Kapitel 53
„Wir brauchen ein Bild von der Frau." sagte ich zwischen zwei Bissen. Hugh nickte und nahm selbst noch einen Bissen von dem Müsli, dass er uns heute früh frisch zubereitet hatte. „Die Frage ist und bleibt nur, wie wir an das Bild rankommen. Viele Frauen haben schwarze, kurze Haare." Nun war ich es, die nickte. Da hatte er Recht. „Ich habe Adam Bescheid gegeben, dass wir so eine Person suchen. Wenn jemand sie oder deinen Vater ausfindig machen kann, dann Timothy."
„Er hat echt Ahnung. Hat er auch April geholfen damals?" Hugh blickte von der Zeitung auf, die vor ihm ausgebreitet neben seiner Müslischüssel lag. Er gab das perfekte Bild eines Mannes am Morgen ab mit den verwuschelten braunen Haaren, dem leichten Bartschatten und dem äußerst attraktiven Körper, den er vor mir nicht mehr versteckte. Nur mit langer Schlafhose saß er mir gegenüber. Es schien ihn nicht weiter zu stören, dass ich seine Narben sehen konnte. Mir gefiel, dass er bei mir er selbst sein konnte.
„Er hat auch einiges abbekommen. Aber er ist zäher als er aussieht." Ich nickte. Hugh würde mir nie erzählen, was April widerfahren war, dafür war er zu loyal und das schätzte ich sehr.
„Woher wussten die anderen eigentlich von Tori?" fragte ich dann. Ich hatte vollkommen vergessen danach zu fragen, nachdem das Chaos in mein Leben Einzug gehalten hat. „Was meinst du?" Hugh sah mich noch immer an. „Doreen dachte, dass ich eine Tochter habe." Hugh seufzte und Schuldbewusstsein stahl sich in seine Augen. „Ich habe mit Adam sehr oft gesprochen. Das eine Mal war ich bei seinen Eltern zu Besuch. Doreen und Effi waren eigentlich in der Küche und Charles war nicht da. Du erinnerst dich an sie auf April Geburtstag? Ich hatte Adam erzählt, dass ich bei dir war und Tori auch da war. Für mich war von Anfang an klar gewesen, dass sie deine Tochter sein musste. Das hat Doreen gehört. Sie meinte, dass sie nicht glauben würde, dass du deine Tochter nicht bei dir wohnen lassen würdest und weil sie mich immer weiter in die Defensive gedrückt hatte, habe ich mehr gesagt, als ich wollte, bis Effi gesagt hat, dass das Essen fertig ist." Hugh wirkte wirklich zerknirscht. Ich legte meine Hand auf den Tisch und der legte seine unmittelbar über meine. Dankbarkeit, dass ich diese Nähe schaffte, spiegelte sich in seinen Augen wieder.
„Die ganze Sache ist letzten Endes kein Drama. Es ist niemandem zu schaden gekommen." Hugh seufzte. „Danach habe ich mich 10 Mal gefragt, wenn ich etwas über dich erfahren habe, ob das auch so stimmt." Ich schmunzelte. „Wir werden sehr viel Zeit haben, das herauszufinden." Hugh nickte. „Wäre es so schlimm gewesen, wenn ich eine Tochter gehabt hätte?" Hughs Augen wurden groß. „Nein! Das ist es nicht gewesen. Liv, ich hätte meine Liebe für dich nicht aufgegeben, wenn du eine Tochter gehabt hättest. Ich habe unzählige Male darüber nachgedacht, wie ich sie für mich gewinnen kann. Ich dachte, dass ich sie vielleicht wie mein eigenes Kind lieben könnte, wenn ich genug Zeit hätte sie kennenzulernen. Mich machte nur der Gedanke wütend, dass deine Tochter dich so sehr vermisst und du nicht bereit bist, deine Arbeit für sie aufzugeben."
