Kapitel 25
Der nächste Tag zog sich auf Arbeit wie Kaugummi hin. Die Blicke waren von gestern zu heute noch kritischer geworden und mittlerweile schien mir keiner im ganzen Unternehmen noch zu glauben, dass ich nichts gestohlen habe. Nahm man es genau, hatte ich mich auch nie wirklich verteidigt und gesagt, dass ich nichts mit dem Datenklau zu tun hatte. Das Problem war, das alle es als Verteidigung sehen würden. Ich wollte mich aber nicht in diese passive Position bringen lassen. Daher lies ich sie einfach reden und spekulieren.
Ich war heute früh eine Stunde später auf Arbeit erschienen, was aber nicht weiter schlimm war durch die ganzen Überstunden, die angesammelt hatte. Dennoch war das schon wieder für viele Grund genug gewesen um zu mutmaßen, was denn passiert sei. Dass ich einfach nur meine Nichte zur Schule gefahren habe und danach zur Arbeit bin, schien jeder ausgeschlossen zu haben, obwohl sie alle wussten, dass ich eine Nichte hatte, die manchmal bei mir übernachtete.
Für den Tag hatte ich keine Termine angesetzt, weil es sicher seltsam wäre mit den anderen über zukünftige Marketingstrategien zu sprechen, wenn der Verdacht bestand, ich klaue Ideen aus anderen Unternehmen. Aber Mr. Jackson hatte so einige unbeantwortete E-Mails, die ich mir vornahm.
Kurz vor meiner Mittagspause klingelte mein Handy. Verwundert holte ich es aus meiner Tasche, die neben mir auf dem Boden stand. Die Nummer kannte ich nicht. Immerhin war ich froh, dass Joshua keine negative Überraschung für mich parat hatte.
„Liv Brewster, Hallo?"
„Hallo Liv, hier ist April. Du erinnerst dich?" fragte eine gut gelaunte April am anderen Ende der Leitung. Mit ihr hätte ich absolut nicht gerechnet.
„Hallo. Das nenn ich mal eine Überraschung." Etwas Besseres fiel mir nicht ein. „Ich hoffe du bist nicht sauer, weil Adam mir deine Handynummer gegeben hat, aber als er mir gestern erzählte, dass er dich getroffen hat, habe ich ihn angeschaut wie ein Auto. Die Sache mit dem Diebstahl ist natürlich nicht so toll." Zum Ende hin nahm die Freude in ihrer Stimme deutlich ab.
„Naja sie meinten, dass dieser Timothy mir da helfen könnte." „Ja, auf jeden Fall! Er ist wirklich gut in dem, was er macht. Sag, hast du heute zum Mittag schon was vor?" fragte mich April wieder mit voller Motivation in der Stimme. Sie schien schon so ein kleiner Sonnenschein zu sein, auch wenn ich gesehen habe, dass auch sie durch Narben gezeichnet war.
„Ja, ich wollte mich mit einem Freund zum Essen treffen." sagte ich ohne weiter darüber nachzudenken. Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Wow, das kam wie aus der Pistole geschossen, als würde ich keine Lust haben, mich mit ihr zu treffen. Kommunikationsregel 1 erst denken dann sprechen.
„Oh, okay." Ich musste das gerade biegen. „Hast du heute Abend Zeit? Wir könnten uns in einer Bar, wenn du Lust hast, treffen. Ich glaube auch, dass Blacktronic und Carters einfach zu weit auseinanderliegen, um sich vernünftig zum Mittagessen verabreden zu können."
„Ja, das ist eine gute Idee. Ich kenne da eine Bar, die gar nicht so weit von Carters entfernt ist. Ich schicke dir die Adresse. Wäre 19:00 Uhr okay? Da bekommt man auch was zum Essen."
„Klingt gut." stimmte ich ihr zu. Kurz darauf verabschiedeten wir uns voneinander und legten auf. Dann schnappte ich mir meine Handtasche und verließ mein Büro. Unterwegs rief ich Logan an.
„Heyho. Ich bin eben mit meinem Termin fertig geworden."
