Kapitel 26

Den restlichen Arbeitstag verbrachte ich in meinem Büro, wo ich stillschweigend vor mich hinarbeitete. Wenn ich es richtig bemerkt hatte, war noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, was den Diebstahl unseres Unternehmens anging. Madison hatte mit ihrer Vermutung vielleicht gar noch so unrecht. Was war, wenn das jemand nur getan hatte, um der Firma zu schaden und ich einfach als Sündenbock ausgewählt wurde? Eine ganze Weile dachte ich über die verschiedensten Möglichkeiten nach, warum man eine Kampagne klaute, um sie dann bei dem selben Projekt als seine eigene darzustellen, wie das andere Unternehmen. Entweder war da jemand wirklich sehr dumm gewesen, und ich meine verdammt dumm, oder es war pure Absicht gewesen. Ich tippte aus dem Gefühl heraus auf das zweite.

Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt merkte ich, dass die Sonne gerade unterging und mein Büro in ein angenehmes orange tauchte. Es klopfte erneut. „Herein."

Die Glastür ging auf, und ein junger Mann betrat den Raum. Ich brauchte einen Moment, um ihn wiederzuerkennen. Timothy. Überrascht stand ich auf.

„Timothy, richtig?" Er nickte. „Wir wurden uns noch nicht richtig vorgestellt." sagte er und reichte mir lächelnd die Hand. Ich schüttelte sie kurz. Timothy schien Mitte zwanzig zu sein. Er hatte rotblondes Haar und eine recht schlaksige Figur. Kombiniert mit seiner übergroßen Brille, sah er wirklich wie ein Nerd aus. Da konnte das Hemd, dass in seiner Jeans steckte, auch nichts dran ändern. Auf mich wirkte er aber sofort sympatisch.

„Was kann ich für Sie tun?"

„Nun, ich dachte, dass Sie schon fertig sind mit Ihrer Arbeit, und ich noch einmal an Ihren Rechner könnte." Sofort nickte ich. Mein Blick flog auf die Uhr. Es war 18:30 Uhr. Wann war die Zeit so schnell vergangen? Erschrocken drehte ich mich zu Timothy.

"Sie wissen ja, wie alles geht, ich muss los, sonst komme ich zu spät und verpasse April." Timothy nickte nur, aber lächelte mich freundlich an. Ich holte meine Handtasche unter dem Schreibtisch hervor und packte schnell alles zusammen. Irritiert nahm ich meinen Hausschlüssel in die Hand, der auf meinem Schreibtisch lag. Wann hatte ich den denn aus meiner Tasche geholt? Kopfschüttelnd steckte ich ihn wieder ein.

"Gibt es eigentlich schon Erkenntnisse?" fragte ich nebenbei. Timothy hatte sich auf einen der Sessel gesetzt und mir zugesehen. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er den Kopf leicht hin und her bewegte. „Nur, dass die E-Mail eindeutig von diesem Computer verschickt wurde, von Ihrem Konto. Aber ich will noch ein paar Abgleiche machen. Mr. Black hat auch noch keine Infos, weil ich ungern Teilinformationen herausgebe." Ich schloss meine Tasche und nahm sie in die Hand.

„Ich werde nichts sagen." Timothy lächelte dankend. Wir verabschiedeten und voneinander und ich eilte zum Fahrstuhl. Auf dem Weg nach unten kopierte ich die Adresse, die April mir geschickt hatte und gab sie als Zieladresse in meiner Navi-App an. In der Tiefgarage angekommen, ging ich schnellen Schrittes zu meinem Auto. Es parkten nur noch sehr wenig Autos hier unten. Das war nicht verwunderlich, in Anbetracht der Uhrzeit. Als ich mein Auto erreichte, stieg ich hastig ein, schmiss meine Tasche auf den Beifahrersitz und fuhr aus der Tiefgarage.

Unterwegs telefonierte ich mich Joshua. Er und Tori hatten sich ausgesprochen und wir wollten alle drei zusammen irgendwann man wieder etwas unternehmen. Immerhin musste ich mir keine Gedanken mehr um Tori machen. So standen nur noch ein paar andere Probleme auf meiner Liste. Obwohl ich das 'nur' streichen konnte. Das waren noch mehr als genug Probleme.