„Du wolltest, dass sie dich mag? Für mich?" hauchte ich. Vollkommen sprachlos sah ich Hugh an. Dieser nickte. „Ich hätte alles getan, damit sie zu uns gezogen wäre." Ich legte den Kopf schief. „Du hast zu der Zeit schon an ein 'uns' gedacht? Ich dachte du hast mich verabscheut." Hugh nahm auch noch meine zweite Hand. „Keine einzige Sekunde. Wenn du Hass in meinen Augen gesehen hast, dann galt er mir, weil ich nicht wusste, wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte. Ich habe mich in dich verliebt, noch bevor du Fuerteventura wieder verlassen hast. Ich wollte es nur nicht wahrhaben, weil du gegangen bist und mir damit eindeutig gezeigt hast, was du von der Nacht gehalten hast."
„Du weißt, dass sie mir alles bedeutet?" Hugh nickte. „Jetzt, nachdem ich endlich zugehört habe, ja. Ich verstehe deine Angst und ich weiß, dass du das nicht noch einmal machen willst." Hugh grinste leicht. „Immerhin willst du mich heiraten. Da kann ich davon ausgehen, oder?" Ich lachte kurz. „Ja, das kannst du."
Hugh entspannte sich und wandte sich wieder seiner Zeitung zu, während ich aufstand und die Schüssel in den Geschirrspüler stellte. Dann gab ich Hugh einen Kuss auf die Wange und verschwand im Bad.
Ich warf das Shirt von Hugh, dass ich trug und meine Unterwäsche von mir und trat in die Dusche. Es war eine Wohltat, das warme Wasser über mich laufen zu lassen. Nachdem ich meinen Körper eingeseift und meine Haare gewaschen hatte, schnappte ich mir den Rasierer und begann mir die Beine zu rasieren. Das typische Laster einer Frau eben. Ich hatte das Bein auf den Wannenrand gestellt und setzte erneut am Knöchel an, als die Tür aufging und ein Schwung Kälte in das Bad strömte. Vollkommen perplex, hob ich den Kopf und sah Hugh an, der sich mit verschränkten Armen gegen eine Wand lehnte und mich zufrieden ansah.
Ich sah rot. „Was machst du? RAUS! " schrie ich. Ich schnappte mir das erste beste Handtuch, was aber nicht wirklich groß war. Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Meine Güte, er hatte mich schon nackt gesehen. Mehr als einmal. Und das in nicht jugendfreien Momenten, warum hatte ich mich denn jetzt so? Panisch haderte ich mit mir, ob ich meine Brüste oder meine Scham verdecken sollte und zog wie eine Wilde an dem kleinen Handtuch, damit es beides verdeckte. Hugh begann zu schmunzeln. Das Schmunzeln wurde zu einem leisen Lachen und ehe ich mich versah, hielt sich Hugh den Bauch, stützte sich an der Wand ab und lachte lauthals, sodass ihm die Tränen kamen. Sein Lachen hallte laut an den Fliesen wieder.
Mir klappte der Mund auf. Meine Nacktheit, die Peinlichkeit und die Kälte waren vergessen. Mit aufgerissenen Augen starrte ich den Mann vor mir an, an dessen Augen sich zwei kleine Lachfältchen bildeten. Es wären sicherlich mehr, wenn er öfter lachen würde.
Hughs tiefes Lachen hallte durch das Bad. Wahrscheinlich durch die ganze Wohnung. Er schien sich nicht mehr beruhigen zu können. Entgeistert starrte ich ihn einfach nur an. Wann meine Lippen sich zu einem Lächeln gebogen haben, kann ich nicht sagen, aber mein Herz machte Luftsprünge, als es verstand, dass Hugh gerade das erste mal wirklich laut gelacht hatte.
Hugh kam auf mich zu, wobei sein Grinsen nicht kleiner wurde. Er griff nach einem großen Badehandtuch und legte es um mich. Dann zog er mich daran zu sich und küsste mich voller Zärtlichkeit auf die Lippen.
