergisst anscheinend“, flüsterte er, damit mein Dad es ganz sicher nicht hören konnte, „aus welchem Elternhause ich stamme, oder besser gesagt, aus welcher Zeit. Damals war das etwas ganz Natürliches.“

„Aber jetzt sind wir eben aus dieser Epoche entstiegen und es gelten andere Regeln.“ Ich sah ihn flehend an. Wenn Charlie sich verplapperte …

Auch seine Augen wurden bittend. „Tu’s für mich.“

Einmal atmete ich tief ein und aus. Wird schon schief gehen, dachte ich und gab ihm den Weg in unser Haus frei. Er lächelte mein allerliebstes Lächeln und ging an mir vorbei.

Ich folgte ihm und hielt ihn an einem Arm fest. Er drehte sich um. „Ich dachte …?“, fragte er und sah mich verwundert an.

„Jaja, ich will ihn nur darauf vorbereiten.“

Edward nickte. Ich ging mit zitternden Knien zurück ins Wohnzimmer.

„Bells, ich dachte, du wärst schon weg“, sagte Charlie, als er mich wieder im Türrahmen stehen sah.

Unwillkürlich lächelte ich. „Hatte ich auch vor, doch Edward wollte dich erst einmal kennenlernen.“

Charlie zog eine Augenbraue hoch. „Ist dieser Brauch nicht längst aus der Mode?“

„Er wurde … streng erzogen“, log ich und hoffte, wenigstens diesmal gut schauspielern zu können.

Er glaubte mir und nickte. „Na los“, ermutigte er mich, „bring ihn rein.“

„Aber bitte, Dad, sei nett zu ihm! Er ist mir echt wichtig.“

„Schon gut.“

Mit bebendem Herzen und rasendem Puls trat ich einen Schritt zurück und bedeutete Edward mit einer einladenden Handbewegung, er konnte sich jetzt mit zu uns gesellen. Ich musste beinahe kichern, als ich sah, wie er seine Schultern straffte und kerzengerade durch den Rahmen ging. Unsicher sah ich zu Charlie, auf seinen Lippen lag ein willkommenheißendes Lächeln.

„Und du bist Edward?“ Er stand auf und reichte ihm die Hand. Es war wirklich nur zu deutlich zu sehen, dass Edward mit der Entscheidung rang, ob er seine Haut berühren sollte. Als er sich dann dazu durchrang und Charlie’s Hand kräftig drückte, sah ich Überraschung und Überrumplung in seinem Gesicht aufblitzen, doch er kontrollierte seine Züge gut und ließ es sich nicht weiter anmerken. Dennoch hatte es Edward bemerkt – natürlich.

Er nickte. „Ich freue mich sehr, sie kennen zu lernen, Chief Swan.“

„Einfach nur Charlie“, bot Charlie ihm an. Noch ein gutes Zeichen.

„Gut, Charlie“, sagte Edward und lächelte nun ebenfalls. „Ich wollte mich ihnen nur einmal vorstellen, als Freund ihrer Tochter.“

Charlie warf mir einen raschen Blick zu, den ich mit heftigen Bissen auf meine Unterlippe erwiderte. Irgendwann würde ich bluten und dann wäre alles für die Katz’ gewesen … deswegen entschied ich, etwas für meine Maniküre zu tun und knabberte an meinen Fingernägeln.

„Das finde ich sehr höflich von dir, Edward. Darf ich denn fragen, was ihr für heute geplant habt?“

Edward lachte kurz auf. Für wenige Sekunden wurde unser tristes Wohnzimmer von seiner glockenspielartigen Stimme umhüllt. „Ehrlich gesagt wissen wir das noch nicht.“

Charlie zuckte die Schultern. „Dann wünsche ich euch viel Spaß – bei was auch immer.“

„Vielen Dank, Charlie“, sagte Edward und drehte sich dann zu mir. „Können wir?“

Ich nickte begierig, nur darauf erpicht, schnell von hier wegzukommen, bevor Charlie wieder seine unbeholfenen Fragen auf mich abschießen konnte.

„Auf Wiedersehen“, verabschiedete Edward sich und nahm meine Hand, als er wieder neben mir stand.

