Kapitel 44
Auf Arbeit war sehr viel los. Ein Meeting jagte das nächste und das hatte zur Folge, dass ich nichts wirklich viel schaffte. Als ich dann schließlich Mittagspause machen konnte, schnappte ich mir meine Handtasche und verließ mein Büro. Endlich wurde auch die Sicherung der Türen wieder aktiviert, was bedeutete, dass keiner mehr einfach so in mein Büro spazieren konnte. Wobei ich nicht wirklich glaubte, dass irgendwer etwas in meinem Büro suchen würde.
Ich eilte zu dem Restaurant, in dem ich mich mit Hugh treffen wollte. Schnell entdeckte ich ihn auch, wie er wartend davor stand und auf seinem Telefon herumtippte. Als hätte er mich gespürt, sah er auf und blickte in meine Richtung. Sein Gesicht erhellte sich sofort und er wandte sich mir zu. Als ich bei ihm ankam, zog er mich sofort in eine Umarmung. Ich erwiderte sie, weil ich einfach nicht widerstehen konnte. Auch, wenn ich mich unwohl fühlte, weil jemand uns beobachten könnte, dem das gar nicht gefallen würde. Andererseits sollte es mir egal sein. Also vergrub ich mein Gesicht an seiner Brust und atmete Hughs unverkennbaren Duft ein. Dann sah ich zu ihm auf. „Klingt es seltsam, wenn ich dir sage, dass ich dich vermisst habe?", fragte ich schüchtern nach. Mein Herz raste und ich fühlte mich vollkommen aufgewühlt, wollte ihm aber trotzdem sagen und zeigen, wie sehr ich ihn brauchte. Ich hatte aufgegeben mich darüber zu erschrecken, dass er mir so wichtig geworden war.
Hugh schüttelte den Kopf. „Dann sind wir immerhin schon zwei.", sagte er und küsste mich auf die Stirn. Wir setzten uns an einen freien Tisch draußen vor dem Fenster. Hugh studierte die Karte, aber ich wusste, dass ich heute die Spaghetti Bolognese bestellen würde. Kurz darauf kam auch schon der Kellner. Wir gaben unsere Bestellung auf, wobei Hugh sich für ein Steak entschieden hatte, und der Kellner verschwand wieder im inneren des Restaurants.
„Worüber wolltest du mit mir sprechen?", fragte mich Hugh nach einer Weile. Wir waren in Schweigen verfallen und ich wusste nicht, wie ich das Thema beginnen konnte ohne, dass Hugh zu viele Fragen stellte. Ich blinzelte überrascht, da ich nicht mit dieser Frage gerechnet hatte „Lass uns nicht um den heißen Brei herumreden. Du hast extra deine Verabredung mit deinem Bruder abgesagt."
„Ich habe sie auf heute Abend verschoben. Kann es nicht sein, dass ich dich einfach wiedersehen wollte?"
Hugh sah mich aufmerksam an. „Das wäre wohl der beste Grund, aber ich glaube nicht, dass er wahr ist." Ich seufzte ergeben. So viel zum Thema, nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen. „Was ist es, Liv?", hakte Hugh noch einmal sanft und ruhig nach.
„Wann hattest du deine letzte Beziehung?", fragte ich vorsichtig nach. Ich sah überall hin, nur nicht direkt zu Hugh. Er schwieg einen langen Moment. Dann kam unser Essen. Der Kellner stellte unsere Teller auf den Tisch und wünschte uns einen guten Appetit.
„Willst du wissen, wie viele Beziehungen ich schon hatte, oder mit wie vielen Frauen ich im Bett war?" Seine Frage versetzte mir einen Stich. Es gefiel mir nicht darüber nachzudenken, wie groß der Unterschied zwischen den zwei Zahlen wohl sein könnte. Es gefiel mir nicht, dass andere Frauen, ihn angefasst haben. Eigentlich dachte ich, dass ich kein eifersüchtiger Mensch war, aber ich konnte nichts gegen meine bösen Gedanken tun, als ich darüber nachdachte.