„Das nenne ich Timing." sagte ich lächelnd.
„Selbes Café?" fragte mich Logan. „Ja. Bin schon auf dem Weg."
„Alles klar bis gleich."
Das Café von dem wir gesprochen hatten, war mehr ein mexikanisches Restaurant, aber sie hatten es erst vor anderthalb Jahren vom Café zum Restaurant ausgebaut. Es würde wohl immer für uns ein Café bleiben.
Es lag in der Mitte zwischen Logans Kanzlei und meinem Büro. Wir hatten auch schon unseren Stammplatz, bei Sonnenschein wie heute draußen in der Seitenstraße. Wenn es regnete drinnen am Fenster. Es dauerte knapp 10 Minuten, da erreichte ich das Lokal.
Logan wartete schon auf mich und sah sich unnötiger Weise die Karte an. Er hatte 3 Gerichte, die er aß und abwechselnd bestellte. Mittlerweile wussten die Angestellten schon, welches Gericht er bestellen würde. Ich war da aber nicht besser. Aber ich hatte immerhin ganze 6 Gerichte zur Auswahl. Wir waren vor drei Jahren das erste Mal in dem damaligen Café gewesen. Hin und wieder sind wir dann wieder dorthin gegangen. Bevor ich Hugh wieder getroffen hatte, waren wir fast jeden Tag dagewesen, weil es sich jetzt anbot, dort essen zu gehen.
Als ich an unserem Tisch ankam, stand Logan auf umarmte mich kurz aber herzlich und wir setzten uns einander gegenüber an den Tisch.
„Okay, was ist los?" fragte Logan sofort und legte die Arme verschränkt auf den Tisch. War es so auffällig?
„Deine Augen sind leicht rot, was heißt, dass du die halbe Nacht geweint hast. Was ist passiert? Hat es etwas damit zu tun, dass ich wir uns so selten sehen in letzter Zeit?" Logans Blick wurde sanfter. Ich schüttelte den Kopf. „Wo soll ich da nur anfangen?"
„Am Anfang." Als ob das so einfach war. Der Anfang lag in Fuerteventura, aber wie würde Logan reagieren, wenn er herausfindet, dass ich mit Hugh geschlafen habe?
„Ich habe den Kerl, mit dem ich in Spanien die Nacht verbracht habe, wiedergetroffen." beichtete ich die halbe Wahrheit. Logan riss die Augen auf.
„Hier in San Francisco?" fragte er erstaunt. Ich nickte. „Ja, und seine Freunde arbeiten in gewisser Weise mit mir zusammen." sagte ich geknickt. Es war nicht schlimm mit Adam arbeiten zu müssen. Ganz im Gegenteil. Ich war froh, dass er es war, der Carters aufgekauft hatte. Trotzdem fühlte ich mich immer noch, als hätte mich mein Güterzug überrollt.
„Oha. Was hat er gesagt?"
„Naja er hält mich für feige."
„Und weiter?" Logan kannte mich schon zu gut. Ich stöhnte.
„Alles?" Logan nickte. „Er denkt, dass ich einen Freund habe, weil er etwas falsch verstanden hat und denkt jetzt, dass ich fremdgehe." Logan wollte den Mund aufmachen, aber ich gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass ich noch nicht fertig war. Also wartete er geduldig, denn er wusste, dass ich es nicht mochte, wenn man mich unterbrach. „Er wollte mir nicht zuhören, also hatte ich stattdessen gefragt, was wäre, wenn ich keinen Freund hätte. Das verstand er so, als wollte ich meinen Freund für ihn verlassen. Glücklich war er nicht gerade darüber. Dann gab es auf Arbeit gestern den Super Gau. Ich werde beschuldigt, Daten einer anderen Firma geklaut zu haben um sie dann als unsere zu verwenden." Logan sah mich fassungslos an. „Sein Freund ist irgendwie mein neuer Chef. Er war auch da, weil er die Bilder vom Urlaub von seinem Freund abholen wollte und hat das mitbekommen. Er glaubt mir zwar, dass ich nichts damit zu tun habe, aber er denkt, dass ich so ein Miststück bin, dass mich jemand aus der Firma ekeln will."
