Kapitel 32
„So schlimm, wie Aprils Geschichte kann es nicht sein." sagte Adam zu Hugh. Verwirrt sah ich auf und versuchte Aprils Blick einzufangen. Warum sollte Adam uns vergleichen? April wich meinem Blick jedoch sofort aus.
„Natürlich nicht. Du kannst Liv und April nicht vergleichen. Aber was zwischen Liv und mir passiert ist, kann ich nicht einfach so erzählen."
„Ihr seid euch nähergekommen auf Fuerteventura." schlussfolgerte Adam. Hugh antwortete nicht. Jetzt suchte April meinen Blick und fragte stumm, ob es stimmte, was Adam sagte.
„Ihr habt euch geküsst." Hugh antwortete wieder nicht. Aprils Augen wurden groß. Sie machte den Mund auf, aber dieses Mal wies ich sie darauf hin, dass wir leise sein sollten. Sie klappte den Mund wieder zu. Und lauschte weiter mit mir dem Gespräch der Männer.
„Hugh, ich habe dich so, wie nach Livs Abreise noch nie so gesehen. Erst warst du voller Sorge um sie und hättest Mike am liebsten den Hals umgedreht, weil er auf den Datenschutz seiner Kunden achtete, und als du dann erfahren hast, dass sie wirklich schon wieder auf dem Weg nach Hause war, sahst du so geschockt, wütend und dann verletzt aus, wie ich es noch nie bei dir gesehen habe." Stumm fragte ich April, ob das stimmte. Sie nickte ernst. Ein Stich mitten in mein Herz.
Hugh hatte sich wirklich Sorgen um mich gemacht! Er hatte mich gesucht. Und ich hatte ihn verletzt. Mein Magen verkrampfte sich. Ich hatte Hugh mit meiner heimlichen Abreise wirklich wehgetan. Wieso musste ich auch heimlich davongehen? Vor meinem inneren Auge sah ich Hughs verletzten Gesichtsausdruck, wie er stillschweigend in die Ferne gesehen hatte. Welche Fragen ihm wohl durch den Kopf gegangen sein müssen. Ich schloss die Augen. Wie konnte ich ihm das nur antun? Hugh war mir wichtig. Das war er von Anfang an gewesen. Ich aber hatte mich hinter dummen Ausreden versteckt und mich selber vor allem gedrückt. Aus Angst verletzt zu werden. Und im Gegenzug hatte ich den Mann verletzt, der mir innerhalb von ein paar Tagen das Herz gestohlen hatte. Jetzt konnte ich all seine Reaktionen noch besser verstehen.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah April mich voller Mitgefühl an. Sie legte eine Hand auf meine und drückte sie leicht.
„Ich hatte ihr die Wahl gelassen. Sie hätte aus dem Fahrstuhl aussteigen können, aber sie ist geblieben. Sie hätte nicht mit in mein Zimmer kommen müssen, aber sie ist geblieben. Sie hätte sich nicht zu mir ins Bett legen müssen, aber sie ist geblieben." Hugh klang frustriert.
„Ihr habt-" Adam brach ab. April kappte der Mund auf. Meine Schuldgefühle wurden von Sekunde zu Sekunde schlimmer.
„Ich weiß nicht, warum sie am nächsten Morgen ohne ein Wort gegangen ist. Ich dachte es zu wissen, weil ich glaubte Logan sei ihr Freund und weil sie sich schuldig fühlen würde, aber wenn Logan nicht ihr Freund ist, dann habe ich keine Erklärung. Außer es war für sie nicht das, was es für mich war."
„Was war es für dich?" fragte Adam leise.
„Mehr." Hughs Stimme war noch leiser, als die von Adam, sodass ich mir nicht sicher war, ob ich das wirklich gehört hatte. Mein Blut begann in meinen Ohren zu rauschen. Mehr. Das Wort hallte immer wieder durch meinen Kopf. Ich schluckte schwer, und auch wenn ich in Aprils Richtung sah, nahm ich sie nicht mehr wirklich war. Bilder dieser Nacht tauchten vor mir auf. Und nicht nur Bilder. Auch Wörter, die wir uns gegenseitig zugeflüstert hatten, die ich vollkommen verdrängt hatte.
Hugh lag neben mir, und hatte ein Bein über die meinen gelegt. Er stützte sich auf den Ellenbogen, um mich betrachten zu können. Mit der anderen Hand spielte er mit einer meiner verwuschelten Haarsträhnen. Immer wieder wickelte er sie um seinen Finger und ließ sie wieder von seinem Finger heruntergleiten. Unsere Atmung hatte sich mittlerweile wieder normalisiert und das Lacken zusammen mit Hughs Körpertemperatur sorgte für genügend Wärme.
