Kapitel 22
„Liv, Hugh." Hugh drehte sich um und ich sah an ihm vorbei. Adam kam auf zu. Schnell wischte ich meine Tränen von den Wangen, auch wenn ich mir sicher war, dass Adam sie trotzdem sehen würde. Er sah ziemlich gestresst aus und seine Haare standen in alle Richtungen ab. „Ich habe Timothy angerufen. Er wird herkommen und alles untersuchen." sagte er, als er bei Hugh und mir angekommen war.
„Wer ist Timothy?" fragte ich. Adam lächelte mich schwach an. „Er ist einer der besten IT-Spezialisten von Blacktronic. Gibt es einen Computer von dem wir auf das System von Carters zugreifen können?"
„Naja unsere IT sitzt zwei Etagen über uns, oder ist es egal, von welchen PC er sich in unser System hackt?" Adam riss die Augen auf und auch Hugh sah mich überrascht an. Mir war bewusst, dass dieser Timothy nicht nur die offiziellen Pfade prüfen würde. Da war Adams Betonung auf IT-Spezialist etwas zu stark gewesen. Ich lächelte.
„Er kann gern über meinen Computer ins System. Wenn, ist er ja eh der Ursprung des ganzen Problems." sagte ich und senkte den Blick.
„Liv." Adam wartete, bis ich ihn wieder ansah. „Ich glaube nicht, dass du das warst. Zum einen, weil ich auf Fuerteventura eine andere Frau kennengelernt habe und zum anderen, weil du selbst gesagt hast, dass es zu offensichtlich ist. Wir werden herausfinden, wer auf deine E-Mails zugegriffen hat." Wie angewurzelt starrte ich Adam an. Er glaubte an meine Unschuld? Wieso? Wir kannten uns doch kaum. Ob es mit Nick zu tun hatte? Ob er dachte, dass er mir was schuldig war?
„Timothy wird immer abends herkommen." erklärte Adam weiter.
„Okay, dann gehe ich davon aus, dass er meine Passwörter nicht braucht?" fragte ich schmunzelnd.
Eins musste man Adam lassen. Mit seiner offenen und positiven Ausstrahlung, die er wohl einfach so hatte, konnte er dafür sorgen, dass man sich sofort besser fühlte. Diese Worte, dass auch er mir glaubte, gaben mir etwas Hoffnung. Mir war klar, dass ich die nächste Zeit im Büro mehr als nur schief angesehen werden würde. Damit musste ich aber leben. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass mich keiner leiden könnte.
Schnell schüttelte ich den Kopf, um diese Gedanken wieder zu vertreiben. „Danke." sagte ich dann schlicht. Ich wusste nicht woran es lag. Wahrscheinlich auch an Adams offener Art, aber es war einfacher mit ihm zu sprechen, als mit vielen anderen Menschen. Auch wenn ich es mehr genoss mit Hugh zu reden und ihn um mich zu haben, so hatte sich zwischen uns doch eine größere Kluft aufgetan. Es würde noch etwas dauern, bis Hugh mich ausreden lassen würde. Er sollte mir zuhören wollen. Noch hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben.
„Keine Ursache. Wir kümmern uns darum." sagte Adam und klopfte mir auf die Schulter. Er hatte sich wohl gemerkt, welche die gesunde war.
„Dann sollte ich mit dem Medienteam sprechen." sagte ich und wollte mich verabschieden. „Tu das, aber Liam wird dafür sorgen, dass nichts in den Medien erscheint." Überrascht sah ich Adam an. So viel Einfluss hatte er? Wer waren diese Menschen? Die Superheroes der Branchen?
Adam und ich tauschten noch kurz unsere Telefonnummern und verabschiedeten uns. Mein Blick flog zu Hugh, der mich nur distanziert ansah, aber ich sah, wie es in seinem Kopf arbeitete. Woran er dachte, konnte ich aber wie so oft nicht festmachen. Er war mir einfach ein Rätsel. Warum musste ich mich auch zu einem Mann hingezogen fühlen, der so kompliziert gestrickt war?
Es war 19 Uhr, als ich endlich mit der Arbeit durch war. Es hatte sich sehr schnell herumgesprochen, dass ich wohl eine Diebin sei. Und natürlich blieb es nicht bei diesem einen Gerücht. Schon am ersten Tag konnte ich die verschiedensten Spekulationen hören, wie ich es in so jungen Jahren soweit geschafft hatte. Ich machte mir nicht viel daraus. Solange kein anderer mit in diese Gerüchte verstrickt werden würde, musste ich nur darauf warten, dass dieser Timothy etwas finden würde.
Dennoch hatte ich mich den ganzen Tag nicht wirklich auf die Arbeit konzentrieren können. Immer wieder versuchte ich zu verstehen, wer wollen würde, dass ich meinen Job verliere und dabei bereit ist zu riskieren, dass Carters einen großen Skandal auf sich nimmt. Keiner meiner Kollegen schien mir dazu in der Lage, da sie alle wirklich freundliche Menschen waren.
