1 / Grayson Curtis by JumpingLady

[ Eine für den Spaß, zwei für das Selbstvertrauen, drei für ein Mädchen und vier fürs Gegenstück. Fünf für Silber, sechs für den Sieg und sieben für mein Geheimnis, das keiner kennen sollt' ]

Graysons Sicht

Mut ist, wenn du um vier Uhr morgens knallvoll in das Haus deiner Eltern kommst, deine Mutter mit schreckgeweiteten Augen und halb verschlafen mit ihren Pantoffeln nach dir wirft, dein Vater hochrote Wangen bekommt und einem Wutanfall nahe steht und du den nächst besten Gegenstand ergreifst zurück wirfst und "Kissenschlacht" rufst. Ja, genau das ist Mut und genau das spielte sich vor ein paar Stunden im Flur unseres Hauses ab. Zu dem Wutanfall seitens meines Vaters kam es nicht mehr, da ich der Schwerkraft erlag und taumelnd zu Boden fiel.
Weder ausgeschlafen, noch ausgenüchtert oder halbwegs gut riechend wurde ich vorhin regelrecht aus dem Bett geworfen und zu morgendlichen Stallarbeiten verdonnert. Meine Argumentation, dass wir genügend Angestellte für diese Aufgaben haben wurde von meinen Eltern weder akzeptiert, noch für gut befunden, so kommt es, dass ich, Grayson Curtis, morgens um sieben Uhr, wohlbemerkt im Sommer, an einem herrlichen Tag und mit den Kopfschmerzen des Jahrhunderts mit meiner schicken Reithose bis zu den Knien im Stroh stehe und genau das mache, wofür meine Eltern andere Leute bezahlen.

"morgen" gerade torkelt Logan, ebenfalls noch total verschlafen und beschwipst an mir vorbei.
"morgen" gebe ich zurück ohne ihm großartige Beachtung zu schenken, immerhin weiß er ganz genau, was wir uns gestern im Club wieder gleistet hatten, nur hatte er das Glück nicht an Frau und Herr Curtis vorbei ins Haus zu müssen, sondern er konnte direkt in die kleine Wohnung für unsere zwei Bereiter huschen.

Meine müden Augen fallen mir immer wieder zu, ich drücke mein Gewicht gegen die Mistkabel in meinen Händen und stütze meinen Kopf auf dem Stiel ab. Wundervoll dieses Gefühl, für einen Moment könnte ich mir echt einbilden in meinem eigenen Bett zu liegen. "Grayson" die helle Stimme meiner Mutter holt mich aus meinem fast Schlaf. Sie steht an der Boxentür "Grayson" sagt sie noch einmal meinen Namen "komm beeil dich und trödel nicht so" Abgesehen von mir macht meine Mutter einen munteren und ausgeschlafenen Eindruck. Die Pantoffeln sind verschwunden und durch Reitklamotten ersetzt. Sie verschwindet wieder und lässt mich alleine. Es dauert nicht lange, da lehnt sich Logan an die Boxentür "auf Hopp Hopp. Hast du deine Mutter nicht gehört" lacht er und schaut mich belustigend an.
"sei still sonst machst du das gleicht" maule ich ihn an. Man sollte mit einem gereizten, unausgeschlafenen jungen Mann keine Witze machen und erst recht nicht wenn er ein Curtis ist, bei denen es genetisch bedingt ist, dass sie immer schnell auf hundertachtzig sind.

Nach weiteren drei Boxen habe ich spontan entschlossen meine kurzzeitige Karriere als Stallbursche über Bord zu werfen, aufgrund mangelnder Kompetenz und habe beschlossen mich wieder den wichtigeren Dingen zu widmen.
Jetzt bin ich mit Zynar, meinem hoch gelobten Wallach, an der Hand auf dem Weg zu unserem großen Wiesen.
Ein flüchtiger Blick auf meine Armbanduhr an meinem, durch den voranschreitenden Sommer gebräunten Handgelenk, verrät mir, dass mein Vater wohl bald wieder über den ganzen Hof rennen wird um mich fürs Training zu suchen. Mit einem Schulterzucken ist der Gedanke an meinen Vater schnell verschwunden.
Ich schließe meine Augen, vertraue auf Zynars Instinkt zu den saftigen Wiesen zu laufen und genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meinen nackten Armen.
Ein Zuppeln am Strick lässt mich kurz zusammenzucken, ohne das ich es bemerkt habe stehe ich und das Pferd vor dem Koppeltor. Ich schaue dem großen Wallach in die Augen. So klar, groß und rein sind seine Augen. Er visiert zwei andere Pferde auf der Koppel an, spitzt die Ohren und wiehert. Er reckt den Hals noch weiter nach vorn und weitet seine Nüstern. Durch den ohrenbetäubenden Lärm halte ich mir meine Ohren zu und mache einen großen Schritt zurück, bis sich Zynar wieder beruhigt hat und ich ihn zu den anderen auf die Koppel lasse.