„Die Beziehungen. Die andere Zahl will ich lieber nicht wissen." Als ich kurz zu Hugh herüber sah, bemerkte ich seinen weichen Blick, den er mir zuwarf. „Wahrscheinlich denkst du jetzt, ich hätte Unmengen an Frauen gehabt." Ich zuckte nur mit den Achseln. Hugh sah gut aus, hatte einen guten Job und war sehr anziehend. Da war es naheliegend, dass er schon so einige Frauenherzen hat höher schlagen lassen.
„Eine." Überrascht blickte ich von meinen verschränkten Händen hoch. Hugh hatte eine Beziehung gehabt? Mein Magen verknotete sich. War es eine lange Beziehung gewesen? Hatte er sie geliebt? Wie ist sie geendet?
„Was ist passiert?", fragte ich vorsichtig nach. „Nichts.", entgegnete Hugh gelassen. „Wir sind noch zusammen." Mir klappte der Mund auf. „Warte, was?", fragte ich schockiert nach. Hughs Augen fingen an zu funkeln. „Liv, mein Licht. Du bist diese eine Beziehung." Er beugte sich vor und legte seine Hand auf den Tisch mit der Handfläche nach oben. Perplex starrte ich ihn an. „Gib mir deine Hand." Dieses Mal ohne zu zögern, legte ich meine Hand in seine. Er umschloss sie sanft und legte seine zweite Hand noch oben drauf. „Ich habe noch nie gefühlt, was ich bei dir fühle, Liv. Nicht einmal ansatzweise."
„Ich verstehe nicht.", sagte ich kopfschüttelnd. „Ich mein, du bist nicht der offenste Mann, den ich kennengelernt habe, aber.." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Du rufst in mir diesen Instinkt hervor, dich zu beschützen, zu behüten und glücklich machen zu wollen. Wenn du lächelst oder lachst, dann ist es, als würde alles um dich herum erstrahlen. Das klingt jetzt kitschig, aber genauso ist es für mich, wenn ich dich ansehe. Äußerlich sind wir vielleicht das genaue Gegenteil voneinander, aber innerlich weiß ich, verbindet uns sehr viel miteinander. Das habe ich so bei noch keinem Menschen erlebt." Hughs Worte waren Balsam für meine Seele.
„Hugh.", murmelte ich nur. Mir fehlten die Worte. Hugh hatte nicht 'ich liebe dich' gesagt, aber sein Geständnis kam dem sehr nahe. „Ich nenne dich nicht mein Licht, weil ich dir einen kitschigen Namen geben wollte. Du bist für mich genau das." Ich öffnete den Mund, um irgendetwas zu sagen, aber es wollte einfach kein ton heraus kommen. Tränen begannen mir über die Wangen zu laufen. Um Hugh aber irgendwie eine Antwort zu geben, drückte ich leicht seine Hand. Er erwiderte den Druck ebenfalls sanft und als ich aufblickte, schien mein Herz keinen Platz mehr in meiner Brust zu haben. Mir stockte der Atem. Hugh sah mich mit so viel Liebe an, dass ich wusste, dass das zwischen uns echt war. Aber es waren dieses Mal nicht seine Augen, die mich so faszinierten. Es warten seine Lippen, die ein kleines aber unglaublich schönes Lächeln bildeten. Ein Grübchen auf Hughs linker Wange war zu sehen. Zitternd atmete ich ein. Immer mehr Tränen liefen mir über mein Gesicht und bevor ich wusste, was ich tat, war ich aufgestanden, hatte mich über den Tisch und unser wahrscheinlich schon kaltes Essen gebeugt und griff nach Hughs dunkler Krawatte. Ich zog ihn zu mir heran und Hugh folge mit überraschten Gesichtsausdruck. Dann lagen meine Lippen schon auf den seinen.
