A tube is like a hole, endless and universal ○

»Maybee, wir haben jetzt deinen Koffer im Auto verstaut«, verklangen die Worte meiner Mutter im spärlich beleuchteten Gang, der vor meinem Zimmer entlang lief.

Die Zimmertür stand sperrangelweit offen, sodass ich von meinem Bett aus einen guten Blick auf das emsige Geschehen da draußen hatte. Rachel hatte den ganzen Morgen noch kein Wort rausgebracht und kauerte mit Kopfhörern bewaffnet auf ihrer Seite. Mit ein paar netten Worten zum Abschied brauchte ich also nicht zu rechnen.

»Haben wir noch irgendetwas vergessen?« Mit einem fragenden Gesichtsausdruck erschien meine Mutter wieder im Türrahmen.

»Bis auf die Tatsache, eure Tochter zu fragen, ob sie überhaupt in diese Reha-Klinik will, habt ihr rein gar nichts vergessen.« Ich biss wütend die Zähne zusammen, sodass dieser Satz keine Möglichkeit hatte meinen Mund zu verlassen. Einem Streit mit meinen Eltern wollte ich lieber aus dem Weg gehen. So beließ ich es dabei, ihn in meinem Kopf stattfinden zu lassen.

»Hast du irgendwo unsere Karte gesehen?«, wandte sich Adriana Clark wieder an mich. Neben den weißen Wesen, die hier im Krankenhaus durch die Flure streiften, wirkte sie in ihrem glattgebügelten, schwarzen Hosenanzug fehl am Platz.

»Nein, Mum. Bestimmt hast du sie bereits in meinem Gepäck verstaut.« Verstohlen blickte ich zum Papierkorb, aus dem noch die Wortfetzen Gute Be... herausragten.

»Der Doktor wollte noch etwas mit dir besprechen. Ich warte in der Zwischenzeit mit deinem Vater am Wagen«, riss mich meine Mutter wieder vom Mülleimer los und stöckelte auf ihren hohen Absätzen davon.

Keine Sekunde später setzte sich Doktor Fishbone auf meine Bettkante. »Maybee, ich bin sehr zuversichtlich. Selbst hier hast du einige Fortschritte gezeigt und in Bakersfield angekommen wirst du das ganz sicher noch ausweiten.«

Von welchen Fortschritten redete er bloß? Meine Beine waren immer noch so unbeweglich wie Betonklötze.

Ein verräterisches Räuspern ging von dem Arzt aus, als eine Krankenschwester einen Rollstuhl in den Raum schob.

»Mit dem wirst du dich vorerst anfreunden müssen.«

»Wie sollen das Ding da?« Ich zeigte mit meinem Finger auf das Gefährt. »Und ich jemals Freunde werden?«

»Du musst akzeptieren, dass es keine andere Möglichkeit gibt und es noch einige Zeit dauern kann, bis dich deine eigenen Beine wieder tragen können.«

»Und woher wollen Sie wissen, dass ich überhaupt jemals wieder selbständig gehen kann? Die Leute aus dem Medical Center können mir bestimmt genauso wenig helfen wie Sie. Dann kann ich meine Zeit lieber zu Hause verbringen.« Ich hatte mich so in Rage geredet und gar nicht bemerkt, dass ich dabei die Befestigung einer Kanüle auf meiner linken Hand losgerissen hatte.

»Die brauchst du sowieso nicht mehr. Und jetzt schauen wir mal, wie du dich auf dem Zweirad so schlägst.« Doktor Fishbone musste über seinen Aufmunterungsversuch selber lachen und auch ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

Er half mir auf die weiche Sitzfläche und stellte meine Füße jeweils auf eine schwarze Plastikstütze. Bisher hatte ich den Rollstuhl immer nur für den Weg zum Klo gebraucht. Von nun an musste ich längere Strecken damit bewältigen. Anstatt mich nach unten zu meinen Eltern schieben zu lassen, sollte ich gleich selbst Hand anlegen. Das Eisen-Rund am Reifen war eisigkalt, als ich meine Finger darum legte. Resigniert wollte ich sie wieder wegnehmen, ich fühlte mich wie eine Fremde, die da überhaupt nicht hineingehörte. Doch Doktor Fishbones zuversichtlicher Gesichtsausdruck veranlasste mich zu den ersten Bewegungen und ich war erstaunt, wie viele Meter ich mit einem Stoß hinter mich gelegt hatte.

Vor dem protzigen BMW meiner Eltern angekommen, spürte ich ein Stechen in meinen Armmuskeln.

»Das klappt doch schon ganz gut«, begrüßte mich mein Vater.