Einen Moment schaue ich den drei Pferden zu. Zynar, der mir seid seinem vierten Lebensjahr gehört und der nun schon 12 Jahre alt ist, ein Tier an dem so viele Erinnerungen hängen. Mit ihm konnte ich mein erstes A - Springen für mich entscheiden und vor zwei Jahren trug er mich zu meinem ersten S - Sieg. Es ist fast schon unglaublich, dass früher niemand an diese Pferd geglaubt hat, meine Eltern hatten ihn schon fast aufgegeben, als er mit sieben Jahren immer noch keinen gescheiten Sprung machte. Aber ich wollte ihn nicht hergeben und habe mit viel Geduld, Schweiß und meinem verbissenen Ehrgeiz aus einem hoffnungslosen Fall ein Erfolgspferd gemacht.
Ein quietschen schallt über die Koppel, ich muss lachen als ich unsere Stute sehe wie sie vergebens nach Zynar auskeilt und sich in der Luft um 90° dreht. Feine Wolke, sie ist aus der eigenen Zucht meiner Mutter und hat sich schon mehrfach in schweren Prüfungen beweisen können. Sie ist auch als zickige und widerständige Stute eine meiner Lieblinge. Man weiß nie, was sie für einen bereit hält. Der dritte im Bunde ist Jonny D, mein Vater pflegt ihn 'der Unbezwingbare' zu nennen, wenn er mal wieder nicht das macht was er eigentlich soll. Unglaublich das dieses Pferd den gleichen Vater haben soll wie Feine Wolke, ich denke immer noch das er einfach nur ein Weideunfall war und einfach nichts für seine teilweisen Störungen kann.

Ich genieße das Gefühl meiner immer wärmer werdenden Haut, ein Luftzug geht durch meine Haare und am Horizont kreist ein Schwarm Vögel. Mit blinzelnden Augen schaue ich rauf zu der Sonne, allmählich versteckt sie sich hinter dicken Wolken und das wärmende Gefühl auf meiner Haut lässt nach.
Grimmig richte ich meinen Blick wieder zu den Pferden und dann nach links zu unserem Hof, es soll bloß nicht anfangen zu regnen. Es ist Sommer und da hat der Regen einfach mal eine Zwangspause einzulegen, ob er nun will oder nicht.

Vor meinen Gesicht zieht eine Hummel ihre Kreise, bevor ich sie mit einer schnellen Handbewegung verscheuchen kann setzt sie sich auf den Holzpfosten und ruht ihre Flügel aus.
Mit Neugier betrachte ich den kleinen, pummeligen Flieger. Es ist erstaunlich, das ein so dickes Tier mit so kleinen Flügeln überhaupt fliegen kann. Hummeln wiegen nicht einmal zwei Gramm und haben im Verhältnis zu ihrem Körper viel zu kleine Flügel um ihre Masse in die Lüfte zu schwingen. Ich muss schmunzeln. Manchen Dinge sind dann eben doch so einfach. Niemand hat der Hummel je gesagt, das sie nach den Gesetzen der Aerodynamik eigentlich gar nicht fliegen kann, aber trotzdem tut sie es.
Mein Blick fällt wieder auf Zynit, ja manche Dinge scheinen vielleicht unmöglich, aber sie sind möglich wenn wir nicht über das 'es kann nicht gehen' nachdenken.
Wie oft setzen sich Menschen mit diesen Worten selbst Grenzen, wie oft habe ich mir diese Grenzen gesetzt? Wie oft hatte ich in den Jahren auf die mein Erfolg im Springsport folgte gertrauert, geweint und den Glauben an mich selbst verloren? Wie oft hatte ich gedacht, aus mir würde nie etwas werden? Und jetzt stehe ich mit meinen 19 Jahren, als Top - Athlet vor einer großen Anlage mit stolzen Eltern und tollen Pferden. Zu oft dachte ich es gäbe kein Morgen, keine Zukunft, kein Entkommen aus den Schleifen des Misserfolges. Zu lang hat es gedauert, bis ich begriffen habe, dass zu Erfolg mindestens mal doppelt so viel Misserfolg gehört.
Trauer bringt Tiefe. Freude bringt Höhe. Trauer bringt Wurzeln. Freude bringt Äste. Freude ist wie ein Baum der sich gen Himmel streckt und Trauer ist die Wurzel, die in den Boden wächst. So absurd es auch klingen mag, beides wird benötigt - je höher ein Baum wächst, desto tiefer verwurzelt er sich im Erdboden, desto mehr können wir von ihm ernten und desto mehr Erfolg ziehen wir daraus.
Wieder huscht ein Lachen über mein Gesicht, einmal mehr bin ich froh mein Leben schon immer selbst in der Hand gehabt zu haben. Hätte ich die Chance alles noch einmal zu machen, ich würde wieder den Weg über die Trauer und den Misserfolg wählen, weil ich weiß am Ende wird allesgut, am Ende werde ich es genau hier her schaffen, zu meinen Pferden, meinen Seelenverwandten, meinen Sportpartnern, denn das ist mein Leben, meine Leidenschaft und meine Zukunft, denn ich bin ein Springreiter.

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