Hugh erwiderte den Kuss sofort und ebenfalls mit solch einer Leidenschaft, dass ich mir wünschte, wir wären gerade nicht an einem öffentlichen Ort. Wir lösten uns langsam voneinander. Ich blickte Hugh in die Augen und auch wenn ich es nicht ausgesprochen hatte, hatte er verstanden wie viel ich für ihn empfand.
„Das kam unerwartet." Hugh wirkte etwas überfordert. Ich setzte mich wieder hin und würde rot. „Tut mir leid. Das kam etwas ruppig rüber." Hugh schüttelte aber den Kopf. „Nicht das. Ich habe schon auf den Moment gewartet, an dem du mich so bedingungslos küssen würdest." Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Ich merkte, dass meine Wangen glühten und sah, dass es Hugh gefiel. Seine Augen glänzten. „Mein Lächeln." Ich stockte und sah Hugh an. Ich bemühte mich keine neuen Tränen zu vergießen und lächelte Hugh überglücklich an.
„Es gefällt mir.", gestand ich. „Sollte ich öfter lächeln?" Ich schüttelte den Kopf. „Du sollst dann lächeln, wenn du es willst und es nicht tun, weil du denkst, es würde mir gefallen." Hugh warf mir einen dankbaren Blick zu.
Letzten Endes war unser Essen wirklich schon fast komplett kalt. Wir aßen es trotzdem, weil wir nicht die Zeit hatten, uns neues Essen zu bestellen. Aber es war vollkommen in Ordnung, denn ich musste die ganze Zeit vor mich hingrinsen, weil ich Hughs Lächeln nicht vergessen konnte.
„Treffen wir uns morgen wieder?", fragte mich Hugh, nachdem wir bezahlt hatten. Hugh hatte ganz klassisch darauf bestanden, mein Essen zu zahlen. Ich hätte es selbst auch übernehmen können, aber ich wollte keinem Streit wegen der Bezahlung vom Zaun brechen. Also hatte ich es achselzuckend hingenommen.
„Ja, sehr gern." Hugh schien meine Antwort zu freuen. „Ich wünsche dir heute Abend viel Spaß bei deinem Bruder. Pass auf dich auf, mein Licht." Hugh küsste mich auf die Stirn. Ich schloss die Augen und genoss den Moment, in dem seine Lippen auf meiner Stirn verweilten. Seine starken Arme hatte er um meine Taille geschlungen und mich an sich gezogen. Ich genoss Hughs Nähe sehr. Und es gefiel mir, dass Hugh meine Nähe immer wieder suchte. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass wir in der Öffentlichkeit waren. Das überraschte mich ehrlich gesagt, aber es gefiel mir.
„Hast du eigentlich Geschwister?" Hugh löste sich von mir. „Nein. Ich bin Einzelkind." Ich stutzte. Irgendwas schien Hugh gerade nicht zu gefallen. „Wollten deine Eltern kein weiteres Kind?" Hugh schloss die Augen und machte einen gequaltenten Gesichtsausdruck. Er atmete mehrmals ein und aus. „Ich weiß nicht." Oh.
„Und was machen deine Eltern?" Hugh trat ruckartig noch einen Schritt zurück. „Ich muss zurück. Bis dann." Damit drehte Hugh sich um und lief Richtung Kanzlei. Wow, ich war gerade geradewegs gegen eine Betonmauer gefahren.
Ich sah Hugh noch eine Weile hinterher, wie er zurück zu seiner Kanzlei lief und ging dann selber wieder zurück zur Arbeit. Unterwegs dachte ich nicht über die Bilder nach, sondern mehr über Hughs verschlossene Reaktion, was seine Familie anging. Aber Hugh war mein Freund, also würde ich auch diese Mauer zum Einsturz bringen.
Der restliche Tag verlief zwar mit viel Hektik, aber im allgemeinen ohne weiteres Chaos. Um 16 Uhr saß ich dann schließlich in meinem Auto und fuhr zu Toris Schule. Sie hatte heute noch Chor Unterricht gehabt, weshalb sie noch so spät in der Schule war.
