Kapitel 6
,,Heyy, Ben,
Ich wollte nur kurz fragen, wann ich Raya am Sonntag bringen soll. Julia ist ja bei dir.''
Ich sah eine Weile auf Leylas Nachricht. Ich wusste nicht was, aber irgendetwas störte mich, an ihr, doch so oft ich auch über ihre Nachricht las, mit fiel nicht auf was. Ich fing an mich zu fragen, ob Leyla wusste, dass ihr Brief heute gekommen war. Sie müsste es zumindest so in etwa gewusst haben, der grobe Zeitraum müsste ihr klar gewesen sein, da sie ja wusste wann sie den Brief abgeschickt hatte. Dass sie von Julia wusste, lag daran, dass ich es ihr gegenüber in einer der seltenen Nachrichten zwischen uns mal kurz erwähnt hatte. Und trotzdem irgendwas gefiel mir an Leylas Nachricht nicht. Ihre Wortwahl war es nicht. Sie war genauso wie in den letzten Nachrichten zwischen uns. Von uns beiden aus. Kurz. Direkt auf den Punkt gebracht. Und ohne groß Tamm Tamm. Es wurde nur das Nötigste gesprochen und dann war's das schon wieder. Einerseits war ich froh darüber, dass Leyla meine Entscheidung nach Hamburg zu gehen und etwas Distanz zu finden einfach so akzeptierte, doch jetzt gerade wünschte ich mir, dass Leyla... Ich wusste nicht was ich mir wünschte! Vielleicht, dass sie schon damals, als ich gegangen bin, um mich gekämpft hätte. Aber warum sollte mich das jetzt noch stören? Sie hatte offensichtlich in der Zeit in der ich nicht da war, für sich mehr Klarheit geschaffen, als ich es für mich konnte. Und das war wahrscheinlich nicht mal schlecht. Außerdem bewies es mir irgendwo, dass ich richtig lag, mit meiner Entscheidung nach Hamburg zu gehen. Auch Leyla schien diese Zeit sinnvoll genutzt zu haben.
„Ben?" Ich sah von meinem Handy auf in Julias fragendes Gesicht. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich die ganze Zeit auf mein Handy gestarrt haben muss, als wäre ein Monster darin gefangen. „War die Nachricht so schlimm?" Schnell fing ich an mit dem Kopf zu schütteln. „Nein. Nein. Leyla will nur wissen, wann sie Raya am Sonntag bringen soll, da du ja hier bist." Julia nickte langsam, doch glauben zu wollen schien sie mir nicht. Irgendwie wohl auch schwierig nachdem ich eine halbe Ewigkeit auf die Nachricht gestarrt hatte, ohne auch nur annähernd zu reagieren. „Und das ist ein Grund deinem Handy das Gefühl zu geben durchlöchert zu werden?" „Nein, nein. Warte ich antworte ihr kurz." Schnell nahm ich mein Handy wieder zu Hand und fing schon an zu tippen, als ich ganz leise Julias Stimme hinter mir vernahm: „Ruf' sie an!" Verwirrt drehte ich ich mich zu Julia. Diese Aussage kam wirklich unerwartet. „Was soll ich ihr den sagen?" Julia stand auf, sie schien ganz im Begriff zu sein das Zimmer zu verlassen. Am Türrahmen drehte sie sich nochmal um: „Das weißt du ganz genau!" Damit verschwand sie, doch sie kam noch bevor ich etwas sagen oder tun konnte wieder. „Ich würd' meine Sachen mal irgendwo hinbringen wollen, wo kann ich denn schlafen?" Ich war schon so sehr am Überlegen, ob ich Leyla wirklich anrufen sollte, dass ich ihr ohne von meinem Handy aufzuschauen, die Weg Beschreibung in ihr "Schlafzimmer" zu murmelte.
Als Julia das Wohnzimmer verlassen hatte, wurde es fast gespenstisch still in ihm. Ich sah mein Handy immer noch nur an. Traute mich weder sie anzurufen, noch es ausgehen zu lassen, da ich wusste, dass ich es dann nicht mehr anmachen würde. Leyla wird sich schon längst gewundert haben, warum ich ihre Nachricht gesehen, aber nicht beantwortet hatte. Innerlich gab ich mir nochmal einen Ruck: Leyla hatte sich getraut mir alles zu sagen, ehrlich mit mir zu sein (ja da war ich mir inzwischen sicher-Leyla war ehrlich mit mir) und jetzt war ich zu Feige auf einem Knopf zu drücken?! So konnte ich das ganze dann doch nicht auf mir sitzen lassen und so drückte ich auf das kleine Anruf-Symbol, neben Leylas Namen. Mein Herz schlug mir schon wieder bis zum Hals, doch ich war mir auf einmal sicher, das es die richtige Entscheidung war.