April hatte Recht gehabt. Die Bar war nur 25 Minuten mit dem Auto entfernt. Ich parkte mein Auto in der Seitenstraße, in der sich die Bar befand. Nachdem ich mein Auto verriegelt hatte, sah ich mich kurz um, und fand die „Wide & Co." recht schnell zwischen den ganzen Bars und Clubs. Ich überquerte die Straße und ging zu der Bar. Ein rotes Leuchtschild mit dem Namen und einer Silhouette eines Vogels rechts daneben, zeichneten die Bar aus. Ich betrat die Bar und sah mich um. Die Bar schien in mehrere Teile untergliedert zu sein. Hüfthohe Mauern aus großen Ziegelsteinen zogen sich vereinzelt in Schlängelform durch die Bar. Es gab viele Sitzecken und Nischen. Der Bartresen zog sich einmal quer durch den Raum an der gegenüberliegenden Wand von links nach rechts. Vier Barkeeper standen dahinter und bedienten, die wartenden Gäste am Tresen. Es war schon recht viel los, aber überfüllt war die Bar zum Glück nicht.

Der Raum wurde in ein angenehmes gelbes Licht, was nicht zu hell war, getaucht. Die Stühle und Bänke waren mit schwarzem Leder überzogen und bestanden aus dunklem, glänzendem Holz.

Eine Bewegung rechts von mir, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. April hatte sich aufrecht hingesetzt und winkte mir lächelnd zu. Sie trug eine graue Bluse und einen schwarzen Blazer. Außerdem funkelte wieder ihre Kette, wie ein Regenbogen. Ihre Haare hatte sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden. Ich lächelte sie an und ging zu dem Tisch, an dem sie saß. Als ich ankam, stand April auf und zog mich sofort in eine Umarmung.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir in derselben Stadt wohnen." lachte sie. Es wurde Musik im Hintergrund gespielt, aber nicht zu laut, als dass man sich hätte anschreien müssen, um kommunizieren zu können.

„Ja, das war wohl mehr als ein großer Zufall." sagte ich. Wir setzten uns wieder. April auf einem Stuhl und ich auf der Bank, die sich über mehrere Tische zog, ihr gegenüber. So hatte ich den Raum ein wenig im Blick. Ich wählte den Platz immer so, wenn ich konnte, weil ich es nicht mochte, wenn jemand auf einmal hinter mir stand.

„Was möchtest du denn trinken? Essen gibt es hier auch" fragte mich April und schob mir die Getränkekarte herüber.

„Ich bleibe bei einer Sprite. Ich bin mit dem Auto hier." April nickte. „Ich nehme ein Ginger Ale. Auch wenn Adam mich nachher abholt."

Ein Barkeeper kam zu uns, und wir bestellten unsere Getränke. April bestellte sich auch noch ein Sandwich, aber ich hatte keinen wirklichen Hunger. Als der Barkeeper weg war lehnte ich mich zurück.

„Du und Adam scheint wirklich eine sehr innige Beziehung zu haben." April nickte. Ein strahlendes Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht. „Woher weißt du das?" Ich sah sie einen Augenblick lang an. „Naja davon abgesehen, dass Adam dich heute extra abholt, saht ihr auch schon auf Fuerteventura so aus, als würde das zwischen euch wirklich sehr vertraut sein. Und du hattest gesagt, dass ihr noch kein ganzes Jahr zusammen seid."

April runzelte die Stirn. „Das habe ich gesagt?" „Nicht so. Aber du hattest gesagt, dass du letztes Jahr an Thanksgiving niemandem vorgestellt wurdest." April lachte. „Da hat aber wer Scharfsinn." Ich schmunzelte. „Du kannst dich ja mit Hugh zusammentun." Und mein Schmunzeln erstarb. „Warum mit Hugh?" April zuckte sorgenlos mit den Schultern. „Weil er eine unheimliche Auffassungsgabe hat und vieles bis ins kleinste Detail betrachtet. Das macht ihn wohl zu einem so erfolgreichen Anwalt." Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Außerdem wollte ich nicht über Hugh reden. Ich hatte noch immer an seinen Worten zu knabbern, die er mir gestern an den Kopf geworfen hatte.

„Wie geht es eigentlich deiner Schulter?" fragte April dann. „Es wird besser. Ich nehme auch keine Schmerztabletten mehr."

„Ich bin froh, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist." sagte April ehrlich lächelnd. Sie schien es wirklich so zu meinen, wie sie es sagte. Der Barkeeper brachte uns kurz darauf unsere Getränke. Wir nahmen beide einen Schluck. Dann beugte sich April nach vorne, verschränkte die Arme auf dem Tisch und sah mich ernst an.

„Was hat Hugh gegen dich?" Perplex sah ich sie an. Als sie meinen irritierten Blick bemerkte, schmunzelte sie nur. „Hugh scheint ja nicht mehr sehr angetan von dir zu sein."

