Kapitel 43
Wärme umhüllte mich. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich vollkommen aus meinem traumlosen, aber tief erholsamen Schlaf aufwachen wollte. Ich blinzelte ein paarmal, bis ich um mich herum alles wahrnehmen konnte. Dann drehte ich meinen Kopf nach links und blickte in Hughs schlafendes Gesicht. Sehr viel sah ich nicht, denn noch immer verdunkelten die Jalousien das Schlafzimmer, aber ich erinnerte mich sehr gut, an das entspannte und zufriedene Gesicht, dass ich auf Fuerteventura gesehen hatte, als ich das letzte Mal neben Hugh aufgewacht war. Hugh lag auf dem Bauch und hatte seinen linken Arm über mich gelegt. Sein Körper schmiegte sich der Länge nach an meinen und er atmete ruhig und gleichmäßig. Ich erlag fast der Versuchung mich wieder an ihn zu kuscheln. Aber ich wollte Hugh wenigstens eine kleine Freude bereiten und ihm Frühstück machen. Also nahm ich vorsichtig seinen Arm von mir und schlüpfte unter der Decke hervor.
Ich hatte ein der böses Deja-vú, aber dieses Mal hatte ich ja nicht vor, einfach abzuhauen. Ich schnappte mir Hughs T-Shirt, dass auf dem Boden lag und schlüpfte hinein. Das musste vorerst als Kleidung reichen. Leise tappte ich aus dem Schlafzimmer und zog die Tür hinter mir zu.
In der Küche versuchte ich mich erst einmal zu orientieren. Hugh hatte mir gesagt, ich solle mich wie zuhause fühlen, aber es war trotzdem ungewöhnlich hier in seiner Küche zu stehen. Ich schnappte mir eine Pfanne und kramte im Kühlschrank herum. Dann entschied ich mich für Omelett. Dazu schnappte ich mir noch frische Orangen und presste sie aus für zwei Gläser Orangensaft.
Es ging mir heute schon viel besser und ich hatte unglaublich gute Laune. Der Abend gestern war schön gewesen. Die Nacht genauso. Und wieder neben Hugh aufwachen zu können, machte es nur noch komplett. Daran könnte ich mich schneller gewöhnen, als mir vielleicht lieb war.
Ich verteilte gerade das Omelett auf zwei Tellern, auf die Tür aufgerissen wurde, gegen die Wand knallte und Hugh „Liv!" rief. Heftig zuckte ich zusammen und ließ vor Schreck die Pfanne auf den Herd fallen. Ich wirbelte herum und blickte in Hughs aufgerissene Augen. Er war nur mit einer Boxer-Shorts bekleidet und ein paar Schritte vor dem Tisch stehen geblieben und atmete heftig. „Wa-" Ich kam noch nicht einmal dazu, meine Frage zu stellen, als Hugh um den Tisch kam und mich in seine Arme zog. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und ich legte meine Arme um ihn. Als ich meinen Kopf an seiner nackten Brust bettete, hörte ich sein Herz heftig schlagen. Jeder Muskel schien angespannt zu sein und Hugh schien leicht zu zittern.
„Fuck." stöhnte er und versuchte mich noch näher an seinen Körper heranzuziehen. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken, die Wirbelsäule rauf und runter, sagte aber kein Wort.
„Ich dachte, du wärst weg." Jetzt verstand ich. Auch er hatte ein Deja-vú gehabt. Das hätte ich wissen müssen. „Ich würde dir das nicht noch einmal antun. Ich weiß nicht, warum ich damals einfach so gegangen bin. Ich hatte wahrscheinlich einfach Angst vor dem, was zwischen uns entstanden war." flüsterte ich an seiner Brust. Hugh seufzte. Dann schien er sich langsam zu entspannen. Er löste sich ein Stück von mir, umarmte mich aber noch immer. Unruhig sah er mir in die Augen. „Du hast Frühstück gemacht." stellte er fest, als er dann über mich hinwegsah. „Ich hätte dich fragen sollen." Hugh schüttelte den Kopf. Dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn. „Nein, mein Licht. Ich habe dir gesagt, dass du dich hier wie zuhause fühlen sollst. Ich habe eben einfach nur Panik bekommen. Das wird nicht wieder vorkommen."
„Gib dir nicht die Schuld für einen Fehler, den ich gemacht habe." Ich sprach nicht von heute. Hugh schien das zu verstehen, denn er sah mich zärtlich an. „Frühstückst du eigentlich?" fragte ich dann. Vielleicht hätte ich das vorher bedenken sollen, schoss es mir durch den Kopf. „Ja, ich komme erst gegen Mittag wieder dazu, etwas zu essen."
„Du musst auf dich achten." tadelte ich ihn sanft. „Dafür habe ich ja jetzt dich." Ich grinste. „Pass auf, sonst stehe ich jeden Tag in deiner Kanzlei und sehe nach, ob es dir gut geht." Hugh zuckte mit den Schultern. „Ich habe nichts dagegen." Lachend sagte ich: „Das sagst du jetzt."