Außerdem ging mir immer wieder Hughs plötzliche Reaktion durch den Kopf, als Logans Name fiel. Er hatte sich von mir gelöst, als hätte er sich an etwas verbrannt. Es tat weh, wenn es auch ehrenhaft war, was er tat. Er hatte mir klipp und klar gesagt, dass er kein Mann war, der sich auf eine Affäre einließ oder eine Beziehung zerstören würde. Das ließ ihn nur noch besser dastehen. Außerdem hatte er nicht gesagt, dass er nichts für mich empfand. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich bei diesem Gedanken lächeln musste.
Einmal kamen gerade zwei Kolleginnen an meiner offenen Bürotür vorbei und hatten mich schräg angesehen, weil sie sich fragten, wie ich in so eine Situation lächeln konnte. Ich hatte auch schon überlegt, ob ich nicht mehr ganz bei Trost war, aber es war einfach der Gedanke an Hugh, der mich wiederaufbaute. Ich wollte ihn eigentlich nicht so nah an mich heranlassen. Aber dafür war es schon zu spät. Ich musste wohl oder übel sagen, dass Hugh mich mit einem Mal zerschlagen könnte.
Nachdem ich mein Büro verlassen hatte, ging ich zum Fahrstuhl. Unterwegs kamen mir wieder ein paar Kollegen entgegen, aber sie ignorierten mich offensichtlich, weswegen ich es mir ersparte ihnen auf Wiedersehen zu sagen. Am Fahrstuhl traf ich Sue. Sie lächelte mich immerhin leicht an und murmelte ein „Bis Morgen.". Auch wenn ihr nicht ganz wohl bei der Sache war, behielt sie ihren Anstand. Das mochte ich an ihr. Sie bildete sich ihr Urteil nur nach ihren eigenen Erfahrungen und gab nichts auf Dinge, die andere Leute sagten. Ich kannte sie nicht wirklich, aber sie schien mir immer eine nette junge Frau zu sein.
Hugh war genauso. Er hatte eine unglaublich scharfe und wachsame Auffassungsgabe, da er nicht der Mensch war, der immer im Mittelpunkt stand. Er hielt sich bedeckt. Warum, konnte ich nicht sagen, aber da er meistens am Rand des Geschehens stand, konnte er die Menschen besser beobachten und auch schneller verstehen als andere. Ich hatte schon immer in den Augen der Menschen ihre Gefühle lesen können. Auch wenn es mir bei Hugh am leichtesten gefallen war, weil wahrscheinlich seine fehlende Emotionalität, die er nach außen trug, so kompensiert wurde. Aber auch bei anderen Menschen konnte ich ihre Gefühlsregung ablesen. Darum fand ich es schon immer faszinierend, anderen Menschen in die Augen zu sehen.
Mein klingelndes Handy holte mich aus meinen Gedanken. Ich trat in den Fahrstuhl und kramte es aus meiner Handtasche heraus. Als ich den Namen auf dem Display las, seufzte ich. Joshua.
„Was gibt's?" fragte ich, als ich den Anruf entgegengenommen hatte.
„Liv, wir haben ein Problem. Ein ganz großes Problem." Ich stöhnte. Heute gab es schon genug Probleme. Mir erschien mein Leben gerade eine einzige Baustelle aus Problemen zu sein. Das jetzt mein Bruder auch noch eines hatte, bei dem ich ihm helfen sollte, half mir nicht gerade weiter.
„Was ist denn passiert?" fragte ich wenig motiviert. Joshua oder Josh - wie ich ihn gerne nannte - und seine Probleme waren unvorhersehbar. Die einen waren klein und nicht nennenswert, wie wenn die Katze des Nachbars sich mal wieder ins Haus geschlichen hatte und mein Bruder mit seiner Allergie, sich von ihr fernhalten wollte. Aber es gab auch Probleme, wie unbezahlte Rechnungen oder Ähnliches. Der Aufzug hielt im Erdgeschoss. Ich musste noch eine Etage tiefer, weswegen ich an den Rand trat, um den Menschen, die in den Fahrstuhl wollten, Platz zu machen.
Die Türen öffneten sich. Ich sah auf drei paar Füße, hob den Kopf und sah Adam, Hugh und einen jungen Mann mit Brille, den ich nicht kannte und wahrscheinlich dieser Timothy sein musste, mir gegenüberstehen. Hugh realisierte zuerst, dass ich ihm gegenüberstand. Das Blitzen in seinen Augen, was ich nicht deuten konnte, verriet es mir. Adam und der junge Mann hörten auf zu sprechen, als sie mich bemerkten. Stumm sah ich zwischen den dreien hin und her, bis mich Joshuas Problem aus meiner Starre löste.
„Tori ist verschwunden." Nicht zum ersten Mal setzte mein Herz heute einen Schlag aus und jegliche Wärme wich aus meinem Körper.