„Hey... Ben." Ich atmete nochmal tief durch. Leylas Stimme drang leise durch den Lautsprecher in mein Ohr und zauberte mir neben dem Kloß in meinem Hals, ein kleines Lächeln ins Gesicht. „Heyy..." Erneut holte ich tief Luft und schluckte einmal, bevor ich leise weiter sprach: „Ich hab' deinen Brief heute bekommen." Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Ich war mir sicher, dass Leyla nicht so ganz wusste, was sie mit dieser Information anfangen sollte und sie darauf wartete, dass ich weiter sprach. Doch ich wusste selber ja nicht was ich sagen sollte. Ich vermisste Leyla. Schon die ganze Zeit. Nicht erst seit Hamburg schon davor, aber jetzt gerade besonders. Nach diesem Brief. Schon seit ich ihn gelesen hatte, war da so ein komisches Gefühl gewesen, doch ich konnte es erst jetzt wieder einordnen. Am Anfang war es kurz da, aber dann kam meine Mutter. Ich wollte Leyla einfach ganz fest in den Arm nehmen. Ihren Duft in meiner Nase spüren können, ihr wunderschönes Gesicht sehen können und sie ganz nah bei mir spüren. „Ben...? Es tut mir so leid, was passiert ist. Glaubst du mir das? Ich wollte das alles nicht." Leyla sprach immer noch unfassbar leise, doch ich konnte das zittern in ihrer Stimme trotzdem hören. Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken antwortete ich: „Ja, Leyla. Ja! Die letzten Wochen... sie sind-" Ich atmete hörbar aus, verzweifelt auf der Suche nach einem passenden Adjektiv für unserer Situation. „einfach nicht gut gelaufen. Ich mach' dir da keinen Vorwurf draus. Sie sind von uns Beiden aus aus nicht gut gelaufen. Du warst in dein Trauma Zentrum verbissen und ich wollte nicht zugeben, dass es so nicht weiter gehen konnte. Der Kuss mit Martin war nur der Moment an dem ich mir eingestehen musste, dass etwas gewaltig schief lief. Aber Leyla?" „Hmm." Ich konnte mir nur vorstellen wie Leyla sich gerade fühlen musste. „Du meintest ich würde immer wieder kämpfen, egal wie sehr mich das Leben auf dem Boden halten wollte. Ohne dich hätte ich das nicht einmal geschafft und genau deswegen müssen wir wieder anfangen zusammen zu arbeiten. Gemeinsam für unsere Beziehung kämpfen und endlich wieder ehrlich miteinander reden... Ich liebe dich! Und ich brauche dich so sehr." Ich hörte wie Leyla am anderen Ende der Leitung leise aufschluchzte. „Ich dich auch!" Über meinem ebenfalls von stummen Tränen übersäten Gesicht, bildete sich ein schwaches Lächeln. „Dann schaffen wir das schon, Leyla. Okay? Wir schaffen das irgendwie. Sobald ich wieder da bin, reden wir persönlich nochmal und bis dahin, haben wir beide ein Handy. Außerdem sehen wir uns Sonntag. Ich freue mich auf dich."
Leyla und ich redeten doch noch jetzt weiter. Julia hatte zwischen drinnen mal bei mir vorbei geschaut doch, als sie merkte, dass Leyla und ich noch immer redeten, ließ sie uns einfach machen. Auch dafür war ich ihr so unfassbar dankbar. Erst nach über 2h beendeten Leyla und ich unser Telefonat. Die Meisten würden über das Telefon so etwas zu klären und zu besprechen wohl, als sehr unpersönlich bezeichnen und demnach als unmöglich erklären, doch ich war mir sicher, dass Leyla und ich "persönlich", Auge in Auge, hätten nicht anders geredet, denn ich war der Meinung, wenn man sich lange und gut genug kannte, konnte man auch übers Telefon ernste und ehrliche Gespräche führen. Vielleicht würden wir nochmal darüber reden, doch für den Moment fühlte sich mein Herz das erste Mal seit langem wieder ganz an. Die Tränen die während unserem Telefonat geflossen waren konnte ich schon gar nicht mehr zählen, aber zu weinen bedeutete doch, dass etwas einen Emotional mitnahm, beschäftigte und auf irgendeiner Ebene berührte. Ein weiteres Indiz dafür, dass Leyla und mein Gespräch uns Beiden nicht egal war. Es war das Erste, dass wieder mit einem "Ich liebe dich!" endete und bei dem wir am Schluss sogar lachen mussten, weil keiner auflegen wollte. Ob jetzt alles gut war oder nicht, das lag wohl im Auge des Betrachters. Doch für mich und Leylas Worten nach zu urteilen auch ihr, war für den Moment alles aus dem Weg geräumt und ich konnte endlich wieder in eine Zukunft sehen, in der nicht alles schwarz und ungewiss war, sondern in der Leyla, Raya und ich, als Familie eine weitere Hürde überwunden hatten, einen Weg gefunden hatten weiterhin, keine Herzen komplett zerbrechen zu lassen und wieder vereint waren. Vor ein paar Jahren noch, war Familie für mich zu einem Wort geworden, dass ich Einzig und alleine mit Schmerz und Enttäuschung verband. Leyla hatte mich eines besseren belehrt. Familie bedeutete, jedem Gegenwind irgendwie stand zu halten, auch wenn ein Mast dabei knickt und dann gemeinsam einen Weg zu finden, den Mast wieder aufzubauen. Leyla und ich hatten es ein weiteres Mal geschafft. Das Glücksgefühl und die Dankbarkeit, die mich gerade durchströmte war nicht in Worte zu fassen, aber wenn ich mir mit einem sicher war, dann das Julia und meine Mutter recht hatten: Wir konnten das schaffen, nur dass ich das "Das" in ein "alles" verwandeln musste, um ganz einverstanden zu sein. Denn Leyla und ich konnten alles schaffen! Das war mir endlich wieder klar. Die Zweifel über unsere Beziehung, der letzten Wochen waren wie weggeblasen und ich konnte endlich wieder glauben. An Leyla und meine Beziehung glauben. Ich hatte mit dem Teil meines Herzen Frieden geschlossen der Leyla nie eine Sekunde loslassen wollte. Die letzten Wochen war ich so oft mit meinem Herzen in Konflikt geraten, jetzt waren mein Kopf und mein Herz sich endlich wieder einig. Leyla und ich liebten uns, wir gehörten zusammen und wir konnten alles schaffen, wenn wir nur ehrlich zueinander waren. Zusammen waren. Und aneinander glaubten. Und genau das Taten wir endlich wieder! Also würden wir es auch schaffen. Zusammen. Wieder mal...
Ende
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