Zusammen mit meinem Arzt verfrachteten er mich auf den Beifahrersitz, vor dem ausreichend Platz zur Verfügung stand.

»Ich wünsche dir alles Gute auf deinem weiteren Weg.« Der Doktor hatte sich in die Hocke begeben und einmal mehr konnte man die asiatischen Züge an seinen Augen ablesen. Ich brachte nur ein leises »Danke« zu Stande, ehe sich die Autotür schloss und sich der Wagen immer weiter vom Krankenhaus entfernte.

Mit jedem Meter ließen wir aber auch das blaue Funkeln des Meeres hinter uns, was meine Laune wieder in den Keller brachte. Die Klinik in Bakersfield lag weit im Landesinneren.

»Möchtest du etwas essen?«, fragte meine Mum von hinten. Ich schüttelte nur mit dem Kopf und schweigend ging die Fahrt weiter. Meine Freunde konnten sich jetzt entspannt an den Strand legen und jede Sekunde der langen Sommerferien genießen.

Bevor ich noch weiter Trübsal blasen konnte, blinkte mein Blackberry auf. Eine SMS von Ted war gerade eingegangen. »Bee, wo bist du denn? Ich bin gerade im Krankenhaus angekommen und dann sagten sie mir, dass du heute Morgen abgereist bist. Kannst du dich vielleicht mal melden!?«

Wieder war in der Textnachricht kein »Ich vermisse dich« oder dergleichen enthalten. Passend zu meiner Stimmung fielen erste Regentropfen aus der dicken Wolkendecke und hallten auf dem Autodach wieder. Ich verfolgte mit meinen Augen ein besonders dickes Exemplar, das sich auf der Windschutzscheibe breit gemacht hatte. Ein leises Surren war zu hören, ehe der Scheibenwischer den Tropfen für immer von der Scheibe verbannte. Zusammen mit meinem Selbstmitleid versank ich noch tiefer im Autositz und war schon so weit, dass ich begann genauso zu fühlen wie der Regentropfen. Ich wurde einfach davon geschleudert. Weg von meinem Freunden, meinem Zuhause und dem Meer.

»Nanana«, erklang es aus dem Autoradio. Die Frauenstimme ließ mich aufhorchen. Besonders die Liedzeilen aus dem Refrain blieben in meinem Gedächtnis haften. »It's personal, myself and I. We got some straightening out to do. But I've gotta get a move on with my life. It's time to be a big girl now. And big girls don't cry.« Auf irgendeine Weise passten die Zeilen zu meiner momentanen Situation. Ich atmete einmal tief durch und beschloss in meinem Inneren, auf die Worte der Sängerin zu hören. Große Mädchen weinen nicht, sie müssen mit ihrem Leben weiter machen und lernen ihren eigenen Weg zu gehen, den Weg zurück ins Leben. Oh Mann, ich klang fast wie eine richtige Philosophin. Aber ich fühlte mich besser, der Knoten in meinem Magen war ein bisschen lockerer geworden.

Die restliche Zeit der Autofahrt versuchte ich zu schlafen, was mir bei dem ruppigen Fahrstil meines Dads nicht so ganz gelingen wollte. Ich stieß gerade mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe, als mein Vater ein enthusiastisches »Wir sind da!« durch den Innenraum schrie. Ich war ein wenig benommen und spürte mehrere Arme, die an mir herumfuchtelten.

Wenig später saß ich wieder im Rollstuhl und vor mir türmte sich das Kern Medical Center auf. Eine weiße Gestalt kam vom grauen Gefängnis her zu uns herüber gerannt. Bei genauerem Hinsehen konnte ich eine Frau erkennen, deren große Hängeohrringe das spitze Gesicht betonten. Darum rahmten sich schulterlange, schwarz gelockte Haare.

»Sie müssen Familie Clark sein. Mein Name ist Dr. Sarah Harsen und ich heiße Sie im Kern Medical Center herzlich Willkommen.«

Diese überschwängliche Begrüßung kam sehr gespielt rüber und ich schenkte meine Aufmerksamkeit lieber dem trostlosen Gebäude vor mir. An der Anzahl der Fenster konnte man ablesen, dass hier ziemlich viele Patienten untergebracht waren. Ich war jetzt eine von ihnen.

Mit einem kleinen Ruck bewegte sich mein Rollstuhl und ich wurde auf den Eingang zugeschoben. Im ersten Moment wollte ich noch protestieren, dass ich mich auch ganz gut alleine fortbewegen konnte, doch durch die lange Anreise war ich einfach zu müde dafür.

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