Flucht, Verirrungen und... Esel
,,Renn!'', forderte Celina und blickte mich böse mit zusammengekniffenen Augen an.
,,Wohin? Und vor allem warum?", fragte ich verwirrt. Was hatte die denn jetzt schon wieder?
,,Ist das dein Ernst?''
,,Nein, mein Günther und du kennst meinen Orientierungssinn!''
,,Renn! Sofort!'', verlangte Celina und ließ ihre Schultern knacken.
„Aber...'', beschwerte ich mich und machte sofort eine 180 Grad Drehung, als meine Freundin auf mich zuschoss. Eigentlich wollte ich ja noch etwas hinzufügen, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, wegzurennen. Und Reden während des Sprintens verträgt sich bekanntlich nicht so gut mit Zwerchfell. Nach einer Weile wusste ich: Elben sind schneller als Menschen.
Kurze Zeit später hängte ich Celina glücklicherweise ab, als ich gerade über einen Hügel hetzte und danach gekonnt über ein Blumenbeet trampelte. Da mein Orientierungssinn sich leider noch auf der Erde verlaufen hatte, torkelte ich auch noch spät abends durch die Gassen von Beutelsend. Sofern man das Gassen nennen konnte. Es waren eher richtige Wege. In der Stadt waren das auf jeden Fall NICHT die Wege, auf denen man klischeehaft entführt werden würde.
Verzweifelt klopfte ich an jede Tür und lief über die Hügel rüber. Wo war ich? Würde ich je wieder heimfinden oder war ich dazu verdammt, auf ewig als triste Seele in den Gassen dieser düsteren Stadt zu wandeln?
Ich hoffe echt, dass es bald eine Vermisstenanzeige gibt. Falls die so was wie eine Polizei überhaupt haben. Gibt es überhaupt Soldaten im Auenland? Wieso wurde das Auenland eigentlich von keiner anderen Rasse, wie zum Beispiel den Menschen, annektiert? Das hatte Russland ja auch ungestraft mit dieser komischen Insel gemacht. Dieser Krimiinsel. Die wurde bestimmt von einem Krimiautor entdeckt. Wegen dem Namen. Wusstet ihr, dass in dem Begriff „Krimiautor" das Wort „Miau" steckt? Ich feiere diese Autoren!
Schließlich entfernte ich mich etwas vom Dorf, um mir einen Überblick zu verschaffen. Dann sah ich in der Finsternis einen miesgelaunten Zwerg, der mit grimmigem Gesicht auf das Dorf zustampfte. Kein Zweifel; das war Thorin! Sein dunkler Mantel flatterte etwas im Wind und seine braune Lederkleidung war darunter erkennbar, welche mich noch einmal deutlich davor warnte, mit ihm Streit anzufangen. Mein Blick wanderte über seinen kurzen Bart und blieb an seinen Haaren hängen. Ein Dutt würde ihm sicher stehen.
Es war aber echt krass, dass er fast zwei Köpfe kleiner als ich war. Jetzt konnte man endlich von Weitem sehen, wer das meiste Niveau hatte.
Das hatte ich. Eindeutig.
Entschlossen näherte ich mich ihm. Er durfte bloß nicht merken, dass ich eine Elbe war! Aber wenn ich mich an ihn hängte, würde ich garantiert zurückfinden, denn er fand Bilbos Höhle in den Büchern ja auch immer. Wäre auch ziemlich dumm, wenn nicht.
Ich kontrollierte noch einmal die Verdeckung meiner Spitzohren durch meine wunderschönen Haare, bevor ich Thorin freundlich ansprach: ,,Verzeiht, seid ihr der große König Thorin Eichenschild?''
Thorin musterte mich und sprach mit geschwollener Stimme, während er stehen blieb: ,,Wer verlangt dies zu wissen?!''
Danach verzog er abschätzig sein Gesicht. Wahrscheinlich hielt er mich für den einfacheren Pöbel. Pah. Dabei war ich doch eine angehende Vala.
