14 - Flucht mit Folgen

So langsam nervt es mich, ständig in Lucifers Gegenwart ohnmächtig zu werden. Bevor er wie ein Eindringling in meinem Leben aufgetaucht ist, hatte ich auch nie ein Problem damit.

Obwohl es mir schwerfällt, ignoriere ich Lucifer für den Rest des Tages. Stattdessen schaue ich Heiß und Heißer dabei zu, wie sie durch die Luft wirbeln und mir verschiedene Feuerkunststücke zeigen.

„Pass auf, Hailee!", ruft Heiß aufgeregt. „Wir probieren jetzt unseren allerneusten Trick aus, okay?"

Zwar habe ich gerade ganz andere Sorgen, doch ich nicke. „Okay." Kaum ist dieses eine Wort laut ausgesprochen, pustet Heiß einen großen Ring, der aus lodernden Flammen besteht, in Richtung Himmel. Nur zwei Sekunden später fliegt Heißer mit einem Rückwärtssalto durch den Ring hindurch und fängt währenddessen am ganzen Körper Feuer.

Mithilfe von zwei Schrauben schafft er es, die Flammen zu vertreiben und sicher auf der bunten Blumenwiese zu landen.

„Und?", fragt er mich aufgeregt. „Wie fandest du unseren Trick?"

„Äh ..." Ich kratze mich verunsichert am Nacken. „Gut?"

Heiß landet neben seinem Zwillingsbruder und schaut mich skeptisch aus seinen dunklen Knopfaugen an. „Lügst du etwa?"

„Tut mir leid, Jungs", seufze ich, „aber meine Gedanken sind gerade ganz woanders."

„Lass mich raten." Heißer fliegt auf mich zu und lässt sich schwer atmend auf meiner linken Schulter nieder. Sein Gewicht spüre ich überhaupt nicht. „Du denkst über deine Hochzeit nach, oder?"

„Na ja", zögere ich, „eher, wie ich die Hochzeit umgehen kann."

Die beiden Drachen werfen sich einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Für ein paar Minuten scheinen sie nur mit ihren Augen zu kommunizieren, bis sie gleichzeitig ein unzufriedenes Schnauben ausstoßen, das von winzigen Rauchwölkchen begleitet wird.

„Du kannst die Hochzeit nicht umgehen, Hails", behauptet Heiß.

„Denn wer einen Deal mit Lucifer bricht, wird mit dem Tod bestraft", fügt Heißer hinzu.

Sofort bildet sich ein großer Knoten in meinem Magen. Angst steigt in mir auf und eine Welle der Überforderung schwappt über meinem Kopf zusammen.

„Ich möchte Lucifer nicht heiraten!", winsele ich mit weinerlicher Stimme. „Aber ich will natürlich auch nicht sterben!"

Was soll ich jetzt bloß tun? Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, denn dann hätte ich niemals einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Lieber wäre ich allein zu Juliets Hochzeit gegangen oder hätte mich krankgestellt, statt in dieser ausweglosen Zwickmühle gefangen zu sein.

Ein Teufel bleibt nun mal ein Teufel. Ganz egal, wie nett und charmant er auch sein mag.

„Du musst ja nicht dein ganzes Leben lang in der Hölle bleiben", versucht Heiß schließlich, mich aufzumuntern. Vorsichtig wedelt er mit seinen Mini-Flügeln die Tränen beiseite, die sich aus meinen Augenwinkeln gelöst haben.

„Ach nein?", schniefe ich. „Wie lange denn?"

„Nur bis Lucifer euch scheidet!"

***

Da mir Lucifer nach unserem Gespräch am Vormittag nicht mehr zu vertrauen scheint, sperrt er mich am Abend wie Rapunzel in meinem Zimmer ein. Er riegelt die Tür ab und positioniert Heiß und Heißer als Wachmänner im Flur.

„Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, Hails", behauptet der Teufel. „Normalerweise sperre ich niemanden ein."

Ob ich ihm das glaube? Nein!

Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich mit meinen Fäusten gegen die Tür hämmere und vor lauter Verzweiflung schluchze, doch irgendwann bin ich so erschöpft, dass ich kraftlos zu Boden sinke.

„Hailee?", ertönt auf der anderen Seite die besorgte Stimme von Heißer. „Ist alles okay?"

„Nein", erwidere ich gebrochen. „Ich will nicht hierbleiben!"

Heiß und Heißer seufzen. „Aber du kannst doch dann jeden Tag mit uns spielen", bemüht sich Heiß, mir das Leben in der Hölle schmackhaft zu machen. „Außerdem gehört dir dann ein eigenes Schloss. Das ist doch total cool, oder etwa nicht?"

Obwohl mich die beiden Drachen nicht sehen können, schüttele ich den Kopf.

Niemals hätte ich erwartet, dass mein Leben so sehr aus den Fugen gerät. Eine falsche Entscheidung und schon steuere ich mit Höchstgeschwindigkeit auf den Abgrund zu.

Was mich jetzt noch retten kann?

Nur ein teufelssicherer Plan.

***

Mittlerweile ist es draußen stockduster und so etwas ähnliches wie ein Mond hat sich an den Nachthimmel gekämpft. Irgendwo in der Ferne höre ich den Gesang von Eulen und sogar das Jaulen eines Wolfes.

Würde mich die Sache mit der anstehenden Hochzeit nicht so sehr belasten, wäre meine Faszination für die Hölle bestimmt noch größer. So habe ich allerdings keine Zeit, um darüber nachzudenken, welche Tiere hier wohl einheimisch sind und welche Parallelen es allgemein zu dem Leben auf der Erde gibt.

Meine Zimmertür ist noch immer verschlossen und auch Heiß und Heißer müssen nach wie vor Patrouille im Flur stehen.

Langsam, aber sicher läuft mir die Zeit davon!

Ohne es steuern zu können, schwinge ich meine Beine über die Bettkante und tapse zu dem großen Fenster, das in Richtung Blumenwiese zeigt. Ein Blick nach unten verrät mir, dass ich mich nur ungefähr fünf Meter über dem Boden befinde.

„Moment mal", murmele ich aufgeregt. Auch wenn es vielleicht dumm und gewagt ist, formt sich langsam ein Fluchtplan in meinem Kopf.

Ich eile zu dem rosa Himmelbett und werfe sowohl die Decken als auch die flauschigen Kissen auf den Boden. Dann mache ich mich an den pinken Bettlaken zu schaffen und knote sie zusammen. Zwar ist mein neues Seil nicht sonderlich stabil, aber ich befestige es trotzdem an dem Bettgestell.

Als nächstes öffne ich möglichst geräuschlos das Fenster und werfe die zusammengeknoteten Laken in Richtung Freiheit, sodass das Seil etwa zwei Meter über dem Boden endet.

Wie gut, dass ich keine Höhenangst habe und über einen herausragenden Gleichgewichtssinn verfüge.

Ich hole noch einmal tief Luft, ehe ich mich an dem pinken Bettlaken festhalte und mit Wackelpuddingbeinen aus dem Fenster klettere. Ganz langsam drücke ich mich an dem alten Schlossgemäuer ab und seile mich Schritt für Schritt nach unten.

Das zusammengeknotete Tau macht zwar merkwürdige Geräusche, aber zum Glück reißt es nicht.

Als ich nach wenigen Sekunden das Ende des Lakens erreicht habe, löse ich meine schwitzigen Finger von dem weichen Stoff und lasse mich auf die Blumenwiese hinabfallen. Ich lande sicher auf meinen Füßen und setze mich dann sofort in Bewegung.

Nichts wie weg hier!

Meine Beine tragen mich ziellos in irgendeine Richtung. Da es dunkel ist, kann ich kaum etwas erkennen. Nur die Dornenbüsche, die aus dem Boden emporragen, stechen mir wie Pfeilspitzen in die Augen.

