Kapitel 5


Ich saß auf Hughs Schoß. Den anderen war wohl leider entfallen, dass das Auto nur 6 Sitze hatte. Und da Nick und ich die beiden waren, die sich die Klippe heruntergestützt hatten, durften wir auf dem Schoß von jemandem sitzen. Wäre ich trotzig gewesen, dann hätte ich gesagt, dass Hugh auch gesprungen war, aber dann hätte ich mich wie ein Kind aufgeführt und Hugh auf dem Schoß von wem? Nein das passte nicht. Seltsames Kopfkino.

Und so landete ich hinter dem Fahrersitz auf Hughs Schoß. Hughs blaues Hemd und seine graue Leinenhose waren unterwegs wieder getrocknet. Er hatte sogar wieder Schuhe an. Also hatte er sie vorhin wahrscheinlich schnell ausgezogen, bevor er hinter mir in die Tiefe gesprungen war. Meine Jeans war leider nicht trocken, aber das schien Hugh nicht zu stören.

Adam fuhr das Auto. Neben ihm saß April und daneben Doreen mit Nick auf ihrem Arm. Hinten saßen Liam, Natalie in der Mitte und Hugh mit mir auf dem Schoß. Als uns aufgefallen war, dass ein Sitz fehlte, hatte Hugh nicht lange gefackelt und gesagt, dass er mich auf den Schoß nehmen würde. Er hatte mich danach sofort wieder hochgenommen und war hinten im Auto verschwunden. Dann hatte er vorsichtig den Gurt um uns beide befestigt, ohne meinen linken Arm zu berühren. Es hatte mich überrascht, dass der Gurt lang genug gewesen war. Und da ich nicht wusste, was ich tun sollte, habe ich es einfach über mich ergehen lassen und versucht nicht allzu verkrampft zu wirken. Das hätte Hugh wiederum als Beleidigung auffassen können. Da ich diesen Mann nicht wirklich einschätzen konnte, blieb mir nichts Anderes übrig, als erst einmal mitzuspielen. Außerdem musste ich zugeben, dass mir die Wärme, die von Hugh ausging, sehr gefiel und mich beruhigte.

Weitere 20 Minuten später erreichten wir das Hotel. Die Fahrt über hatten wir alle geschwiegen. Nick war in Doreens Armen irgendwann eingeschlafen und auch mein Kopf war irgendwann gegen Hughs Brust gefallen und ich war in einen Dämmerzustand gerutscht. So tat mir wenigstens nichts weh. Hugh hatte mich erst geweckt, nachdem alle ausgestiegen waren. Er hatte vorsichtig meinen Oberschenkel gedrückt. Tja wie weckt man auch jemanden, dessen obere Hälfte vom Körper nicht berührt werden sollte? Ich bin aufgewacht und Hugh hatte nach draußen genickt während er gesagt hatte, dass wir da seien. Ich wollte aufstehen, aber er verstärkte den Druck ein wenig und hielt mich weiter fest. Er löste den Gurt und stieg dann aus dem Van, mich noch immer in den Armen haltend. Erst als er einen Augenblick gestanden hatte, hatte Hugh mich wieder runtergelassen.

„Danke fürs Mitnehmen." sagte ich und blickte einmal in die Runde. Die anderen lächelten mir zu. „Nicht dafür. Sollen wir dich noch zum Arzt begleiten?" fragte Natalie besorgt. Ich verneinte. Das würde ich auch allein schaffen. April holte meine Tasche aus dem Kofferraum und gab sie mir. Ich dankte ihr und verabschiedete mich von den anderen. Nick schlief noch immer, aber mittlerweile trug Adam ihn.

„Vielen Dank noch einmal, dass du Nick gerettet hast. Ich werde dir das ewig schuldig bleiben." sagte Doreen. Ich sah Tränen in ihren Augen schimmern.

„Gern." Was Besseres fiel mir nicht ein. Ja, ich war wirklich unfähig eine richtige Konversation zu führen. Damit drehte ich mich um und verschwand in dem braunen, modern gebauten Gebäude. Und ich war mir ziemlich sicher, Hughs Blick bis zum letzten Moment auf mir gespürt zu haben.

