4 - Totenkopfmuster

Wenn es eine Sache gibt, die Lucifer perfekt zu beherrschen scheint, dann sind es spektakuläre Auftritte.

Ich stehe gerade im Badezimmer und ziehe meinen Lidstrich nach, als plötzlich schwarze Nebelschwaden unter dem Türschlitz hindurchkriechen. Rasend schnell breiten sie sich in dem gesamten Raum aus und rauben mir die Sicht.

Der Nebel brennt nicht nur in meinen Augen, sondern hinterlässt gleichzeitig ein unangenehmes Kratzen in meinem Hals.

Zum Glück ist dieser Zustand nicht von langer Dauer, denn nach wenigen Sekunden formt sich ein gigantisches Wesen aus dem Nebel. Zuerst erkenne ich zwei Hörner und einen langen Schwanz, aber sobald die Transformation abgeschlossen ist, steht kein Teufel, sondern Lucifer in seiner menschlichen Gestalt vor mir.

Seine schwarzen Locken hat er ordentlich zurückgekämmt und sein Drei-Tage-Bart ist fein säuberlich gestutzt. Selbst seine Augenbrauen sehen perfekt gezupft aus.

Wow, da scheint sich jemand genauso sehr herausgeputzt zu haben, wie ich.

„Guten Morgen, Hailee", trällert Lucifer fröhlich. Als wäre es das Normalste auf der Welt hockt er sich auf den zugeklappten Toilettendeckel und wirft mir ein breites Grinsen zu.

„Äh ... Hi?" Meine Stimme zittert und wird von einem nervösen Unterton dominiert.

Lucifer kann von Glück reden, dass ich nicht unter der Dusche stehe oder mein Geschäft verrichte, denn hätte er eine Grenze meiner Privatsphäre überschritten, hätte ich unseren Deal sofort abgebrochen. Juliets Hochzeit hin oder her.

Begleitet von einem Seufzen lege ich meinen Eyeliner zur Seite und mustere dann ausgiebig Lucifers Outfit.

„Du willst doch nicht ernsthaft in diesem Anzug zu der Hochzeit gehen, oder?", frage ich ihn misstrauisch.

Wie schon so häufig in den vergangenen Tagen zwinkert er mir frech zu und zuckt dabei unbekümmert mit den Schultern. „Warum denn nicht?", stellt er mir eine Gegenfrage. „Also mir gefällt mein Anzug."

Schon klar ...

„Wir besuchen aber eine Hochzeit und keine Beerdigung!"

Tatsächlich hat sich Lucifer einen pechschwarzen Anzug angezogen, der mit mehreren Totenköpfen bedruckt ist. Auch auf dem weißen Hemd, das sich über seinen muskulösen Oberkörper spannt, ist ein Skelett zu sehen.

„Oh man, du bist echt langweilig, Hailee", seufzt Lucifer unzufrieden. In derselben Sekunde schnippt er einmal mit den Fingern, sodass sein Körper von einer schwarzen Rauchwolke umhüllt wird.

Kaum hat sich der Nebel wieder gelichtet, kommt ein neuer Anzug zum Vorschein. Dieses Mal ist er dunkelgrau und lediglich auf dem Jackett mit Totenköpfen verziert.

„Besser?"

„Nein!", kommt meine Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Keine Totenköpfe und keine Skelette, okay? Am besten gar nichts, was mit Dämonen, Teufeln oder der Hölle zu tun hat."

„Spielverderberin!", mault Lucifer leise. Kurz habe ich Angst, dass er seine Kleidung nicht mehr wechselt, da schnippt er Gott sei Dank mit den Fingern und lässt sich wieder von der schwarzen Rauchwolke in Gefangenschaft nehmen.

Sobald sich die Nebelschwaden aufgelöst haben, schmiegt sich ein hellgrauer, schlichter Anzug um seinen Körper. Außerdem trägt er nun ein weißes Hemd und eine schwarze Fliege.

Wow. Ich bin sprachlos!

Zu gerne würde ich behaupten, dass mich Lucifers Anblick kaltlässt, aber das ist gelogen. Er sieht unfassbar heiß aus und wird bestimmt der Hingucker schlechthin auf Juliets Hochzeit sein.

„Und? Was sagst du?", erkundigt sich Lucifer erwartungsvoll bei mir, während er eine alberne Modelpose einnimmt.

„Ist ganz okay", lüge ich.

„Nur okay?", hakt Lucifer nach. „Komm schon, Hailee, ich sehe ja wohl rattenscharf aus, oder etwa nicht?"

Eigentlich schon, aber weil ich sein Ego nicht noch mehr pushen möchte, ignoriere ich seine Frage einfach. Stattdessen ziehe ich meinen roten Lippenstift ein letztes Mal nach und verschwinde anschließend in meinem Zimmer.

Blöderweise folgt mir Lucifer und macht es sich ohne zu fragen in meinem Bett bequem. Er verschränkt die Arme hinter dem Kopf, überkreuzt seine Beine und versteckt seinen Körper unter meiner geblümten Decke. „Süßer Fuchs", schmunzelt er mit einem Seitenblick auf mein Lieblingsstofftier.

Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob er sich über mich und meinen Fuchs Foxy lustig macht, wechsele ich das Thema, indem ich ihn auffordere: „Einmal Augen zuhalten, bitte! Ich muss mich nämlich umziehen."

Tatsächlich gehorcht mir Lucifer aufs Wort und verdeckt seine Augen mit seiner Hand. Ich warte ein paar Sekunden ab, ob er eventuell zwischen seinen Fingern hindurchlinst, aber als ich mir sicher bin, dass er nicht blinzelt, streife ich mir meinen Bademantel vom Körper und schlüpfe stattdessen in das rosafarbene Kleid, das ich mir extra für Juliets Hochzeit gekauft habe.

Wie sollte es auch anders sein, hat das Kleid einen Reißverschluss am Rücken, den ich nicht allein zuziehen kann. Da Kinsley bereits früh am Morgen zu ihrem Schwimmwettkampf aufgebrochen ist, gibt es nur noch eine einzige Person, die mir helfen kann. Und nein, damit meine ich nicht die alte Dame von gegenüber.

„Lucifer?" Ich spüre, wie mir siedend heiße Blitze in die Wangen schießen. Ohne ihn anzuschauen, trete ich einen Schritt auf mein Bett zu und frage dann peinlich berührt: „Könntest du mir eventuell dabei helfen, mein Kleid zuzumachen?"

„Nichts lieber als das!"

Keine Sekunde später spüre ich seine starke Präsenz hinter mir. Seine kalten Finger streifen ganz sanft über meine nackte Haut, während sie den Reißverschluss zuziehen. Das hat zur Folge, dass eine Gänsehaut über mein Rückgrat tanzt.

Verdammt! Hoffentlich bemerkt Lucifer das nicht!

Als der Reißverschluss nach ein paar Sekunden geschlossen ist, umrundet er mich und bleibt unmittelbar vor mir stehen. Seine saphirblauen Augen füllen sich mit einem geheimnisvollen Leuchten und ein sanftes Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln.

Es ist ungewohnt, so liebevoll angeschaut zu werden, doch es gefällt mir.

„Du siehst sehr hübsch aus, Hailee!", macht mir Lucifer ein Kompliment.

„Da-Danke", erwidere ich überfordert.

Es gibt nicht viele Momente, in denen ich mich selbst als hübsch oder schön bezeichnen würde, aber als ich mich in dem großen Ganzkörperspiegel betrachte, halte ich kurz überrascht die Luft an.

Bin das wirklich ich? Wow!

Ein rosafarbenes Kleid, das mit einem feinen Blumenmuster aus Spitze überzogen ist, umspielt meinen Körper. Meine Haare wellen sich in eleganten Locken über meine Schultern und rahmen mein perfekt geschminktes Gesicht ein. Vor allem meine kaffeebraunen Augen springen mir wie zwei Raubkatzen entgegen und erinnern mich an glänzende Bernsteine. Meine Füße stecken in weißen High Heels und an meinen Armen ranken sich mehrere, goldene Kettchen.

Als kleines Mädchen habe ich mir immer gewünscht, eines Tages eine Prinzessin zu sein. Scheint so, als würde dieser Traum endlich in Erfüllung gehen.

„Darf ich dir noch ein Accessoire schenken?", reißt mich Lucifers sanfte Stimme aus meinen Gedanken in die Realität zurück. Ohne auf meine Antwort zu warten, tritt er neben mich und öffnet ein kleines, rotes Schmuckkästchen.

Zum Vorschein kommt eine goldene Kette, an der ein Totenkopf befestigt ist.

„Dein Ernst?", frage ich Lucifer genervt.

Er lacht nur und schnippt mit den Fingern. Direkt wird die Kette von schwarzen Nebelschwaden verschlungen, bis sich der Rauch in langen Bindfäden auflöst und ein Sternenanhänger an der Kette baumelt.

„Wow", raune ich leise. Der Stern setzt sich aus mehreren Diamanten zusammen, die das Licht einfangen und in hunderte, bunte Strahlen brechen.

„Gefällt sie dir?", hakt Lucifer nach, obwohl die Antwort offensichtlich ist. „Irgendwie muss ich jedes Mal an einen Stern denken, wenn ich dich sehe. Weil du so wunderschön, aber trotzdem geheimnisvoll und unerreichbar für mich bist."

Ich schlucke schwer. Eine kribbelnde Gänsehaut überzieht meine Arme und mein Herz schlägt schneller.

Warum findet Lucifer immer so schöne und liebe Worte? Auch wenn es albern ist, fühle ich mich dadurch besonders.

„Warte. Ich helfe dir!" Vorsichtig legt mir Lucifer die goldene Kette um. Dabei streifen seine Fingerspitzen meine Haut, sodass erneut ein Feuer in meinem Inneren entfacht wird.