„Was hat er denn gesagt?" fragte ich zögerlich. „Willst du mir nicht erst deine Geschichte erzählen? Oder gibt es da etwas, von dem du hoffst, dass er es nicht gesagt hat?" Die Situation überforderte mich. Was hatte Hugh ihr erzählt? Unabhängig davon wollte ich sie aber auch nicht anlügen.

April seufzte. „Na gut. Er meinte, du hast einen Freund. Sein Blick als er das gesagt hat, hat Bände gesprochen. Also viel scheint er davon nicht zu halten. Außerdem habe ich ihn und Adam über Carters reden hören, dass sie davon ausgehen, dass dich jemand aus der Firma schmeißen will."

„Der Freund, von dem Hugh spricht, ist sein neuer Partner." Ich betonte das Wort 'Freund' extra, aber das schien April nicht zu merken. Ihr klappte der Mund auf. „Sein neuer Partner in der Kanzlei?" Ich nickte. „Aber warum sollte ihn das stören?"

Hugh hatte also niemandem von unserer Nacht erzählt. Plötzlich schossen mir wieder Bilder dieser Nacht in den Kopf. Hughs Küsse, Berührungen und wie er meine Haarsträhne immer wieder um seinen Finger gewickelt hatte.

„Liv?" April holte mich wieder aus meinen Gedanken. Ich blinzelte ein paarmal und sah sie wieder an. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich meinen Blick gesenkt und auf mein Glas gesehen hatte.

„Irgendwas war auf Fuerteventura." stellte sie fest. „Und es scheint Hugh nicht zu gefallen, dass du schon in festen Händen bist." Ich schnaubte. Die Reaktion konnte ich nicht vermeiden. „Ich glaube nicht, dass das sein Problem ist. Er mag wohl einfach keine unehrlichen Frauen. Und wenn du einmal in diese Schublade bei ihm fällst, kommst du da wohl nur ganz schwer wieder heraus." Aufmerksam sah April mich an. „Warum sollte er dich für unehrlich halten?"

„Die richtige Frage sollte eher lauten, warum er denkt, ich habe einen Freund."

April richtete sich auf und ließ sich dann gegen die Stuhllehne sinken. „Du hast keinen Freund?" „Ich habe nie behauptet, dass ich einen habe." sagte ich achselzuckend. Ich wusste auch nicht, warum ich auf einmal so abweisend dem Thema 'Hugh' entgegentrat. Wahrscheinlich nahm ich mir die Wörter einfach zu sehr zu Herzen, auch wenn ich einen Teil davon nicht verstand und der andere falsch war.

„Wie kommt Hugh denn darauf, dass du einen Freund hast?"

„Wahrscheinlich, weil Logan mich als seine bessere Hälfte vorgestellt hatte. Er weiß nicht, dass ich euch schon auf Fuerteventura kennengelernt habe." April nickte verstehend. „Und das hat Hugh falsch verstanden. Warum hast du es nicht richtiggestellt?"

„Weil er mir keine Gelegenheit dazu gegeben hat." April sah mich irritiert an, also erzählte ich ihr grob, was in der Kanzlei und auf meiner Arbeit passiert war.

„Vielleicht setzt du Hughs Selbstschutz außer Kraft." sagte April, nachdem ich geendet hatte. Nun war ich diejenige, die irritiert war. „Welcher Selbstschutz?"

April schien kurz mit sich zu ringen, beschloss dann aber doch mir zu erklären was sie meinte. „Ich habe mich mit Adam mal über ihn unterhalten und gefragt, ob er weiß, warum Hugh so verschlossen ist. Adam kennt Hugh auch nicht anders. Er hat ihn so auf dem College schon kennengelernt und akzeptiert. Aber er glaubt, dass diese objektive Betrachtung von Personen eine Art Mauer ist, die er errichtet hat, um niemanden an sich heranzulassen." Ein entscheidendes Puzzleteil fügte sich in das Bild ein.

Wenn Hugh Menschen grundsätzlich wegstieß, stellte sich mir aber die Frage, warum er mich auf Fuerteventura an sich herangelassen hat. Und wenn es für ihn doch nur ein Urlaubsflirt war, warum war er dann auch hier noch so fürsorglich? Auch wenn er sich stark distanziert hatte, hatte er mich in den Arm genommen und getröstet, mir gesagt, dass er mir glaubt und er hatte Tori ins Bett gebracht. Das alles war vollkommen widersprüchlich.