„Was meinst du mit verschwunden? Wieso weißt du nicht, wo sie ist?" fragte ich ruhig. Ärger machte sich in mir breit. Ärger auf Joshua, dass er auf Tori nicht aufpassen konnte, Ärger auf Hugh, weil er mir nicht zuhören wollte, Ärger auf einen Kollegen, den ich noch nicht kannte, weil er mir enorme Probleme machte und Ärger auf mich, weil ich feige abgehauen war, keine Lösungen finden konnte und geradeso zugeschüttet wurde mit Problemen.
„Sie kam nach dem Schultraining nicht nach Hause. Sie sollte seit 2 Stunden da sein, aber ich habe geschlafen und es eben erst bemerkt, als ich aufgewacht bin." Mein Ärger auf Joshua verwandelte sich in Wut.
„Wie kann es sein, dass deine 11-jährige Tochter einfach so verschwindet und du 2 Stunden brauchst um das zu bemerken? Sie ist auch meine-"
„Liv erspar mir das. Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe. Wir hatten heute früh einen Streit und sie meinte, dass sie es hier nicht aushält. Als sie aus dem Haus gestürmt ist, habe ich gedacht, sie will zur Schule und wir könnten heute Abend darüber reden." Ich hörte das Zittern in seiner Stimme. Auch er machte sich Sorgen. Das nahm mir meine Wut ein wenig.
„Erstens. Unterbrich mich nicht. Du weißt ich hasse das. Zweitens, rufst du jetzt bei ihren Freundinnen an. Ich fahre nach Hause und schau, ob sie bei mir ist." sagte ich und betonte jedes Wort einzeln. Ich blinzelte, um meine Umgebung wieder wahrzunehmen. Hugh und Adam sahen mich an. Adam war besorgt und hatte die Augen weit aufgerissen. Hugh hingegen musterte mich mit leicht zusammengekniffenen Augen.
„Ich muss eine Etage tiefer, also wenn ihr einsteigen würdet, wäre ich euch sehr verbunden." erklärte ich den Männern vor mir in scharfen Tonfall. Gleich darauf traten sie in den Fahrstuhl er fuhr nach unten. Im selben Moment fühlte ich mich schlecht, weil ich so bissig zu ihnen war. Aber nichts ging über meine Nichte.
„Ich melde mich, wenn ich zuhause bin. Wenn du sie findest, sag mir Bescheid."
„Okay." Wenn Joshua noch mehr sagen wollte, dann hatte er im Moment Pech. Ich hatte dafür jetzt keinen Nerv.
„Probleme?" fragte Adam und sah mich aufmerksam an.
„Familienangelegenheiten." erwiderte ich nur. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und sich sprintete aus dem Fahrstuhl. Mein Anstand ließ mich aber nach ein paar Schritten stehen bleiben und mich umdrehen. Adam drückte gerade auf einen Knopf, dann sah auch er zu mir.
„Danke." Ich wusste nicht, was ich hätte sonst sagen sollen. Hätte ich mich für meinen Tonfall entschuldigen sollen? Oder es ihnen kurz erklären sollen? Dafür hatte ich im Moment keine Zeit.
Adam nickte mir lächelnd zu. Ich erwiderte es und drehte mich um, damit ich zum Auto laufen konnte. Dabei sah ich noch einmal flüchtig zu Hugh, der irgendwie unruhig wirkte. Aber ich verbannte ihn aus meinen Gedanken, und rannte zu meinem Auto. Dort angekommen, schmiss ich meine Tasche auf den Beifahrersitz und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Tiefgarage heraus.
Es dauerte 40 Minuten, was schnell war, bis ich bei mir ankam. Ich parkte das Auto vor dem Mehrfamilienhaus und stürmte zum Haus. Unterwegs hatte ich versucht Tori anzurufen, aber ihr Handy war ausgeschaltet. Das war logisch, wenn sie sich mit ihrem Vater gestritten hatte.
Hastig schloss ich die Haustür auf und lief in den zweiten Stock. Ich suchte dabei den Schlüssel für meine Wohnungstür, als ich beinahe mit jemandem zusammengekracht wäre. Erschrocken hob ich den Kopf und sah mein Ebenbild nur 16 Jahre jünger mit getrockneten Tränenspuren im Gesicht mir gegenüberstehen.
„Tori!" rief ich und fiel ihr im nächsten Moment um den Hals. Ich drückte sie fest an mich und sie erwiderte die Umarmung. Als sie anfing zu schluchzen, strich ich sanft über ihren Rücken und flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Mein Herz raste und schien sich auch nicht beruhigen zu wollen. Sie war wirklich hier. Erleichterung durchfloss mich.
Nach einer Weile löste ich mich von ihr und Tori wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Es tut mir leid, aber er ist so anstrengend." murmelte sie und sah betrübt auf den Boden. Ich griff nach ihrer Hand und zog sie sanft zu meiner Wohnungstür. Nachdem ich sie aufgeschlossen hatte, zog ich Tori hinter mir in meine Wohnung und setzte meine Nichte im Wohnzimmer auf mein Sofa.
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