Unfühlbar


Die Leb-Bar war totenstill. Und trotz desselben Zustands der Gäste war das so gut wie nie der Fall. Doch Dir hatte einen vollständigen Satz gesagt, der nicht nur aus Pronomen bestanden hatte. Und wenn Siobhan die Frage richtig deutete, fragte er nach einem Empfinden. Seinem Empfinden, wenn er Kriemhild ansah. Das war die zweite große Neuerung: Dir kannte ihren Namen!

Sie hätte quietschen können, doch lieber führte sie ein Freudentänzchen auf und lachte. Boris, Dir und auch Roderick sahen sie an, dann sahen der Junge, der Frosch und sie wieder zu Dir. Dann einander und die beiden lachten mit. Boris stieß einen Jubelruf aus.

„Das war ein ganzer Satz!", quietschte er. Siobhan stützte sich auf der Theke ab und fixierte die Maske. Sie biss sich auf die Lippe, um sich zu konzentrieren.

„Stimmt, Boris. Das war es. Wirklich gut, Dir! Super und eine sehr gute Frage."

Nasses Hüpfen kündigte Roderick an, der mit der Arbeit unter Arm näherkam und sich auf einen der freien Hocker niederließ.

„Wos öst ös dönn, dos doo föhlst? Böschröb ös."

Siobhan setzte schon an, ihre Bedenken einzuwerfen. Schließlich fragte Dir ja sie, was er fühlte. Wie sollte er es da beschreiben können? Aber so ganz ohne Anhaltspunkte würden sie auch nicht weit kommen. Sie schloss den Mund wieder.

Dirs Schatten wogten gemächlich auf und ab. Die Maske wackelte von rechts nach links. Dir überlegte. Schon seltsam, wie sie ihn, obwohl er noch nicht lange bei ihnen war, langsam zu lesen verstand.

„Dir nicht gerne bei Kriemhild. Dir zittert ... passt auf, weil ... Gefühl. Was ist Gefühl?", flüsterte er.

„Ich hab auch gezittert, als ich Kri am Anfang kennengelernt habe. Sie kann einem echt Angst machen." Boris nickte mit düsterer Miene. Dir macht es ihm nach. Nur der Ausdruck seiner Maske änderte sich nur minimal um die Mundpartie, sonst neigte er einfach die Maske.

„Angst." Das Wort war leise. Doch da der Rest still dem Gespräch lauschte, hallte es in der Leb-Bar wider. „Dir hat Angst bei Kriemhild."

„Dir hat Angst VOR Kriemhild", korrigierte Boris mit ausgestrecktem Finger. Siobhan beugte sich über den Tresen und tätschelte Boris' Hand.

„Ist schon gut. Das ist viel auf einmal, die richtige Grammatik kann warten."

„Nein!" Er entzog ihr seine Hand und schlug damit auf den Tresen. „Mami mag mir zwar nicht folgen können, aber sie hat mir viel beigebracht und das muss jeder auch so lernen wie ich. Ich musste gleich alles lernen, Dir soll das auch tun."

Siobhan biss sich auf die Unterlippe und fuhr den Knubbel auf ihrem Daumengelenk nach.

„Dir hat Angst ... vor Kriemhild?", fragte Dir und Boris applaudierte.

„Genau! Das kann ich gut verstehen, aber wenn du sie näher kennenlernst, ist sie gar nicht sooo unheimlich. Schon noch, aber nicht mehr so arg", versicherte der Junge Dir.

„Dir hat Angst. Dir hat Angst. Dir hat Angst. Dir hat Angst. Dir hat Angst. Dir hat Angst." Er wiederholte es so oft, es bekam ein Singsang. Boris stieg mit ein und tanzte um die Stühle herum. Siobhan setzte sich ächzend auf den Schemel und beobachtete das Treiben. Die Leb-Bar war lebendig, so war es hier lebbar. Sie schmunzelte über ihren Wortwitz und rieb sich einen ihrer vielen Knubbel.

„Vor wem hat Dir Angst?", durschnitt Kris gezierte Stimme den Trubel. Von ihrem Ausbruch vorhin war nichts mehr zu merken. Ihre Haut schimmerte und der Duft nach Rosen erfüllte die Luft.Boris stand mit einem Mal still, die Maske erstarrte ebenso. Nur Roderick hüpfte zu Kri.

„Vor dör hot ör Ongst", quakte er.

„Ah." Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und ein wahnsinniges Glitzern trat in ihre Augen. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und kicherte. Als hätte ihr Schwarm ihr ein Kompliment gemacht.

„Siehst du, jetzt macht sie mir auch Angst", flüsterte Boris so laut, dass alle es hörten.

Siobhan verdrehte die Augen und versteckte ihren Kopf in ihren Händen. Was für eine Truppe!

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