Unvergleichbar


Sie hätte klopfen sollen. Roderick hockte ohne seiner üblichen Aufmachung mit geblähtem Maul und streichelte sich die Membran. Er brummte und seine Lippen ploppten in einem Rhythmus, der Siobhan an einen gutlaufenden Motor erinnerte.

Sie schloss die Augen, blieb aber, wo sie war. Roderick schrie auf. Stoppte sofort ... was auch immer das war. Sie hörte ein dumpfes Poltern und hektisches Kleiderrascheln.

„Doo konnst döinö OOgön oofmochön", quakte er leise.

Sie tat es zögerlich. Er hatte sich in eine Moosdecke gewickelt, dass nur seine Augen herausschielten.

„Das nächste Mal klopfe ich an", beeilte sie sich zu sagen, bevor ihr einfiel, vielleicht gäbe es kein nächstes Mal. Wenn er die Nachrichten so gut auffasste, wie sie es hoffte, dass er es täte.

„Öch böttö doroom. Dos stört sonst mönö Mödötotiön."

Ah, also hatte er sich nicht selbst ... eine Freude bereitet, sondern meditiert. Nackt, für seine Verhältnisse. Siobhan lächelte. Sie verurteilte nicht, schließlich hatte jedes Wesen eigene Methoden zu entspannen.

„Willst du sie beenden und wir treffen uns in der Bar auf einen Kräutersud? Ich habe Wichtiges mit dir zu besprechen." Wenn sie so darüber nachdachte, hätte das von Anfang an ihr Plan sein sollen. Solche Neuigkeiten sollte sie ähnlich ruhig überbringen wie ihre „Du bist tot, hast aber noch nicht abgeschlossen mit deinem Leben. Deswegen bist du hier"-Botschaften. Doch die Freude über ihre Entdeckung hatte sie zu sehr mitgerissen. Auch jetzt brannten ihre Erkenntnisse ihr auf der Zunge, aber sie riss sich zusammen, um ihn nicht gleich zweimal so zu überrennen. So oder so würde das eine große Veränderung für ihn bedeuten.

Er nickte und die gesamte Moosdecke wackelte.

„Gut, ich bereite ihn vor. In zehn Minuten?"

„Moch ös öinö holbö Stoondö."

„Abgemacht, bis dann und tut mir nochmal leid."

Er blubberte etwas Unverständliches und sie verließ den Raum. An die geschlossene Tür gelehnt atmete sie ein paarmal tief ein und aus, um ihre Aufregung zu beruhigen. Hinter sich hörte sie, wie das Brummen wieder anfing. Zumindest einer konnte weiterhin entspannen.

Sie schlurfte in die Küche, vor der Dir und Boris auf Hockern warteten. Die Maske hatte sich aus der Ecke bewegt und sie waren in ein angeregtes Gespräch vertieft.

„Dir."

„Du."

„Dir."

„Du"

„Dir."

„Du"

„Dir!"

„Nein, das ist nicht richtig! Du ist richtig. Du heißt „Dir". Sag es, ich habe das auch lernen müssen."

„D-u ... ir. Dir."

Sie holte die Zutaten aus den Schränken und Laden. Auf Autopilot bereitete sie Rodericks Lieblingsgetränk vor und dachte nicht daran, ob es vielleicht das letzte Mal sein könnte. Stattdessen hörte sie weiter den beiden zu.

„Nochmal langsam. Du."

„Du? Dir du?"

„Ja, Dir bist du."

„Dir bist du!"

„Nein, ich bin Boris. Du bist Dir."

„Du bist Dir!"

„Das ist nicht der Satz!", protestierte Boris und trommelte mit seinen Fäusten auf den Tresen.

„Boris", schaltete sich Siobhan dazu, während sie ein paar extra Fliegen im Mörser zerbröselte. „Es ist doch super, dass Dir schon diesen Satz zustande bringt und es ist nahe genug dran, oder nicht?"