„Wie lange willst du das machen?" fragte ich ihn leise und sah ihm dabei zu, wie er abermals meine Strähne um seinen Zeigefinger wickelte.
„Solange ich es kann." flüsterte er zurück. Seine Augen schimmerten wie zwei dunkle Kristalle in dem vom Mondlicht erhellten Zimmer. Hugh wickelte die Strähne wieder von seinem Finger und legte sich dann eng neben mich. Den Arm legte er um meine Mitte und zog mich so näher zu sich heran. Langsam atmete er aus.
„Gute Nacht, Liv." murmelte er in mein Haar.
„Gute Nacht, Hugh." flüsterte ich müde zurück und fügte in Gedanken noch hinzu: „Vergessen werde ich diese Nacht nie.". Ich kuschelte mich näher an Hugh heran und schloss die Augen. Ich war schon im Halbschlaf, als ich seine letzten geflüsterten Worte vernahm.
„Ich hoffe, dass du irgendwann sagen kannst, was du sagen willst."
Mir lief eine Träne über die Wange. Eine kalte Träne über meine erhitze Wange. Hugh hatte mich von Anfang an verstanden und ich hatte ihn mit Füßen getreten. „Ich hoffe, dass du irgendwann sagen kannst, was du sagen willst." Das hoffte ich auch. Mehr als alles andere.
April holte mich wieder zurück in die Gegenwart. Sie drückte meine Hände stärker und sah mich voller Zerrissenheit an.
„Und wenn es für sie doch mehr ist?" fragte Adam.
„Dann habe ich es in dem Moment kaputt gemacht, als ich sie am Samstag zum Weinen gebracht habe." Hugh klang resigniert und vollkommen hoffnungslos. Mein Herz schmerzte. Ich würde ihm so gern in diesem Moment in die Arme nehmen. Ihm sagen, dass mir alles egal war, aber das war es nicht. Ich war nicht nachtragend. Ich nahm ihm nichts übel. Weil ich ihn nun umso mehr verstehen konnte. Aber irgendwas sagte mir, dass ich jetzt nicht daraus gehen sollte. Hugh würde sich entblößt fühlen und ich wollte ihm nicht noch einmal wehtun. Ich hoffte, ihm nie wieder wehtun zu müssen.
„Ich dachte..." Hugh machte eine Pause. „Ich war mir so sicher, dass das mit ihr etwas Anderes war, als eine einmalige Sache. Sie schien die Welt so zu sehen wie ich."
„Wie?" fragte Adam.
„Sie weiß, dass Worte mehr bedeuten können, als viele bemerken. Mit dieser Aussage, hatte sie mich im Grunde schon vollkommen." Adam schwieg und Hugh erzählte weiter. „Meine Liebe. Die Worte, was so viele benutzten, aber keiner so meint."
„Robert." Adams Stimme war plötzlich voller Zorn und dunkel. April zuckte bei dem Namen zusammen und nun drückte ich wieder ihre Hände. Sie sah mich mit einem ängstlichen Ausdruck an. Wie von selbst wanderte mein Blick zu der Narbe an ihrer Schulter, die jetzt von der Bluse vollkommen bedeckt war. April merkte meinen Blick und tastete automatisch nach der Narbe. Als ich ihr wieder in die Augen sah, erkannte ich eine unglaubliche Trauer und noch immer ein wenig Angst. Sie nickte langsam und ich hatte verstanden. Wer auch immer dieser Mann war, er hatte April diese Wunde zugefügt. Ungewollt wurde mein Griff fester, worauf April den Kopf schüttelte.
„Er hatte es zu April gesagt, als er sie entführt hat. Ich weiß nicht wie oft ich mir wünsche, ihn selber noch einmal töten zu können."
April sah mich aufmerksam an, aber außer Schock über das Gehörte konnte sie nichts erkennen, denn dafür war ich über diese Aussage zu entsetzt. Als sie mir ein schmales Lächeln zuwarf, konnte ich es erst gar nicht glauben. Aber ihr ehrlicher offener Blick, der mir sagte, dass es ihr hier mit Adam gut ging, beruhigte mich.
„Das glaube ich dir." antwortete Hugh. „Du solltest noch einmal mit ihr reden. Es wird sich sicherlich alles klären."
„Wenn sie mir zuhört, werde ich das tun." versicherte Hugh. Danach verabschiedeten sich die Männer und ich hörte, wie sich einer von ihnen entfernte. Kurz darauf vibrierte Aprils Handy, dass auf dem Tisch neben ihrer Tasse lag. Sie nahm den Anruf entgegen.
„Wo bist du?" hörte ich Adam aus dem Flur sagen.
„In der Küche." antwortete sie. Eine Sekunde später stand Adam in der Tür und sah und entgeistert an.