Der Kuss war so schnell wieder vorbei, wie er begonnen hatte, aber vergessen würde ich ihn wohl nie. „Verzeih, aber das war gerade so ein typischer klischeehafter Filmmoment." Ich schmunzelte bei Hughs Worten. „Vielleicht spielen wir doch in einem Nicholas Sparks Film mit, ohne, dass wir es wissen." Hughs Augen funkelten. „Gut möglich."
Hugh legte seine Stirn an meine. „Ich würde wirklich sehr gern bleiben, aber ich muss in die Kanzlei. Ein Notfall. Da komm ich nicht drum herum. Mach es dir gemütlich. Geh ein Eis essen oder tu, was du möchtest, pass bitte nur auf dich auf." Erst jetzt fiel mir auf, dass Hugh einen Anzug trug.
Ich nickte. „Das werde ich. Und du wirst jetzt die Welt retten. Oder deinen Mandanten. Je nachdem, wie man es sieht." Hugh nickte. „Ich werde seine Welt retten. Unsere rette ich gleich danach." gab er amüsiert zurück. Mit einem noch kürzeren Kuss war Hugh kurz danach aus dem Bad verschwunden.
Ich beendete meine Rasur in Ruhe. Dann zog ich mir ein sommerliches gelbes Kleid und flache Sandaletten an. Hughs Idee, ein Eis zu essen, gefiel mir. Am Rand von San Francisco gab es eine Eisdiele, die das beste Eis der Welt machte. Sie hatten die ausgefallensten Sorten und eine schmeckte besser als die andere. Also schnappte ich mir meine Tasche und setzte mich in die nächste U-Bahn. Mein Auto musste sich auch schon sehr vernachlässigt fühlen, aber es stand nunmal am falschen Ort.
Es dauerte geschlagene anderthalb Stunden, bis ich die Eisdiele von weitem sah. Doch es war immerhin ein Geheimtipp, der sich wirklich lohnte. Also war ich bereit, den Weg auf mich zu nehmen. Ich war es aber gar nicht mehr gewohnt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Voller Euphorie ging ich auf die Eisdiele zu. Sie verkauften ganze Schachten von Eis in Kühlboxen. Ich wollte Hugh unbedingt auch Eis mitbringen.
Meine gute Laune wurde aber jäh von einem vollkommen bizarren Bild, das sich mir zeigte, zerstört. Ich blieb mitten auf dem Gehweg stehen. Die Menschen hinter mir, meckerten und brummten, aber das war mir in diesem Moment vollkommen egal.
In einem Café, an dem ich vorbeilaufen musste, sah ich drei Menschen sitzen, von denen ich dachte, dass sie niemals aufeinander treffen würden. Vor allem nicht in dieser Kombination. Fast schon mechanisch ging ich auf sie zu.
Madison sah mich zuerst. Sie sah auf, nahm die Sonnenbrille ab, um zu sehen, ob sie sich nicht täuschte und starrte mich vollkommen perplex an. Als sich die zweite Frau zu mir drehte und aufsah, wurde meine Vermutung bestätigt. Ich würde dieses lange glänzende schwarze Haar überall wiedererkennen. Außerdem war es noch nicht lange her, dass wir uns gesehen hatten. Carly klappte der Mund auf und zu meiner Überraschung sah ich Schuld in ihren Augen aufblitzen.
Wenn das Treffen dieser beiden Personen nicht schon bizarr war, setzte die Anwesenheit der dritten Person noch eins drauf. James sah mich gehässig grinsend an und fixierte mich auf seine eigene Art und Weise.
Sollte ich verstehen, warum diese drei hier zusammensaßen, Kaffee tranken, und redeten? Worüber reden? Es war als würde sich ein fehlendes Puzzleteil wieder anfinden. Madison und James. Aus irgendeinem Grund schien mir das jetzt betrachtet, nicht abwegig, wenn ich darüber nachdachte, was mir alles passiert war in letzter Zeit. Ich fragte mich nur, wie sie sich kennengelernt haben.
