I'm killing loneliness ʚ
Dr. Fishbone verabschiedete sich und ließ mich mit dem eingegipsten Ungeheuer alleine zurück. Mit den Worten »Ruhe dich bitte den Nachmittag lang aus«, war die Tür ins Schloss gefallen. Was sollte man auch anderes hier tun, wenn man nicht mal in der Lage war sein Bett zu verlassen? In meinem linken Augenwinkel vernahm ich eine Bewegung und musste mit ansehen, wie Rachel ihre Füße ausstreckte und schwungvoll auf den Boden hüpfte.
»Meine Beine brauchen dringend eine Abkühlung bei der stickigen Luft hier drinnen und das Wasserbad ist einfach der Hammer. Vielleicht willst du ja mitkommen?«Sie machte eine nachdenkliche Miene und ich musste mich zwingen, nicht mein Kopfkissen nach ihr zu werfen.
»Oh, hab' ich ja fast vergessen. Du kannst mich ja gar nicht begleiten.« Mit einem breiten Grinsen stolzierte sie aus dem Zimmer.
Ich atmete tief aus und wollte mich gerade den Schubladen meines Nachttisches zuwenden, als die Tür erneut aufging.
»Na, hast du was vergessen?«, rief ich entnervt.
»Nicht das ich wüsste.« Eine Krankenschwester baute sich vor mir auf.
Ich schluckte verlegen und murmelte ein leises »Tschuldigung«.
»Schon vergessen, Rachel ist inzwischen im ganzen Krankenhaus bekannt. Eigentlich bin ich gekommen, um dir die restlichen Sachen mitzubringen.«
Die blondhaarige Frau stellte eine Vase Blumen auf die Tischplatte neben mir und platzierte davor eine kitschige Plastikkarte. Die Blüten der Pflanze sahen so farblos aus, dass ich die Schwester fast darum gebeten hätte, sie wegzuwerfen. Mit den Fingern angelte ich mir die Karte, auf der ein fettes Gute Besserung abgebildet war. Ich klappte das Papier auf und entdeckte die Handschrift meiner Mutter, die sich in der untersten Ecke versteckt hatte. Fast so, als sollte ich sie gar nicht lesen. War ja klar, dass die beiden außer eines krakeligen Mum & Dad's und des kümmerlichen Blumenstraußes, den sie bestimmt auf dem Hinweg bei einer Tankstelle erworben hatten, nichts für mich übrig hatten. Mit einem großen Bogen warf ich die Karte in den Papierkorb.
Mittlerweile war ich wieder alleine, da die Pflegerin in die Kantine aufgebrochen war, um mir ein leckeres Mittagessen zu holen. Mit einem lauten Vibrieren machte mein Handy auf sich aufmerksam. Ich schnappte mir das Blackberry und musste einige Sekunden überlegen, welchen Code meine Bildschirmsperre hatte. Ein klein bisschen Stolz überkam mich, als ich endlich im Hauptmenü angekommen war. Die zwei Wochen Koma hatten ein Glück nicht alles aus meinem Gedächtnis gelöscht. Die SMS war von Ted. Meine Hände kribbelten, als ich die Textnachricht öffnete und verwandelten sich beim Lesen der kargen Worte in trostlose Steine.
»Hey, Bee. Ich komm' Morgen vorbei, wenn ich Zeit habe.«
Meine Augen suchten vergeblich nach einem »Wie geht es dir?« oder »Hab' dich vermisst«.
Meine Laune besserte sich keineswegs, als mir die völlig überkochte Erbsensuppe serviert wurde. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so ein helles und geschmackloses Zeug hinuntergewürgt. Mit einer entschuldigenden Geste tischte man mir dann den Nachtisch auf. Grüner Wackelpudding, in dem sich irgendwelche dunklen Flecken verkrochen hatten. Ich musste mich zusammenreißen, dass mir das Essen nicht wieder hochkam. Als sich mein Magen einigermaßen beruhigt hatte, musste er schon die nächsten Strapazen über sich ergehen lassen.
Denn gerade als ich versuchte ein entspanntes Nickerchen zu machen, ließ sich Rachel wieder blicken. Diesmal nicht alleine sondern mit drei Mädchen, die ihr von der Art, wie sie vor mir auftraten, ziemlich ähnlich waren.
»Nicht wundern, ich habe meine Freunde eingeladen. Wir werden hier ein bisschen essen, denn das eklige Zeug, was wir hier sonst bekommen, kriegt doch keiner runter nicht wahr?« Spöttisch beäugte sie meinen zur Hälfte leergelöffelten Puddingbecher. Ihre Freunde ignorierten mich, rissen sich die Besucherstühle unter die Arme und nahmen neben Rachels Bett Platz. Neidisch musste ich zusehen, wie sie knusprige Pommes und Chicken Nuggets von McDonalds verspeisten. Hin und wieder warfen sie mir abfällige Blicke zu und tuschelten geheimnisvoll. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich deren Gesprächsthema war. Als sie dann auch noch in lautes Gelächter ausbrachen, verbarrikadierte ich mich hinter einer öden Zeitschrift, die nichts besseres zu tun hatte, als sich über irgendwelche Promis, die wohl nur alte Menschen kannten, das Maul zu zerreißen.