"¡Hola! Was kann ich für Sie tun?" fragte die brünette Frau hinter der Rezeption und sah mich freundlich an. Ihr Lächeln wirkte sogar authentisch.

"Ich müsste einen Arzt aufsuchen. Hat ein Arzt eine Praxis hier im Hotel?"

"No, perdón. Aber wir haben eine Ärztin, die sich gern um unsere Gäste kümmert. Sie würde auf Ihr Zimmer kommen. Wenn es natürlich akut ist, können wir einen Krankenwagen rufen." Zum Ende hin wurden ihre Augen groß und rund. Sie sah auf meine geschundene Schulter.

"Wenn sie auf mein Zimmer kommen könnte, wäre ich ihr sehr verbunden." sagte ich. Die Frau entspannte sich.

"Claro que si. Sie wird in 15 Minuten bei Ihnen sein. Soll Sie jemand begleiten?" Ganz beruhigt schien sie nicht zu sein.

"No, gracias. Das schaffe ich schon." Ich drehte mich mit einem kurzen Lächeln um und lief durch die mit grauem Marmor verzierte Hotellobby. Geschwungene ebenfalls graue Säulen stützen vereinzelt die Decke. Ich erreichte den Fahrstuhl, welcher sich gerade öffnete und ein paar Gäste stiegen aus. Ich trat hinein und drückte auf die dritte Etage für mein Zimmer. Kurz darauf war ich auch schon auf meiner Etage und schloss mein Zimmer mit der Nummer 395 mit der Karte auf, indem ich sie durch den dafür vorgesehenen Schlitz an der Tür zog. Mit einem Klicken ging die Tür auf. Ich trat in mein Einzelzimmer. Die anderen aus meiner High School hatten sich alle ein Doppelzimmer reserviert, aber ich wollte meine Ruhe und hatte daher ein Einzelzimmer gebucht. Das war zwar etwas teurer, aber damit konnte ich leben. Zuerst kam man in einen kleinen, aber edel eingerichteten Flur. Ein weinroter Teppich setzte sich von den cremefarbenen Wänden ab. Rechts war ein in die Wand integrierter Wandschrank, wo ich meine Kleidung verstaut hatte. Auch die Türen des Schranks waren cremefarben. Ich legte die Karte auf den kleinen weißen Tisch und ging weiter ins Hauptzimmer. Links stand ein Bett in der Mitte an der Wand, dass mit weißer Bettwäsche bezogen war. Rechts hinten führte eine Tür zum Badezimmer gegenüber ging es zu einem Balkon mit Aussicht auf den Ozean. Neben der Tür zum Bad und gegenüber vom Bett war ein Flachbildfernseher an der Wand befestigt. Ansonsten gab es noch einen Sessel, einen weiteren Tisch und ein Nachttisch neben dem Bett. Ich ließ meine Tasche einfach auf den Boden fallen und ging zu meinem großen Einzelbett. Gerade wollte ich mich darauf werfen, als ich mich eines Besseren besann und mich langsam hinsetzte und nach hinten legte. So schlimm ging es meinem Kopf gar nicht. Es war nur die Schulter, die mir wirkliche Probleme bereitete und Schmerzenswellen in Nacken und Kopf sendete. Ich griff nach rechts und nahm die Wasserflasche von dem Nachttisch. Nachdem ich sie in einem Zug geleert hatte, ließ ich sie achtlos zu Boden fallen. Ich war kein unordentlicher Mensch. Mir fehlte nur in dem Moment die Motivation den Arm wieder zu heben und die Flasche zurück zu stellen. Das würde ich nachher tun. Aber erst wollte ich schlafen. Einfach nur schlafen. Und ehe mich ein weiterer Gedanke davon abhalten konnte, fielen mir die Augen auch schon zu und ich glitt in einen traumlosen Schlaf.

Ich wachte durch ein Klopfen auf. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich erinnerte, dass ich auf die Ärztin wartete. Also stand ich langsam auf, stellte die leere Wasserflasche auf den Nachttisch und ging zu der Tür, um die Frau reinzulassen.