Was zur Hölle fand Celina nur an ihm?
,,Ich bin Zora, äh, Silberstern und nehme auch an der Reise teil. Mithrandir rekrutierte mich erst vor kurzem.'' Kaum, dass ich Mithrandir gesagt hatte, hätte ich mich am liebsten geschlagen. Wir wollen nicht auffallen als Elbe und was machen wir dann? Genau, wir nennen Gandalf so, wie die Elben ihn nennen. Es bräuchte schon ein Wunder, damit er meinen Fehler nicht bemerkt hatte.
,,Mithrandir?! Seid ihr etwa eine von diesen verräterischen Elben?''
Scheinbar hatte ich einfach kein Glück, was Wunder anging. Leider. Raynas Glück war bei Wundern hingegen schier unerschöpflich. Oder war es doch Glück? Sie war diejenige, die vierblättrige Kleeblätter fand, die vor Klassenarbeiten krank wurde und die bei Glücksrädern den Hauptpreis gewann. Aber einmal schleppte sie etwas ganz anderes mit, als einen Hauptgewinn.
Erlauben wir uns einen kleinen Blick, zurück in die Vergangenheit:
,,Ich will aber nicht zu so einem doofen Eishockeyspiel gehen.", beschwerte sich Rayna lautstark. Ich verdrehte genervt die Augen. Langsam konnte ich den Spruch nicht mehr hören und wünschte mir nichts sehnlicher, als einen Amokläufer. Dann würde ich einfach Rayna als Schutzschild verwenden und die Sache war gebongt, gel?
,,Wieso muss ich eigentlich an Stelle von Cel mit zu diesem Spiel? Die hat sich doch bestimmt nur krank gestellt!", meckerte Rayna weiter und blieb stehen. Ungeduldig griff ich ihren Arm und zog sie weiter Richtung Pferdeturm. Heute war Freitag, der zwölfte Januar. Es war saukalt, denn der Winter hatte verschlafen und war einen Monat zu spät. Dementsprechend waren Rayna und ich dick in Kleidung eingepackt.
Celina hatte sich leider vorgestern verkühlt und lag jetzt krank im Bett. Damit sie was zum Nachdenken hatte, hatte ich ihr einige Kopfkino-verursachende Bilder und die Openings von Biene Maja und Wicki geschickt. Ich war ja ein netter Mensch. Die Antwort kam postwendend in Form eines eher unhöflichen Emojis. Kann ich gar nicht verstehen.
Eigentlich wollten ja Celina und ich zusammen zum Spiel der Hannover Scorpiens gegen Hannover Indians gehen, da wir beide Fans waren, wenn auch von der jeweils anderen Mannschaft. Die Karten waren unser gemeinsames Weihnachtsgeschenk für uns beide gewesen. (Rayna hatte ich einen Kaktus geschenkt, sie hatte sich gefreut. Inzwischen ist er ihr übrigens eingegangen. Fragt nicht wie.)
Celina hatte ihre Karte aufgrund ihrer Krankheit Rayna geschenkt, beziehungsweise ihr gedroht, wenn sie mich nicht begleiten würde, würde sie zu Beathe fahren und sie treten. Das wirkte.
Natürlich hatte ich mich bei Celina über Raynas Gesellschafft beschwert, aber sie hatte nur gemeint, dass sie mich mit ,,vollständig fehlendem Orientierungssinn" nicht alleine rumlaufen lassen würde, weil ich am Ende noch in Narnia landete und ich sowieso eine „Gefahr für die Gesellschafft" darstellte. Dann hatte sie aufgelegt und mich beleidigt am anderen Ende der Leitung zurückgelassen.
Deshalb stand ich jetzt durchfroren mit einer Rayna irgendwo in Hannover und las mir Celinas Wegbeschreibung durch. Eigentlich hätten wir schon vor einer viertel Stunde in der Eishockeyhalle ankommen sollen. Und in der Wegbeschreibung stand auch nichts von einem Zoo, vor welchem wir gerade standen.