»Sarah, Gossip Girl läuft gleich.« Rachel bedeutete ihrer Freundin, sich die Fernbedienung zu schnappen, die am Rande meines Nachttisches lag.
Ich nahm alle Kraft zusammen, um mit den Fingerspitzen die Erste zu sein, doch leider war Sarah schneller und schnappte sich das Teil. Wie schon den ganzen Tag, war ich mal wieder die Looserin. In der Zwischenzeit hatten die anderen den Fernseher zur Seite gedreht, sodass ich nur noch die Hinterseite sehen konnte. Wieso hatten die Leute im Krankenhaus nicht vor jedes Bett einen Bildschirm gehängt? Wahrscheinlich gingen sie davon aus, dass man sich untereinander einigte. Das war bei mir Rachel absolut nicht der Fall.
Die Zeitschrift hatte doch noch etwas Gutes an sich gehabt, denn auf der vorletzten Seite fand ich ein Kreuzworträtsel, mit dessen Lösung ich den ganzen Nachmittag beschäftig war. Gegen Abend hörte ich die Erlösung vor meiner Tür.
»Maybee braucht Ruhe, aber ein paar Minuten können Sie sich mit ihr unterhalten.«
»Na, dann lass uns mal die Zeit sinnvoll nutzen, Alec.« Josh's Stimme kroch unter dem Türspalt hindurch an mein Ohr.
Die Mädchenclique neben mir war verstummt und sie packten bereits ihre Sachen.
»Bee!« Mein Surflehrer kam auf mich zugeeilt und zerquetschte mich fast in seiner überschwänglichen Umarmung. Mein Bruder war ein Glück etwas sanfter. Der Tag schien doch noch ein gutes Ende zu nehmen. Vergnügt schaute ich in Rachels zugleich erstauntes und neidisches Gesicht. Tja, so coole Freunde wie ich hatte sie anscheinend doch nicht. Meine Besucher hatten mir zum Abendbrot gebratene Nudeln mitgebracht. Josh erzählte mir allerhand neues aus der Surferwelt.
»Wie ist eigentlich der Wettkampf ausgegangen?« Eigentlich hatte mir der Arzt geraten, das Surfen für einige Zeit zu vergessen, aber meine Neugierde war schon immer unbesiegbar gewesen. Alec räusperte sich und fummelte an seinem blauen T-Shirt, auf dem sich aufgemotzte Autos ein Rennen durch die Straßen von Beverly Hills lieferten.
»Unser Teamwettkampf wurde abgebrochen.« Dabei klang das »abgebrochen« etwas seltsam und seine Augen bekamen einen ernsten Ausdruck. »Das Einzel fand wie geplant am nächsten Tag statt.«
»Und Erin ging als Siegerin hervor«, warf Josh ein.
»Schön«, brachte ich über die Lippen.
Richtig freuen konnte ich mich nicht und verspürte einen schweren Knoten in der Magengegend. Anscheinend war ihr der Wettkampf wichtiger gewesen als ich. Mein Bruder schien meine Verstimmung bemerkt zu haben.
»Sie hat zur Zeit sehr viele Pressetermine und konnte dich daher sicher noch nicht besuchen.« So sehr ich seinen Worten auch glauben wollte, der Knoten in meinem Bauch löste sich nicht.
»Die Besuchszeit ist um.« Doktor Fishbone war eingetreten.
»Schade«, jammerte Josh und zog einen Schmollmund, der mich zum Lachen brachte.
»Ich habe eben mit deinen Eltern telefoniert und wir haben beschlossen, dass sie dich morgen Früh abholen. Unsere Entscheidung ist auf das Kern Medical Center in Bakersfield gefallen. Ich bin mir sicher, dass du dort schnell wieder gesund wirst.«
»Das sind doch mal gute Nachrichten«, schrie Josh und klopfte mir auf die Schulter.
Mir fiel auf, dass er heute einen Zopf trug und seine Haare trocken waren, was ihm auch ganz gut stand.
»Ich werde dich auf jeden Fall ganz oft besuchen«, versprach Alec, ehe sich meine beiden Gäste von mir verabschiedeten.
Erleichtert lehnte ich mich nach hinten. Kurz flogen meine Gedanken noch einmal zu der SMS von Ted zurück. Aber ich verspürte keinen Drang, ihm zu berichten, dass ich Morgen nicht mehr hier sein würde. Sollte er doch seine Zeit in Gesellschaft der reizenden Rachel verbringen. Ich war erfreut, dass ich vor ihr das Krankenhaus verlassen konnte. So störte es mich auch nicht, dass ich den letzten Abend mit einem weiteren Kreuzworträtsel verbringen musste.
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