Ich fuhr um die Ecke, um vor der Schule zu parken. Zu meiner Überraschung sah ich Tori schon draußen vor dem Tor stehen. Was mir nicht gefiel, war, dass sie da allein stand. Nun gut, fast allein. Tori stand am Straßenrand und sah in einen schwarzen SUV herein. Sie schien sich mit jemandem zu unterhalten. Mein Puls beschleunigte sich. Ich sprang aus meinem Auto. In diesem Moment nahm Tori etwas von der Person im Wagen entgegen.
„Tori!", schrie ich so laut ich konnte. Mir wurde heiß. Ich sah, wie sie zusammen zuckte und sich umsah, bis sie mich entdeckte. Sie lächelte mich an und winkte. Der Wagen fuhr mit quietschenden Reifen los. Ich rannte zu Tori und wollte sie zusammenfalten, dafür, dass sie mit einer fremden Person gesprochen hatte. Aber meine Sorge überwog bei weitem meinen Ärger also riss ich meine Nichte an mich und drückte sie fest.
„Aua, du tust mir weh.", nuschelte sie. Ich löste mich von ihr und ging ein wenig in die Hocke. „Wer war das?"
„Die im Auto? Keine Ahnung.", sagte sie achselzuckend. „Und da trittst du einfach an das Auto und redest mit der Person?" Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber das war schwerer als gedacht. „Sie meinte, sie sei eine Bekannte von dir." Ich sah Tori verwirrt an. Ich kannte niemanden, der so einen Wagen fuhr. Jetzt ärgerte ich mich über mich selbst, nicht auf das Kennzeichen geachtet zu haben, aber das hatte ich in meiner Panik vergessen. „Hat sie gesagt, wie sie heißt?" Tori schüttelte den Kopf. Sie schien verwirrt zu sein, weil ich so durch den Wind war. „Sie bat mich nur, dir das zu geben.", sagte sie und hielt einen Umschlag hoch. Den hatte sie Tori also gegeben. Mir wurde schlecht. Es war eine Sache, die Bilder in meinen Briefkasten zu werfen. Eine andere, meine Telefonnummer herauszufinden. Aber sich an meine Nichte heran zu wagen, ging mehr als zu weit. Ich ahnte, was in diesem Umschlag war.
Ich nahm den Umschlag. Er sah genauso aus, wie die anderen, die ich bekommen hatte. „Wie sah sie denn aus?" Tori zuckte wieder mit den Achseln. „Sie hatte eine große Sonnenbrille auf. Oh und schwarze kurze Haare, glaube ich." Tori runzelte die Stirn und schien nachzudenken.
Mir schoss die Frau durch den Kopf, die mir an dem Abend, als ich den ersten Brief erhalten hatte, begegnet war und mich angepflaumt hatte, ich solle aufpassen wo ich mich befände.
„Was ist in dem Umschlag?", fragte Tori. Jetzt war ich dran mit den Achseln zu zucken. „Ich ahne es, aber jetzt sollten wir erst mal nach Hause. Dein Papa wartet sicher schon." Tori nickte und schien es hinzunehmen, dass ich ihr nicht mehr über den Umschlag erzählen wollte. Manchmal verblüffte sie mich noch immer. Trotz dessen, dass sie meine Nichte war, und ich sie mehr oder weniger großgezogen hatte.
Tori und ich stiegen kurz darauf in mein Auto und dann fuhr ich zu ihr nach Hause.
„Sie wusste, dass du bei Carters arbeitest in der Marketingabteilung. Tut mir leid, Liv. Ich hätte nicht einfach mit ihr reden sollen." Tori wirkte geknickt. Mein schlechtes Gefühl verstärkte sich noch mehr. Wer auch immer diese Frau war, sie wusste mehr über mich, als mir lieb war.
„Ist schon in Ordnung. Pass einfach in Zukunft auf.", sagte ich beschwichtigend. Im Augenwinkel sah ich, dass Tori nickte. „Okay.", murmelte sie.
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