„Er hat dich ein Miststück genannt?" Ich schüttelte sofort den Kopf. „Nein, aber so hatte er es gemeint. Und als wenn das nicht genug wäre, hat gestern Joshua angerufen und mir gesagt, dass Tori weg ist." Wieder riss Logan die Augen auf. „Sie hatten sich gestritten, also ist sie zu mir, was er erst nach 2 Stunden gemerkt hat. Wie dem auch sei, auf einmal stand dieser Kerl vor meiner Tür, weil er meine Adresse herausgefunden hat. Was er eigentlich von mir wollte, weiß ich nicht. Er hat einen Streit zwischen mir und Tori mitgehört, was eigentlich kein richtiger Streit war. Du weißt wie ich streite. Und hat mich danach beschuldigt, meine Familie für Geld verlassen zu haben und meinte, dass es nicht die beste Lösung wäre, wenn Tori nicht bei mir wohnen würde." Logan schnaubte. „Woher er das wissen will, weiß ich nicht. Zusammengefasst war mein Tag gestern die reinste Katastrophe." schloss ich meine Rede. Im selben Moment brachte uns eine Kellnerin unser Essen.
„Ich habe schon bestellt gehabt." erklärte Logan. Dankbar lächelte ich Logan an. Essen würde jetzt guttun. Herzhaft fing ich an zu essen, während Logan mich eine Weile stumm beobachtete.
„Wie heißt der Kerl überhaupt?" fragte er irgendwann. „Was?" verdutzt sah ich Logan an.
„Eben in meinen Gedanken habe ich geschworen ihm eine reinzuhauen, aber mir fiel kein Name ein. Hattest du ihn schon mal gesagt?" Ich schüttelte den Kopf.
„Nein und das ist auch besser so. Ich hoffe, dass ich das alles bald hinter mir habe."
„Also willst du aufhören zu kämpfen?" Überrascht sah ich Logan an. „Wie meinst du das?"
„Dieser Mann scheint dir in ein paar Tagen wichtiger geworden zu sein, als du dir selbst eingestehen willst. Wenn es alles nur auf falschen Schlussfolgerungen beruht, was er von dir denkt, warum es nicht aufklären und schauen was draus wird?"
„Weil er mir nicht zuhört." erwiderte ich schlicht und nahm einen weiteren Bissen. „Dann warte eine Zeit lang."
„Logan, das zermürbt mich. Ich will mir nicht sagen lassen, dass ich ein Nichts bin oder dass ich-" abrupt hielt ich inne, als Logan sein Besteck fallen ließ und sein dunkler werdender Blick mich durchdrang.
„Du bist kein nichts. Jeder der dir das sagt, ist ein Arschloch." Als ich merkte worauf Logan hinauswollte, lächelte ich ihn dankbar an. „Ja, das hast du mir beigebracht. Und ich werde mich auch davor hüten in dieses Loch nochmal zu fallen."
„Wenn du ihn siehst, wenn ich dabei bin. Du brauchst mir seinen Namen nicht zu sagen, sondern nur auf ihn zeigen. Ich werde ihn fertigmachen."
„Du als Anwalt solltest doch wissen, dass das Konsequenzen mit sich zieht." versuchte ich die Atmosphäre aufzulockern, was mir auch gelang. Er lächelte mich an. „Ja, und genau deswegen weiß ich, wie ich Beweise vernichte." Ich lachte laut.
„Du verprügelst niemanden Logan. Damit das klar ist." Wir lieferten uns ein kurzes Blickduell. Logan verdrehte daraufhin die Augen und aß weiter. „Okay, okay." murmelte er schließlich nur. Wenn Joshua mein kleiner Bruder war, so war Logan mein großer Bruder, der mich vor allen bösen Jungs beschützen würde. Als ich niemanden hatte, war er für mich da gewesen und hatte mich mit eben dieser Art aus meinem Tief geholt. Wahrscheinlich hat auch er damals nicht gedacht, dass etwas so Großes zwischen uns entstehen würde.
