5 - Schwiegermutters Liebling

In der Limousine ist es stickig und warm. Außerdem dröhnt so laute Musik aus den Boxen, dass ich befürchte, mein Trommelfell könnte jede Sekunde explodieren.

Sobald sich der Wagen ruckelnd in Bewegung gesetzt hat, bietet mir Lucifer ein Glas Sekt an.

„Nein danke!", lehne ich ab. Nicht, weil ich Sekt nicht mag, sondern weil ich Angst habe, die Kontrolle über meine Gedanken zu verlieren, wenn ich angeschickert bin. Ein Tropfen Alkohol zu viel und ich würde allen Hochzeitsgästen von Kinsleys Dämonenbeschwörung erzählen. Es ist also besser, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Während ich angespannt auf meinem weißen Ledersitz hocke, nippt Lucifer immer wieder an seinem Sektglas. Nebenbei grölt er die aktuellen Charts mit. Wohlbemerkt schrill und schief, weshalb sich meine Nackenhaare aufstellen.

Oh Gott. Worauf habe ich mich hier bloß eingelassen?

Es war eine furchtbar dumme Idee, den Teufel höchstpersönlich zu Juliets Hochzeit einzuladen. Blöderweise gibt es aber kein Zurück mehr, denn in genau diesem Moment bleibt die Limousine vor der Kirche stehen, in der Juliet und Greg getraut werden.

Ein zittriger Atemzug verlässt meinen Mund. Ich spüre, wie ich von einer Welle der Nervosität überrollt werde und kralle meine Finger hilfesuchend in den Ledersitz.

„Bist du bereit, Hailee?", fragt mich Lucifer mit einem vorfreudigen Grinsen auf den Lippen.

„Nein!", antworte ich ihm wahrheitsgemäß.

Mein Körper zittert, mein Herz rast und meine Gedanken überschlagen sich. Als wäre das nicht schon schlimm genug breiten sich zusätzlich Schwindel und Übelkeit in meinem Magen aus.

Wie gut, dass ich keinen Sekt getrunken habe, denn der wäre spätestens jetzt auf meinen Füßen gelandet ...

„Ach, entspann dich, Hails!" Lucifer boxt mir aufmunternd gegen den Oberarm. „Alles wird gut! Ich bin mir sicher, dass wir viel Spaß haben und den Tag genießen werden."

„Hoffentlich ..."

Bevor ich mich noch tiefer in den Fluten meiner Ängste und Zweifel verlieren kann, öffnet Lucifer die Autotür. Ganz der Gentleman streckt er mir seine Hand entgegen und hilft mir beim Aussteigen.

„Lass mich bloß nicht los!", zische ich ihm panisch zu, als ich in meinen High Heels auf dem Asphalt zum Stehen komme. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an und drohen, jeden Augenblick unter meinem Gewicht nachzugeben.

Scheiße! So aufgeregt war ich noch nie zuvor in meinem Leben.

„Keine Sorge! Ich bin da und passe auf", wispert mir Lucifer leise zu, nachdem er die Tür der Limousine geschlossen hat. Wie von selbst legt er seine Hand zwischen meine Schulterblätter und spendet mir damit Kraft, Energie und Halt.

Vielleicht klingt es komisch und albern, aber in seiner Gegenwart fühle ich mich direkt ein bisschen sicherer.

„Und vergiss nicht, zu lächeln, Hails. Wir werden nämlich von allen Seiten angestarrt. Wie Aliens."

Was?! Schlagartig löse ich meinen Blick vom Asphalt und schaue stattdessen nach vorne. Ein langer Weg, der geradewegs zu der Kirche führt, erstreckt sich vor Lucifer und mir. Seitlich blühen mehrere Blumen, die einen Tanz aus bunten Farben aufführen.

Neben der Eingangstür tummelt sich eine große Menschentraube in Festkleidung. Wahrscheinlich ist es übertrieben, aber ich habe das Gefühl, als würde jeder Einzelne von ihnen Lucifer und mich auf Schritt und Tritt beobachten.

Oh Gott. Jetzt bloß nicht stolpern!

Zu gerne würde ich mich in Luft auflösen, doch weil das natürlich nicht möglich ist, bemühe ich mich darum, meine Schultern zu straffen und mein Kinn selbstbewusst in die Höhe zu recken.

Zwischen den vielen fremden Gesichtern erkenne ich nach einer Weile auch meine Eltern. Erst sind sie noch in ein Gespräch miteinander verwickelt, bis sie verstummen und ihre Köpfe synchron in die Richtung von Lucifer und mir drehen.

Ich kann genau beobachten, wie sich ihre Augen überrascht weiten und ein glückliches Strahlen an ihren Mundwinkeln zupft.

„Hailee!" Mom kommt mir mit schnellen Schritten entgegengelaufen – trotz Monster-High Heels. Auch Dad setzt sich in Bewegung, ist aber wegen seines Bierbauches und seiner chronischen Knieverletzung deutlich langsamer.