Charlie hob eine Hand, um zu winken. „Tschüss, ihr zwei. Bis später, Bells!“

Erleichtert entfernten wir uns von ihm. Ich konnte gar nicht schnell genug gehen, und als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, viel sichtlich ein großer Teil der Anspannung von mir ab.

Der Wind brauste kühl um uns, doch nur ich konnte es wirklich spüren. Beim hinausgehen hatte ich noch einmal schnell einen Blick in den Spiegel geworfen und überprüft, ob mein Aussehen akzeptabel war. Als ich mit Alice shoppen gewesen war, hatte ich mir eine zweite, hellblaue Bluse zugelegt – in dem Blau, für das ich schon einmal ein Kompliment von Edward bekommen hatte – und diese trug ich jetzt, darüber eine Jacke, dazu noch einen knielangen Rock und darunter, wegen der Kälte, eine Strumpfhose. Meine braunen Haare hatte ich zu einer Spange hochgesteckt, ein paar Strähnen hingen hier und da raus. Eigentlich war ich ziemlich annehmbar, wie ich fand.

„War doch gar nicht so schlimm.“ Edward kicherte.

Ich stöhnte auf. „Ich habe Höllenqualen durchlitten.“

„Wieso?“

„Ich hatte Angst, Charlie würde sich irgendwie verplappern und dir etwas Peinliches erzählen.“

Er sah mich schelmisch an. „Gibt es denn so viele peinliche Dinge, die er mir hätte erzählen können?“

„Keine Ahnung“, gestand ich. „Aber er würde schon etwas finden.“

Wir stiegen in seinen Volvo und ich hätte schwören können, von einem Fenster aus Blicke auf mir zu spüren. Gott sei Dank war ich nicht genauso neugierig wie er. Das warme Fahrerhaus seines Autos, der surrende Motor und das leise gedrehte Radio versetzen mich gleich wieder um einige Monate zurück – oder nach vorn? Ich war verwirrt.

„Du bist ja schon wieder ganz hibbelig.“

Ich stutzte. „Äh … was?“

Edward lachte sein Glockenspiellachen. „Du wirkst total aufgeregt und unruhig.“

„An wem das wohl liegt“, murmelte ich und sah beschämt aus dem Seitenfenster.

„Doch nicht etwa an mir?“

Ich sah ihn wieder an. „Wie es aussieht lässt dich meine Gegenwart völlig kalt“, konterte ich.

„Was du da wieder redest“, flüsterte er und lehnte sich zu mir. Mit nur noch einer Hand am Lenkrad fuhr er ohne Probleme weiter, verfehlte noch nicht einmal die Spur, obwohl seine Augen auf mir lagen. Hungrig blickte er mich an, doch nicht auf die Art und Weise, wie es mir Angst machte. Seine freie Hand legte er an meine Wange und zog mich so sanft zu sich. Als sich unsere Lippen trafen, schien ein Feuerwerk über uns stattzufinden, zumindest war es für mich so. Alle glückseligen Gefühle schienen zu explodieren und dadurch nur noch stärker in mir aufzublühen. Durch diese kleine Berührung spürte ich ihn überall auf meinem Körper und genoss das Prickeln, dass er mich über die haut jagte.

Er beendete den Kuss viel zu schnell aber unendlich zärtlich, doch nur um mich mit seinen glühenden Augen anzusehen. Sein köstlicher Atem streifte über mein Gesicht und mir wurde schummrig. Würde ich je in seiner Gegenwart die Kontrolle über mich und meine pubertierenden Gefühle erlangen? Ihn schien es jedenfalls nicht zu stören, dass meine Wangen schon wieder unangenehm rot und heiß wurden. Noch minutenlang hielt das Kitzeln auf meinen Lippen an und ich strich sachte mit einem Finger über sie.

„Wie das wohl ist“, sinnierte Edward, „wenn man rot wird.“

Ich stutzte. „Wie soll das sein?“

„Ich weiß es nicht, deswegen frage ich ja. Ich möchte wissen, wie es sich anfühlt, wenn einem vor Scham und Liebe die Wangen heiß werden.“

„Das ist wirklich nicht so toll, wie du denkst“, erklärte ich ihm und seufzte.

