Untreffbar


„Er tanzt ja. Vielleicht ist er gar nicht böse ... wer tanzt, kann nicht-"

„Kri, nein! Nicht den Schatten anfassen!"

„Öch konn nöcht sogen, ob ör löchelt oder troorig öst."

Ihre Gäste schnatterten wild durcheinander, während sie aneinandergedrängt vor dem Neuankömmling standen und ihn anschauten. Es war nah dran, unhöflich zu wirken, wie ihr ihre Mutter sicher mitgeteilt hätte, aber was sollte Siobhan sagen? Dieses Wesen hatte sie erschreckt! Sie verdiente eine kurze Verschnaufpause. Aber je länger sie dastanden und das Wesen beim Hin- und Herfließen betrachteten, desto weniger konnte sie es rechtfertigen.

Die Schatten waberten über den Boden. Umflossen ihre Füße, zogen sich wieder zurück. Doch anstatt in das Wesen zu fließen, kletterten sie die Wände hinter ihm hinauf und tauchten sie in absolute Dunkelheit. Boris' kleine Hand klammerte sich feucht an ihr Hosenbein. Als die Schatten wieder auf und um sie flossen, trippelte er kichernd. Die Maske des Neuankömmlings blieb ausdruckslos. Auch als sich der Vorgang mehrmals wiederholte, starrte das Wesen sie nur an. Siobhan war in ihrem jetzigen Dasein viel gewohnt, dennoch grummelte ihr Magen. Ganz geheuer war ihr das nicht. Doch geheuer konnte ihr das nur werden, wenn sie es kennenlernte.

„Willkommen in der Leb-Bar. Ich bin Siobhan, die Betreiberin und das sind meine Gäste. Wie heißt du?"

Die Maske veränderte sich nicht. Aber ein Stöhnen drang durch die Kneipe. Boris' Finger krallten sich tiefer in ihre Hose und Kri schlug ihre Zähne so hart aufeinander, dass Siobhan das Klappern hörte. Nicht die besten Voraussetzungen, aber vielleicht war das Wesen schüchtern. Locker legte sie eine Hand auf Boris' Schulter, bevor sie fortfuhr: „Dieser kleine Engel ist Boris. Roderick in Frack und Fliege. Die Dame hier links hört auf Kriemhild."

„Dame Kriemhild." Kri knickste, während sie ihre Finger nach dem Schatten ausstreckte.

„Hot sö dooch gesogt. Fönger wög!" Roderick hüpfte vor Kri und schnappte mit der Zunge nach ihren Fingern.

Sie knurrte und Siobhan lachte. Was für eine Vorstellrunde, aber zumindest zeichneten sie ein authentisches Bild vom Dasein hier. Ihre drei Gäste hielten inne und sahen sie verdutzt an. Boris zupfte an ihrer Hose.

„Was ist so lustig?", fragte er.

Siobhan gluckste weiter. Roderick quakte, röchelte und quakte weiter. Er lachte wohl, weil sie es tat. Kri blieb still, nickte aber leicht, während sie immer wieder zu dem Wesen schielte.

Richtig, das Wesen ... Siobhan wandte sich der Maske zu. „Jetzt kennst du unsere Namen, stell dich doch vor."

Unbewegt schwebte die Maske in all dem Schwarz und stöhnte. Doch es war anders als zuvor. Zuvor erinnerte es sie an ein langgezogenes Seufzen, wohingegen jetzt war es mehr ein abgehaktes Luftaushauchen. Fast als würde das Wesen ...

„Lachst du?"

Das abgehakte Atmen hörte auf. Jetzt standen sie wieder nur da und starrten einander an. Oder im Fall des Wesens, es starrte in ihre Richtung, aber einschätzen, ob es sie an-sah, konnte sie nicht.

Kri beugte sich vor, ihre Finger wie Krallen gekrümmt. Wollte sie das Wesen nun doch angreifen oder angreifen, ohne der mörderischen Absicht? Siobhan wollte es auf keine Antwort dieser Frage ankommen lassen.

„Die Essenszeit hast du, fürchte ich, verpasst. Aber ich kann dir einen kleinen Snack machen und wir setzen uns zusammen und reden in Ruhe?", fragte Siobhan den Neuankömmling. Normalerweise war eine Version davon ihre Standardbegrüßung, aber so ein mimikloses Schattenwesen hatte sie einfach überrascht.

Oh, vielleicht kann es nicht sprechen und sie stichelte in einer Wunde oder gab ihm eine unmögliche Aufgabe...

„Ist jetzt auch nicht so wichtig. Deine Geschichte und dich werden wir mit der Zeit schon rausfinden. Komm doch einmal an und ich zeig dir alles." Siobhan trat einen Schritt vor, doch Roderick hüpfte ihr vor die Füße.

„Moin Össön oond moinö Öckö söhst doo nöcht!" Er hüpfte zu dem Ecktisch, an dem er zuvor gesessen hatte. Die Maske folgte seinen Bewegungen. Ein einsames Ei kullerte noch auf Rodericks Teller und er verschlang es in einem Haps, während er den Neuankömmling anstarrte. Die Maske drehte sich wieder zu Siobhan.

„Dann zeige ich dir den Rest und wir lassen Roderick seine Ruhe. Kri, Boris, wollt ihr unseren Gast mit mir herumführen oder-"

Kri schlug ein letztes Mal ihre Zähne zusammen, knurrte und knickste. Bevor sie davontänzelte und durch eine der Hintertüren verschwand. Diese führte zu den Baderäumlichkeiten, die sie meist nicht bräuchten. Aber dennoch hatte Siobhan sie, um für Entspannung zu sorgen. Und um für Wasserlebewesen genügend Feuchtigkeit zu garantieren. Dann würden sie wohl mit dem Ruhebereich anfangen. In jeder anderen vergleichbaren Absteige hätten sie wohl Schlafräume geheißen, nur dass Tote nicht schliefen. Obwohl ein Gast Siobhan sagte, eine respektable Bar hätte keine Betten, aber dafür umso mehr Leute, die in solche gehörten. Das fand sie ein ziemlich fehlerhaftes Modell und nach ihrem Pakt mit dem Tod hatte die Lebbar Ruheräumen mit Betten. Durch eine unerklärliche Todesmagie gab es immer so viele Räume, wie Gäste waren.

Also standen nun Boris, sie und die Maske in einem Gang mit vier Türen. Doch am Ende, wo bisher ein Tischchen mit Vase stand, flimmerte die Luft. Knarzen und Knacken wie Holz, das brach und wuchs, betäubte ihre Ohren. Holzstaub wirbelte in der Luft und erfüllte sie mit dem unverwechselbaren Duft nach frischgefällten Bäumen. Das Tischchen mit der Vase stand nun vor einer einfachen Holztür mit Drehknauf. Damit war es offiziell: Die Lebbar hatte einen neuen Gast!

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