„Ihr wart die ganze Zeit hier?" fragte er. Die Frage war überflüssig, aber es ging ihm wohl hauptsächlich darum, dass ich das Gespräch zwischen ihm und Hugh mitgehört hatte. April nickte.
„Ich wusste nicht, dass Hugh bei dir ist." erklärte ich Adam. Dieser nickte motorisch und schien noch immer fassungslos. „Ich wusste es, darum sind wir in die Küche gegangen, damit sich die beiden nicht über den Weg laufen. Ich konnte nicht wissen, dass ihr draußen noch redet." April und ich standen auf.
„Es tut mir leid." Adam schüttelte den Kopf. „Schon okay. Dich trifft keine Schuld. Ebenso, wie in der Diebstahlsache, an der wir arbeiten." Ich riss die Augen auf.
„Ihr wisst, wer es ist?" fragte ich hoffnungsvoll. Aber Adam schüttelte den Kopf.
„Timothy hat einen Trojaner auf deinem Rechner gefunden, der es ermöglicht Passwörter kurzzeitig zu ändern. Dieser wurde genutzt, während die E-Mail verfasst wurde. Er muss als Anhang einer E-Mail an dich verschickt worden sein. Finden wir die E-Mail, finden wir auch den Täter." Mir klappte der Mund auf. Timothy war ein Genie! „Das ist unglaublich." sagte ich überwältigt.
Adam schmunzelte. „Jedenfalls habe ich dich aus Sicherheitsgründen hierher bestellt, weil ich nicht weiß inwieweit die Person, die dir den Trojaner geschickt hat, noch weitere Tricks auf Lager hat." Ich nickte. „In Ordnung."
„Tja da kommst du einmal in den Blacktower und dann gleich so viel Neues zu erfahren." sagte April lachend. Damit meinte sie sicherlich nicht nur die Sache bei Carters. Adam nickte. Ihm war noch nicht ganz wohl bei der Sache, dass ich gehört hatte, was Hugh alles gesagt hatte.
„Ich werde nichts zu Hugh sagen. Das würde das genaue Gegenteil bewirken."
„Und was willst du bewirken?" fragte Adam und hob eine Augenbraue. Ich öffnete den Mund, aber kein Ton kam mir über die Lippen. Ja, was wollte ich eigentlich? Was wollte ich von Hugh? Und wie stellte ich mir die Zukunft vor?
„Ärger sie nicht. Hier gibt es keinen Guten und Bösen. Sie haben beide Fehler gemacht. Hugh hat nicht zugehört und Liv ist abgehauen."
„Kurz, aber auf den Punkt gebracht." Jetzt musste Adam doch noch schmunzeln.
„Aber, wenn du schon mal da bist, kannst du auch gleich mit uns zu Mittag essen, oder?" April sah Adam und mich abwechselnd fragend und voller Begeisterung über ihren Einfall an. „Ich habe keine Einwände. Das könnt ihr tun. Ich würde mich dann aber ausklinken."
„Überarbeite dich nicht, ich schicke dich ins Bett." drohte April mit erhobenen Zeigefinger. Mir kam der Gedanke, dass sie ihre Drohung sofort in die Tat umsetzen würde.
Auch wenn mir heute vor Augen geführt wurde, was für ein Miststück ich wirklich gewesen bin, fühlte ich mich irgendwie besser. Das lag vielleicht auch an den ganzen guten Nachrichten. Adam hatte eine Spur, Hugh hatte mich noch nicht ganz abgeschrieben und April schien mich schon als eine Freundin anzusehen. Also stimmte ich ihr zu und wir verbrachten unsere Mittagspause in einem nahe gelegenen Restaurant.
Ich übergab April auch endlich ihr Geschenk, dass ich extra eingesteckt hatte, für den Fall, dass ich ihr die Woche begegnen würde. Nun, das war schneller passiert, als gedacht. Es war ein silbernes Lesezeichen, dass einen Regenbogenanhänger hatte. Da Adam sie Rainbow genannt hatte, dacht ich, dass es zu ihr passen würde, und April hatte sich auch wirklich gefreut, da sie sonst, wie sie sagte, eine Postkarte als Lesezeichen benutzt, wenn sie ein Buch las.
April gab mir noch ihre Adresse und lud mich zum Mittwoch zu ihr ein. Mitbringen sollte ich nichts, aber ich würde trotzdem eine Kleinigkeit dabeihaben. Wir lachten in der nächsten halben Stunde noch viel. Und ich fühlte mich in ihrer Gegenwart unglaublich wohl. In meinem Kopf pflanzte sich der Gedanke ein, in April eine sehr gute Freundin gewonnen zu haben und dieser Gedanke gefiel mir sehr gut. Noch besser aber gefiel mir, dass die Geschichte zwischen Hugh und mir scheinbar noch nicht zu Ende war.
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