„Für mich schon“, meinte er belustigt. „Somit weiß ich wenigstens im Ansatz, was in dir vorgeht.“

„Hmm … aber, bist du denn nie rot geworden? Also, als Mensch?“

Er überlegte kurz, dann zuckte er die Achseln. „Sicherlich, doch über die Jahre vergisst man solche Dinge, sie sind für uns nicht mehr relevant. Andere Erfahrungen und Gefühle nehmen ihren Platz ein.“

Ich versuchte, es mir vorzustellen, doch es gelang mir nicht. „Weißt du dann auch nicht mehr, wie es ist, wenn das Herz in einem rast und pocht wie verrückt?“

„Doch.“

„Und wieso gerade das?“

Er lachte. „Dein Herzschlag hat mich gelehrt, wieder daran zu denken, mich zu erinnern. Würde meines noch in mir schlagen, so würde es des Öfteren poltern und sich überschlagen, deinetwegen.“

Jetzt war ich verlegen, doch um eine Frage kam ich nicht mehr drum herum.

„Und“, fing ich zaghaft an, „hat es damals auch oft wegen einem anderen Mädchen geschlagen?“ Der Gedanke daran hinterließ einen Stich in meinem Brustkorb. Ich konnte mir partout nicht vorstellen, er hätte noch nie eine Freundin gehabt, selbst wenn er es mir in meinem Traum versichert hatte.

„Höre ich da etwas Eifersucht heraus?“ Edward lachte wieder.

„Nur reine Neugier.“

„Nun ja“, sagte er, „da muss ich nicht lange überlegen. Es gab noch nie jemanden, zu dem ich mich so hingezogen gefühlt habe wie zu dir, das kann ich dir versichern. Ich sagte schon oft, dass ich derartig von diesen Gefühlen überrumpelt wurde, die ich für dich hege, dass ich mich nicht selbst kontrollieren konnte. Die Liebe zu meiner Familie war mir bekannt, auch in meinem Menschenleben, und auch da konnte ich mir nicht vorstellen, es gäbe etwas Besseres, Mächtigeres. Und dann“, er machte eine Handbewegung in meine Richtung, „kamst du nach Forks.“

„Hmmm …“, machte ich nur, ich war gefangen im Klang und der Bedeutung seiner Worte.

Er sah mich eindringlich an. „Jetzt bin ich aber neugierig. Gab es mal einen Jungen … nein, ich sollte besser fragen, wie viele. Wenn ich allein an die Gedanken der Jungen in unserer Schule denke, sind das schon dutzende, die dich sofort heiraten würden.“

„Das sicher nicht. Und …“, - warum machte er mich immer so verlegen? -, „auch bei mir gab es niemanden, der mir auch nur ansatzweise so viel bedeutet hat wie du. Und umgedreht war es sicher auch nicht unbedingt so. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Jungs bei mir Schlange standen.“

„Kann ich mir nicht vorstellen.“

„Ist aber so. Ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, womit ich dich verdient habe.“

Er schnaubte. „Genug jetzt mit den Selbstzweifeln, Alice wartet schon.“

Ohne auch nur die geringste Idee zu haben, wie wir diesen Nachmittag zu etwas Spannendem, Aufregendem machen konnten, saßen wir im überirdisch großen Wohnzimmer der Cullens und langweilten uns. Mir machte es nichts aus. Meinetwegen hätten wir noch stundenlang so dasitzen können, Edward an meiner rechten und Alice an meiner linken Seite lehnend. Der ruhige Rhythmus ihrer Atemzüge und das Schweigen ihrer Herzen entspannten mich ungemein und befreiten mich vom Stress der letzten Tage, radierten sie aus meinem inneren Tagebuch.

Plötzlich knurrte mein Magen, so laut, dass sie es bemerkten.

„Ich höre, hier hat jemand gewaltigen Hunger“, meinte Edward spöttisch und sah mich an.

Alice kicherte. „Dann können wir also endlich unsere Küche einweihen.“

Ich löste mich von Edwards Arm, den er mir um die Schultern gelegt hatte, und zog meine Hand aus Alices’. Mit einer ruckartigen Bewegung stand ich auf, stellte mich vor die beiden und hob abwehrend die Hände.

„Oh nein“, versicherte ich ihnen. „Ihr werdet mir nichts kochen. Erstens kann ich das selbst und zweitens …“

„Warum denn nicht?“ Alice sah sichtlich gekränkt aus. „Wir konnten in dieser Küche noch nie etwas kochen und jetzt wäre doch der perfekte Zeitpunkt.“

Sie stand ebenfalls auf und nur wenige Augenblicke später stand Edward neben ihr.