Er überlegte kurz und kaute auf seinem Daumennagel. „Du hast recht. Gut gemacht, Dir!" Er streckte der Maske ebenjenen Daumen, der gerade noch zwischen seinen Zähnen gewesen war, hin. Das Lächeln auf der Maske wurde breiter und die Schatten vibrierten.

„Du bist Dir! Dir, Dir, Dir!"

Siobhan und Boris kicherten, als Roderick herangehüpft kam.

„Öst mön Götrönk förtög?"

„Ja", flötete Siobhan, stellte das Getränk auf ein Tablett und ging damit aus der Küche. Der Magenbrüterfrosch hüpfte vor ihr zu seinem Platz und gemeinsam nahmen sie Platz.

„Woröbör wolltöst doo möt mör rödön?" Er nahm einen Schluck des Kräutersuds, den sie ihm zugeschoben hatte.

Siobhan faltete ihre Hände auf dem Tisch und rieb einen Knubbel auf ihrem Daumengelenk. So seltsam es war, ständig neue Knubbel auf ihrem Körper zu entdecken, so beruhigend war es nun für sie, darüber zu streicheln. Es half ihr, sich zu fokussieren.

„Du bist zu mir gekommen, nachdem du, deine Familie, deine ganze Art ausgestorben ist. Doch als einziger Magenbrüterfrosch kamst du zu mir. Warum?", begann sie am Anfang.

Eine Fliege knackte, als er sie zerdrückte und die Augen dabei zusammenpresste. Nachdem er sie wieder ansah, antwortete er: „Woroom frogst doo dos, wönn wör bödö dos wössön. Öch ..." Seine Zunge fuhr einmal über sein Gesicht und mit einem Schmatzen verschwand sie wieder in seinem Maul. „hobö noch nöcht obgöschlossön. Do wößt nöcht wö dos öst, dönö Ort zoo vörlörön ond zo wössön möt dör sönd ollö dö soo worön wö doo tot."

Er schniefte und versenkte sein Gesicht im Kräutersud. Das Platschen und seine Schlucke waren für einen Moment die einzigen Geräusche zwischen ihnen. Siobhan wischte über ein paar Spritzer, die auf der Tischplatte gelandet waren. Er hatte recht, sie wusste nicht, wie das war mit seiner Familie seine gesamte Art zu verlieren und in dem Wissen zu sterben, dass nun alles, was sie und ihresgleichen ausmachte, mit ihnen ging. Doch nicht verschwand, nicht vollständig.

Sie legte die Forschungsarbeit zwischen ihnen auf den Tisch.

„Wos öst dos?", quakte Roderick.

„Du hast recht, ich weiß nicht, wie das ist, in deiner Haut zu sein und will das auch nicht behaupten. Aber ich kenne es, die Familie sterben zu sehen und als Einzige zurückzubleiben. Das ist kein schönes Gefühl. Da kann ich auch nichts dagegen tun. Dennoch will ich dir etwas erleichtern und helfen, weiterzuziehen. Vielleicht hilft dir dieser wissenschaftliche Bericht. Er befasst sich mit dem neuesten Forschungsstand zu Magenbrüterfröschen, unter anderem auch Genklonen."

So schnell konnte sie gar nicht schauen, schnappte er sich die Arbeit. „Donkö", vernahm sie leise, nachdem er die zweite Seite umblätterte. Er war nicht so ungeduldig wie sie, sondern las sich alles von Beginn an durch. Dabei ließ er sich Zeit. Sie verstand das, wäre sie in seiner Lage, würde sie es auch genauestens wissen wollen, sollte es so etwas Weltveränderndes geben. Selbst wenn Roderick selbst die Folgen der Forschung nicht mehr erleben würde. Das Wissen darum könnte vielleicht helfen.

Siobhan merkte, dass sie störte und stand auf. Sie räumte die leere Tasse ab und machte in der Küche Klarschiff. An der Theke waren Boris und Dir immer noch in ein angeregtes Gespräch vertieft. Doch die Maske schien immer mehr auch Eigenes beizutragen, während Boris eine seiner Geschichten zum Besten gab. Während Siobhan die Tasse abspülte, bildeten sie eine schöne meditative Hintergrundgeräuschkulisse. 

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