Funkelnde Diamanten
Kapitel 5
Sophie legte ihren harten Arm um mich und eine Weile saßen wir einfach nur da. Zwei Statuen.
„Es wird besser. Das verspreche ich dir. Irgendwann wird es besser. Man vergisst den Schmerz, sein menschliches Leben verblasst und dann erinnert man sich nur noch an das ewige, intensive Vampirleben.“ Versucht sie mich zu beruhigen, aber ich schluchze nur noch lauter.
„Ich will nicht vergessen“, sagte ich „Ich will mich immer an meine Familie, meine Freunde, mein Leben als Mensch erinnern.“
„Vielleicht“, überlegte Sophie „wirst du es ja auch gar nicht, wenn du oft genug daran denkst. Ich erinnere mich auch noch an vieles aus meinem Menschenleben. Nicht an alles, aber besonders das Ende ist klar.“
„Wie wurdest du verwandelt?“ fragte ich neugierig und schaue hoch. Mein Gesicht sah wahrscheinlich genauso perfekt aus, wie vorhin in Sophies Kleiderzimmer. Kein bisschen gerötete Wangen oder verweinte Augen. Schließlich konnten Vampire das nicht. Zur Vollkommenheit verdammt.
„Es passierte im Winter, 1926 in Österreich“, fing Sophie bereitwillig an zu erzählen „Ich war gerade zwanzig Jahre alt geworden und lebte mit meinen Eltern und meinen vier jüngeren Brüdern auf dem Land. Wir hatten nicht viel Geld, aber mit unseren Schafen, der Kuh, den Hühnern und dem Gemüsegarten konnten wir uns ganz gut selbstversorgen. Wir halfen alle mit und kamen so selbst im Winter über die Runden.
Ich war mit einem Jungen aus dem Nachbardorf verlobt. Seine Familie besaß einen großen Bauernhof und unsere Eltern hatten die Verbindung gedeichselt. Das war zwar selbst damals nicht mehr so üblich, aber es war in Ordnung für mich. Ich sah die Vorteile, die es für meine Familie haben würde und den jungen Mann kannte ich schon seit Kindertagen. Ich hatte ihn gern obwohl ich ihn nicht liebte.“
„Ich stelle es mir schrecklich vor jemanden heiraten zu müssen, den man nicht liebt.“ Sagte ich und dachte an die Zwangsehen in Afrika, von denen man immer mal wieder in den Medien hörte.
„Es war nicht so schlimm für mich. Er war in meinem Alter und wir verstanden uns ganz gut.“ Sagte Sophie.
„Die Nacht in der ich verwandelt wurde, es war kurz nach Sylvester, schneite es fürchterlich und ich holte noch schnell die Schafe in von der kleinen Wiese in den Schuppen. Sie standen an dem Tag draußen, weil mein Vater tagsüber im Schuppen etwas repariert hatte.
Ich hatte die Tiere eingesammelt und machte mich auf den Rückweg. Es war sehr kalt und der Wind zerrte an meiner Kleidung. Ich hatte nur noch ein Stück Weg vor mir, musste aber noch über eine Brücke, die über den kleinen Fluss hinterm Haus führte. Die Strömung war dort immer stark und deshalb war er nicht zugefroren.“
„Und du bist hineingefallen.“ Unterbrach ich sie. Sophie nickte.
„Ich bin ausgerutscht. Der Fluss war kalt und das Wasser sog sich in meine Kleider, was mich zusätzlich nach unten drückte. Zusätzlich konnte ich nicht richtig schwimmen. Ich bin ertrunken.“ Endete sie.
„Aber wie bist du dann zum Vampir geworden?“ fragte ich.
„Jemand hat mich rausgezogen. Ich war schon fast tot und er hatte Mitleid mit mir glaube ich. Vlad hat mich verwandelt. Er meinte immer ich hätte ihn an Mina erinnert.“
„Was? Du wurdest von Dracula verwandelt?“ entfuhr es mir entgeistert. Hatte Bram Stoker vielleicht doch nicht nur Mist geschrieben.