Dr. Díaz war ungefähr 40 Jahre alt und hatte passend zu ihren dunklen Haaren eine schwarze Brille. Sie trug weiße Leinenkleidung und war sehr freundlich. Zuerst untersuchte sie meine Schulter während ich ihr erzählte, was passiert war. Sie bestätigte Natalies Vermutung, dass es sich um eine Prellung handelte. Eine Gehirnerschütterung stelle sie aber nicht fest. Es hätte vielleicht an dem Schock und der Hitze gelegen, mutmaßte sie.

„Ich habe hier Schmerztabletten für Sie. Bitte nehmen Sie nie mehr als 3 an einem Tag und am besten auch nur, wenn nötig. Eine vor dem Schlafen zum Beispiel, weil es sonst sehr unangenehm werden kann. Fahren Sie danach auch kein Auto, weil sie müde werden können oder ihre Reaktionsfähigkeit sich verlangsamt. Ansonsten müssen Sie warten, bis die Prellung verheilt." Ich nickte leicht, um ihr zu signalisieren, dass ich verstanden hatte. Leichte Kopfbewegungen gingen wieder, aber schnelle und große waren weiterhin tabu.

„Dr. Díaz?" fragte ich zögerlich. „Sí?" Sie sah mich freundlich an.

„Wie viel kostet mich Ihre Untersuchung?" fragte ich und sah zu ihr auf. Ich saß noch auf der Bettkante, aber sie hatte sich hin hingestellt, um alles in seine Tasche wieder einzusortieren.

„Haben Sie eine Auslandsversicherung abgeschlossen?" fragte sie.
„Ja."

„Dann wird das über die Versicherung abgerechnet. Machen Sie sich da also keine Gedanken." Sie lächelte mich noch einmal freundlich an und verabschiedete sich kurz darauf. Ich ließ mich wieder langsam auf mein Bett nieder und starrte an die Decke. Der Schmerz in meiner Schulter klang langsam ab. Die Tablette wirkte also wirklich. Nur auf der Seite schlafen würde es sich etwas schwierig gestalten.

Kurz darauf stand ich wieder auf, nahm meine Tasche und stellte sie in den Sessel. Ich nahm mein Handy und schrieb Logan eine Nachricht, dass es nur eine Prellung war und es mir gut ging. Auf eine Antwort wartete ich nicht. Ich ging ins Bad und zog mich vorsichtig aus. Gut, dass ich das Oberteil nicht wieder angezogen hatte, nachdem Natalie fertig gewesen war mit ihrer provisorischen Untersuchung.

Ich stellte mich unter die Dusche und ließ das angenehm warme Wasser über meinen Körper laufen. Es entspannte mich. Meine Gedanken wanderten zu Nick zurück. Wie es ihm wohl ging? Ob er den Schock verkraftet hatte? Würde er sich in ein paar Jahren daran noch erinnern? An mich erinnern? Und seine Mutter? Mir schwirrte irgendwann der Kopf. Als meine Gedanken schließlich zu Hugh wanderten war ich schon vollkommen überfragt von mir selbst. Ich verstand diesen Menschen nicht. April hatte gesagt, dass er sie lange Zeit für eine geldgeile Ziege gehalten hatte und dass er sie deswegen so kritisch betrachtet hatte. Aber das traf bei mir ja nicht zu. Ich hatte mit keinem was am Laufen. Ich hatte auch nicht vor jemanden auszunehmen. Aber wenn er mir dann so misstraute, warum war er dann die ganze Zeit an meiner Seite geblieben und hatte auf mich aufgepasst? Hatte er auf irgendeine Reaktion gehofft und sie vielleicht bekommen? Oder nicht? Es war frustrierend. Er ließ sich nicht in die Karten schauen. Sein Gesicht, das keine Emotionen zeigte, schien nicht erst seit gestern zu einer Maske geworden zu sein. Er schein schon sehr lange dieser Mensch zu sein, der er heute war. Ob er nur in meiner Gegenwart so war? Vielleicht hatte ich etwas an mir, dass er nicht mochte. Ich stöhnte laut auf. Das war mehr als frustrierend. Ich wusste ja noch nicht einmal, warum ich mir darüber überhaupt Gedanken machte! Ich würde ihn in dem großen Hotel vielleicht noch einmal sehen und dann würden wir wieder dahin zurückkehren, wo wir lebten. Und ehrlich gesagt wollte ich gar nicht wissen, wie viele Meilen zwischen uns lagen. Missmutig stellte ich das Wasser ab, nachdem ich fertig geduscht hatte und trocknete mich mit einem extra großem und weichen Handtuch ab.