„Woran denkst du?" fragte April. „Warum war er dann in Spanien so anders?" stellte ich meine Frage gerade heraus. Ich musste ihr nichts von der Nacht erzählen, aber wie oft kam er mir zur Hilfe oder war mir nah gekommen? Auch vor den anderen. „Vielleicht hast du auf Fuerteventura diesen Schutzschild außer Kraft gesetzt. Hugh hatte sich um dich gekümmert und immer ein Auge auf dich gehabt. Das ist uns allen aufgefallen. Und vielleicht versucht er jetzt krampfhaft sich von dir wieder zu distanzieren, weil er denkt, dass er sonst eine Beziehung zerstört. Und die sind ihm heilig."

„Wie meinst du das?" April lächelte aber nur. „Ich glaube ich sollte dir nicht mehr erzählen. Aber ich sehe, allein schon daran, dass du fragst, dass auch Hugh dir in irgendeiner Art nähergekommen ist." Damit setzte April mich Schachmatt. Jetzt wusste ich wirklich nicht mehr, was ich antworten sollte. Wann immer ich daran gedacht habe, wie Hugh zu mir steht, konnte ich alles leugnen, aber wenn jetzt eine andere Person mir das sagte, war das eine andere Sache. Weil ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte, trank ich einen großen Schluck von meiner Sprite. April schmunzelte. „Tut mir leid, wenn ich dir da jetzt zu nahegetreten bin." Ich schüttelte aber nur den Kopf.

„Ist schon in Ordnung. Damit habe ich nur nicht gerechnet." erklärte ich ihr wahrheitsgemäß und nahm noch einen Schluck. Viel war nicht mehr übrig.

„Oh, bevor ich es wieder vergesse. Ich habe am Samstag Geburtstag. Du bist natürlich herzlichst eingeladen. Wir feiern bei Adam" wechselte April plötzlich das Thema.

„Ich... Aber wir kennen uns doch kaum. Und Adam ist irgendwie mein Boss." sagte ich stirnrunzelnd. April zuckte mit den Schultern. „Meiner auch. Was macht das für einen Unterschied? Wir haben uns kennengelernt, bevor wir wussten, wer mit wem zusammenarbeitet."

„Aber ich kenne doch kaum jemanden."

„Das stimmt nicht." sagte April lachend. „Du kennst Adam, Patrick, Liam, Natalie, Doreen, Nick, Mike, Hugh und mich." zählte sie auf. „Es kommen nur noch Adams Elternn, aber das wars auch schon. Wenn nicht bring deinen Freund... also deinen besten Freund mit."

„Du willst Logan und Hugh auf eine Party lassen?"

„Sie sind Partner. Hugh wird nichts machen und du sagst, dass Logan keine Ahnung davon hat." Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Dann sollte ich ihm das aber noch sagen, weil er es ja auf der Party eh herausfinden würde."

„Du kommst also?" fragte April euphorisch. „Super. Ich freue mich." Sie griff über den Tisch nach meinen Händen und drückte sie. „So und jetzt Schluss mit dem ganzen ernsten Kram. Ich habe mich wirklich gefreut, als ich gehört habe, dass du auch in San Francisco wohnst." So viel hatten April und ich gar nicht miteinander zu tun gehabt. Daher wunderte es mich, warum sie mich besser kennenlernen wollte. Aber je weiter sich der Abend hinzog, desto mehr merkte ich, was für eine tolle Person April ist. Wir lachten viel, tranken noch ein paar Kaltgetränke oder alkoholfreie Cocktails und reden über alles mögliche. Auf dem Weg nach Hause, stellte ich fest, dass ich den Abend sehr genossen hatte und ich hoffe, mich mit April noch öfter treffen zu können. Sie könnte eine gute Freundin werden.

Außerdem hatte ich jetzt wieder das Gefühl, dass ich mich mit Hugh aussprechen könnte. Dass wir beide doch nicht in Feindschaft auseinander gehen müssten. Ich hatte seit gestern eher die Aussichtslosigkeit gesehen. Wenn Hugh sich aber nur selber schützen wollte, konnte ich seine heftige Reaktion verstehen. Die um Tori und Joshua ausgeschlossen. Da würde ich wohl nachfragen müssen, was sein Problem war. Ich hoffte nur, dass die Zuversichtlichkeit, die April mir gegeben hatte, ausreichen würde. Sie hatte wohl nicht einmal bemerkt, dass sie mir neuen Mut gegeben hat. Vielleicht war es ja ihr Talent.

Als ich Zuhause ankam, ging ich nur noch duschen und verschwand kurz darauf auch schon in meinem Bett. Der Tag war lang gewesen. Morgen würde ich Logan von den anderen erzählen. Und dann sollte ich mir noch Gedanken machen, was ich April zum Geburtstag schenken könnte. 

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