Man! Ich möchte nicht so extrem auf seine Berührungen reagieren. Dummerweise habe ich aber keinen Einfluss darauf.

Gott sei Dank lässt Lucifer recht schnell von mir ab und stiehlt sich zurück in mein Sichtfeld. Ein undefinierbares Funkeln verschleiert seine blauen Saphiraugen, als er ernst sagt: „Es gibt da noch eine Sache, über die wir sprechen müssen, Hailee."

Oh Gott. Sofort schrillen sämtliche Alarmsirenen in meinem Kopf und Schwindel und Übelkeit steigen in mir auf.

Offenbart er mir jetzt den Haken an unserem Deal? Ich befürchte es.

„Du musst dir keine Sorgen machen", verspricht mir Lucifer. „Im Grunde genommen geht es nur darum, dass ich Zutritt zu deinen Erinnerungen erhalte."

Wie bitte?

Meine Augenbrauen schießen in die Höhe und mein Mund klappt auf. Das soll wohl ein schlechter Scherz sein, oder? Leider beweist mir Lucifers stechender Blick das Gegenteil.

Er verlangt also wirklich von mir, dass er in meinen Erinnerungen herumschnüffeln darf? Das kann er vergessen!

„Hör zu", lenkt Lucifer meine Aufmerksamkeit auf sich, indem er nach meiner Hand greift, „deine Erinnerungen sind bei mir sicher. Ich werde sie nicht gegen dich verwenden und auch nicht weitererzählen. Ich brauche deine Erinnerungen nur, damit ich weiß, wer du bist und was deine Vorlieben sind. Sie helfen mir dabei, zu deinem perfekten Partner zu werden."

Lucifer schaut mich so aufmerksam aus seinen saphirblauen Augen an, dass mir schwindelig wird.

Als wäre es nicht schon verrückt genug, dass mich ein Teufel zu Juliets Hochzeit begleiten wird, möchte er nun auch noch in meinen Erinnerungen herumwühlen? Scheiße! Mein Leben ist sogar noch absurder als irgendein Fantasyfilm.

„Es ist wichtig, dass ich dich kenne, Hailee. Zumindest ein bisschen", redet Lucifer weiterhin auf mich ein. „Außerdem kann ich dann viel besser auf deine Wünsche und Bedürfnisse eingehen."

Unter normalen Umständen hätte ich Lucifer schon längst einen Vogel gezeigt, aber weil ich bis vor ein paar Tagen nicht mal an die Existenz von Dämonen und Teufeln geglaubt habe, seufze ich einmal und gebe nach. „Na schön", murmele ich, „aber wehe, du missbrauchst meine Erinnerungen."

„Du kannst mir vertrauen. Wirklich!"

Ganz langsam macht Lucifer einen Schritt auf mich zu. Er legt seine Zeigefinger an meine Schläfen und schließt dann seine Augen. Er bewegt zwar seine Lippen, doch es ist kein einziger Ton zu hören.

Komisch ...

Ich möchte ihn gerade fragen, ob etwas nicht stimmt, da strömt plötzlich ein warmes Kribbeln durch meinen Kopf. Es ist ein ungewohntes, aber keineswegs unangenehmes Gefühl. Meine Erinnerungen mit Lucifer zu teilen, fühlt sich richtig an.

Schon nach fünf Sekunden entfernt er sich wieder von mir und verkündet: „Fertig!" Daraufhin zupft ein freches Grinsen an seinen Mundwinkeln, das mir ehrlich gesagt Angst macht. Lucifer räuspert sich, bevor er mich schmunzelnd fragt: „Du bist also wirklich mal in der U-Bahn auf der Schulter eines fremden Mannes eingeschlafen?"

Was?!

Meine Augen weiten sich und mein Herz setzt für einen Schlag aus.

Scheiße, er hat wirklich in meinem Kopf herumgeschnüffelt. Begleitet von einem Fünkchen Panik stammele ich: „Du ... Du wolltest mich nicht mit meinen Erinnerungen aufziehen!"

Lucifer lacht. „Das war auch nur ein Spaß, Hails." Dreisterweise zwinkert er mir einmal zu. „Wenn wir nicht zu spät kommen wollen, sollten wir uns jetzt aber so langsam auf den Weg zur Kirche machen."

Ein flüchtiger Blick auf die Uhr verrät mir, dass er Recht hat.

Ich schnappe mir noch schnell meine Handtasche, bevor ich gemeinsam mit Lucifer die Wohnung verlasse und draußen die Tür absperre. Dann kraxele ich in meinen High Heels die vielen Treppenstufen hinab, die ins Erdgeschoss führen. Unten angekommen, hält mir Lucifer die Eingangstür auf.

„Du Gentleman!", kichere ich leise. „Danke!"

Doch Lucifers gute Manieren sind nicht die einzige Überraschung, die auf mich wartet. Denn in genau dieser Sekunde fährt eine schwarze Limousine vor, die direkt vor uns zum Stehen kommt.

„Bitte einsteigen!"

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