„Wie schön, dass du da bist!" Mom bleibt vor mir stehen und mustert mich gründlich von oben bis unten. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, leuchten ihre Augen kräftiger und vermitteln mir das Gefühl, als würde sie vor lauter Stolz explodieren.

Nach etwa einer halben Minute wandert ihr Blick weiter zu Lucifer. Sie streckt ihm ihre Hand entgegen und säuselt fröhlich: „Guten Tag, junger Mann. Ich bin Margot Grey, die Mutter von Hailee."

Innerlich sterbe ich gerade tausend Tode. Hoffentlich ist Mom mit meiner Date-Auswahl zufrieden.

Charmant, wie Lucifer scheinbar sein kann, ergreift er ihre Hand und schüttelt sie. „Freut mich sehr, Sie kennenzulernen", erwidert er freundlich. „Ich bin Luke, der Freund von ihrer bezaubernden Tochter."

Wie bitte?

Ich reiße entsetzt meine Augen auf und kann nicht verhindern, dass meine Kinnlade auf den Boden hinabfällt.

Es ist die eine Sache, dass er sich Luke nennt, aber eine ganz andere, dass er irgendwelche Behauptungen aufstellt, die nicht mal ansatzweise der Wahrheit entsprechen.

„Freund?", wiederholen Mom und ich gleichzeitig. Noch in demselben Atemzug kommt Dad bei uns an und möchte verwirrt von mir wissen: „Warum hast du uns denn nichts von deinem neuen Freund erzählt, Hails?"

Tja, weil ich bis gerade nicht wusste, dass ich einen neuen Freund habe!

Da ich noch immer sprachlos bin, übernimmt Lucifer – oder sollte ich lieber Luke sagen? – das Antworten. „Unsere Beziehung ist noch sehr frisch", behauptet er so selbstbewusst, dass selbst ich ihm seine Lüge glauben würde. „Es ist ja auch noch gar nicht so lange her, dass sich Hailee und Tyler getrennt haben. Wir möchten es langsam angehen lassen. In unserem eigenen Tempo."

Komischerweise ist es mir egal, dass Lucifer den Namen von meinem Ex Freund erwähnt. Mein Herz schlägt zwar für zwei Sekunden schneller, aber es wird kein Schmerz durch meinen Körper gepumpt.

Das nenne ich mal einen gelungenen Fortschritt in Sachen Liebeskummer!

„Wehe, du behandelst meine Prinzessin nicht gut!" Dad wirft Lucifer einen ernsten Blick zu, doch an dem Funkeln in seinen Iriden erkenne ich, dass er Luke schon längst als Partner an meiner Seite akzeptiert hat.

Wahrscheinlich würde er aber auch jeden anderen akzeptieren, der nicht Tyler heißt und nicht am anderen Ende der Erde lebt.

„Keine Sorge", beschwichtigt Lucifer meinen Dad mit einem sanften Lächeln, „ich werde Hails auf Händen tragen und ihr die Welt zu Füßen legen. So eine faszinierende Frau wie sie habe ich noch nie zuvor kennengelernt."

Obwohl Lucifers Worte nicht ernstgemeint sind, lösen sie ein warmes Kribbeln in meinem Körper aus.

„Es ist schön, zu sehen, wie sehr du unsere Hailee wertschätzt!" Tatsächlich haben sich winzige Freudentränen in Moms Augen geschlichen. „Sie hat einen Mann an ihrer Seite verdient, der weiß, wie besonders sie ist!"

„Glauben Sie mir, Margot, das habe ich schon bei unserem allerersten Aufeinandertreffen erkannt!"

Moms Blick wird mit jedem Wort weicher und liebevoller. Fast schon verträumt. Auch Dad scheint Lucifer vollkommen verfallen zu sein, wie sein zufriedenes Nicken zeigt.

Für beide steht fest, dass sie nur Luke als künftigen Schwiegersohn akzeptieren werden.

Da es mir total unangenehm ist, im Mittelpunkt zu stehen, wechsele ich das Thema, indem ich meine Eltern frage: „Wo sind eigentlich die Jungs?"

Normalerweise sind meine vier Brüder so laut und aufgekratzt, dass ich sie schon aus dreißig Metern Entfernung hören kann. Jetzt gerade fehlt allerdings jede Spur von den Chaoten.

„Sie sind schon in der Kirche", antwortet mir Dad. Sein Blick schweift zu seinem Handgelenk, wo eine goldene Uhr befestigt ist. „Wir sollten auch so langsam reingehen. Nicht, dass wir noch Juliets Trauung verpassen."

Sofort setzen wir uns in Bewegung und steuern die Eingangstür der Kirche an. Die Menschentraube, die dort noch vor wenigen Minuten stand, hat sich komplett aufgelöst.

Auch wenn mein Herz noch immer viel zu schnell schlägt, bin ich froh, dass Lucifer und ich die erste Hürde gemeistert haben.

Bleiben nur noch eine Millionen andere Hürden übrig ...

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