„Natürlich nicht“, sagte Sophie und lachte „Das mit Mina war ein Witz. In Wirklichkeit heißt er auch Vladimir, wie so ziemlich jeder zweite Typ aus Russland und der Gegend. Er meinte immer, dass er lieber mit einer legendären Romanfigur in Verbindung gebracht werden wollte, als zwischen hunderttausend anderen Vladimirs unterzugehen. Er ist echt witzig und noch heute mein bester Freund. Ich glaube du würdest ihn mögen.
Die ersten Jahrzehnte bin ich mit ihm zusammen gereist, aber er hatte andauernd irgendwelche Vampirfreundinnen oder hat sich welche verwandelt. Es war nie etwas Ernstes und ich war immer seine beste Freundin, aber es wurde mir zu nervig. Ich ging fort und traf ein paar Jahre später Martine und Peter und schloss mich ihrem Zirkel an. Eigentlich bin ich aber nicht besonders viel hier, weil ich immer noch leidenschaftlich gerne reise.“
Ich fand es unglaublich interessant, was sie alles erlebt hatte und das jemand, der nicht viel älter aussah als ich schon so lange gelebt und so viel erlebt hatte.
„Siehst du Vlad noch manchmal?“ fragte ich und ließ meinen Blick über die schwarzen Baumwipfel schweifen.
„Alle paar Jahre besuchen wir uns und wir schreiben Mails“, sagte Sophie „Er reist immer noch durch die Weltgeschichte. Im Moment ist er in China glaube ich.“
„Wow, nach China wollte ich schon immer mal. Die chinesische Mauer sehen und dieses ganze verrückte Essen probieren.“
„Wir fliegen einfach in ein paar Monaten hin, aber zuerst musst du deinen Blutdurst unter Kontrolle bekommen. Dort sind so viele Menschen und das wäre zur Zeit noch viel zu gefährlich.“ Ich knurrte leise, als sie mich an Menschen und Blut erinnerte. Schnell schlug ich mir die Hand vor den Mund.
„Huch, sorry.“
„Das ist doch kein Problem. Du wirst lernen dich zu beherrschen.“ Versprach sie.
Dann schwiegen wir wieder, aber es war eine angenehme Stille. Ich hatte nichts zu tun. Keine Verpflichtungen. Keine Uni, Freunde, Wohnungssuche. Eigentlich hatte ich nämlich vorgehabt zu Semesterbeginn mit Laura in eine WG in der Stadt zu ziehen, aber jetzt würde es anders kommen und plötzlich war das einen Moment lang auch völlig okay für mich. Es tat gut kein Ziel und gleichzeitig so ziemlich alle Wege offen zu haben. Ich würde reisen, die Welt sehen und irgendwann dann ja vielleicht doch noch Medizin studieren.
In dieser Nacht auf dem Berg schaffte ich es völlig zu entspannen. Stundenlang standen wir da und keiner von uns bewegte sich. Wir mussten es nicht und so waren wir dort, Statuen. Nur mit dem Unterschied, dass normale Statuen nicht dachten und auch nicht alles um sie herum wahrnehmen konnten.
Irgendwann färbte sich der Horizont im Osten rosa und Sophie sagte, dass wir jetzt besser aufbrechen sollten. Wir nahmen ein paar Schritte Anlauf und sprangen dann im hohen Bogen den Berg hinunter.
„Was passiert mit uns in der Sonne?“ fragte ich als wir durch den Wald liefen. Jetzt gingen wir viel langsamer als auf dem Hinweg, obwohl wir sicher immer noch jeden menschlichen Sprinter geschlagen hätten.
„Hat Martine es dir nicht gezeigt?“ fragte Sophie verwundert.
„Gestern war es bewölkt.“
„Dann wirst du es gleich sehen. Erschrick dich nicht.“ Warnte sie und wir hielten am Waldrand in der Nähe des Hauses.
Die Sonne erhob sich gerade über dem Wald und die Strahlen krochen langsam über das noch taunasse Gras auf uns zu. Ich konnte es gar nicht mehr erwarten und rannte quer über die Wiese auf das Sonnenlicht zu.
Plötzlich stand ich mitten drin und meine Haut begann zu funkeln, als wäre sie mit tausenden und abertausenden Diamanten besetzt. Mein Körper leuchtete und funkelte an jeder Stelle, wo die Sonne ihn berührte.