„Hast du heute Abend was vor?" fragte Logan mich irgendwann, nachdem wir aufgegessen hatten. „Ja, ich treffe mich mit jemanden, den ich im Urlaub kennengelernt habe."
„Wer ist er?" fragte Logan streng. Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Er ist eine sie."
„Okay, damit bin ich einverstanden." Ich schnaubte gespielt empört.
„Willst du mir den Umgang mit Männern verbieten?"
„Nur mit Idioten." sagte er locker und blickte dann auf seine Uhr. „Ich muss wieder zurück."
„Ist bei dir denn alles gut? Wir haben die ganze Zeit nur von mir geredet."
„Ich hatte gestern keinen halben Weltuntergang keine Sorge. Ich hatte einen ganz netten Abend."
„Kenne ich ihn?" fragte ich grinsend. Logan schüttelte aber nur den Kopf. „Nein, aber wer weiß, was nicht ist, kann ja noch werden."
„Das Wort des Tages." Wir standen auf und verabschiedeten uns mit einer längeren Umarmung als sonst, aber Logan dachte wohl ich würde sie brauchen. Und das tat ich auch. Er wusste, wie sensibel ich manchmal war. Ich war hart im Nehmen, aber Tränen konnte ich noch nie so ganz zurückhalten.
Das Treffen mit Logan hatte gutgetan. Er verstand mich und vertraute mir. Keine Sekunde habe ich Zweifel gesehen, dass er mir nicht glaubte, mir zutraute ein Unternehmen zu bestehlen oder Sowas in der Art zu tun. Er hatte mich in den ganzen Jahren gut kennengelernt, auch wenn wir unsere Startschwierigkeiten hatten. Aber er war da gewesen, als kein anderer da war und er war hartnäckig gewesen. Das würde ich ihm nie vergessen.
Zurück in der Hauptverwaltung von Carters landete ich aber wieder in der Realität. Nur weil ich mein Herz meinem besten Freund ausgeschüttet hatte, hieß das noch lange nicht, dass die ganze Welt mich nun verstand. Das würde sie wohl nie. Ich verstand mich ja manchmal selbst nicht so ganz.
Auf dem Weg in mein Büro bemerkte ich wieder die Blicke meiner Kollegen und ihr Getuschel. Unbeeindruckt ging ich jedoch zu Madison ins Büro. Als sie mich bemerkte, hörte sie auf, an ihrem Computer zu schreiben.
„Was kann ich für dich tun?" Ich merkte ihre Reserviertheit mir gegenüber. Auch ihre Freundlichkeit hatte mehr als deutlich abgenommen. Auf der einen Seite traf es mich, dass sie mir einen Diebstahl zutraute. Andererseits traute mir gerade keiner über den Weg. Daher konnte ich es ihr nicht übelnehmen.
„Ich bräuchte noch zwei Anträge für die Sicherheitsfirma, damit Mr. Jackson es nur noch unterschrieben muss, wenn er wieder da ist."
Madison nickte. „Schicke ich dir per Mail in 15 Minuten." Ich bedankte mich noch kurz bei ihr und wollte wieder in mein Büro gehen, als Madison mich aufhielt, indem sie meinen Namen rief. Ich drehte mich wieder zu ihr und sah sie fragend an.
„Mir will einfach nicht in den Kopf gehen, warum du es so offensichtlich gemacht hast. Was hast du gegen die Firma, um sie in so große Schwierigkeiten zu bringen?" fragte sie mich ernst. Ich seufzte.
„Ich habe dir diese E-Mail nicht geschickt. Wie du sagtest, war es so auffällig, dass es herauskommen musste. Aber warum sollte ich Sowas denn tun?"
Madison zuckte mit den Schultern und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Das ist die Frage." Wir sahen uns einen Augenblick noch schweigend an. Dann drehte ich mich um, und ging wieder in mein Büro.
Der Tag war auch nicht besser als der letzte, stellte ich deprimiert fest.
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