Er lächelte mich an. „Komm schon, lass uns den Spaß. Oder traust du unseren Kochkünsten nicht?“

Unwillkürlich musste ich grinsen, wenn ich daran dachte wie oft mir Edward auf Esmes Insel etwas gekocht hatte, beinahe alles von A-Z hatte er mir serviert. Ich bezweifelte, dass es ihm jetzt an solchen Künsten mangelte. Gegen dieses mentale Argument kam kein anderes an, weswegen ich mich schließlich geschlagen gab.

„Wo sind eigentlich die anderen?“, fragte ich, als wir auf dem Weg in die Küche waren.

„Oben“, trällerte Alice, „oder irgendwo anders. Sie wollten Diskretion bewahren.“

Edward schnaubte. „Und Rosalie und Emmett sind jagen. Sie wollten so weit weg wie nur möglich sein.“

„Sei nicht sauer.“ Ich legte ihm eine Hand in seine und er umfasste sie mit seinem festen aber zärtlichen Griff.

Eigentlich war ich schon oft in dieser Küche gewesen, doch wie jedes Mal wurde ich auch an diesem Tag von ihrem Glanz und den funkelnden Ceranfeldern, den Hängeschränken aus dunklem Mahagoni und der gemütlichen Theke in der Mitte des doch ziemlich großen Raumes eingeschüchtert. Niemals im Leben würde ich es mir erlauben, auch nur einen Topf mit kochendem Wasser auf dem Herd abzustellen, aus Angst, ich könnte etwas beschmutzen. Wirklich jeder Winkel schien auf Hochglanz poliert zu sein. Die großen Fenster, die von den hellen Fliesen bis hin zu der ebenfalls in warmem Ton gehaltenen Decke reichten, ließen den Blick frei auf mindestens fünf weitere, uralte Zedern, darunter verbargen sich mickrige Büsche und vereinzelte Birken- und Ahornbäume. Der Himmel über ihnen war noch immer wolkenverhangen und trist.

Edward ließ meine Hand los und ging auf einen Schubkasten zu, den er mit einer flinken Bewegung öffnete und gleich darauf wieder schloss. Dies machte er noch mit drei anderen Kästen, bis er schließlich ein dickes Buch in der Hand hielt. Der Titel ließ nur zu gut auf den Inhalt schließen: ‚Exotische Küche’. Extravagant sollte es also auch sein, na super.

„Ich frage mich, warum wir so etwas überhaupt zu Hause haben …“, sinnierte Edward und schmunzelte, als er es auf die breite Theke legte.

Alice holte Töpfe, Pfannen und Schüsseln aus einem Hängeschrank über der Spüle. „Vielleicht hofften Carlisle oder Esme auf Besuch.“

Edward zog eine schwungvolle Augenbraue hoch. „Von Menschen?“

„Warum denn nicht?“

„Alice, eigentlich sollten wir ihnen kein Essen zubereiten, sondern sie selbst essen.“ Bei den letzten Worten warf er mir einen sarkastischen Blick zu.

Sie schnaubte. „Carlisle ist nicht so, das weißt du. Keiner von uns würde je auf die Idee kommen, einem Menschen auch nur ein Haar zu krümmen.“

„Das stimmt schon“, bestätigte Edward, „aber trotzdem liegt es nicht in unserer Natur, nett zu unserer … beute zu sein.“ Wieder ein Blick in meine Richtung, diesmal entschuldigend. „Und mal ganz davon abgesehen, bereiten wir ihnen eher Angst, als das sie sich eingeladen fühlen.“

Alice seufzte. „Dann scheint aber etwas gewaltig mit Bella schief gegangen zu sein.“ Jetzt sahen mich beide an.

„Sie ist sowieso speziell. Eben ganz besonders. Aber das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache. Stell dir nur mal vor, du wärst noch ein Mensch …“

„Ja.“

„Und dann würden merkwürdige, zurückgezogene, blasshäutige Menschen dir anbieten, bei ihnen zu Abend zu essen? Für mich klingt die Tatsache, dass du diese Einladung dann annehmen würdest, eher suspekt.“

„Och … ich glaube, ich würde schon mitgehen.“ Sie lachte.