„Verdammt!", fluche ich leise, als ich keinen Fluchtweg finde. Überall sind Dornengewächse, die ein Durchkommen verhindern.

Blöderweise kann ich mich auch nicht mehr daran erinnern, wie Lucifer und ich von der Tartarus-Terrasse hierhergekommen sind.

So ein Mist!

Da Aufgeben keine Option ist, umrunde ich das Schloss ein weiteres Mal. Gerade als ich mich auf die Suche nach einer Heckenschere oder einem anderen Hilfsmittel machen möchte, taucht eine düstere Gestalt in der Finsternis auf. Nur gute fünf Meter entfernt von mir.

Die Gestalt ist deutlich größer als ein normaler Mensch und sieht furchteinflößend und bedrohlich aus. Ihr Körper setzt sich aus schwarzen Nebelschwaden zusammen und wird von mehreren Rauchwolken umhüllt. Ich erkenne spitze Zähne und glühend rote Augen, die mich an lodernde Feuerbälle erinnern. Außerdem ragen zwei Hörner seitlich aus dem Kopf und ein langer Schwanz peitscht wild durch die Luft.

Erst bleibt mein Herz nur stehen, doch dann rutscht es mir bis in die Hose hinab.

Dass es sich bei der gruseligen Gestalt um Lucifer höchstpersönlich handelt, steht außer Frage.

Scheiße!

Intuitiv mache ich auf dem Absatz kehrt und sprinte so schnell ich kann durch die Dunkelheit. Adrenalin schießt durch meine Adern, mein Herz überschlägt sich und Furcht duelliert sich mit meinem Überlebensinstinkt.

Ich habe keine Ahnung, was Lucifer mit mir anstellen würde, sollte er mich zu fassen bekommen, aber ehrlich gesagt möchte ich das auch gar nicht herausfinden.

Mit hastigen Schritten stolpere ich über den unebenen Untergrund und pralle plötzlich gegen etwas Hartes. Ohne den Blick heben zu müssen, verrät mir der verwesende Geruch des Todes, dass Lucifer vor mir steht.

Nur einen hoffnungslosen Herzschlag später bestätigen sich meine Gedanken, als Lucifer gespielt enttäuscht säuselt: „Hailee, Hailee, Hailee ... Was mache ich denn nur mit dir?"

Wahrscheinlich bin ich lebensmüde, denn ich schlage vor: „Lass mich bitte gehen, Lucifer! Dann helfe ich dir auch dabei, eine andere Frau für die Hölle zu finden!"

„Nein!" Seine Stimme schneidet sich wie die Klinge eines Messers durch meine Haut. „Ich habe eine bessere Idee." Ein schadenfrohes Lachen, das meinen ganzen Körper zum Zittern bringt, erfüllt die Luft.

Einzelne Tränen lösen sich aus meinen Augenwinkeln und kullern über meine Wangen.

Wo ist der charmante und zuvorkommende Mann, der mich zu Juliets Hochzeit begleitet hat? Ist Luke ein Teil von Lucifer oder existiert er überhaupt nicht?

Ich wage es nicht, den Teufel anzuschauen. Dennoch möchte ich voller Panik wissen: „Was ... Was hast du vor?"

Lucifer schnippt einmal. Keine Sekunde später landet eine goldene Kette mit einem Sternenanhänger in seiner Hand.

Sofort erkenne ich die Kette wieder, denn er hat mir das Schmuckstück damals vor Juliets Hochzeit geschenkt.

„Komm her, Hails!" Lucifer bückt sich zu mir hinab, doch ich weiche zurück. Noch immer wird meine Stimme von einem Erdbeben erfasst, als ich meine Frage wiederhole: „Was hast du vor?"

Lucifer seufzt. „Wenn du nicht freiwillig meine Frau werden möchtest, dann muss ich dich halt dazu zwingen!" Im Einklang mit seinen Worten legt er mir die Kette um den Hals und befördert mich in einen traumlosen Schlaf.

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