Noch mehr Fragen hatte ich, weil Charly bei ihnen saß. Und ihren schuldigen Blick verstand ich auch nicht wirklich. Hatten meine Probleme schon auf Fuerteventura angefangen? Mir fiel aber nichts Ungewöhnliches ein.
Ich bemerkte den vierten Kaffeebecher erst, als ich sah, wie noch jemand an den Tisch trat. Ich sah nach rechts und musste ein wenig aufsehen, um der vierten Person die Augen sehen zu können. Statt die Augen zu sehen, sah ich mein Spiegelbild in einer Sonnenbrille. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich realisierte, wer vor mir stand.
Nun war ich es, die mit offenen Mund die Frau anstarrte, die perfekt auf Toris Beschreibung passte. Die Frau, die auch vor meiner Haustür gewesen war, als ich das erste Foto erhalten hatte. Und zu allem Überfluss fiel mir genau in diesem Moment auf, dass ich sie vorher schon einmal gesehen hatte.
Sie war mir in der Kanzlei entgegengekommen und in den Fahrstuhl gestiegen, an dem Tag, als ich Hugh wieder getroffen hatte. Und schließlich setzte sich ein weiterer Teil des Puzzles zusammen. „Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Ihr Problem mit mir ist, aber ich rate Ihnen, sich von meiner Familie und meinen Freunden fernzuhalten." erklärte ich der fremden Frau ruhig. Sie verzog ihre schmalen, perfekt geformten Lippen zu einem sarkastischen Lächeln. Ich war mir sicher, dass ihr Augen hinter der verspiegelten Brille pure Bosheit, wie jede andere Pore ihre Körpers, ausstrahlten.
„Ihre Nichte war nur Mittel zum Zweck. Scheint Sie aber immer noch nicht aufgerüttelt haben, dass Sie über Ihrer Klasse spielen." Die Frau legte den Kopf schief und musterte mich mit verschränkten Armen. Während sie pure Grazie ausstrahlte, spürte ich dennoch den Hass, den sie hinter der perfekten Fassade versteckt hielt.
Die Frau nahm die Brille ab, und funkelte mich mit ihren grauen Augen an. Sie musste Ende 40 sein, sah aber einfach viel zu jung aus und trotzdem so natürlich. Wie zum Henker funktionierte das?
„Scheinbar wissen Sie mehr als ich, aber warum genau spielen Sie so weit unterhalb ihrer Klasse und treffen sich mit jemandem wie ihm?" Ich deutete auf James. Als er realisierte, dass ich ihn gerade beleidigt hatte, stand er drohend auf. „Auch nur Mittel zum Zweck. Wenn auch nicht sehr erfolgreich." erklärte die Frau achselzuckend. James böser Blick traf nun die Frau, die ihn kalt erwiderte.
„Und was ist deine Rolle in der ganzen Geschichte?" fragte ich Carly über die Schulter. Sie sah zu mir auf und wollte antworten. Ihr Blick flog aber kurz zu der Frau hinter mir und Carlys Mund schloss sich wieder. „Wir trinken hier Kaffee. Wenn Sie das stört, ist das Ihre Sache. Belästigen Sie uns nicht weiter."
Ich sah mich um, und suchte nach etwas, das mir weiter half. Als ich es entdeckte, grinste ich. Automatisch drehte sich die Frau in die Richtung, in die ich gesehen hatte. Als sie aber nichts entdeckte, wandte sie sich wieder mir zu. Ich sah sie gespielt freundlich an. „Nun, ich sollte Sie nicht weiter aufhalten. Lassen Sie sich den Kaffee schmecken." Ich nickte allen freundlich zu und war im nächsten Moment wieder auf dem Weg zurück Richtung U-Bahn. Als mir jedoch ein Taxi entgegenkam, hob ich den Arm und das Taxi hielt.
„Wo soll es hingehen?" fragte der Mann, als ich hinten eingestiegen war. „Blacktronic." sagte ich und nannte ihm die Adresse.
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