Edward lachte ebenfalls. „Du warst wohl schon immer eine der mutigen Sorte. Naja … guck mal hier“, murmelte er und deutete auf eine Seite aus dem Kochbuch, die er aufgeschlagen hatte, um sie Alice zu zeigen. „Also, ich habe nicht den geringsten Schimmer, was das sein soll, aber für meine Begriffe sieht das ziemlich gut aus.“

„Das werden wir ihr aber nicht kochen.“

„Warum?“, fragte er und sah sie verdutzt an.

Alice legte sich die Zeigefinger an ihre Schläfen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Es wird … dieses sein.“ Mit einer flinken Handbewegung hatte sie mehrere Seiten umgeblättert. Ihr rechter Zeigefinger löste sich von ihrer Schläfe und bohrte sich in die Seite des Buches.

„Meins war besser.“

„Wieso das denn?“

Edward kicherte. „Weil ich es ausgesucht habe.“

„Du bist ganz schön selbstsicher, kann das sein? Also, ich bestehe darauf, dass …“

„Ihr beide haltet jetzt mal eure Finger still!“, befahl ich. Während ihrer Diskussion hatten sie noch weitere Utensilien, sowie Gemüse, Obst und Fleisch aus den Reserven gepackt. All das stapelte sich jetzt auf dem Tresen und drohte, in sich zusammenzufallen. Obenauf lag das Buch, auf das sich beide stützten, und wackelte bedächtig. „Bedenkt ihr bitte auch die Tatsache, dass ich der einzige Mensch in diesem Haus bin, der Hunger hat? Oder wolltet ihr noch die Nachbarn einladen?“ Ich grinste.

Beide starrten auf ihr eher chaotisches Werk und begannen dann zu lachen.

„Tut uns leid“, entschuldigte sich Edward, „aber wir haben so lange nichts mehr angerührt, was auch nur im Entferntesten mit menschlicher Nahrung zutun hatte. Da ist wohl unser Temperament etwas mit uns durchgegangen.“

Ich kicherte. „Etwas?“

„Okay, dann eben sehr.“ Alice räumte einige Dinge wieder ein, Edward und ich packten mit an, und so herrschte bald wieder Ordnung.

„Jetzt hast du aber immer noch nichts zu essen …“, meinte Alice.

„Ich brauche nichts, ich …“, doch Edward unterbrach mich.

Seine Stimme klang sanft. „Bitte. Und wenn es nur etwas ganz einfaches ist?“

„Ruft beim Pizzaservice an und bestellt eine Pizza“, schlug ich vor, was Gegrummel und Gestöhne mit sich brachte.

Dann holte Alice ein großes Blech aus dem Backofen und stellte es auf den Tresen. „Dürfen wir dir die Pizza wenigstens selbst machen?“

Ich zuckte die Schultern. „Ach, macht doch was ihr wollt. Im Endeffekt gebe ich ja doch nach.“

Kurz ertönte Gejubel, dann hingen sie zusammen und tuschelten. Ich kicherte.

„Soll ich euch zeigen, wie …?“

Beide sahen mich entsetzt an. „Nein, das schaffen wir auch allein“, beteuerten sie mir wie aus einem Munde.

„Habt ihr auch alles, was ihr braucht?“

Edward nickte fröhlich. „Dafür, dass wir nicht einen Bissen von diesem Zeug essen, haben wir jede Menge davon im Haus.“

„Und jetzt“, sagte Alice und schob mich aus der Küche, „lass uns machen.“

„Aber ich …!“

Sie schüttelte den Kopf. „Es dauert nicht lang. Vertrau uns einfach.“

Mit diesen Worten verschwand sie hinter der Tür, die sie mir vor der Nase zuknallte. Ich beschloss, dass ich jetzt wirklich nichts mehr an meinem Schicksal ändern konnte und warf mich wieder auf die Couch. Ab und zu vernahm ich leises Gekicher oder bestimmende Worte und fragte mich doch tatsächlich, ob die beiden das auf die Reihe kriegen würden …

Nicht mehr als eine halbe Stunde später knallte mir Alice das Blech vor die Nase. Ich musste schon zugeben, die Pizza sah gut aus. Und wie sie duftete! Sie schienen von jeder erdenklichen Beilage etwas aufgetan zu haben, weswegen dieser Haufen natürlich viel zu viel für mich war, doch ich versuchte, möglichst viel zu essen, um sie nicht zu enttäuschen. Es war so lecker, wie ich Edwards Kochkünste in Erinnerung hatte.