Nachdem ich mir eine schwarze Leggins und ein weißes Longshirt angezogen hatte, ging ich wieder zum Bett und holte mein Buch aus der Schublade von meinem Nachttisch. Ich war eine ziemlich lange Zeit in meinen Wälzer vertieft gewesen. Als ich das erste Mal wieder aufblickte, war mein Zimmer in orange Töne gefärbt, weil die Sonne gerade unterging. Ich selbst sah die Sonne nicht, aber die Farbtöne spiegelten sich im Meer wieder. Es war ein unglaubliches Schauspiel, was ich gestern schon auf dem Dach des Hotels verfolgt hatte. Ich liebte Sonnenuntergänge und Aufgänge. Jeder war anders. Jeder Aufgang und Jeder Sonnenuntergang war ein einzigartiges Erlebnis.

Nun meldete sich auch mein Magen zu Wort. Wenn ich so richtig drüber nachdachte, hatte ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Also legte ich mein Buch auf den Nachttisch, verschwand einmal kurz im Bad und machte mich dann auf den Weg in den Speisesaal.

Es war wirklich ein Saal. Mehrere Kronleuchter hingen an der Decke und sorgten für das gewisse Feeling. Auch an den Wänden hingen Lampen, deren Licht nach oben strahlte. Dunkler Teppich lag unten den zahlreichen runden Tischen, die mit weißen Tischdecken, Blumen und Servietten gedeckt waren. Rechts war ein großes Buffet aufgebaut, dass regelmäßig aufgestockt wurde und eine reichhaltige Auswahl an Obst, Gemüse, warmen und kalten Speisen, spanisches und internationales Essen hatte. Ich ging zum Ende des Buffets und reihte mich bei den anderen Menschen mit ein. Ich ließ meinen Blick durch den Saal gleiten, konnte aber keinen sehen, den ich kannte.

Nachdem ich mir etwas Hähnchen, Gemüse und ein paar Tapas auf den Teller getan hatte, setzte ich mich ziemlich weit hinten an einen leeren runden Tisch. Ich saß mit dem Rücken zur Wand, damit ich grob einen Überblick behalten konnte. Wenn ich etwas nicht leiden konnte, dann war es eine Tür im Rücken zu haben, sodass man immer damit rechnen musste, dass jemand hinter einem stand.

Ich kaute gerade auf dem zarten Hähnchen, als Elliot auftauchte und sich gegenüber vom Tisch hinstelle. Fragend sah ich ihn an, während ich weiterhin auf meinen Hähnchen herumkaute. "Du hast nichts zu sagen?" fragte er schließlich irgendwann. Ich überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. Es war schön, keine höllischen Schmerzen dabei zu haben.

"Was du gesagt hast, war unfair und es hat den Jungen verletzt. Ihm ging es schon beschissen genug." antworte ich schließlich doch.

"Na dir schien es ja noch beschissener zu gehen." Darauf antwortete ich nicht. Ich schaute ihn einfach nur an. Wo wohl Carly gerade war?

"Wie dem auch sei. Da drüben sitzen ein paar Mädels. Ich muss dann mal los." Okay, Carly war also nicht aktuell. Ich nickte ihm kurz zu und wandte mich wieder meinem Essen zu. Weswegen er hergekommen war, wusste ich nicht, aber Elliots Handlungsweisen musste ich auch nicht verstehen. Ich widmete mich gerade meinem kleinen Nachtisch, einem Schokokuchen mit flüssiger Füllung, als ein Teller neben mir auf den Tisch gestellt wurde. 

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