Ich löste mich von Hugh und trat einen Schritt zurück. Ein Schatten huschte über Hughs Gesicht und er verschränkte die Arme vor der Brust, als fühlte er sich nicht wohl. Es war das erste Mal, dass ich Hugh im Hellen unbekleidet sah. Sonst war es immer recht dunkel gewesen, wobei es auch noch nicht sehr oft passiert war, dass ich ihm im Dunkeln ohne Kleider gesehen hatte.
„Ich gehe mir etwas anziehen. Gib mir eine Minute." Ich nickte und Hugh verschwand im Flur. Mir war es ein Rätsel, warum Hugh es nicht zu gefallen schien, wenn man ihn ansah. Aber vielleicht war auch er einfach nur unsicher. Auch wenn Hugh so unsicher wirkte, wusste ich, dass auch er Gefühle hat und die ganze Situation für ihn neu war.
Ich drehte mich zum Herd und stellte erleichtert fest, dass die Pfanne richtig herum gelandet war und ich nicht viel von dem Omelett in der Küche verteilt hatte. Ich machte schnell sauber und dann kam Hugh auch schon wieder. Er hatte sich eine Jogginghose und ein dunkles Shirt und eine Strickjacke angezogen. Ihn so sportlich und bequem bekleidet zu sehen war ungewohnt, aber auch schön, weil ich endlich Hugh in all seinen Facetten kennenlernen konnte.
„Ich habe noch etwas für dich." Irritiert stellte ich die Teller auf den Tisch und holte noch die Gläser mit dem Organgensaft und einen Korb mit Toast. „Was denn?" Hugh setzte sich hin und deutete auf den Platz neben sich. Ich setzte mich Hugh zugewandt hin und wartete. „Gib mir deinen Arm." Noch immer verwirrt hob ich meinen Arm und hielt ihn Hugh entgegen. Dann legte Hugh seine Hände um mein Handgelenk und schien irgendetwas festzumachen. Als er sie wegzog, fielen mir beinahe meine Augen aus dem Kopf. „Das ist unmöglich!" hauchte ich und hoch mein Handgelenk vor mein Gesicht. Ungläubig starrte ich auf mein Armband, dass ich mir von meinem ersten Gehalt bei Carters gekauft hatte. „Du hast es dir ganze Zeit aufbewahrt?" Die Rhetorik in der Frage war mir in diesem Moment vollkommen egal. „Du hast es bei mir im Zimmer verloren. Der Verschluss war kaputt. Ich habe es reparieren lassen, auch wenn ich dachte, es dir nie wiedergeben zu können. Aber dann standest du in meiner Kanzlei. Das Armband hatte ich in meiner Hosentasche und ich war kurz davor gewesen es dir wiederzugeben, aber ich wollte dann etwas von dir behalten, was mich an unsere Zeit auf Fuerteventura erinnerte." Ich fiel Hugh um den Hals. „Danke. Danke. Danke. Danke, Hugh." Hugh erwiderte die Umarmung. „Du bist also nicht wütend, weil ich es so lange behalten habe?" fragte er. Ich setzte mich wieder zurück auf meinen Stuhl und schüttelte den Kopf. „Nein. Selbst wenn du es behalten hättest, wäre es nicht schlimm gewesen. Mir bedeutet dieses Armband viel und zu wissen, dass du es hattest, ist eher das Gegenteil von schlimm." Wieder tauchte Hughs weicher Blick auf und ich erkannte, dass das genau der Gesichtsausdruck ist, den ein Mensch hatte, wenn er lächelte, wobei Hugh nicht mit dem Mund sondern mit den Augen lächelte. Ich erwiderte das Lächeln. Dann begannen wir zu essen. Währenddessen erklärte ich ihm, warum ich das Armand so wichtig fand und er schien es vollkommen zu verstehen.
Nach dem Essen gab Hugh mir meine Sachen wieder. Er musste sie gestern gewaschen haben. Einen Gedanken hatte ich jedenfalls nicht an sie verschwendet. Ich war viel zu sehr mit meinen überquellenden Gefühlen für diesen Mann beschäftigt, der mich nun in meine Wohnung fuhr.
Als wir bei mir ankamen, gab Hugh mir einen Kuss, bevor er mir versprach, dass er sich bei mir melden würde. Und ich ihn immer anrufen konnte, wenn ich etwas brauchte. „Natürlich kannst du mich auch anrufen, nur um meinen Namen zu sagen, den du so schön findest, wie du mir gesagt hast."
„Wann soll ich das gesagt haben?" Hughs Augen funkelten wieder. „In dem Club, nach sehr vielen Shots." Ich versuchte mich daran zu erinnern, aber die Unterhaltung mit Hugh lag hinter dichtem Nebel. Dass wir uns unterhalten hatten, wusste ich, aber ich konnte nicht mehr genau sagen, worüber. „Daran kann ich mich nicht erinnern." sagte ich mit Engelsstimme. „So so." war alles was Hugh darauf antwortete. „Also dann, danke fürs Fahren, Kater pflegen und eigentlich alles." Hugh sah mich zärtlich an. „Für dich immer." Überschwänglich beugte ich mich noch einmal zu ihm rüber und gab ihm einen Schmatzer, wie es Kindergartenkinder taten, auf die Wange. „Das werde ich mir merken." Ich stieg lachend aus dem Auto und winkte Hugh noch einmal zu, bevor ich die Tür aufschloss. Erst nachdem ich im Haus war, fuhr Hugh los. Seufzend ließ ich mich gegen die Tür fallen. Ich war eindeutig auf Wolke 7 angekommen.