„Und“, fragte Edward nach einer Weile, „schmeckt’s?“

Ich kaute gerade an einem Stück Pizza mit Hühnchen und Ananas und nickte – ich musste nicht einmal lügen. „Ausgezeichnet.“

„Hast du noch Bedenken?“, fragte Alice.

Einen weiteren Bissen kauend schüttelte ich den Kopf.

In diesem Moment kamen Rosalie und Emmett zurück. Wieder einmal blendete mich ihre Schönheit, sowohl ihre als auch seine, und ich bewunderte ihre Art. Sie passten einfach so gut zusammen. Mich verstörte der Gedanke daran, wie vollkommen und einfach es für sie sein musste, miteinander zu sein. Sie wirkten beide aufrichtig nebeneinander, nicht so wie Edward und ich, die wir eher als wunderschöner Schwan und hässliches Entlein hätten durchgehen können …

Ich bemerkte, wie Emmett seine Hand heben und mir winken wollte, doch Rosalie zog ihn mit sich und sie wären beinahe schon die Wendeltreppe hinaufgestürzt und im Obergeschoss verschwunden gewesen, da rief Edward sie noch einmal zurück.

„Rose? Em? Kommt mal kurz …“

Obwohl ich wusste, dass es Rosalie gegen den Strich gehen musste, mit mir in einem Raum sein zu müssen, traten sie und Emmett noch einmal hinunter und gesellten sich für wenige Augenblick zu uns. Als Rosalies Blick auf die Pizza fiel, rümpfte sie – für mich gut sichtbar – die Nase.

„Edward?“ Rosalies Stimme klang gereizt.

„Schon gut, ich werde euch nicht lange belästigen. Nur wollte ich fragen, wie es dieses Mal mit eurer Hochzeit ist. Werdet ihr hier in Forks heiraten oder lasst ihr diese Zeremonie weg?“ Er lachte.

Emmett erwiderte es. „Ich glaube, ihr müsst diese ‚Zeremonie’, wie du es nennst, ein weiteres Mal über euch ergehen lassen.“

„Und wann?“, fragte Edward.

Rosalie stöhnte genervt auf. „Wissen wir noch nicht.“ Damit verschwanden sie wieder nach oben und blieben auch dort.

Alice runzelte die Stirn. Ich hoffte, sie beherrschte es immer noch so gut, Edward mit ihren Gedanken zu täuschen. „Wieso hast du sie gefragt?“

„Ich habe darüber nachgedacht“, erklärte er, „mir vielleicht neue Abendgarderobe – und Kleidung für einen solchen Anlass – anzuschaffen, doch wenn wir damit noch ein Weilchen warten könnten, bräuchte ich mich ja nicht so bemühen.“

Die Worte ‚Hochzeit’ und ‚Kleidung’ im Zusammenhang lösten bei mir eine unwillkürliche, nicht zu stoppende Wirkung aus. Sofort schwebte mir das Bild vor Augen, als Edward mich an unserem Hochzeitstag vor den Spiegel geführt hatte und mir gezeigt hatte, was für eine wundervolle Braut ich gewesen war. Das war das erste Mal gewesen, da ich nicht normal und unpassend neben ihm erschienen war. Vielleicht war ich sogar ganz perfekt gewesen.

Geschützt durch meine Abwehr den geistigen Gaben von Vampiren gegenüber konnte ich hemmungslos darüber nachdenken, wie schön dieser Tag doch gewesen war, ohne dass Edward gleich davon erfuhr. Alice konnte das nicht, und als ich ihr erschrockenes, ja fast schon verzweifeltes Gesicht sah, wusste ich, dass sie diese Tatsache für einen Moment vergessen hatte. Ihre Hautfarbe verlor gänzlich an Glanz und wurde matt, ihre waren Augen leer vor Erschütterung, ihre Lippen bebten. Hilfesuchend blickte sie zu mir, doch es war zu spät. Ein Rückzug war unmöglich.

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