,,Du, Rayna." Ich bekam einen finsteren Blick mit einem noch finsterem:
,,WAS?"
So langsam traute ich mich nicht mehr, es auszusprechen. ,,Es könnte... Eventuell... Also hier steht halt... Wir haben uns... So ganz eventuell verlaufen?"
,,Ernsthaft?!
Das ist jetzt nicht dein verdammter Ernst, Zora! Aber wieso überlasse ich eigentlich der Person, mit der schlechtesten Orientierung in ganz Deutschland die Wegbeschreibung?! Ich geh jetzt hinter die Ecke zum Klo! Wenn ich wiederkomme, hast du gefälligst eine korrekte Reiseroute!", explodierte Rayna schreiend, fuchtelte dann mit den Armen, und warf mir noch einen bösen Blick zu, bevor sie fluchend um die Ecke verschwand. Das war dann mal ein Abgang. Aufs Klo. Ich erlaubte mir kurz, über ihr Ziel zu lachen und entsperrte mein Handy.
Dann tippte ich schnell, hochkonzentriert auf dem Gerät rum und versuchte Google Maps richtig zu nutzen. Auf eine ausflippende Rayna hatte ich heute wirklich keine Lust! Am Ende hatte ich zwei Ruten zu zwei unterschiedlichen Orten. Wie hatte ich das hingekriegt?! Vielleicht sollten Rayna und ich uns aufteilen. Eine würde es wahrscheinlich ins Eisstadion schaffen.
Plötzlich brummte mein Handy. Rayna hatte mir eine Nachricht, zusammen mit einem Foto geschickt. Reflexartig löschte ich das Foto, ohne darauf zugucken. Es war ein Schutzinstinkt meines Gehirns. Ihr wollt nicht wissen, was ich alles schon für seltsame Bilder von ihr bekommen hatte. In der Nachricht stand, dass wir jetzt einen Esel mehr hatten. Außerdem sollte ich die Polizei rufen. Meine Antwort, ein Fragezeichen, wurde bis heute nicht beantwortet.
Als Rayna vom Klo zurückkam, hatte sie tatsächlich einen Esel mehr bei sich und es war nicht Celina, sondern ein echter Assinus.
Damals vor zwei Jahren, hatte Rayna tatsächlich einen Esel neben dem Dixiklo gefunden und Finderlohn erhalten. Glücklicherweise hatte sie noch Pferdeleckerlies in der Tasche (Wer, der reitet, hat das nicht) und so konnten wir den Esel bei uns bestechen, sodass er brav mit uns auf die Polizei wartete. Sie hatte vom Eigentümer schließlich hundert Euro Finderlohn erhalten und landete in der Zeitung.
Und was lernen wir daraus? Wenn du musst, dann geh aufs Klo, egal wo. (Wir wissen bis heute nicht, wo dieses verfluchte Eisstadion liegt.)
Nachdem Thorin mich gefragt hatte, ob ich eine „verräterische Elbe" war, musste ich mein wahres Gesicht, beziehungsweise meine wahren Ohren verstecken. Also versuchte ich sofort, meine Identität als Alles-Aber-Definitiv-Keine-Elbe zu wahren und antwortete entrüstet: „Nein, das ist doch wohl sichtbar!''
Haha, ja klar! ,,Sonst hätte ich mich nicht einer Reisegruppe voller Zwerge angeschlossen! Gandalf ist nun mal ein grauer Pilger. Nun kommen wir zum Grund dieses Gespräches; wisst ihr, wo der Treffpunkt ist? Ich scheine mich verirrt zu haben.''
Thorin warf mir, von der Wendung des Gespräches überrascht, einen griesgrämigen Blick zu und fuhr fort: ,,Selbstverständlich. Ich wurde bestens darüber informiert. Folgt mir!''
Wir irrten eher durch die Hügel, als das wir ein Ziel hatten. Soviel dazu, dass es bestens informiert wurde. Der hatte Gandalf bestimmt nicht ganz zugehört.