„So wunderschön.“ Brachte ich heraus und starrte meinen Arm an. Das Licht schien auf meiner weißen Haut gebrochen zu werden, wie in einem dieser Prismen, die man sich ins Fenster hängen konnte.
Sophie kam jetzt auch zu mir in die Sonne und begann zu glitzern.
„Wunderschön, aber leider ein bisschen auffällig. Deshalb können wir wenn die Sonne scheint nicht unter Menschen gehen und das kann im Sommer bisweilen sehr störend sein.“ Sagte sie.
Ich hob meine Arme und drehte mich lachend im Kreis. Ich glitzerte wie ein Weihnachtsbaum. Na gut ein Weihnachtsbaum der nur mit silbernem Lametta und Diamanten geschmückt war, aber wenn meine Haut plötzlich grün und rot zu funkeln begonnen hätte wäre das ja auch noch viel seltsamer gewesen.
Ich war froh, dass Vampire, entgegen des landläufigen Klischees, nicht in Flammen aufgingen oder ins Koma fielen, wenn sie ein Sonnenstrahl traf. Diese Diamanthaut war dar doch eine viel schönere und vor allem angenehmere Alternative.
Nach einer Weile ging ich mit Sophie in die Burg, die meiner Meinung nach aber eher wie ein Schloss aussah. Zum ersten Mal sah ich das ganze Haus, ohne zu rennen oder Menschen auszusaugen
Von außen sah es aus wie ein Märchenschloss. Es fehlten nur Burggräben und Prinzessinnen, auch Pferdeställe und einen Markt außenrum, wie in alten Filmen, gab es natürlich nicht. Es gab mehrere Türmchen und Erker, vor fast jedem Fenster einen Balkon mit hoher Brüstung. Direkt vor dem Haus standen einige Pappeln, so dass man nicht direkt reingucken konnte.
Das Tor, etwas, dass vier Meter hoch und drei Meter breit ist kann man eben nicht mehr Tür nennen, sah aus, als wäre es direkt aus dem Mittelalter entsprungen. Na gut, vielleicht auch etwas später, in Geschichte war ich immer eine Niete, aber das große schmiedeeiserne Tor mit den Rankenverzierungen und den Löwentürklopfern wirkte wie aus einer anderen Zeit.
Von innen war das Haus, wie mir gestern ja schon aufgefallen war, prächtig. Ich fühlte mich wie eine Königin, als ich mit Sophie die langen Flure entlangschritt. Wir gingen ins Wohnzimmer, eines der offensichtlich vielen, wie ich herausfand als ich auf dem Weg immer wieder durch die Türen spähte an denen wir vorbeikamen.
Ich hatte sofort gewusst, dass Martine und Peter im Wohnzimmer waren, als wir eintraten. Meine Vampirsinne hatte ihre Stimmen sofort geortet, obwohl sie sehr leise sprachen.
Im Fernsehen lief die Titelmusik der Morgennachrichten, als wir eintraten. Martine und Peter lächelten uns an und Sophie ließ sich in einen großen Armsessel fallen.
„Setzt dich Liebes“, forderte Martine mich auf und machte eine Handbewegung zu dem freien Sofa „Das ist jetzt auch dein Zuhause, du kannst also tun und lassen, was immer dir gefällt.“
Ich setzte mich auf das Sofa, zog die Beine an und machte es mir gemütlich, obwohl mein Körper keine Entspannung brauchte tat es gut.
Wir sahen die Nachrichten und es war seltsam, dass Vampire etwas so normales taten, etwas so menschliches.
Auf einmal sah ich mich im Fernsehen und schrak zusammen. Ich erkannte das Foto sofort als mein Facebook-Profilbild. Ich trug meine Haare offen und grinste in die Kamera. Über dem Bild prangte das Wort „Vermisst“.
„Lucia Karp, 18 Jahre, verschwand am Freitag bei einem Besuch in der Münchner Disko „Nighters“. Seit etwa 23 Uhr fehlt jede Spur der jungen Frau. Wir bitten darum, dass jeder der Lucia Karp nach 23 Uhr gesehen oder einen Hinweis auf ihren derzeitigen Aufenthaltsort hat sich unter der unten eingeblendeten Nummer meldet.“ Die Nachrichtensprecherin wirkte professionell und nicht so, als ob das Thema sie besonders berühren würde.