Ich schnappte mir noch die Post und ging dann hoch in meine Wohnung. Erst einmal ging ich unter die Dusche. Ich hatte noch gut eine Stunde Zeit. Das würde ausreichen, um mich fertig zu machen und wieder loszufahren.
Als ich vor meinem Kleiderschrank stand, entschied ich mich für ein sommerlich gelbes Kleid, dass locker ansaß. Für die Temperaturen passend. Meine Haare focht ich mir über die Schulter. Dann machte ich mir noch einen Kaffee für unterwegs und schnappte mir Schlüssel, Handy, Portemonnaie und steckte alles in die Handtasche. Mein Blick fiel dabei auf meinen Wohnzimmertisch, auf dem die Post von heute lag. Verwundert nahm ich einen Blankobrief auf, den ich vorher nicht gesehen hatte. Ich war die Post doch durchgegangen und hatte keinen Brief gesehen.
Allein da der Brief keinen Adressaten oder Absender hatte, schwante mir böses. Ich öffnete ihn und zog wieder ein Foto aus dem Umschlag. Wieder waren Hugh und ich zu sehen. Dieses Mal war es in Mikes Club. Ich hatte meinen Kopf auf Hughs Schulter gelegt, während er mich umarmte. Im Grunde war es ein schönes Foto, wenn man die Botschaft auf der Rückseite ignorierte. Wieder stand „NICHT DEINE Klasse" darauf geschrieben. Aber das war nicht das einzige. Darunter stand noch ein weiterer Satz, der mir noch weniger gefiel. „Letzte Warnung". Wurde es nun langsam Zeit Hugh davon zu erzählen?
Vielleicht sollte ich erst einmal fragen, ob er eine Ex hatte. Wenn ja, sollte ich es erst einmal bei ihr versuchen. Ich holte mein Handy wieder aus meiner Tasche und wählte Hughs Nummer. Er nahm sofort nach dem ersten Piepen ab. „Liv, alles in Ordnung?" fragte er besorgt. Ich wollte ihn nicht anlügen, denn ich hatte mittlerweile das Gefühl, dass nichts in Ordnung war. Also überging ich seine Frage. „Hey, können wir heute Mittag zusammen essen? Oder passt es dir nicht?" Hugh schwieg einen Moment. Ich wusste nicht, ob er misstrauisch war, oder einfach nur nachdachte, ob er einen Termin hatte. Als er antwortete klang er normal. „Wir können uns treffen. Hast du einen bestimmten Wunsch?"
„Ich kenne ein Café oder eher Restaurant, dass in der Mitte von deiner Kanzlei und Carters liegt. Ich kann dir die Adresse aufs Handy schicken."
„Du bist doch mit deinem Bruder verabredet, oder?" Das hatte ich vollkommen vergessen. „Ich werde Joshua einfach absagen und mich heute Abend mit ihm treffen." Hugh schwieg einen Augenblick. Er schien zu merken, dass etwas nicht stimmte, sagte aber weiter nichts dazu. Schließlich stimmte er zu. „Dann bis nachher."
„Bis dann." Ich hasste diese ganze Situation schon wieder. Wie schnell man von Wolke 7 herunterfallen konnte, hatte ich eben gemerkt.
Wütend warf ich den Brief wieder auf den Tisch, schnappte mir meine Handtasche und verließ meine Wohnung. Ich schloss ab und fuhr ein paar Minuten später auf Arbeit. Leider stellte ich unterwegs fest, dass ich meinen Kaffee vergessen hatte. Gut, dann würde ich mir auf Arbeit einen machen.
Noch im Auto rief ich meinen Bruder an, aber er nahm natürlich nicht ab. Also hinterließ ich ihm eine Nachricht, dass ich am Abend bei ihm Hause vorbeikommen würde. Ich hatte, bevor ich losgefahren war, die Bilder, die mir auf mein Handy geschickt wurden, ausgedruckt und sie mit den zwei anderen Bildern in eine Schublade unter dem Fernseher getan. Jetzt hatte ich drei Bilder von Hugh und mir und eines, was mich als junges Mädchen zeigte. Untergewichtig, blass, schrecklich geschnittene Haare und traurige Augen.
Ich wollte die Bilder nicht mit mir rumtragen, aber sie auch einfach offen liegen lassen, schien mir auch nicht richtig. Irgendwer wollte mir damit drohen. Ich würde herausfinden wer, denn ich hatte mir selbst geschworen, dass ich mich von niemandem mehr einschüchtern lassen würde.
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