Das konnte ich aber verstehen, grau war ja eh langweilig. Vielleicht sollte Gandalf eher mal was Neonpinkes oder Grellgelbes anziehen. Und den Hut etwas weiter nach vorne lehnen. Hehe, Einhorn, ich komme!
Während ich so einen Schritt hinter Thorin her schlenderte und vor Langeweile fast starb, fragte ich mich kurz, ob das mit meinem Geschlecht noch zum Thema kommen könnte. In den Filmen oder Büchern hatte ich nichts von diesem Sexismus vernommen.
Der Sexismus da war sowieso ein falsch geleiteter Fakt aus Mittelerde. Die Zwerge hatte nur noch ein Drittel Frauen und beschützten sie deshalb. Eine Zwergin war eben seltener als ein Zwerg.
Aber auf der anderen Hand waren wir immer noch in Mittelerde. In mittelalterlichen Zeiten. Und es war wahrscheinlich nicht sehr üblich, Mädchen mit auf Reisen zu nehmen. Außer sie hießen Legolas.
Badusch.
Nimm das, Grünblatt!
Wo wir schon bei Geschlechtern waren: ,,Werter Thorin, ich muss euch allerdings vorwarnen;''
Der Zwerg schaute mich nicht an, aber ich fuhr begierig auf seine Reaktion fort. ,,Celina ist in euch verknallt.''
,,Ist das etwa ein Wort auf Sindarin?!", alarmiert fuhr Thorin zu mir rum und durchleuchtete mich mit zusammengekniffenen Augen. Paranoid war er ja, unser Zwergenkönig.
Schnell wank ich ab. „Das ist ein eher neuartiges Wort aus... Gondor. Es bedeutet, ähm, sie liebt euch?"
Thorin starrte mich kurz misstrauisch an und ignorierte mich dann wieder.
Das war doch ein erfolgreicher erster Kupplungsversuch!
Lasst mich.
Solange ich nicht von seinem Schwert aufgespießt wurde, war alles was ich tat, erfolgreich. Allerdings hatte ich seltsamerweise das Gefühl, dass er mich nicht leiden konnte.
Sobald Dwalin ihm erzählte, dass ich eine Elbe war, hasste er mich vermutlich komplett. Wahrscheinlich wussten jetzt bereits alle Zwerge, außer Thorin, dass ich eine Elbe war, da Dwalin seine Klappe bestimmt nicht halten konnte. Wieso hatte ich ihn bitte überhaupt alleine gelassen?! Das war die schlechteste Idee gewesen, die ich hätte haben können! Ach warte, das war ja Celinas Schuld. Blöde Celina.
„Blöde Celina.", murmelte ich fast lautlos und folgte weiter dem erdigen Weg. Beutelsend war echt schön und friedlich. Wenn wir, anders als Cel vermutete, nach den Filmen nicht verschwinden würden, würde ich mich hier einnisten. Die Höhlen und die Wiesen vermittelten mir allgemein eine ziemlich freundliche Atmosphäre.
Thorin warf mir nach einer Weile einen gelangweilten Blick zu. ,,Ach, tatsächlich?"
Verwirrt starrte ich ihn an. Was tatsächlich? War das eine Antwort auf meine Äußerung? Wieso hatte der so lange gebraucht? War er heimlich ein Baumwächter? Dann war er langweilig und griesgrämig. Was bemühe ich mich überhaupt. Sein Gesicht sah wie immer aus wie drei Tage Regenwetter. Sollte der Typ mir doch gestohlen bleiben. Beleidigt schmollte ich.
Verkupplungsversuch verschoben, weil Zielperson blöd.
Nach einer Weile peinlichen Schweigens erblickte ich endlich einen vertrauten Baum. Hey, ich war zurück!
Anbei, ich streue diesen Esel nicht völlig random ein und auch nicht, um Wörter zu prellen...
Spyke
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top