Dann wurde zu einem Reporter umgeschaltet, der vor unserem Haus stand und unsere Nachbarin interviewte. Mrs. White erzählte, was für ein tolles Mädchen ich doch sei und das ich bitte nach Hause kommen solle, weil meinen Eltern sich Sorgen machen würden.
Ihr ihr in die Kamera schniefen wirkte ziemlich echt, aber ich wusste, dass sie nur schauspielerte, weil Mrs. White mich nie leiden konnte. Sie war eben eine von den Frauen, die sich immer um jeden Preis in den Vordergrund drängen wollten.
Der Reporter sagte, dass meine Eltern kein Statement vor der Kamera abgeben würden und rief nochmal dazu auf, dass sich Zeugen melden sollten.
Dann war der Bericht zu Ende und die Frau im Nachrichtenstudio erzählte uns, dass morgen ein schöner sonniger Tag werden würde.
„Ich muss zurück nach Hause.“ Sagte ich und machte mich auf zur Tür zu gehen, doch Martine stand sofort neben mir und hielt mich auf.
„Das geht nicht“ sagte sie „Erstens ist Tag und die Sonne scheint draußen und zweitens: Wie willst du deinen Eltern das alles erklären und den Medienleuten und drittens bist du eine Neugeborene und könntest dich unter Menschen wahrscheinlich keine drei Sekunden beherrschen ohne ihnen an die Kehle zu gehen.“ Ich fing an zu schluchzen (natürlich ohne Tränen) und riss mich von Martine los, die meine Schulter festhielt. Anders als im Nighters war ich jetzt stärker als sie.
„Ich sage das nicht um gemein zu sein, sondern weil es die Wahrheit ist“ sagte Martine beschwichtigend „Wir dürfen weder Menschen noch unser Geheimnis gefährden.“
Ich war total am Ende, wenn ich nur daran dachte, was für entsetzliche Sorgen meine Familie und meine Freunde sich gerade machten.
„Wir besuchen sie.“ Versprach Sophie plötzlich und ich sah auf.
„Das geht nicht.“ Sagte Peter und auch Martine schien nicht zuzustimmen, doch meine Schwester sprach unbeirrt weiter.
„In einem Jahr, wenn deine Zeit als Neugeborene vorbei ist und du dich kontrollieren kannst gehe ich mit dir hin und du kannst sie sehen. Wenn du weißt, dass es ihnen gut geht, kannst du bestimmt leichter dein eigenes Leben leben.“
Ich nickte zustimmend und auch Martine und Peter schienen mit dem Vorschlag zufrieden zu sein.
„Ich habe eure Bestellung abgeschickt.“ Wechselte Martine plötzlich das Thema „Die ganzen Artikelnummern kann man einfach im Internet eingeben und, weil es Schnell-Express ist müssten die Sachen schon morgen hier sein.“
Wenigstens eine winzigkleine gute Nachricht an so einem rabenschwarzen Tag, dachte ich.
Den Rest des Tages erkundete ich das Haus und Sophie versuchte mich permanent von meinen Eltern abzulenken. Wir spielten alberne Spiele und lachten viel.
Als Sophie vorschlug Verstecken zu spielen musste ich lachen.
„Das macht als Vampir doch gar keinen Spaß, ich höre sogar die Amseln auf den Bäumen am Waldrand, wie willst du dich denn dann hier im Haus vor mir verstecken?“ Sie antwortete nicht und rannte einfach davon. Von irgendwo meinte ich noch ein „Zähl bis zehn.“ Gehört zu haben und dann war sie verwunden.
In den nächsten Stunden merkte ich, dass Vampire nicht nur übermenschliche Sinne hatten, sondern auch unglaublich leise sein konnten.
Es war witzig, als hätte man plötzlich eine Extended Version eines Spiels und plötzlich gab es zahlreiche neue Features.
Ich weiß, dass es irgendwie kindisch war, aber es lenkte hervorragend von meinen Sorgen um meine Eltern ab.
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